Wie alle Völker ...? (eBook)

Israel und Palästina als Problem der internationalen Diplomatie
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2019 | 1. Auflage
438 Seiten
wbg Academic in der Verlag Herder GmbH
978-3-534-40103-1 (ISBN)
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Der Titel 'Wie alle Völker ...?' geht auf eine Broschüre von Judah L. Magnes, des ersten Rektors der Hebräischen Universität in Jerusalem, zurück. Dieser betrachtete 1930 erstmals die Problematik im Verhältnis zwischen Moderne und Tradition, zwischen Politik und Religion auf, die sich seither durch die Geschichte des Staates Israel zieht. Reiner Bernstein zeigt, dass die Idee eines säkularen Nationalstaates gegen die von Anfang an bestehende theologische Grundausrichtung Israels nur schwer zum Zuge kam. Er macht deutlich, dass der politische Streit als Wesensmerkmal der Demokratie heute erschöpft zeigt und den Einfluss der nationalistischen und ultrareligiösen Gruppierungen nicht mindern kann. Und er hinterfragt, wie der Widerstand gegen das 'Nationalstaatsgesetz' vom Juli 2018 die Wende zur politischen Vernunft einleiten und internationalen Konventionen Respekt verschaffen kann.

Reiner Bernstein wurde mit einer Arbeit zur neueren deutsch-jüdischen Geschichte an der Freien Universität Berlin promoviert. Er arbeitet heute vornehmlich als Nahost-Historiker. Sein Spezialinteresse gilt der dortigen Interdependenz von Religion und Politik.

Reiner Bernstein wurde mit einer Arbeit zur neueren deutsch-jüdischen Geschichte an der Freien Universität Berlin promoviert. Er arbeitet heute vornehmlich als Nahost-Historiker. Sein Spezialinteresse gilt der dortigen Interdependenz von Religion und Politik.

»Bernsteins Fokus liegt stark auf dem Einfluss internationaler Akteure, er leuchtet präzise Zusammenhänge aus und bietet historische Hintergründe zu den aktuellen Ereignissen. Durch den ausführlichen Anhang und kürzere, aktuelle Texte am Ende ist eine Art Nahost-Kompendium entstanden.« Süddeutsche Zeitung

Kapitel II
Einleitung


„Keine Sorge, Dr. Wise, Palästina gehört Ihnen17.“

Nach seinem ersten Aufenthalt in Palästina 1891 ahnte Achad Ha’am für jene jungen Juden, die sich auf die Einwanderung vorbereiteten, „zahlreiche und schwierige Hindernisse“ voraus: „Wir im Ausland“ (sic), so sein Fazit auf der Rückreise nach Odessa, „pflegen zu glauben, dass Palästina heute ein fast ganz wüstes, unbebautes Ödland ist, und jeder, der dort Grund und Boden kaufen will, dies nach Herzenswunsch tun kann. Dem ist aber nicht so.“ Ähnlich äußerte sich der Lehrer Isaac Epstein18 auf dem VII. Zionistenkongress 1905 in Basel – dem „Sabbatkongress“ nach den Worten seines Präsidenten Max Nordau –, als er die „verborgene Frage“ aufwarf:

„Unter den schwierigen Fragen im Hinblick auf die Geburt unseres Volkes in seiner Heimat überwiegt alles eine Frage: unsere Relationen zu den Arabern. Diese Frage, an der die Lösung unserer nationalen Hoffnung hängt, ist von den Zionisten nicht vergessen worden, ist aber von ihnen vollkommen unbemerkt geblieben, in ihrer wahren Form ist sie kaum in der Literatur unserer Bewegung erwähnt worden.“

