Finsteres Kliff (eBook)
399 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-7210-6 (ISBN)
Februar. Ein Orkantief liegt über Sylt. Nicht die beste Zeit, um auf die Insel zu reisen, doch Liv Lammers ruft die Pflicht. Auf dem Morsum-Kliff wurde eine Leiche entdeckt, kurz nach dem Biikebrennen, und der Tatort sieht aus, als habe ein blutiges Ritual stattgefunden. Das Opfer: Joon Schwensen, ein Hobby-Archäologe, der angeblich einem Wikingerschatz auf der Spur war. Hat der Raubgräber seine Passion für die Wikinger zu weit getrieben? Oder ist die grausige Inszenierung nur ein Ablenkungsmanöver? Liv Lammers und ihre Kollegen von der Flensburger Mordkommission ermitteln in alle Richtungen.
Sabine Weiß arbeitete nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium als Journalistin. Seit 2007 veröffentlicht sie erfolgreich Historische Romane, seit 2016 auch Kriminalromane um die junge Kommissarin Liv Lammers. Wenn sie nicht gerade mit ihrem Camper auf den Spuren ihrer Figuren reist und recherchiert, lebt Sabine Weiß mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Nähe von Hamburg.
Sabine Weiß arbeitete nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium als Journalistin. Seit 2007 veröffentlicht sie erfolgreich Historische Romane, seit 2016 auch Kriminalromane um die junge Kommissarin Liv Lammers. Wenn sie nicht gerade mit ihrem Camper auf den Spuren ihrer Figuren reist und recherchiert, lebt Sabine Weiß mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Nähe von Hamburg.
3
Flensburg, Mittwoch, 22. Februar
»Sach mal, der hat ja wohl einen an der Marmel!«, schimpfte Elise ganz undamenhaft und warf empört die Hände in die Höhe.
Liv Lammers, Kommissarin bei der Flensburger Mordkommission, war neben ihrer Großmutter aufgesprungen. Jetzt grinste Liv Elise an.
»Ohehaueha, mit dir ist ja heute nicht gut Kirschen essen«, sagte sie.
»War aber auch geklammert. Böses Foul«, urteilte Livs Tochter Sanna, die auf Elises anderer Seite saß und selbst Handball spielte. Die gemeinsamen Besuche bei den Handball-Heimspielen der SG Flensburg-Handewitt waren eine liebgewonnene Tradition ihrer Familie. Die drei Frauen wohnten nicht nur zusammen, sie waren auch sonst auf einer Wellenlänge.
»Ich werd ja wohl sagen dürfen, wenn einer ’nen döösichen Kopp hat. Da wäre ich ja ein besserer Schiri! Acht zu acht, das wäre nicht nötig gewesen. Und nun singt lieber, statt zu klönen, unsere Jungs können Ansporn gebrauchen!«, forderte die alte Dame sie auf.
Die Frauen stimmten in den Gesang und das rhythmische Klatschen ein, das in der Halle aufbrandete. In diesem Augenblick trug die »Hölle Nord« ihren Namen zurecht. Sanna bequemte sich, ihr Handy wegzustecken und ebenfalls aufzustehen. Früher hatte sie darauf gebrannt, bei den Spielen der SG Flensburg-Handewitt mitzufiebern und mit dem Walking-Act Sigi, einer überdrehten Möwe, herumzualbern. Aber im Augenblick fühlte sie sich mit ihren fünfzehn Jahren wohl schon zu erwachsen dafür. Und das war sie ja auch. Sanna war wie Liv hochgewachsen und schlank. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die meist Jeans mit schlichten Hemden und Chelsea-Boots kombinierte, liebte Sanna figurbetonte Kleidung. Allerdings trug sie ihre blonden Haare seit Neuestem raspelkurz. Mit dem unvermeidlichen Stich in der Herzgegend dachte Liv daran, dass sie in diesem Alter schon schrecklich verliebt gewesen war. Kurz danach war sie schwanger geworden und dann alleinerziehende Mutter. Glücklicherweise lenkten die aufpeitschenden »Flensburg Hande-hande-witt«-Rufe sie von dieser Erinnerung ab.
Der Trainer hatte die grüne Karte gezückt und hielt eine taktische Besprechung ab. Anpfiff. Alle sprangen auf. Plötzlich waren sie Teil eines wogenden Meers aus Flaggen und Spruchbändern, immer lauter brandete der Fan-Gesang auf. Ein Tor, zwei! Anfeuernde Rufe, als die SG kurzzeitig drohte, in Rückstand zu geraten. Doch dann rissen die Flensburger Handballer das Spiel herum. Zur Pause lagen die Gäste aus Hannover-Burgdorf zurück.
»Nervennahrung?«, fragte Liv nach dem Halbzeitpfiff, obgleich sie die Antwort schon kannte. Ihre Besuche in der Flens-Arena folgten immer dem gleichen Ablauf.
