Der Tote im Dorfteich -  Franziska Gehm

Der Tote im Dorfteich (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
275 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-75803-3 (ISBN)
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Ein Dorf schweigt. Ribberow - Grausiger Fund im Weiher Am Wochenende machten Jugendliche beim Angeln eine schauerliche Entdeckung: In dem Gewässer kam ein Skelett zum Vorschein. Dabei handelt es sich um die Überreste von Frank Schelk. Der Tote war an Teile eines Ackerpflugs gefesselt und lag offenbar bereits fünf Jahre im Weiher. Die Polizei geht von Mord aus. Für Angaben aus der Bevölkerung, wer Schelk zuletzt gesehen hat oder für Hinweise, wo sich der Rest des Ackerpflugs befindet, ist die Polizei dankbar. Schockiert lässt Jannek die Zeitung sinken. Der Pflug steht in der Scheune seiner Oma ... Präzise und ungeheuer fesselnd, offenbart sich nach und nach das Ausmaß eines erschreckenden Geheimnisses, in das die Dorfbewohner verstrickt sind.

Franziska Gehm wurde 1974 in Sondershausen geboren. Nach ihrem Studium in Deutschland, England und Irland arbeitete sie bei einem Wiener Radiosender, an einem Gymnasium in Dänemark und bei einem Kinderbuchverlag. Heute lebt sie als Autorin und Übersetzerin mit ihrer Familie in München. Sie hat mittlerweile zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Ihr Krimi Der Tote im Dorfteich wurde 2009 für den Hansjörg-Martin-Preis nominiert.

EINS


Der größte Teil des Skeletts lag noch in der Dunkelheit. Doch etwas hatte sich verändert. Etwas war in Bewegung geraten. Der Sommer war lang und trocken gewesen. Durch den harten Boden zogen sich fingerbreite Risse, die Sonnenblumenfelder waren vertrocknet, der Mais verbrannt. Die Flachsfasern des dicken Seils waren verrottet. Aus der Tiefe reckte sich eine Knochenhand empor. Sie zeigte nach oben, als hätte sie ein Ziel.

* * *

Eine Woche. Die ganzen Herbstferien. Im Arsch.

Jannek lehnte mit dem Kopf an der Fensterscheibe. Die kleine graue Welt flog draußen vorbei. Baum, Baum, Hügel, Haus, Schranke, Auto, Baum, Tunnel. Jannek schloss die Augen. Die Luft war schwer und trocken, und das gleichmäßige Ruckeln des Zuges wirkte einschläfernd. Zughypnose, dachte Jannek. Kurz darauf döste er weg.

»Schönen juten Tach, die Fahrscheine bitte!« Der Bahnbeamte schrie, als wäre er auf einem Fußballplatz.

Janneks Kopf rutschte vom Fenster ab, er rappelte sich auf, murmelte ein »Tag« und kramte einen zerknitterten Fahrschein aus der Hosentasche.

»Ribberow. Is’ Schienenersatz«, sagte der Bahnangestellte, knipste den Fahrschein und reichte ihn Jannek zurück. »Müssen ’se ab Sandemünde ’n Bus nehm’, junger Mann.«

Jannek fuhr sich durch die dunkelbraunen, störrischen Haare und nickte. Klar doch. Schienenersatz. Sonst noch was?

Nachdem der Schaffner gegangen war, lehnte Jannek den Kopf wieder ans Fenster. Die Landschaft änderte sich allmählich. Sandsteinfelsen wurden von sanften Hügeln abgelöst. Die Erde verlor den dunklen Farbton und wurde sandig. Warum hatte er sich nur auf diese Woche eingelassen? Seine Mutter war froh, dass er zu Hanne fuhr. Dass irgendjemand zu ihr fuhr. Jetzt, wo sie alleine war. Auf Opas Beerdigung vor einem halben Jahr hatte er sie zum letzten Mal gesehen. Hanne und Opa. So war es immer gewesen. Nicht Oma und Opa. Hanne hatte damals wie versteinert auf den Sarg geschaut. Jannek und seine Mutter mussten sich gegenseitig stützen. Hanne war und brauchte keine Stütze. Wie immer.

