Eine Ohrfeige und sonstiges (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
292 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-75753-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Ohrfeige und sonstiges -  Robert Walser
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Seit jeher hat Robert Walser bildende Künstler auf der ganzen Welt inspiriert. Auch für Thomas Hirschhorn, einem der provokativsten und innovativsten Künstler der Gegenwart, ist er eine Leitfigur, ein »Held«, der für wahres Künstlertum steht. Walsers Kunstanspruch ist stets an einen persönlichen Standpunkt geknüpft, der zum Betrieb Distanz markiert.

Die vorliegende ?Blütenlese? enthält eine Auswahl von Robert Walsers besten Texten - ein idealer Einstieg in das Werk eines Autors, dessen poetisch bildhaftes Schreiben eine ungebrochene Wirkungsmacht hat.



<p>Robert Walser wurde am 15. April 1878 in Biel geboren. Er starb am 25. Dezember 1956 auf einem Spaziergang im Schnee. Heute ist Walser durch seine Romane, seine feuilletonistische Prosa, seine Gedichte und seine Dramolette als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts anerkannt. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Banklehre und arbeitete als Commis in verschiedenen Banken und Versicherungen in Zürich. Seine ersten Gedichte, die 1898 erschienen, ließen ihn rasch zu einem Geheimtip werden und verschafften ihm den Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines ersten Buches <em>Fritz Kochers Aufsätze</em> folgte er 1905 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner den Durchbruch erzielt hatte. In rascher Folge publizierte Walser nun seine drei Romane <em>Geschwister Tanner</em> (1907), <em>Der Gehülfe</em> (1908) und <em>Jakob von Gunten</em> (1909). Infolge einer psychischen Krise geriet Walser Anfang 1929 gegen seinen Willen in die Psychiatrie, deren Rahmen er nie mehr verlassen konnte. 1933 von der Berner Klinik Waldau nach Herisau verlegt, gab er das Schreiben vollständig auf und lebte dort noch 24 Jahre als vergessener anonymer Patient. Sein Werk erscheint seit 1978 im Suhrkamp Verlag, seit 2018 auch in der neuen kommentierten Berner Ausgabe.</p>

Robert Walser wurde am 15. April 1878 in Biel geboren. Er starb am 25. Dezember 1956 auf einem Spaziergang im Schnee. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Banklehre und arbeitete als Commis in verschiedenen Banken und Versicherungen in Zürich. Seine ersten Gedichte, die 1898 erschienen, ließen ihn rasch zu einem Geheimtip werden und verschafften ihm den Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines ersten Buches Fritz Kochers Aufsätze folgte er 1905 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner den Durchbruch erzielt hatte. In rascher Folge publizierte Walser nun seine drei Romane Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909). Infolge einer psychischen Krise geriet Walser Anfang 1929 gegen seinen Willen in die Psychiatrie, deren Rahmen er nie mehr verlassen konnte. 1933 von der Berner Klinik Waldau nach Herisau verlegt, gab er das Schreiben vollständig auf und lebte dort noch 24 Jahre als vergessener anonymer Patient. Thomas Hirschhorn, geb. 1957 in Bern, ist einer der bedeutendsten Konzeptkünstler der Gegenwart. Im Jahr 2001 erhielt er den Prix Marcel Duchamp und 2004 den Joseph Beuys-Preis. Zuletzt richtete er viel diskutierte Installationen im Schinkel Pavillon in Berlin sowie auf der Manifesta 10 in Sankt Petersburg ein (beide 2014). 2011 bespielte er den Schweizer Pavillon auf der 54. Biennale in Venedig und zeigte 2002 sein Bataille-Monument auf der Documenta11 in Kassel. Reto Sorg, geb. 1960, unterrichtet Neuere Deutsche Literatur an der Universität Lausanne und leitet das Robert Walser-Zentrum in Bern. Zahlreiche Publikationen im Bereich moderne und zeitgenössische Literatur und Kunst.

Ein Maler


Diese Blätter aus dem Notizbuch eines Malers sind mir, wie man so sagt, zufällig in die Hände geraten. Mir erscheinen sie nicht so unbedeutend, als daß ich nicht glaubte, sie veröffentlichen zu dürfen. Über die darin niedergelegten Kunstansichten kann man gewiß verschiedener Meinung sein. Das ist aber auch nicht das Wichtigste, sondern das andere, Dazwischenliegende, das rein Menschliche in den Blättern erschien mir als das Bedeutendere, wirklich Lesenswerte.