»Unbedingt«, sagte ihre Großmutter und ließ sich auf ihren Sitz zurücksinken; müde sah sie aus. Zu Livs Verwunderung kramte die Siebzigjährige jetzt jedoch ihr Handy aus der Handtasche und begann, auf dem Display herumzutippen. »Geht schon mal vor«, sagte Elise abgelenkt.
Sanna und Liv schoben sich durch die Reihen. »Was ist denn bei Oma so eilig?«, fragte Liv ihre Tochter.
»Das muss sie dir schon selbst verraten«, meinte Sanna geheimnisvoll.
»Habe ich was verpasst?«
Ihre Tochter sah sie an und schwieg.
»Muss ich mir Sorgen machen?«
Sanna schüttelte den Kopf.
Jetzt war Liv erst recht neugierig und ein wenig verwundert. Wie konnte ihr etwas entgangen sein? In den letzten Monaten hatte sie doch ungewöhnlich viel Zeit zu Hause verbracht. Als Kommissarin musste sie häufig Überstunden machen. Aber gerade gab es keinen neuen Fall in der Flensburger Mordkommission, der so etwas erforderte. Ausnahmsweise war ihr Job mal in ruhigen Bahnen verlaufen. Inzwischen hatte Liv sogar schon einen Altfall hervorgeholt. Seit der Aufklärung eines Raubmordes nach vierunddreißig Jahren hoffte das K1, die Abteilung für Tötungsdelikte, mit Hilfe des Landeskriminalamts auch andere Cold Cases neu aufrollen und endlich abschließen zu können.
Liv versuchte, Sanna mehr über das Geheimnis ihrer Großmutter zu entlocken, doch als sie sich in die Schlange des Pizza-Stands einreihen wollte, bog ihre Tochter ab und steuerte auf eine Gruppe zu.
»He, du kannst mich hier doch nicht allein lassen!«, rief Liv ihrer Tochter nach, aber die warf ihr nur eine Kusshand zu.
Gleich darauf wurde Sanna überschwänglich von einer jungen Frau begrüßt. Liv erkannte Chiara erst auf den zweiten Blick. Die Freundin ihrer Tochter sah plötzlich wesentlich älter aus, was nicht zuletzt an dem dick aufgetragenen Make-up lag. Wieso all diese Mühe für ein Handballspiel? Und wer waren die Jungs, die neben Chiara standen?
»Ja, so sind sie. Immerhin habe ich jetzt nette Gesellschaft«, sagte der Mann, der vor Liv anstand, und blinzelte ihr zu. »Zähes Spiel, nicht wahr? Wenn die Zuschauer die Mannschaft nicht so anpeitschen würden …« Er war wohl zehn Jahre älter als sie, etwa Ende dreißig, und sah sympathisch aus. Aber Livs Ermittlungen in Fällen von häuslicher Gewalt oder Mord hatten sie nicht gerade zutraulicher gemacht.
»Der Spielplan der SG ist eng, da sind die Beine schwer«, versuchte sie sich höflich im Smalltalk.
»Stimmt. Die Franzosen haben uns in der Champions League ganz schön zu schaffen gemacht. Da muss man in der Bundesliga letzte Kräfte mobilisieren. Sind wohl öfters hier? Ich verpasse kein Spiel. Einmal Flensburg, immer Flensburg …«
Als Liv endlich an der Reihe war, kam es ihr vor, als habe sie noch nie so ausufernd über Handball gefachsimpelt. Freundlich, aber bestimmt, lehnte sie das Angebot des Mannes ab, ihr beim Tragen behilflich zu sein. Stattdessen steckte sie die Schokoriegel in die Tasche, platzierte die Pizza auf den Kaffeebechern und klemmte das blaue Trinkeis dazwischen. Sie rief nach ihrer Tochter. Chiara knutschte inzwischen ungeniert mit einem ihrer Begleiter herum, und Sanna war in ein Gespräch mit einem jugendlichen Stoppelbartträger verwickelt.
»Die Jungs sind aber nicht in eurer Klasse, oder? Woher kennt ihr sie?«, fragte Liv, als Sanna ihr endlich zu Hilfe kam. Ihre Tochter wich der Frage aus, indem sie ihr ein Pizzateil abnahm und gleich hineinbiss. Liv ärgerte sich. Hatte denn in ihrer Familie auf einmal jeder ein Geheimnis?
Es läutete zum Beginn der zweiten Halbzeit. Der Geräuschpegel und das Gedränge nahmen noch zu. Unwillig registrierte Liv, wie ihr Diensthandy vibrierte. Es war Bentes Nummer. Dem Kollegen von der Mordkommission war sein Feierabend normalerweise heilig, also musste es etwas Dringendes sein. Liv balancierte den Verpflegungsstapel zu ihrer Tochter und ging in einen ruhigeren Winkel der Sportarena.
