Investiturstreit (eBook)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
168 Seiten
wbg Academic in der Verlag Herder GmbH
978-3-534-73770-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Auf welche grundlegenden Konflikte ging der Investiturstreit zurück? Wodurch wurde der Investiturstreit ausgelöst und welche Folgen hatte er? Das Buch ist keine rein chronologische Darstellung, sondern konzentriert sich auf die Ursachen und Auswirkungen eines Konfliktes von europäischer Dimension. Die Einführung des Bandes gibt Aufschluss über die sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Strukturen im 11. Jh. Während sich das zweite Kapitel mit der innerkirchlichen Entwicklung beschäftigt, nimmt das dritte Kapitel das Verhältnis von geistlicher und kirchlicher Gewalt vor dem Investiturstreit in den Fokus. Das folgende vierte Kapitel stellt den Konflikt chronologisch dar, unterstützt durch Zeittafeln etc. Kapitel fünf wiederum vermittelt jenseits der Chronologie einen Einblick in die Art und Weise, auf die der Konflikt ausgetragen wurde. Im Schlusskapitel schließlich beleuchtet Jochen Johrend die Auswirkungen des Investiturstreits für die geistige und politische Entwicklung Europas.

Jochen Johrendt, geb. 1973, 2003 Promotion in München bei Professor Dr. Rudolf Schieffer, 2003- 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom (DHI Rom), habilitierte sich 2008 und ist nach Lehrstuhlvertretungen in Eichstätt, Heidelberg, Essen und Münster seit April 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal.

Volker Reinhard ist seit 1992 Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Seine Expertise der italienischen Renaissance durchdringt seine Publikationen: von „Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt“ (2019) bis zu „Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527“ (2. Aufl. 2009). Für seine Machiavelli-Biografie erhielt er den „Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung“.

I. Der historische Rahmen des Investiturstreits

Überblick

Der Investiturstreit, die grundlegende Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, fand nicht allein auf einer theoretischen Ebene statt, sondern war in das konkrete historische Geschehen eingebunden, baute auf die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Gegebenheiten in Europa auf. Obwohl er ein auf das gesamte lateinische Europa bezogenes Phänomen ist, waren die konkreten Konflikte doch immer wieder von der jeweiligen Situation vor Ort abhängig, wenn beispielsweise in der Mailänder Pataria-Bewegung soziale und religiöse Anliegen mitei- nander verzahnt wurden. In der Makroperspektive als grundsätzliche Gegner geltende Akteure konnten vor Ort durchaus zusammenarbeiten und umgekehrt. Daher scheint es unerlässlich, zunächst den historischen Rahmen abzustecken und dabei vor allem auf Dynamiken und statische Momente der Epoche zu verweisen.