Dies soll eine Art Tages- oder Notizbuch werden. Ich werde die Blätter, wenn sie zu Ende geschrieben sind, verbrennen. Wenn sie zufällig aufbewahrt werden, so mögen sie nur einem neugierigen, schwatzhaften Schriftsteller in die Hände fallen; was kann mir daran liegen? Die Welt ist mir gleichgültig, ebenso die Menschen, ebenso diese paar Aufzeichnungen. Ich schreibe zu meinem Vergnügen, so zwischen dem Malen hindurch, wie ein Dieb, wie ein Erzschelm; ich habe immer gern kleine Streiche verübt. Und welch harmloser, unbedeutender Streich ist dieses Aufschreiben! Ich lege etwas von meiner Gesinnung, etwas von meiner Kunstanschauung, etwas von meiner Seele darin ab, wie auf einem kleinen, bescheidenen Opferaltar, könnte ich sagen! Warum auch nicht? Das Schreiben ist überdies für die Malerhand eine amüsante Abwechslung, warum sollte ich das meiner Hand nicht gönnen? Ich bin nun schon seit einigen Wochen in dieser Villa, mitten in den Bergen, unter Tannen, zwischen den lieben, einsamen Felsen. Den ganzen Tag, fast die ganze Woche haben wir Nebel. Der Nebel geht hier nie ganz weg, nur bei ganz klarstem Wetter. Ich liebe den Nebel, so wie ich alles liebe, was feucht, kalt und farblos ist. Ich habe nie Ursache gehabt, mich nach mehr Farben zu sehnen, denn ich habe immer, von frühester Jugend auf, da Farbe gesehen, wo beinahe keine war. Ich habe also des Künstlers Drang, nach südlichen, sonnigen, farbigen Ländern zu gehen, nie begriffen. Mir war grau immer eine der liebsten, vornehmsten, süßesten Farben, und in diesen Bergen herrscht sie zu meinem Entzücken überall. Selbst das Grün erscheint hier grau: die Tannen! Wie ich sie doch liebe, die heiligen Tannen, es ist nicht zu sagen. Dann der Nebel! Ich streiche oft nur umher, um mit dem Nebel in der Wette umherzustreichen. Das steigt, das fällt, das zieht sich hin, das schleicht, das schießt plötzlich seitwärts, es ist wundervoll. Wie weiße Schlangen! Aber ein Dichter kann das nie sagen, das kann nur ein Maler sagen. Ich könnte kein Dichter sein, denn ich liebe die Natur zu ungestüm, und: ich liebe nur sie. Ein Dichter aber soll vorwiegend über Welt und Menschen berichten. In der Naturschilderung wird er immer hinter dem Maler zurückbleiben, es ist nicht anders möglich. Der Pinsel wird auch die feinste Wortübung immer zuschanden machen, und es ist gut, daß es so ist. Jede Kunst soll und muß ihre Grenzen haben, damit nicht die eine die andere verschlingt. Ich werde in diesen Blättern ganz zwanglos zu mir selber reden, aber ich weiß selber nicht, so wie ich fortschreibe, überfällt mich ein gewisses, nicht zu verdrängendes Verantwortungsgefühl für das, was ich schreibe. Liegt das im Schreiben überhaupt, oder habe ich das bloß so? Gut, ich werde es zu erforschen wissen. Wie doch alles seinen besonderen Sinn, und jeder Sinn seine Bedingungen hat! Es ist in der Tat merkwürdig.

Die Villa, in der ich hier lebe, ist nicht etwa meine Villa. Nein, sie gehört einer Gräfin, einer überaus liebenswürdigen, vornehmen Frau, deren Bekanntschaft ich in der Hauptstadt gemacht habe. Auch sie liebt die Stille, die Einsamkeit verschlossener Täler, die Luft der Berge, den Geruch der Tannen und des Nebels. Sie wohnt hier, und ich fühle mich fast wie ihr Gefangener. Seltsam prickelndes, reizendes Gefühl, das! Ich war arm und elend, als ich sie, oder sie mich kennenlernte. Sie schätzte sogleich den Künstler an mir, trieb mich an, die Stadt zu verlassen, ihr in die Berge zu folgen, und ich habe es ohne Bedenken getan. Nie seither habe ich es zu bereuen gehabt. Überdies bereue ich niemals etwas, da ich weiß, daß aus allem etwas Besonderes, oft sogar Schönes entstehen kann. Ich sehne mich nicht nach der Stadt zurück, ich bin über dergleichen Anwandlungen hinaus. Wo ich bin, schaffe ich, und wo ich schaffe, nur da bin ich. Wo ich am ungestörtesten malen darf, muß es mir also am besten behagen. Die Bilder, die ich male, gehören alle, ohne Ausnahme, der Gräfin. Dafür gibt sie mir zu leben, und wie zu leben! Ihre Erziehung, ihr Geschmack, ihr Herz bürgen mir dafür, daß mir das Leben in ihrer Nähe immer etwas Angenehmes sein wird. Könnte man einen bessern Kontrakt eingehen? Überdies darf ich gehen, wenn ich gehen will. Es bindet mich nichts. Aber hier bindet mich alles: die Natur, die Sorglosigkeit, die Kunst, das Gefühl, zu Hause zu sein. Habe ich also nicht recht, wenn ich sage, daß ich wie ein Gefangener der Gräfin lebe? Der Gräfin? Es ist so seltsam! Ich beziehe alles auf sie: die Gegend, die Berggipfel, das schäumende Tal, die Tannen, alles, alles lebt wie in Beziehung zu ihr, der Herrschenden. Es gehört ihr alles. So wenigstens bildet es sich mein Gehirn gern ein. Vielleicht empfinde ich so infolge der Güte und der Achtung und der Zartheit, mit der sie mich und meine Kunstfertigkeit zu behandeln gewohnt ist. Ich betrachte sie leicht und fast selbstverständlich als Herrin über mein Leben, da es angenehm für mich ist, mich geschützt und geschätzt zu wissen. Mit welcher Freundlichkeit nahm sie sich meiner an, als ich im tiefsten Elend und Schmutz lebte, in jener Großstadt, wo Freiheit und Vogelfreiheit oft dasselbe sind, wo der Kummer der Vielen das glänzende Glück der Wenigen ausmacht, wo der Künstler entweder stirbt oder seine Kunst preisgibt, und wo Adel und vornehmes Fühlen in Lumpen einhergehen, während das freche plumpe Laster Paläste bewohnt. Nein, der Gräfin bin ich ganz zu eigen. Ich wäre es sogar noch, wenn sie von meiner Bereitwilligkeit einen schonungsloseren Gebrauch machte, und gern! Aber wie wenig verlangt sie! Sie schätzt die Kunst so hoch, daß sie nicht anders kann, als dem Künstler achtungsvoll zu begegnen. Nie ist die kleinste, geringste, unbewachteste Bewegung an ihr mir gegenüber anders als edel und schön. So kann aber auch nur eine Frau sein. Wirklich, ich habe die Überzeugung, so kann nur eine Frau sein.