»Moin, Bente. Was gibt’s?«, meldete sie sich.
»Ich störe dich nur ungern, aber …«
Liv verstand Bente kaum, was nicht nur an dem Klatschen und den Fangesängen lag. Bente stammte aus Dänemark, nuschelte gern und verschluckte Silben. Trotzdem mochte Liv seinen Akzent mit den kurzen, melodischen Sprachbögen und den glatt geschliffenen Wortenden. Sie wandte sich dem Ausgang zu. »Was hast du gerade gesagt?«
»Wir haben einen Mord. Die Leiche wird noch heute von Sylt nach Kiel gebracht.«
Sofort blendete Liv das Drumherum aus. »Was ist passiert?«
»Ist eine merkwürdige Sache. Keine Zeit für lange Erklärungen. Ich will nur wissen, ob du morgen früh bei Gericht deine Aussage fortsetzen musst oder an der Obduktion teilnehmen kannst.«
»Ich bin erst nachmittags bei Gericht und schaffe es ohne Probleme vorher ins Institut«, sagte Liv.
»Das ist gut. Ich brauche jemanden, der mit Doktor Gerlich klarkommt.«
Liv konnte ihre Neugier kaum zügeln. »Was liegt an? Wer ist mit dir vor Ort?«
Nicht, dass sie sich darum riss, erneut auf ihrer Geburtsinsel zu ermitteln, zu der sie ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Aber neugierig war sie schon. Die Leiterin der Mordkommission hatte Liv und ihren Teampartner bereits zweimal nach Sylt geschickt, damit sie dort bei der Lösung eines Falls mithalfen. Ein Lächeln huschte über Livs Gesicht. Seit Hennes’ Urlaubsbeginn vor einer Woche kursierten die wildesten Gerüchte darüber, wo ihr Teampartner die Ferien verbrachte. Man munkelte von einem Survivaltrip im Dschungel. Andere Gerüchte besagten, dass er den Urlaub auf dem Balkon verbrachte, wo er den ganzen Tag Sudokus löste. Kurz: Niemand wusste genau, was Hennes mit seiner freien Zeit anstellte. Bei einem Mann wie ihm war alles möglich. Liv musste zugeben, dass sie den muffeligen Querulanten ein wenig vermisste.
»Hasselbrecht hat Wanda mitgeschickt.« Bente klang nicht gerade begeistert. Sein Partner Aziz war krankgeschrieben. Daher musste er jetzt mit jemand anderem zusammenarbeiten. Wanda war eine Ermittlerin, die hart daran arbeitete, möglichst perfekt zu sein, was sie auch alle spüren ließ. Allerdings macht ihr Privatleben Wanda oft einen Strich durch die Rechnung.
Es raschelte am anderen Ende der Telefonleitung. Liv meinte beinahe, Bentes Lakritzbonbon riechen zu können. »Ich muss Schluss machen. Vielleicht melde ich mich später nochmal.« Weg war er.
Tief in Gedanken versunken ging sie an den Security-Leuten vorbei und aus der Flens-Arena hinaus. Der Nachthimmel über dem Sandberg war wolkenschwer und vom Licht des Campus erhellt. Ausnahmsweise regnete es nicht, das hatte Flensburg nach dem Hochwasser, das die halbe Stadt lahmgelegt hatte, auch verdient.
Sie könnte ihrer Chefin anbieten, die Kollegen auf Sylt zu unterstützen. Andererseits: Wenn Hasselbrecht sie brauchte, würde sie sowieso anrufen. Vielleicht war es besser...
Erscheint lt. Verlag | 29.3.2019 |
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Reihe/Serie | Liv Lammers |
Liv Lammers | |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Finsteres Kliff |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 20. - 21. Jahrhundert • Archäologie • Arzneimittelkriminalität • Arzneimittel Skandal • Biike • Biikebrennen • Blutadler • Buch für den Urlaub • Denghoog • Detektiv • Deutsche Krimis • Deutschland • Ermittler • Ermittlerkrimi • finsteres Sylt • Flensburg • Grabbeigabe • Grabhügel • Hochstapler • Kiel • Komissarin • Kommissar • Kommissarin • Krebsmafia • Krimi • Kriminalroman • Krimis • Küstenkrimi • Liv Lammers • Medikamentenfälschung • Mord • Mörder • Mordkommission • morsum • Nordsee • Nordseekrimi • Polizei • Polizeikrimi • Polizeiruf • Polizist • Raubgräber • regional • Rotes Kliff • Serienkrimi (Serienermittler) • Spannungsroman • Strandurlaub • Sylt • Tatort • Thriller • Tinnumburg • Urlaubslektüre • Verbrechen • Wikinger • Wikingerfund • Wikingerschatz |
ISBN-10 | 3-7325-7210-2 / 3732572102 |
ISBN-13 | 978-3-7325-7210-6 / 9783732572106 |
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