Der Glaspalast (eBook)

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2019 | 1. Auflage
624 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-24980-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Glaspalast -  Amitav Ghosh
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Eine faszinierende Familiensaga - und zugleich eine dramatische Liebesgeschichte

'Der Doktor Schiwago des Fernen Osten' (INDEPENDENT ON SUNDAY) fand mit seinem farbenprächtigen Epos über Liebe und Krieg in einem exotischen Land auf der ganzen Welt begeisterte Leser und war auch bei den Kritikern ein Riesenerfolg. Dieser erste große Roman über das geheimnisumwitterte Birma erzählt die Geschichte des jungen Rajkumar, der in einer Imbissbude auf dem Markt von Mandalay 1885 Zeuge des Einmarsches der britischen Truppen wird. Entsetzt beobachtet er die Plünderung des Glaspalastes und muss mit ansehen, wie die Königsfamilie ins Exil gejagt wird. Im Gefolge sieht er die Dienerin Dolly und ist von ihrer Schönheit so bezaubert, dass er ihr Gesicht nie mehr vergisst ...

Amitav Ghosh wurde 1956 in Kalkutta geboren und studierte Geschichte und Sozialanthropologie in Neu-Delhi. Nach seiner Promotion in Oxford unterrichtete er an verschiedenen Universitäten. Mit »Der Glaspalast« gelang dem schon vielfach ausgezeichneten Autor weltweit der große Durchbruch. Zuletzt erschien seine Romantrilogie »Das mohnrote Meer«, »Der rauchblaue Fluss« und »Die Flut des Feuers« (2016) bei Heyne. Ghosh lebt in Indien und den USA.

1


Wenn die Flüsse anschwollen, begann für Rajkumar und Saya John die geschäftigste Zeit des Jahres. Alle paar Wochen luden sie eine Fuhre Säcke, Kisten und Steigen auf eines der Flussboote der Irawadi-Dampfschiff-Gesellschaft: ratternde Raddampfer, deren Kapitäne zum größten Teil Schotten waren und hauptsächlich mit khalasis aus Chittagong bemannt, wie auch Rajkumar einst einer werden wollte. Von der Wucht des reißenden Flusses getrieben, schossen sie von Mandalay flussabwärts, mit einer Geschwindigkeit, die sämtliche Fahrpläne der Schifffahrtsgesellschaften über den Haufen warf. Bei Sonnenuntergang, wenn es Zeit war, für die Nacht zu ankern, landeten sie meistens an irgendeinem kleinen Flussweiler, der aus nichts weiter als einer Hand voll strohgedeckter Hütten bestand, die sich wie gekrümmte Finger um den Exerzierplatz einer Polizeistation drängten.

Wie winzig das Dörfchen auch sein mochte, um den vor Anker liegenden Dampfer bildete sich stets sofort ein kleiner Markt: Hausierer, Imbissbetreiber, fliegende Bootshändler, Verkäufer mit gebratenen baya-gyaws und Schnapsbrenner mit gazaw-Schnaps kamen mit ihren Waren herbeigeeilt, hoch erfreut über die unerwartete Flut von Kundschaft. Manchmal erreichte die Nachricht von der Ankunft des Dampfers auch eine Truppe wandernder Künstler. Bei Einbruch der Dunkelheit tauchten dann, begleitet von einem Quakkonzert, Schattentheater auf; über der Uferböschung wurden Puppen zum Leben erweckt. Die unheimlichen, zuckenden Umrisse des bodaw und des bayin, der minthami und des minthagyi, der nat-kadaw und des nan belu ragten aus der Dunkelheit hervor, ebenso riesig und vertraut wie die Schatten des Mondes.