Eine langweilige Woche. Sieben langweilige Tage. 168 langweilige Stunden.

Nicht, dass Jannek wahnsinnig wichtige andere Pläne gehabt hätte – aber was gab es Hirneinschläfernderes, als auf einem Dorf zu hocken, in dem es weder ein Kino noch eine Bibliothek, geschweige denn einen normalen Supermarkt gab? Was war deprimierender, als bei Hanne rumzusitzen, die keinen Fernseher und auch keinen Computer hatte und den ganzen Tag mit den Hühnern redete?

Als Jannek in Sandemünde aus dem Zug stieg, prallte die für diese Jahreszeit noch immer erstaunlich warme Mittagssonne auf das Kopfsteinpflaster vor dem Bahnhof. Der Bus für den Schienenersatzverkehr parkte gegenüber vom Bahnhof und hatte bereits den Motor angelassen. Jannek stieg vorne ein. »Entschuldigung. Fahren Sie nach Ribberow?«

Der Busfahrer nickte, ohne Jannek anzusehen.

Es waren nur eine junge Frau mit einem Kleinkind und zwei ältere Damen im Bus, die anscheinend in Sandemünde zum Einkaufen gewesen waren. Jannek setzte sich auf einen hinteren Fensterplatz in der Nähe der jungen Frau und verfolgte eine kleine Wolke, die wie ein weißer Schleier über den Himmel glitt.

Weit unten, im Dunkel, ruhte das Skelett zwischen zerbrochenen Flaschen, alten Autoreifen und einem Fahrrad auf einer alten Pflugschar wie auf einem Thron. Es schien, als hätte ein Künstler die Totengebeine in dieses Stillleben gesetzt. Das Bild jedoch blieb verschwommen, bedeckt vom Schleier des Vergessens, wie alles, was hier versank.

* * *

Fünfzehn Minuten später hielt der Bus mitten auf einer kleinen Landstraße, neben der links und rechts nur Stoppelfelder lagen und bis auf ein einfaches Bushaltestellenschild weit und breit kein Zeichen von Zivilisation zu sehen war. Die hintere Bustür ging auf, doch im Bus blieb alles ruhig. Keiner rührte sich.

»He!«, rief der Busfahrer mit einer Stimme tief wie das Busbrummen selbst. Er drehte sich um, blickte zu Jannek und deutete mit dem Kopf nach draußen. »Ribberow.«

Jannek runzelte die Stirn und sah die junge Frau mit dem Kleinkind fragend an. Die Gegend war für ihren merkwürdigen Humor bekannt. Der Busfahrer übertrieb es Janneks Meinung nach aber etwas.

Die junge Frau nickte Jannek zu. »Sie haben die Strecke geändert«, erklärte sie. »Direkt nach Ribberow rein fährt nur der Vierzehner. Du musst der Straße dort folgen, immer geradeaus. Gleich hinter dem Hügel ist Ribberow.« Die Frau lächelte.

Die beiden älteren Damen warfen Jannek einen Blick zu, als wäre es ein Skandal, das nicht zu wissen.

Jannek bedankte sich bei der jungen Frau, nahm den Rucksack und stieg aus. Gleich hinter dem Hügel. Das waren mindestens fünf Kilometer. Jannek kannte die kleine holperige Landstraße von früher. Damals war er oft mit Opa auf dem Fahrrad ins Nachbardorf gefahren.

Der Bus fuhr weiter und ließ nur ein Motorenknurren und eine Abgaswolke zurück. Jannek schulterte den Rucksack und folgte der Landstraße. Ein Auto schoss an ihm vorbei, so knapp, dass Jannek den Luftzug am ganzen Körper spürte. »Dorfarsch!«, rief Jannek und blickte dem Auto nach. Es fühlte sich gut an, endlich laut zu schreien. Auf einmal leuchteten die Bremslichter des Wagens auf, kurz darauf die weißen Lichter des Rückwärtsgangs, und das Auto kam wieder auf Jannek zu. Es blieb neben ihm stehen und das Beifahrerfenster ging nach unten.

