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Philosophie des Orgasmus (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
200 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-75945-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
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Wer den schönsten Augenblick sucht, kommt rasch auf den Höhepunkt der Höhepunkte: den Orgasmus. Wiewohl Dauerthema in den Medien, ist die sexuelle Erfüllung mitnichten eine einfache Sache. Sie ist biologisch und kulturell, sinnlich und symbolisch, fleischlich und geistig, emotional und kommunikativ. Und weiblich und männlich, mithin zutiefst menschlich. In ihr treffen die Naturgeschichte und die Evolution auf die großen Erzählungen vom menschlichen Glück, einer emanzipierten Gesellschaft, einer reifen Liebeskultur und eines befreiten Geschlechterverhältnisses, kurz: eines guten Lebens.

Das Staunen über den Orgasmus erhält in diesem Buch eine Philosophie, die Wissenschaft mit Kunst, Literatur, Film und Musik, die intellektuellen Diskurse mit Alltagserfahrungen und die politische Frage mit der Utopie einer leidenschaftlichen und erfüllenden Glückseligkeit verbindet.



Claus-Steffen Mahnkopf ist Professor f&uuml;r Komposition an der Hochschule f&uuml;r Musik und Theater &raquo;Felix Mendelssohn Bartholdy&laquo; Leipzig. Im Suhrkamp Verlag sind erschienen: <em>Mit den Ohren denken. Adornos Philosophie der Musik</em> (stw 1378, hg. zus. mit Richard Klein), <em>Philosophie des Orgasmus</em> (st 4394).

Claus-Steffen Mahnkopf, Jahrgang 1962, studierte Musik und Philosophie, u.a. bei Jürgen Habermas. Er ist Komponist mit einem umfangreichen Werk in allen Gattungen sowie Autor zahlreicher Bücher. Er gibt die Zeitschrift Musik & Ästhetik heraus und lehrt als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig »Felix Mendelssohn Bartholdy«.

Vom Blitz getroffen ...


»Un éclair ... puis la nuit! – Fugitive beautédont le regard m’a fait soudainement renaître«

Charles Baudelaire

Jeder kennt ihn. – Fast.

Jede kennt ihn. – Leider nicht wirklich.

Und die ihn nicht kennen, wollen ihn kennenlernen. Wer ihn kennt, möchte ihn wiederholen. Wer ihn nicht kennt, ahnt vielleicht, dass sie oder er etwas verpasst hat.

Um ihn hat sich eine ganze Industrie, ein ausschweifender Diskurs gebildet. Er ist präsent in Film und Fernsehen, in Zeitungen und Journalen, auf dem Buchmarkt und auf Internetplattformen. Seine biologische Funktion ist längst einer großen kulturellen Praxis gewichen.

Die Rede ist vom sexuellen Höhepunkt.

Er ist so gegenwärtig in unserer Lebenswelt, in unserem Denken, Fühlen, Träumen, in unseren Sehnsüchten und Wünschen, dass es einen verwundert, warum die Philosophie, die doch so ziemlich alles zwischen Himmel und Erde reflektiert, gerade um ihn einen Bogen macht. Ist es die Scham, welche die Denkerinnen und Denker zurückhält? Ist es die fehlende Fachsprache, welche die Zahl seriöser Texte so klein hält? Ist es der Respekt vor der Intimität in unserer immer öffentlicheren Öffentlichkeit? Der mediale Diskurs freilich kennt diese Scham nicht; dort wird zu viel über ihn geredet, berichtet, geschrieben und gesendet. Hier scheint es, als habe er eine Bedeutung, die ihm quantitativ und qualitativ gar nicht zukommt.