Saya John zog es vor, erster Klasse zu reisen, in einer Kabine. Seine Geschäfte florierten, er konnte das Geld mit vollen Händen ausgeben. Er war in ein großes Haus gezogen, das auf der Dreiunddreißigsten Straße in Mandalay lag – ein Heim für Rajkumar wie auch für alle anderen, die in irgendeiner Weise für Saya John arbeiteten. Mit dem Einmarsch der Briten hatte sich alles geändert: Birma war rasch in das Empire eingebettet und gezwungenermaßen in eine Provinz der Kolonie Indien verwandelt worden. Mandalay, einst Sitz des Hofes, hatte sich in ein geschäftiges Handelszentrum verwandelt; die Schätze des Landes wurden mit einer Energie und Effizienz ausgebeutet, von der man bis dahin nicht zu träumen gewagt hatte. Der Palast war umgestaltet worden und diente den zweifelhaften Vergnügungen der Eroberer; der Westflügel beherbergte nun den British Club; der einstige Audienzsaal der Königin war zum Billardsalon umfunktioniert worden; monatealte Ausgaben von Punch und The Illustrated London News zierten die verspiegelten Wände; die Gärten waren umgegraben worden, um Platz zu schaffen für Tennisplätze und Polofelder; das erhabene kleine Kloster, in dem Thebaw sein Noviziat absolviert hatte, war in eine Kirche umgewandelt worden, in der Anglikanerpriester den britischen Truppen ihren Segen erteilten. Mandalay, so munkelte man hinter vorgehaltener Hand, würde wohl bald zum Chicago Asiens werden. Wohlstand war die nahe liegende Bestimmung für eine Stadt, die den Zusammenfluss zwei der größten Ströme der Welt bewachte: Irawadi und Chindwin.

Saya John machte große Gewinne mit der Lieferung von Versorgungsgütern und Proviant an die Teaklager.

Er war kein Mann von großem Luxus, doch wenn er sich auf seinen Versorgungsexpeditionen befand, so stand ihm seiner Ansicht nach eine gesegnete Nachtruhe zu. Eine Kabine auf dem Erste-Klasse-Deck eines Irawadi-Dampfers schien ihm kein übertriebenes Privileg.

Rajkumar aber verbrachte seine Nächte an Bord auf dem Unterdeck. In der Mannschaft gab es immer Jungen in seinem Alter. Sie hatten die Aufgabe, das Senklot in Händen, über den Bug des Dampfers gelehnt nach wandernden Sandbänken Ausschau zu halten und die Wassertiefen zu verkünden, genau wie er es einst getan hatte: »Ek gaz; do gaz, tin gaz…« In ihrer Gesellschaft verfiel Rajkumar in seinen Chittagong-Dialekt, und wenn der Dampfer vor Anker ging, zogen sie ihn von seiner Schlafmatte hoch und nahmen ihn mit an Land, um ihm jene Orte zu zeigen, die Seemänner aufzusuchen pflegten, wenn es Nacht war.

Wenn sie dann am nächsten Tag an Land gingen, waren Rajkumars Augen rot gerändert. Saya John hingegen war ausgeruht, er hatte herzhaft gefrühstückt und war vor allem darauf aus, seine Fracht zu löschen und sich auf den Weg zu dem Lager zu machen, das ihn erwartete. Für den ersten Teil der Reise an Land benutzten sie gewöhnlich Ochsenkarren, die gegen wahre Schlammlawinen ankämpfen mussten, während sie sich mit knarrenden Rädern auf die fernen Berge zubewegten.

Verlief alles nach Plan, so endeten diese Reisen in einem winzigen Weiler im Landesinneren, wo ein Trupp Elefanten darauf wartete, die Karren von ihrer Last zu befreien, damit sie zum Fluss zurückkehren konnten. Doch oft genug geschah es, dass sie ans Ziel der Etappe kamen und feststellen mussten, dass das Lager keine Elefanten entbehren konnte. Dann mussten sie sich selbst auf die Suche nach Trägern machen, die bereit waren, die Fracht in die Berge zu transportieren. Auch Rajkumar musste einen Korb auf seinen Rücken hieven, einen geflochtenen pah mit tief hinabgezogenem Deckel und einem Stirnriemen. In seine persönliche Obhut fielen die kleinen, ganz besonderen Kostbarkeiten, die von den Forstaufsehern, den Leitern der Teaklager, persönlich bestellt worden waren – Zigarren, Flaschen mit Whisky, Fleisch und Sardinen in Dosen, einmal sogar eine Kristallkaraffe, die von Rowe & Co., dem großen Warenhaus in Rangun, geschickt worden war.

Sie machten sich bei Tagesanbruch auf den Weg. Saya John führte eine lange Reihe Träger an, und Rajkumar folgte als Letzter. Wie die Maultiere kletterten sie seitwärts die vom Regen durchweichten Pfade hinauf. Dabei gruben sie ihre Fußkanten tief in den roten, grundlosen Schlamm. Saya John pflegte, gewissermaßen aus Aberglauben, diese Reisen stets in europäischer Kleidung anzutreten: Tropenhelm, Lederstiefel, Khakihosen. Rajkumar ging barfuß wie die Träger. Er trug lediglich eine Weste, einen longyi und einen großkrempigen Bauernhut.