»J.J.?«

Jannek beugte sich zum Fahrer hinunter. »Till!«

»Oh Mann! Ich kann’s nicht fassen. Echt, du bist es. Wer hätte gedacht, dass du dich hier mal wieder sehen lässt.« Till musterte Jannek einen Moment. Dann grinste er. »Komm schon, steig ein, alte Stadtschwuchtel!«

Jannek zögerte, dann schmiss er den Rucksack auf den Rücksitz, auf dem eine Polizeijacke lag, und setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Mann!«, sagte Till, schlug Jannek auf die Schulter und zog ihn an sich heran. »Schön, dich mal wieder hier zu haben, Kleiner.«

Jannek suchte Tills Gesicht nach einem Zeichen des Spotts ab, doch er schien es ernst zu meinen. Obwohl sie sich seit Jahren nicht gesehen hatten. Obwohl Jannek sich seit Jahren nicht gemeldet hatte. Jannek nickte. »Ebenfalls. Großer.«

Till legte den Vorwärtsgang ein und trat aufs Gas. »Erzähl, was treibt dich alleine hierher? Sehnsucht nach Kuhmistgestank? Hast endlich eingesehen, dass das Stadtleben nur krank macht, was?« Till lachte in sich hinein, und seine Wangen leuchteten wie damals, als er mit Jannek zusammen das Dorf und die Umgebung unsicher gemacht hatte.

»Hanne braucht etwas Gesellschaft. Sonst wird sie noch seltsamer. Meint zumindest meine Mutter.«

»Und warum ist sie nicht mitgekommen? Warte – lass mich raten – sie hat endlich einen Mann in eure Zweierbude geschleift und will mal ein paar ungestörte Tage ohne Klein-J.J. genießen.« Till boxte Jannek in die Seite.

»Kein Mann. Nur zwei Jobs gleichzeitig. Und zur Abendschule geht sie jetzt auch noch.«

»Verstehe. Und du hast dich dann breitschlagen lassen, Hanne zu besuchen.«

Jannek zuckte mit den Schultern. So konnte man es wohl nennen. Von alleine wäre er auf jeden Fall nicht auf die Idee gekommen, zu Hanne zu fahren. »Und wieso bist du hier? Was ist mit deiner Ausbildung?«

Tills Augen funkelten. »Fertig. Bin jetzt Polizeimeister in beamtenrechtlicher Probezeit.«

»Also nichts mehr mit Kirschen klauen.«

»Och, na ja. So eng sehe ich das nun auch wieder nicht.«

»Du arbeitest in Ribberow?«

»Klar, ich muss doch meinen Vater bei der Verbrecherjagd im Dorf unterstützen. Was meinst du, da gibt es jede Menge zu tun! Der kleinen Kruse hat jemand die Luft aus dem Rad gelassen, dem fetten Bartsch hat jemand die Butter vom Brot geklaut und der alte Erpel hat sich von Verkaufsprofis 500 Porno-DVDs aufschwatzen lassen, obwohl er gar keinen DVD-Player hat.« Till lachte und winkte dann ab. »Ribberow ist der nette Teil unseres Einsatzgebietes. Da passiert sowieso nie was.«

»Und du wohnst echt noch bei deinen Eltern?« Jannek konnte sich nicht vorstellen, dass er mit 21 immer noch mit seiner Mutter in der Zweiraumwohnung leben würde.

»Warum nicht? Hab mir die obere Etage ausgebaut. Spare die Kohle für Miete lieber. Außerdem verstehen wir uns alle gut. Und der Wäscheservice ist erstklassig.« Till grinste zufrieden vor sich hin.

Sie hatten die Spitze des kleinen Hügels erreicht und vor ihnen tauchten in der Senke die ersten Häuser von Ribberow auf.

»Wohnt da jetzt wer?«, fragte Jannek und deutete auf ein...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-75803-0 / 3407758030
ISBN-13 978-3-407-75803-3 / 9783407758033
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