1. Die soziale Ordnung im 11. Jahrhundert


Gesellschaftsmodell

Die Welt des 11. Jahrhunderts ist von ihrer sozialen Gliederung her in mehrere Teilbereiche zu differenzieren, die nicht immer strikt voneinander zu trennen sind und bisweilen ineinander übergehen. Am Beginn des 11. Jahrhunderts formulierte Adalbero von Laon eine Gliederung der Gesellschaft in drei funktionale Stände (ordines). Nach seiner Darstellung gab es einen Stand, der betet, einen, der kämpft, und einen, der arbeitet. In der Quellenterminologie bei Adalbero sind es Personen qui orant, pugnant oder eben laborant. Mit den Betern waren sowohl Mönche als auch Kleriker gemeint, mit den Kämpfern der Adel – ohne dass dieser im 11. Jahrhundert bereits ein geblütsrechtlich abgeschlossener Stand gewesen wäre – und als Arbeitende sind vorrangig die Bauern bezeichnet, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, da sich Städte in Deutschland erst allmählich entwickelten. Dieses Modell der Dreiteilung gewann für das weitere Mittelalter eine enorme Wirkmächtigkeit. Adalbero steht dabei für einen von vielen Autoren des 11. Jahrhunderts, die häufig eine derartige Dreiteilung der Gesellschaft vornahmen, jedoch mit unterschiedlicher Terminologie. Das Dreiteilungsschema kann somit als ein allgemein im 11. Jahrhundert verbreitetes Schema aufgefasst werden, das den Zeitgenossen dazu diente, ihre Gesellschaft zu beschreiben. Der Anspruch war jedoch nicht eine soziologische Analyse des aktuellen Zustandes der Gesellschaft. Das liegt nicht nur an den funktionalen Begrifflichkeiten bei Adalbero, sondern auch an ihrem Zweck. Adalbero bot vor allem eine Norm. Er beschrieb, wie die Gesellschaft aufgebaut sein sollte, in der jeder der drei Stände seine Aufgabe für das Ganze erfüllte. Die Aufgabe der Kämpfer war der Schutz sowohl der Kirche als auch aller Laien. Die Beter hatten für das Seelenheil der Gläubigen zu wirken und die Arbeitenden sich selbst sowie die beiden anderen ordines zu ernähren, die sich auf den Schutz und die Heilsvermittlung für alle spezialisiert hatten. In diesem Gesamtgefüge hatte jeder seine Aufgabe, zum Gelingen des Ganzen beizutragen – sobald er dies nicht im rechten Maße tat, geriet die Ordnung durcheinander, etwa wenn sich die Arbeitenden gegen die Kämpfer erhoben oder die Beter nicht mehr das göttliche Heil vermittelten. Und genau dies war in den Augen etlicher Zeitgenossen im Investiturstreit geschehen: Das harmonische Miteinander der drei ordines war durch den Konflikt gestört.

Dabei war den Zeitgenossen bewusst, dass die drei Stände nicht immer klar voneinander zu trennen waren. Adalbero von Laon bietet dafür innerhalb seiner drei Ordines noch eine Binnendifferenzierung, die durch weitere Elemente wie den rechtlichen Status (Adelige, Freie, Unfreie) oder das Vermögen geprägt war. In der Kategorie der Kämpfer waren Adelige und teilweise Freie zu finden. Die soziale Mobilität dieser Epoche war im Vergleich zum ausgehenden 12. Jahrhundert noch relativ hoch. Der Aufstieg der Freien in den Adel war hier noch möglich. Die Arbeitenden sind hingegen in ihrer Masse mit den Unfreien zu identifizieren, nur wenige waren im 11. Jahrhundert noch Freie. Die gesellschaftliche Führung in der Gruppe der Kämpfer und Beter beanspruchte der Adel. Zwar wies die Kirche stets eine gewisse Durchlässigkeit auf, sodass Bischofstühle immer wieder von Personen besetzt wurden, die nicht aus dem Hochadel stammten, doch insgesamt war die Kirche deutlich durch den Adel dominiert.

familia

Die entscheidende Grundeinheit für den mittelalterlichen Menschen war ohne Frage die Familie, in die man hineingeboren wurde. Das Grundkonzept der Familie (familia) galt jedoch nicht nur für natürliche Familien. So wird beispielsweise die Gemeinschaft eines Klosters in den Quellen als familia bezeichnet. Dazu gehören auch die Personen, die der Gewalt und dem Schutz des Abtes unterstellt waren. Die natürliche Familie, der Stand von Vater und Mutter, trug maßgeblich zum sozialen Stand der Menschen bei, zu deren Aufstiegsmöglichkeiten, aber auch zu deren Rechtsstellung. Ihrer Rechtsstellung nach sind Adelige von den einfachen Freien und diese wiederum von den Unfreien zu unterscheiden. Generell war die Grenze zwischen Freien und Adeligen im 11. Jahrhundert noch einfacher zu überwinden als seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert. Die rechtliche Stellung des Individuums war noch nicht ausschließlich geburtsrechtlich an die Stellung der Eltern gekoppelt, der Adel noch keine geblütsrechtlich abgeschlossene Schicht. Daher weist die Gesellschaft des 11. Jahrhunderts – zumindest im Reich – eine gewisse soziale Mobilität auf, in welcher der Rechtsstatus nicht mit der Geburt festgelegt sein musste. Zugleich ist jedoch zu betonen, dass diese Mobilität nur einem kleinen Teil der Bevölkerung offenstand. Die allermeisten Menschen blieben zeit ihres Lebens in dem rechtlichen Stand, in den sie hineingeboren wurden. Doch einzelne Beispiele des Aufstiegs lassen uns erkennen, dass eine gewisse Mobilität möglich war. Gerade im Vergleich zur geblütsrechtlichen Abschottung des Adels ab dem 12. Jahrhundert weist das 11. Jahrhundert hier eine wesentlich höhere Durchlässigkeit auf. Diese Dynamiken wurden durch den demografischen und wirtschaftlichen Wandel unterstützt.