Doch wie viel Sorgfalt Saya John auch walten ließ, sein Aufzug blieb nie lange unversehrt: Das Unterholz erwachte zum Leben, wenn sie vorübergingen, und die Blutegel entfalteten sich wie Ranken, wenn sie von der Wärme der vorbeiziehenden Körper geweckt wurden. Saya John trug die meiste Kleidung, und so heimste er unweigerlich den größten Teil dieser blutigen Ernte ein. Alle ein bis zwei Stunden ließ er anhalten. Die Pfade waren in regelmäßigen Abständen von strohgedeckten Bambusschutzhütten gesäumt, die die Holzarbeiter errichtet hatten. Saya John kauerte sich unter das tropfende Strohdach und durchsuchte seine Taschen nach dem in ein Stückchen Plane gewickelten Päckchen, in das Rajkumar ihm seine Zigarren und die Streichhölzer gepackt hatte. Er zündete sich einen Stumpen an und tat tiefe Züge, bis sich eine lange, rot glühende Spitze gebildet hatte. Dann untersuchte er seinen Körper und brannte die Blutegel ab, einen nach dem anderen.

Die dicksten Egelklumpen sammelten sich an den Körperstellen, wo sich Stoff an Haut rieb: Die Knitterfalten der Kleidung leiteten die Tiere zu ihren Lieblingsstellen – Achselhöhlen, die Leistenbeuge, die Falten zwischen Beinen und Gesäß. Manchmal entdeckte Saya John in seinen Schuhen zwanzig Egel auf einmal. Die meisten hatten sich an der dünnen Haut zwischen den Zehen festgesaugt – für einen Blutegel der begehrenswerteste Teil des menschlichen Körpers. In den Stiefeln war es eng, und so wurden einige der Egel zerquetscht, doch ihre Saugnäpfe blieben in der offenen Wunde hängen. Diese Stellen wiederum zogen neue Angreifer an, Insekten wie Blutegel gleichermaßen; ließ man die Wunden unbehandelt, so begannen sie zu eitern und verwandelten sich in faulig riechende, schwärende Dschungelgeschwüre. Saya John legte sich kow-yok auf diese Stellen, eine Art teerigen roten Tabak, auf Papier oder ein Stück Stoff gestrichen: Dieses Zugpflaster klebte derart fest auf der Haut, dass es sogar im Wasser haften blieb. Gleichzeitig bekämpfte es die Infektion und schützte die Wunde. Bei jedem Halt entledigte sich Saya John eines Kleidungsstückes, und binnen weniger Stunden sah er aus wie Rajkumar, nur noch mit longyi und Weste bekleidet.

Auf diesen Expeditionen wurde ihr Weg früher oder später beinahe immer vom Verlauf eines chaung, eines reißenden Gebirgsflusses, bestimmt. Im Abstand von wenigen Minuten wirbelten Baumstämme vorbei, auf ihrem Weg hinunter in die Ebene. Mitten im Fluss von einem solchen Zwei-Tonnen-Geschoss getroffen zu werden bedeutete unausweichlich, zum Krüppel zu werden, wenn nicht gar den Tod. Wenn der Pfad also von einem Flussufer zum anderen hinüberwechselte, wurde ein Späher postiert, der die Intervalle zwischen den Stämmen ankündigte, damit die Träger wussten, wann sie den Fluss sicher überqueren konnten.

Oftmals kamen die Stämme nicht einzeln, sondern in Gruppen angeschossen, dutzende Tonnen Hartholz, die gegeneinander rumpelnd den Fluss hinunterdonnerten. Wenn sie aneinander stießen, erbebte die Erde. Manchmal barst ein Stamm inmitten der Stromschnelle oder am Ufer, und binnen Minuten erhob sich ein Damm aus verkeilten Stämmen aus dem Wasser und verstopfte den Fluss. Die Baumstämme krachten in dichter Folge in die Barriere und trugen das ihre zu dem ungeheuren Gewicht des gesammelten Holzes bei. Irgendwann wurde die Wucht der Barriere zu groß, und schließlich gab irgendetwas nach: Ein...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2019
Übersetzer Sabine Längsfeld, Margarete Längsfeld
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 19.Jahrhundert • Birma • BritishEmpire • eBooks • Einmarsch • Exil • Familie • Familiensaga • Geschichte • Glaspalast • Historische Romane • HistorischerRoman • Invasion • Königsfamilie • Krieg • Liebe • Liebesromane • Plünderung • Roman • Saga • Schicksal • Schönheit
ISBN-10 3-641-24980-5 / 3641249805
ISBN-13 978-3-641-24980-9 / 9783641249809
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