Der Ruhm ist mir gleichgültig, da ich die Menschen kenne, wie ihre Sucht, Schönes und Schlimmes dicht hintereinander zu sagen. Die Urteilslosigkeit der Menge ist nur ein breiteres Abbild von der Urteilslosigkeit der Gebildeten. In Kunstsachen namentlich herrscht hüben und drüben ein recht bitterer Mangel an sicherem Urteil, und das ist auch nicht zum Verwundern bei der Ungeschultheit unserer Künstler. So zerfahren das Kunstpublikum ist, der Künstler ist meist noch zerfahrener. Was geht es mich an! Meine Aufgabe ist es nicht, hier Ordnung zu schaffen, wo wahrscheinlich nie Ordnung sein wird. Es gibt unter Kunstkennern und Künstlern herrliche Ausnahmen, die aber meist still und ruhig sind, wenig von sich reden machen, also zu erkennen geben, daß es nicht ihr Plan ist, Einfluß auszuüben. Diese wissen genau, wie viel neuer Irrtum und wie wenig Fortschreitendes aus Einfluß entsprießt. Ruhm ist mir also vollständig Nebensache. Ich möchte gerne berühmt sein, aber unter kraftvolleren, edleren Menschen! Ruhm ist eine wundervolle, göttliche Sache, aber ihr Wert verschwindet, wird sie nur ausgeschrieen, nicht ausgehändigt. Also fort damit. – Mein Malen hat mit der Sucht und Sehnsucht nach Ruhm und Anerkennung nichts mehr zu schaffen. Ich lebe sorgenlos, ich brauche vor dem Morgen keine Angst zu haben; was sollte mir da wohl Anerkennung nützen? Ob ich für tausende, oder nur für eine male, tut der Sache selbst keinen Abbruch. Malen bleibt Malen, ob für viele Augen oder nur ein einziges Auge, ist wirklich gleichgültig. Ich male, vor allem für meine Augen. Ich hätte schon lange keine Augen mehr, wenn ich nicht malen dürfte. Das ist stark gesprochen, aber ich will auch, daß ich mich stark ausdrücke. Die Gräfin hat eine immer wachsende Freude an meinen Bildern. Für eine einzige große, starke Freude malen dürfen, ist viel schöner als für die gesprenkelte, abweichende, haltlose Freude einer Masse. Dazu kommt, daß die Frau Gräfin wirklich allerfeinste Kunstkennerin ist. Sie versteht und fühlt die ganze Aufgabe des Malens. Sie folgt oft den Ausführungen meines Pinsels mit einem Mitleiden, wie wenn ein Menschenleben daran hinge. Die Vollendung eines neuen Bildes...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2019
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anthologie • Biel • Erzählungen • Feuilletons • Flaneur • Flanieren • Geschenk • Geschenkbuch • Geschichten • Lesebuch • Prosa • Reto Sorg • Robert Walser-Sculpture • Sammlung • Spaziergang • ST 4884 • ST4884 • suhrkamp taschenbuch 4884 • Thomas Hirschhorn
ISBN-10 3-518-75753-9 / 3518757539
ISBN-13 978-3-518-75753-6 / 9783518757536
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Iris Wolff

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
18,99