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Solomons Lied (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00262-3 (ISBN)
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«Solomons Lied», in den USA 1977 erschienen, war - nach «Sehr blaue Augen» und «Sula» - Toni Morrisons dritter Roman, in dem sie mit magischer Klugheit und souveräner Phantasie die Familie der Deads heraufbeschwört: die in trister Ehe welkende Ruth, ihren Sohn Milchmann, der sich danach sehnt, fliegen zu lernen, und die Suche nach dem mythischen Familienschatz aufnimmt, begleitet von der zauberkräftigen Heilerin Pilate, verfolgt von ihrer liebeskranken Enkelin Hagar. Eine große Erzählerin zeigt uns hier, daß noch zu dem unbegreiflichsten Geschehen ein verborgener Schlüssel existiert. Wer Toni Morrisons Gestalten einmal begegnet ist, dem bleiben sie für immer Gefährten.

Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Sie studierte an der renommierten Cornell University Anglistik und hatte an der Princeton University eine Professur für afroamerikanische Literatur inne. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen «Sehr blaue Augen», «Solomons Lied», «Beloved», «Jazz» und ihr essayistisches Schaffen. Sie war Mitglied des National Council on the Arts und der American Academy of Arts and Letters. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u. a. mit dem National Book Critics' Circle Award und dem American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur. 1993 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur, und 2012 zeichnete Barack Obama sie mit der Presidential Medal of Freedom aus. Toni Morrison starb am 5. August 2019.

Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Sie studierte an der renommierten Cornell University Anglistik und hatte an der Princeton University eine Professur für afroamerikanische Literatur inne. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen «Sehr blaue Augen», «Solomons Lied», «Beloved», «Jazz» und ihr essayistisches Schaffen. Sie war Mitglied des National Council on the Arts und der American Academy of Arts and Letters. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u. a. mit dem National Book Critics' Circle Award und dem American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur. 1993 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur, und 2012 zeichnete Barack Obama sie mit der Presidential Medal of Freedom aus. Toni Morrison starb am 5. August 2019. Angela Praesent (1945–2009) war Verlagslektorin, Übersetzerin und Schriftstellerin.

1


Der Vertreter der Genossenschaftlichen Lebensversicherung von North Carolina versprach, pünktlich um drei vom Mercy ans andere Ufer des Lake Superior zu fliegen. Zwei Tage, bevor das Ereignis stattfinden sollte, heftete er einen Anschlag an die Tür seines kleinen gelben Hauses:

Um drei Uhr nachmittags am Mittwoch, dem 18.

Februar 1931, werde ich vom Mercy abheben und

auf meinen eigenen Schwingen davonfliegen. Bitte,

vergebt mir. Ich liebe euch alle.

Robert Smith

Vers.-Vertr.

Mr. Smith zog keine solchen Massen an wie Lindbergh vier Jahre zuvor – nicht mehr als vierzig oder fünfzig Personen stellten sich ein –, denn es war bereits elf Uhr am Morgen eben jenes Mittwochs, den er für seinen Flug gewählt hatte, als überhaupt jemand den Anschlag las. Zu dieser Tageszeit und mitten in der Woche sprachen sich Neuigkeiten nur schleppend herum. Die Kinder waren in der Schule, die Männer bei der Arbeit, und die meisten Frauen schnürten ihre Korsetts und machten sich auf den Weg, um zu sehen, was an Schwänzen oder Innereien der Metzger zu vergeben hatte. Nur die Arbeitslosen, die Selbständigen und die Allerjüngsten waren zur Stelle – absichtlich zur Stelle, weil sie davon gehört hatten, oder zufällig zur Stelle, weil sie gerade in eben diesem Augenblick am Uferende der Not Doctor Street vorbeikamen – ein Straßenname, den die Post nicht anerkannte. Auf Stadtplänen war die Straße als Mains Avenue verzeichnet, aber der einzige farbige Doktor der Stadt hatte bis zu seinem Tod in dieser Straße gewohnt, und als er 1896 dort hinzog, begannen seine Patienten, von denen niemand dort oder auch nur in der Nähe wohnte, die Straße Doctor Street zu nennen. Später, als andere Neger dort hinzogen und als die Post ein gebräuchliches Instrument der Nachrichtenübermittlung unter ihnen wurde, kamen Briefe aus Louisiana, Virginia, Alabama und Georgia, die an Bewohner von Häusern in der Doctor Street adressiert waren. Die Postsortierer ließen solche Briefe zurückgehen oder leiteten sie an die Abteilung für unzustellbare Briefe weiter. Dann, 1918, als Farbige zur Armee eingezogen wurden, gaben einige im Rekrutierungsbüro die «Doctor Street» als ihre Adresse an. Auf diese Weise erlangte der Straßenname einen halboffiziellen Status. Doch nicht auf Dauer. Einige Kommunalpolitiker, deren öffentliches Leben in der Hauptsache darin bestand, sich um geeignete Namen und die Erhaltung der städtischen Wahrzeichen zu kümmern, achteten darauf, daß der Name «Doctor Street» nie irgendwo als offizielle Bezeichnung verwendet wurde. Und da sie wußten, daß nur die Bewohner der Southside ihn am Leben erhielten, ließen sie in den Läden, Friseurstuben und Restaurants dieses Stadtteils Bekanntmachungen aushängen, in denen es hieß, daß die Avenue, die in nordsüdlicher Richtung von der Shore Road am See zu der Kreuzung der Fernstraßen 2 und 6 (nach Pennsylvania) führe und zwischen der Rutherford Avenue und dem Broadway sowie parallel zu diesen beiden Straßen verlaufe, stets als Mains Avenue und nicht als Doctor Street bekannt gewesen sei und es immer bleiben werde.