1881 erlebte Achad Ha’am schwerwiegende Bodenspekulationen, die der jüdischen Siedlung großen Schaden zufügen würden: „Knechte waren sie im Lande ihrer Verbannung, und plötzlich finden sie sich selbst in einer Freiheit ohne Grenzen, in einer ungezügelten Freiheit, wie sie sich nur in der Türkei finden läßt.“ Vierzehn Jahre später sangen in Basel die Delegierten aus Osteuropa „Wir heben die Händ‘ gen Misrach [Osten] …“. Der aus einer assimilierten Familie Odessas stammende Vladimir Zeev Jabotinsky (1880 - 1940), dem die biblischen Quellen fremd waren, beschwor die Versammelten, dem Aufruf „Politik ist Macht“ zu folgen19, bevor Nahum Sokolow (1859 – 1936) – zwischen 1905 und 1911 Generalsekretär der zionistischen Bewegung und seit 1921 Präsident mehrerer Kongresse – unter Verweis auf 1905 dem amerikanischen Botschafter in Konstantinopel Henry Morgenthau (1856 – 1946)20 das Interesse vortrug, die „nächsten Nachbarländer“ in die Kolonisationsarbeit einzubeziehen. Es dauerte nicht lange, bis Buber – „ein Mann gegen die Zeit“ (Hans-Christian Kirsch) – vor einem Zionismus der „unreflektierten Selbstverständlichkeit“ warnte, vor einem „horizontlosen Nationalismus“ zwischen den „natürlichen arabischen Rechten“ und den „historischen jüdischen Rechten“: Die Araber, „nicht wir, besitzen etwas, was man die palästinensische Form nennen darf. Die Lehmhütten der Fellachendörfer sind aus diesem Boden geschossen, die Häuser von Tel Awiw sind ihm aufgesteckt.“ 1925 erntete Weltsch heftige Reaktionen mit seinem Vorstoß, dass „diejenigen, die neu hinzukommen – und das sind in diesem Falle wir – mit dem ehrlichen und aufrichtigen Willen kommen [müssen], mit dem anderen Volk zusammen zu leben“. Seine „Jüdische Rundschau“ versuchte „für eine Politik der Verständigung und des Friedens einzutreten, was nur dann möglich war, wenn politisch das Ziel in einer Weise definiert wird, die sich mit den Interessen der palästinensisch-arabischen Bevölkerung vereinbaren lässt“, unterstrich er. Ähnlich besorgt hatte sich Nahum Goldmann (1895 – 1982) bei seinem ersten Besuch kurz vor dem Ersten Weltkrieg geäußert:

„Ich schreite durch die Weinberge und wende alle innere Energie auf, um das erhebende Bewusstsein, auf jüdischen Kolonieboden zu treten, in seiner ganzen Reinheit zu empfinden, und in mir raunt es wie die tückische Stimme eines grausamen Feindes: Aber die Araber haben es bearbeitet. Ich betrachte mit Entzücken die farbenstrahlende Blüte eines Orangenbaumes, und die Stimme murmelt: Araber haben ihn gepflanzt; ich schaue mit Stolz auf die starken, gut gezogenen Rebenstöcke, und die Stimme flüstert: Araber haben sie großgezogen.“

Felix Frankfurter (1882 – 1965), ab 1939 Richter am Obersten Gerichtshof der USA, räumte ein: „Wir, die wir das einfache orientalische Leben in seiner schönen Gestalt lieben, mögen entschuldigt sein, wenn wir mit einem Seufzer seine Pulverisierung unter den Rädern des Fortschritts sehen.“ Für Kurt Blumenfeld stellte „die Araberfrage unser politisches und menschliches Hauptproblem“ dar, dessen Klärung jedoch in weiter Ferne liege: „Je mehr mir das bewußt wurde, desto mehr beschwerte mich der Eindruck, dass in Wirklichkeit nicht nur Jahrhunderte an Entwicklung uns von den Arabern trennten, sondern daß auch die Entwicklungstendenzen der islamischen Welt unseren Versuchen der Europäisierung des Landes widersprachen.“

Behauptungen, der Fellache habe kein Interesse an der Politik, ließen sich nicht aufrechterhalten. Mit von Bedenken freien Selbstverständlichkeiten ließen sich die jüdischen Ankömmlinge in Palästina nieder – belästigt durch das „Schreien und Feilschen der arabischen Lastträger und Bootsleute“ im Hafen von Jaffa, während das benachbarte „Tel Aviv als eine normale, saubere Stadt mittlerer Größe nach europäischem Muster“ erschien, wie Shlomo Rülf im Februar 1933 nach seiner ersten Landung berichtete. Abraham Granovsky (1890 – 1962) schrieb im Vorwort seiner zwischen 1926 und 1929 entstandenen Aufsatzsammlung, dass „der Boden Erez Israels (…) erlöst und für ewige Zeiten jüdisch werden (muss)“. Solche Erwägungen nötigten Ernst Simon zu der Aufforderung, „mit der gefährlichen Parole ‚Erlösung des Bodens‘“ verantwortlich umzugehen, was ihm die Gegnerschaft „in den nationalistischen Kreisen“ eintrug.