Doch jene vornehme Zurückhaltung muss nicht das letzte Wort behalten. Sexualität und darin vor allem ihre Klimax sind ein Allzu-Menschliches. Sie verdienen es, philosophisch betrachtet zu werden. Philosophisch heißt, den Phänomenen über ihre wissenschaftliche Erklärung hinaus auf den Grund zu gehen; dass mithin Alltagsbeobachtungen und ästhetische Erfahrungen nötig sind, um den sexuellen Höhepunkt in seiner ganzen Tragweite zu verstehen. Freilich wäre eine Philosophie im akademischen Sinne diesem Gegenstand völlig unangemessen. Sie wäre – horribile dictu – gänzlich unerotisch. Philosophien müssen in ihrem Stil sich an die Themen anschmiegen, von ihnen den Duktus der Darstellung gleichsam empfehlen lassen. Und so wird dieses Buch erst im dritten Teil philosophisch. Es geht um eine Interpretation des sexuellen Höhepunkts unter zwei Aspekten: dem des guten Lebens und dem seines Sinns in einer allgemeinen Theorie der Welt.

Über ihn kann nur schreiben, wer ihn kennt, aus eigener Erfahrung. Das ist womöglich einer der Gründe, warum die Philosophen so still sind. Sie müssten über eine eigene Erfahrung sprechen. Wer beispielsweise niemals eine mystische Erfahrung gemacht hat, kann über die unio mystica nicht wirklich sprechen. Obzwar der sexuelle Höhepunkt eine höchst subjektive Sache ist, sind Untersuchungen mit einer objektiven Einstellung durchaus möglich. Es mangelt nicht an wissenschaftlicher Forschung, vor allem nicht seit den spektakulären Arbeiten von William Masters und Virginia Johnson aus den 1950er und 1960er Jahren. So wurde neuerdings ein kopulierendes Paar in den Kernspintomographen geschoben, um ein dreidimensionales Bild der Penetration zu erhalten. Was gemacht werden kann, wird auch gemacht. Aber reicht das, um dem Wesen des Orgasmus auf den Grund zu gehen?

Möglich ist es, das Phänomen an sich selbst zu beobachten und dann an einem Partner. Doch das ist alles andere als repräsentativ. Und anderen dabei zuzuschauen, ist auch keine Lösung, denn wer geht schon gerne auf Sexpartys oder in Swingerclubs, um Material für ein Buch zu sammeln? Der eigene Bekanntenkreis kommt dafür ebenfalls nicht in Frage. Bleiben noch die Filme. Aber diese sind gestellt, gleich ob pornografisch oder simuliert. Ohne eigene Erfahrung geht es also nicht – und auch nicht ohne ein Gespür für den Zeitgeist, nicht ohne politisches Interesse, wissenschaftliche Neugierde und nicht ohne ein philosophisches Staunen.

Aber wie über eine Philosophie des schönsten Augenblicks schreiben? Es fehlt schlicht der philosophische Diskurs, eine Intellektuellensprache hat sich nicht herausgebildet, auch nicht in der bewegten Zeit nach 1968, und der Beitrag der Poetik ist, wie wir sehen werden, bescheiden. Einer der bekanntesten Autoren deutscher Sprache, Peter Sloterdijk, sah sich genötigt, einen erotischen Briefroman zu verfassen, um sich zur Sache zu äußern; eine Philosophie des sexuellen Höhepunkts hat er nicht vorgelegt.

Wie spricht man über den schönsten Augenblick, die Begegnung der Geschlechter, die Erkundung des eigenen Körpers, über das Intimste und Privateste? Sachlich-nüchtern, wissenschaftlich, lehrbuchartig, zotig, verklemmt, humorvoll, augenzwinkernd, poetisch, intellektualisierend, umgangssprachlich, familiär, vulgär, in Andeutungen, derb und frontal oder verquast und verkopft?

Die Sprache, die den sexuellen Höhepunkt zur Anschauung bringt, muss mehreres leisten: geschmackvoll sein, aber doch direkt und klar in der Sache; nicht nur technisch, sondern auch poetisch. Die Darstellung sollte kritisch sein, aber nicht in Diskriminierung abrutschen. Hinzu kommt ein besonders prekärer Punkt: das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Hier kann man – Mann und Frau – eigentlich nur alles falsch machen.