Eine wahrhaft erhellende Bekanntmachung, denn sie wies den Bewohnern der Southside einen Weg, wie sie ihre Erinnerungen lebendig erhalten und dennoch die Kommunalpolitiker zufriedenstellen konnten. Sie nannten die Straße Not Doctor Street und neigten dazu, das Hospital an ihrem nördlichen Ende, eine Einrichtung christlicher Nächstenliebe, No Mercy Hospital zu nennen, denn erst 1931, am Tage nach Mr. Smiths Sprung von der Krankenhauskuppel, wurde es der ersten farbigen werdenden Mutter gestattet, in seinem Innern statt draußen auf seinen Eingangsstufen zu gebären. Die Großzügigkeit des Hospitals dieser bestimmten Frau gegenüber lag nicht darin begründet, daß sie das einzige Kind jenes schwarzen Doktors war – in all den Jahren seines Berufslebens waren ihm nie Belegbetten zugestanden und nur zwei seiner Patienten waren je ins Mercy Hospital aufgenommen worden, beides Weiße. Und überdies war der Doktor 1931 längst tot. Es mußte Mr. Smiths Sprung von dem Dach über ihren Köpfen gewesen sein, was die Leute vom Krankenhaus bewog, die Frau aufzunehmen. Doch wie auch immer, ob die Überzeugung des kleinen Versicherungsvertreters, er könne fliegen, den Ort ihrer Entbindung mitbestimmte oder nicht – den Zeitpunkt beeinflußte sie mit Sicherheit.

Als die Tochter des toten Doktors Mr. Smith so pünktlich, wie er es versprochen hatte, hinter der Kuppel zum Vorschein kommen sah, die weiten blauseidenen Flügel bauschig vor der Brust zusammengerafft, ließ sie ihren bedeckten Henkelkorb fallen. Rotsamtene Rosenblüten ergossen sich daraus. Der Wind blies sie herum, auf, nieder und in kleine Schneehaufen hinein. Ihre halbwüchsigen Töchter liefen gebückt umher und versuchten sie einzufangen, während ihre Mutter sich stöhnend den Unterleib hielt. Die Jagd nach den Rosenblüten fand eine Menge Aufmerksamkeit, nicht aber das Stöhnen der Schwangeren. Jedermann wußte, daß die Mädchen Stunde um Stunde mit dem Markieren, Zuschneiden und Heften des kostbaren Samts zugebracht hatten und daß man im Kaufhaus Gerhardt schnell bei der Hand sein würde, jede beschmutzte Blüte zurückzuweisen.

Eine Weile ging es nett und heiter zu. Die Männer halfen mit bei dem Versuch, die Blüten aufzulesen, ehe der Schnee sie durchweichte – retteten sie vor einem Windstoß oder pflückten sie vorsichtig aus dem Schnee. Und die ganz kleinen Kinder konnten sich nicht entscheiden, ob sie den blau umhüllten Mann auf dem Dach im Auge behalten sollten oder die unten auf der Erde umherwirbelnden roten Tupfen. Sie wurden aus ihrem Dilemma erlöst, als eine Frau plötzlich zu singen anfing. Die Sängerin, hinten in der Menge stehend, war so ärmlich gekleidet, wie die Tochter des Doktors gut gekleidet war. Die letztere trug einen adretten grauen Mantel mit der traditionellen Schleife der Schwangeren in Nabelhöhe, einen schwarzen Glockenhut und ein Paar Damengaloschen mit vier Knöpfen. Die singende Frau trug eine dunkelblaue Strickmütze, tief in die Stirn gezogen. Sie hatte sich statt in einen Wintermantel in eine alte Steppdecke gehüllt. Den Kopf auf die Seite geneigt, die Augen starr auf Mr. Robert Smith gerichtet, sang sie mit kraftvoller Stimme:

Sugarman ist fortgeflogen

Sugarman ließ uns allein

Sugarman saust durch die Luft

Sugarman flog heim

Einige der rund fünfzig dort versammelten Leute stießen sich gegenseitig an und kicherten. Andere hörten zu, als sei es die helfende und erklärende Klaviermusik zu einem Stummfilm. So standen sie eine Weile da, und niemand schrie zu Mr. Smith hinauf, so beschäftigt waren sie alle mit den geringfügigen Ereignissen um sie herum – bis die Krankenhausleute kamen.

Sie hatten von den Fenstern aus zugesehen – anfangs mit milder Neugier, später, als die Menge bis zu den Mauern des Krankenhauses anzuschwellen schien, mit Besorgnis. Sie fragten sich, ob da eine dieser Kundgebungen stattfinde, wie sie die Gruppen gegen Rassendiskriminierung ständig veranstalteten. Doch als sie weder Plakate noch Redner sahen, wagten sie sich in die Kälte hinaus: weißbekittelte Chirurgen, Angestellte der Verwaltungs- und Personalabteilung in schwarzen Jacketts und drei Krankenschwestern in gestärkten Schürzenkleidern.

Der Anblick von Mr. Smith und seinen weiten blauen Flügeln lähmte sie einige Sekunden lang, ebenso der Gesang der Frau und die verstreuten Rosen. Manche von ihnen dachten flüchtig, daß es sich vielleicht um so etwas wie einen Gottesdienst handle. Philadelphia, wo Father Divine regierte, war nicht sehr weit entfernt. Vielleicht waren die jungen Mädchen mit den Blumenkörben zwei seiner Jungfrauen. Aber das Lachen eines Goldzahnmannes brachte sie wieder zu Sinnen. Sie hielten inne in ihren Tagträumereien und kamen schnell zur Sache, gaben Befehle. Ihre Rufe und ihre Geschäftigkeit stifteten große Verwirrung, wo vorher nur einige wenige Männer und ein paar Mädchen, die mit Samtstückchen spielten, und eine singende Frau gewesen waren.

Eine der Krankenschwestern erforschte, in der Hoffnung, mit Tatkraft das Durcheinander entwirren zu können, die Gesichter um sie herum, bis sie eine stämmige Frau entdeckte, die so aussah, als könnte sie, wenn sie nur wollte, die Erde bewegen.

«Sie», sagte sie und bewegte sich auf die stämmige Frau zu. «Sind das Ihre Kinder?»

Die stämmige Frau wandte ihr langsam den Kopf zu und hob die Brauen, als sie so achtlos angesprochen wurde. Als sie dann sah, woher die Stimme kam, senkte sie die Brauen und verschleierte ihre Augen.

«Madam?»

«Schicken Sie eines rüber zur Notaufnahme. Sagen Sie ihm, er soll dem Pförtner sagen, er soll schnell herkommen. Der Junge da kann gehen. Der da.» Sie zeigte auf einen katzenäugigen Jungen von etwa fünf oder sechs Jahren.

Die stämmige Frau ließ ihre Augen am Finger der Krankenschwester entlanggleiten und sah den Jungen an, auf den sie zeigte.

«Gitarre, Ma'am.»

«Was?»

«Gitarre.»

Die Krankenschwester starrte die stämmige Frau an, als hätte sie Walisisch gesprochen. Dann schloß sie den Mund, sah wieder den katzenäugigen Jungen an und verschränkte die Finger, während sie ihre nächsten Worte sehr langsam an ihn richtete.

«Hör zu. Lauf zur Pförtnerloge an der Rückseite des Krankenhauses. An der Tür steht ‹Notaufnahme›. N-O-T-A-U-F-N-A-M-E.Aber der Pförtner sitzt da. Sag ihm, er...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2019
Übersetzer Angela Praesent
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ehe • Fliegen • Identität • Literaturnobelpreisträger • Milchmann • Nobelpreis • Nobelpreis für Literatur • Nobelpreis Literatur • Nobelpreisträger Literatur • Rassismus • Reise • Selbstfindung
ISBN-10 3-644-00262-2 / 3644002622
ISBN-13 978-3-644-00262-3 / 9783644002623
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