Mit der Balfour-Deklaration vom 02. November 1917 und bestätigt durch den Völkerbund im April 1920 stieg das jüdische Volk, repräsentiert durch die zahlenmäßig kleine zionistische Bewegung, in den Rang eines Völkerrechtssubjekts auf, nachdem die Juden nach den Worten Ben-Gurions bis dahin außerhalb der Weltgeschichte gestanden und „kein eigenes Blatt in den Geschichtsbüchern“ geschrieben hatten, wie Weltsch vervollständigte. Für George Curzon (1859 – 1925), den ehemaligen Vizekönig von Indien zwischen 1899 und 1905 sowie Nachfolger von Arthur James Balfour (1848 – 1930) im Außenministerium, hatten die Juden nach dem Ende ihres nationalen Daseins in Palästina vor zwölfhundert Jahren keinen höheren Anspruch als die Briten auf Teile Frankreichs. Gleichwohl versicherte Präsident Woodrow Wilson (1856 – 1924) dem Gründer des Jüdischen Weltkongresses und erstem Präsidenten, dem in Budapest geborenen Stephen Wise21: „Don’t worry, Dr. Wise, Palestine is yours“. Seine Prophezeiung, dass der Erste Weltkrieg der letzte aller Kriege sein werde, erwies sich als haltlos. Ohne dass die USA dem Völkerbund beitraten, stimmten sie in einem gesonderten Abkommen mit Großbritannien dem Mandat zu. Aus Furcht, der jüdischen Einwanderung nichts entgegensetzen zu können, verwahrte sich Anfang Oktober 1919 Jerusalems Bürgermeister Musa Kazem Al-Husseini (1853 – 1934) „gegen jegliche Rechte für Juden“. Dieselbe Ablehnung kam von Auni Abd‘ Al-Hadi22, dem Berater des saudischen Prinzen Faisal23, der am 04. Juni 1919 mit Chaim Weizmann in Aqaba ein Schriftstück über eine mögliche arabisch-jüdische Zusammenarbeit unterzeichnet hatte.

Die Frage, ob Faisal für alle Araber sprechen konnte, erübrigt sich, weil ihre Gesellschaften hierarchisch gegliedert waren und keine demokratische Willensbildung kannten. Faisal wurde am 08. März 1920 in Damaskus zum König von Syrien (wozu Libanon und Palästina zählten) ausgerufen, musste aber schon am 27. Juli auf französischen Druck hin das Land in Richtung Bagdad verlassen. Am 11. Juli 1922 verabschiedete der britische Ministerrat eine Resolution, in der Faisal zum konstitutionellen Monarchen Iraks erklärt wurde.

Für den zionistischen Aufbau hatte der Ökonom und Jurist Arthur Ruppin24 – ein Mann von „eiserne(r) Selbstdisziplin“ und „ein Genie des Arbeitswillens“, der sich mit der hebräischen Sprache schwertat – Anfang 1908 von der zionistischen Exekutive unter ihrem Präsidenten David Wolffsohn (1855 – 1914) ein Büro in der nach einem syrischen Christen benannten Butros-Straße eingerichtet, in der „Einöde“ Jaffas, wie Richard Lichtheim (1885 bis 1963) befand; bei seinem ersten Besuch 1910 trug er einen Revolver bei sich. Ruppins „Palästina-Amt“ wurde Kopf und Herz der praktischen Arbeit. 1920 wurde die von ihm geleitete „Palestine Land Development Company“ (PLDP) in England als gemeinnützige Aktiengesellschaft anerkannt. Ein Jahr danach beauftragte er den gerade aus Frankfurt am Main eingewanderten...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2019
Verlagsort Darmstadt
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Schlagworte Antizionismus • Israel • Jom-Kippur-Krieg • Judentum • Naher Osten • Nahostkonflikt • Palästina • Politik • Religiöser Zionismus • Sechstagekrieg • wbg Publishing Services • Zionismus
ISBN-10 3-534-40103-4 / 3534401034
ISBN-13 978-3-534-40103-1 / 9783534401031
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