Dieses Buch bezieht sein Wissen vor allem aus anderen Büchern. Ihnen ist viel eher zu trauen als anderen Medien. Denn seit den Pionieren Alfred Kinsey mit seinem berühmten zweibändigen Report sowie Masters und Johnson wird das öffentliche Gerede über Sexualität immer stärker überzeichnet von einer gezielten Vermarktung, die Wirtschaftsinteressen und nicht etwa einer Volksaufklärung folgt, und einer medialen Inszenierung, die sich zunehmend verselbständigt und sich damit von ihrem Aussagewert entkoppelt. Was tagein, tagaus in den Massenmedien über das Thema kolportiert wird, ist mehr als fragwürdig. Sex sells. Das öffentliche Bild von der Sexualität ist dadurch verzerrt. Die kommerziellen Interessen auf der einen Seite und die voyeuristischen der Leser und Leserinnen auf der anderen Seite dominieren. Es ist ein Pseudodiskurs entstanden, bei dem andauend irgendwelche Statistiken aufgerufen werden, wiewohl Statistiken doch grundsätzlich zweifelhaft sind. Nicht zuletzt deshalb, weil wir nicht wissen, ob die Befragten ehrlich antworten. Wer gäbe beispielsweise freiwillig zu, erotisch völlig desinteressiert oder gar pädophil zu sein? Oder wer wäre nicht versucht, bei bestimmten Fragen zu prahlen? Überdies kennen wir nicht die Fragekriterien, ganz abgesehen davon, dass die meisten Fragen ohnehin suggestiv sind. Außerdem werden die Befunde mit einer trügerischen Wertneutralität feilgeboten, wo doch kritische Distanz vonnöten wäre. Und was bedeuten denn die vermeintlichen Ergebnisse? Sprechen sie von einer gesunden oder gesundeten Sexualität, oder sind sie weiterhin Ausdruck einer neurotischen Gesellschaft und eines verzerrten Geschlechterverhältnisses? Inwieweit ist Macht im Spiel, wo beginnt denn wahre Freiheit?

So scheinen das Sicherste immer noch die Bücher zu sein. Deren Entstehung – die Niederschrift, die Drucklegung und die Verbreitung – nimmt Zeit in Anspruch und bewahrt sie so vor Übereiltheit. Und die Künste in ihrer jahrtausendealten Weisheit. Dort ist zu suchen. Freilich stets mit Vorsicht. Denn auch Bücher sind nicht unproblematisch. Eines über enthemmte Deutsche listet allerlei Praktiken jenseits des Gewohnten auf. Diese mögen fraglos stimmen, aber sind sie typisch für unsere Gesellschaft, ja für Deutsche?

Einstweilen hilft der gesunde Menschenverstand, somit Skepsis. Man halte Augen und Ohren offen, lese, was zu lesen lohnt, spreche, mit wem es sich anbietet, vertraue aber der eigenen Intuition, sprich dem eigenen Misstrauen, und behalte dabei stets eine prinzipielle Distanz.

Um ein einigermaßen sicheres Bild über die Sexualität auf unserem Planeten heute zu zeichnen, müssten Abermillionen qualitativer Gespräche geführt werden. Davon abgesehen, dass sie in zahlreichen Ländern politisch unerwünscht wären, dauerte die Auswertung so lange, dass am Ende nichts mehr stimmte. Bei diesem Dilemma hilft die Philosophie, da sie zwar auf Erfahrung aufbaut, aber nicht ganz in ihr aufgeht. Sie übersteigt sie, indem sie die empirische Welt deutet, ihren Sinn – oder Unsinn – hinterfragt und die Art und...

Erscheint lt. Verlag 14.1.2019
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Höhepunkt • kleiner Tod • Klimax • Lebenskunst • Orgasmus • Petite mort • Philosophie • Philosophie des guten Lebens • Sex • Sexualität • sexueller Höhepunkt • ST 4934 • ST4934 • suhrkamp taschenbuch 4934
ISBN-10 3-518-75945-0 / 3518759450
ISBN-13 978-3-518-75945-5 / 9783518759455
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