Laien und Kleriker

Funktional und rechtlich am deutlichsten voneinander zu trennen sind sicherlich Kleriker und Laien. Dabei ist die Gruppe der Beter nicht einfach mit den Klerikern gleichzusetzen, auch ungeweihte Mönch zählten dazu. Die Weihen waren für die funktionale Hauptaufgabe etlicher Mönche im 11. Jahrhundert, das Beten für das Seelenheil anderer, nicht notwendig. Kleriker waren hingegen durch ihre Weihe deutlich von den Laien getrennt. Durch die Weihe konnten Priester die Sakramente spenden und damit das göttliche Heil an die Gemeinden vermitteln. Die besondere Stellung der Kleriker kam auch in ihrer Rechtsstellung zum Ausdruck, da die weltliche Gewalt einen Kleriker – außer bei Kapitalverbrechen – nicht ohne die Einwilligung des Diözesanbischofs verhaften oder gar aburteilen konnte. Nach dem sogenannten privilegium fori unterstanden die Kleriker dem kirchlichen Gericht. Der Bischof einer Diözese war der Richter seiner Kleriker und Mönche. Erst nach der Verhandlung vor dem Bischof entschied dieser, ob er bei der erwiesenen Schuld eines Klerikers oder Mönches diesen nicht nur mit geistlichen Strafen belegte, sondern ihn auch der weltlichen Gewalt übergab. Im Übrigen war der entsprechende Kleriker rechtlich gesehen dem Zugriff der weltlichen Gewalt entzogen.

2. Wirtschaftlicher und demografischer Wandel


Bevölkerungswachstum

Das 11. Jahrhundert steht am Beginn einer demografischen und wirtschaftlichen Aufschwungsentwicklung in Europa. Wir können davon ausgehen, dass um die Jahrtausendwende im Reich ca. 4,5 bis 5,5 Millionen Menschen lebten, im westfränkisch-französischen Königreich hingegen 6,5 bis 7 Millionen, wobei diese Zahlen immer nur Annäherungen sein können. Ist das 10. Jahrhundert eher durch eine Stagnation der Bevölkerungsentwicklung gekennzeichnet, sofern die spärlichen Quellenzeugnisse dieser Zeit genauere Aussagen zulassen, so beginnt mit dem 11. Jahrhundert ein beachtliches Bevölkerungswachstum und eine wirtschaftliche Dynamik. Das Bevölkerungswachstum wurde durch eine Ausweitung der Anbauflächen ermöglicht, indem Wälder gerodet, Sümpfe trockengelegt oder Deiche errichtet wurden. Land allein war für die Grundherren von wenig Interesse – es musste bewirtschaftet werden und Ertrag bringen. Der Großteil Europas bestand im 11. Jahrhundert noch aus Wald. Er lieferte nicht nur Holz und damit einen entscheidenden Grundstoff für weiteres Werkzeug, zum Bau von Häusern oder Brennmaterial. Doch ebenso war der Wald eine wichtige Nahrungsquelle, indem etwa im Herbst die Schweine zur Eichelmast in den Wald getrieben wurden. Der Wald lieferte Honig, das einzige bekannte Süßungsmittel des...

Erscheint lt. Verlag 19.12.2018
Verlagsort Darmstadt
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Mittelalter
Schlagworte Einführung • Hochmittelalter • Investitur • Investiturstreit • Kirchengeschichte • Mittelalter • Mittelalterliche Geschichte • Religionsgeschichte • Säkularisierung • Studium
ISBN-10 3-534-73770-9 / 3534737709
ISBN-13 978-3-534-73770-3 / 9783534737703
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,3 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich