Maigret und die Aussage des Ministranten -  Georges Simenon

Maigret und die Aussage des Ministranten (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
112 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70064-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Jeden Morgen macht sich der Ministrant Justin auf den Weg zur Frühmesse durch die menschenleeren Gassen des Städtchens. Nur an diesem Morgen ist alles anders. Justin entdeckt einen leblosen Körper. Aber als die Polizei eintrifft, ist keine Leiche da. Niemand glaubt dem kleinen Justin, niemand außer Maigret. Vom Fieber ans Bett gefesselt und von Madame Maigret auf Pfeifenentzug gesetzt, findet der Kommissar schließlich die Lösung dieses verzwickten Falls. Maigrets 99. Fall spielt in einem nicht näher genannten Städtchen in der französischen Provinz.

GEORGES SIMENON, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der 'meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts' (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem 'großen' Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritikern und Schriftstellerkollegen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung 'Schriftsteller' aus seinem Pass streichen.  Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, 'was bei allen Menschen gleich ist', was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

GEORGES SIMENON, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der "meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts" (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem "großen" Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritikern und Schriftstellerkollegen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung "Schriftsteller" aus seinem Pass streichen.  Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, "was bei allen Menschen gleich ist", was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

1 Zur Morgenandacht läuten die Glocken zweimal


Vom Himmel fiel ein feiner, kalter Regen. Es war dunkel. Nur am Ende der Straße, auf der Seite der Kaserne, von der aus um halb sechs Trompetengeschmetter erhallt war und nun Getrampel von Pferden, die zur Tränke geführt wurden, leuchtete schwach das Rechteck eines Fensters; vielleicht jemand, der früh aufstand, oder ein Kranker, der die ganze Nacht wach gelegen hatte.

Die übrige Straße schlief. Es war eine ruhige Straße, fast neu, mit ein-, höchstens zweistöckigen Häusern, die sich alle ähnelten und in den Vororten der meisten großen Provinzstädte zu finden sind. Das ganze Viertel war neu und hatte keine Geheimnisse. Ruhige und rechtschaffene Menschen wohnten hier, Angestellte, Handelsvertreter, Alte mit einer kleinen Rente, friedliebende Witwen.

Maigret hatte seinen Mantelkragen hochgeschlagen und sich in die Toreinfahrt der Knabenschule gedrückt. Er rauchte seine Pfeife, während er mit der Uhr in der Hand wartete.

Punkt Viertel vor sechs läuteten die Glocken der Pfarrkirche in seinem Rücken. Es war, so hatte es ihm der Junge gesagt, das erste Läuten zur Sechs-Uhr-Messe.

Der Klang der Glocken hing noch in der feuchten Luft, als er weniger wahrnahm als vielmehr erahnte, dass im Haus gegenüber ein Wecker schrillte. Es dauerte nur einige Sekunden. Der Junge hatte gewiss schon die Hand unter der warmen Bettdecke hervorgestreckt und im Dunkeln nach dem Schalter getastet, mit dem sich der Wecker abstellen ließ. Kurz darauf wurde es hinter dem Mansardenfenster im zweiten Stock hell.

Alles ging genauso vor sich, wie der Junge es beschrieben hatte. Er stand leise auf, während im Haus noch alles schlief. Nun wird er nach seinen Kleidern und Socken gegriffen, sich anschließend Gesicht und Hände gewaschen haben und mit dem Kamm durchs Haar gefahren sein. Was seine Schuhe betraf, so hatte er erklärt:

»Ich ziehe sie erst auf der letzten Treppenstufe an, um meine Eltern nicht zu wecken.«

So ging es jeden Tag, im Winter wie im Sommer, seit fast zwei Jahren, seitdem Justin Messdiener in der Sechs-Uhr-Messe im Krankenhaus war.

»Die Uhr im Krankenhaus geht immer drei oder vier Minuten hinter der Pfarruhr nach«, hatte der Junge auch gesagt.

Und der Kommissar hatte den Beweis dafür. Seine Inspektoren bei der mobilen Brigade – wohin er einige Monate zuvor versetzt worden war – hatten nur mit den Schultern gezuckt, als der Junge tags zuvor detailliert vom Glockengeläut erzählt hatte, vom ersten und vom zweiten Läuten.

Vielleicht hatte Maigret nicht darüber gelächelt, weil er als Kind selbst lange Messdiener gewesen war.

Um Viertel vor sechs läuteten zuerst die Glocken der Pfarrkirche, danach Justins Wecker in seiner Mansarde, und kurz darauf ertönte das Glockenbimmeln der Krankenhauskapelle, das an das eines Klosters erinnerte.

Noch immer hielt Maigret seine Uhr in der Hand. Der Junge brauchte kaum mehr als vier Minuten, um sich anzuziehen. Das Licht ging aus. Jetzt tastete er sich gewiss auf den Socken die Treppe hinunter, um seine Eltern nicht zu wecken, setzte sich auf die unterste Stufe, um seine Schuhe anzuziehen und nahm seinen Mantel und seine Mütze von dem Kleiderständer aus Bambus, der sich rechts im Flur befand.

Die Tür öffnete sich. Der Junge schloss sie leise, blickte ängstlich die Straße hinauf und hinunter und sah die große Gestalt des Kommissars, der auf ihn zukam.

»Ich hatte Angst, Sie würden nicht kommen.«

Und er eilte voran. Justin war ein kleiner Kerl von zwölf Jahren, blond, mager und schon eigensinnig.

»Ich soll alles genauso machen wie sonst auch, nicht wahr? Ich gehe immer schnell, weil ich genau ausgerechnet habe, wie viele Minuten ich für den Weg brauche, und weil ich im Winter, wenn es dunkel ist, Angst habe. In einem Monat beginnt es um diese Zeit schon zu dämmern.«

Er bog die nächste Straße rechts ein; eine ebenso ruhige, aber kürzere Straße. Sie mündete in einen runden mit Ulmen bepflanzten Platz, über den Straßenbahnschienen diagonal hinwegführten.

Maigret nahm all die winzigen Details wahr, die ihn an seine eigene Kindheit erinnerten. So hielt der Junge einen gewissen Abstand zu den Häusern, wahrscheinlich fürchtete er, dass plötzlich jemand aus einem dunklen Eingang auftauchen könnte. Auch hielt er sich ein Stück abseits von den Bäumen, hinter denen sich ein Mann hätte verstecken können.

Eigentlich war er mutig, denn schon zwei Winter hindurch war er jeden Morgen bei Wind und Wetter, manchmal in dichtem Nebel oder mondloser Finsternis, ganz allein den immer gleichen Weg gegangen.

»Wenn wir in der Mitte der Rue Sainte-Catherine sind, werden Sie das zweite Läuten zur Morgenandacht in der Pfarrkirche hören …«

»Wann kommt die erste Straßenbahn?«

»Um sechs Uhr. Ich habe sie nur zwei- oder dreimal gesehen, als ich mich verspätet hatte … Das eine Mal hatte mein Wecker nicht geklingelt, das andere Mal war ich wieder eingeschlafen. Jetzt springe ich immer sofort aus dem Bett, wenn er klingelt.«

Ein kleines blasses Gesicht in der regnerischen Dunkelheit, die Augen noch vom Schlaf verhangen, ein nachdenklicher Ausdruck mit einem Anflug von Ängstlichkeit.

»Ich höre als Messdiener auf. Ich gehe heute nur noch einmal hin, weil Sie es unbedingt wollen …«

Sie bogen links in die Rue Sainte-Catherine ein, in der wie in den anderen Straßen des Viertels alle fünfzig Meter eine Straßenlampe stand, die einen Lichtkreis auf den Boden zeichnete. Der Junge ging unbewusst schneller, sobald er einen Lichtkreis durchquert hatte und wieder in die Dunkelheit eintauchte.

Aus der Ferne hörte man noch immer die Geräusche der Kaserne. Einige Fenster wurden hell. Jemand ging eine Querstraße entlang, wahrscheinlich auf dem Weg zur Arbeit.

»Hast du nichts gesehen, als du an die Straßenecke kamst?«

Das war die schwierigste Frage, denn die Rue Sainte-Catherine verlief schnurgerade und war um diese Zeit menschenleer, und zwischen den in regelmäßigem Abstand aufgestellten Laternen gab es kaum ausreichend Schatten, um zwei sich streitende Männer zu übersehen, selbst aus hundert Metern Entfernung.

»Vielleicht habe ich nicht geradeaus geblickt. Ich erinnere mich daran, dass ich vor mich hingesprochen habe. Ich spreche oft morgens auf dem Weg zur Kapelle leise vor mich hin … Ich wollte meine Mutter um etwas bitten, sobald ich wieder zu Hause war, und habe mir das immer wieder vorgesagt.«

»Um was wolltest du sie bitten?«

»Ich wünsche mir seit Langem ein Fahrrad und habe von dem, was ich als Ministrant verdiene, schon dreihundert Franc zusammengespart.«

War das nur Einbildung? Es schien Maigret, dass der Junge sich weiter von den Häusern entfernte. Er ging sogar ein paarmal vom Gehsteig herunter und nach wenigen Schritten wieder hinauf.

»Hier ist es … Hören Sie! Jetzt läutet die Pfarrkirche zum zweiten Mal.«

Ohne sich im Geringsten lächerlich zu fühlen, versuchte Maigret sich in die allmorgendliche Welt des Jungen hineinzuversetzen.

»Ich habe bestimmt hinaufgeschaut … Wissen Sie, so wie man rennt, ohne auf den Weg zu achten, und plötzlich steht man vor einer Mauer … Es war genau hier.«

Er deutete auf die Linie auf dem Gehsteig, die das Dunkel vom Lichtkreis der Laterne trennte, in dem der Regen umherwirbelte wie leuchtender Staub.

»Zuerst sah ich, dass dort ein Mann ausgestreckt am Boden lag. Er kam mir so groß vor, dass ich schwören könnte, er hätte die ganze Breite des Gehsteigs eingenommen.«

Das war unmöglich, denn der Gehsteig war mindestens zwei Meter fünfzig breit.

»Ich weiß gar nicht, was ich genau gemacht habe … Ich bin gewiss zur Seite gesprungen … Aber nicht sofort davongelaufen, denn ich habe das Messer mit dem dicken braunen Horngriff in seiner Brust gesehen … Es ist mir deshalb aufgefallen, weil mein Onkel Henri ein ganz ähnliches besitzt und mir gesagt hat, es sei ein Griff aus Hirschhorn. Ich bin mir sicher, dass der Mann tot war.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht. Er sah wie ein Toter aus.«

»Hatte er die Augen geschlossen?«

»Ich habe nicht auf seine Augen geachtet. Ich weiß es nicht mehr. Aber ich hatte das Gefühl, er sei tot … Alles ging blitzschnell, wie ich es Ihnen schon gestern in Ihrem Büro gesagt habe. Ich musste die Geschichte gestern den ganzen Tag so oft erzählen, dass ich mich selbst nicht mehr zurechtfinde, schon gar nicht, wenn ich spüre, dass mir keiner glaubt.«

»Und der andere Mann?«

»Als ich aufgeschaut habe, sah ich, dass vielleicht fünf Meter weiter jemand stand, der sehr helle Augen hatte. Er hat mich eine Sekunde lang angeblickt und ist dann weggelaufen. Es war der Mörder.«

»Woher weißt du das?«

»Weil er so schnell weggelaufen ist.«

»In welche Richtung?«

»Geradeaus, dort entlang …«

»Das heißt zur Kaserne?«

»Ja.«

Es stimmte, dass Justin am Tag zuvor mindestens zehn Mal befragt worden war. Ehe Maigret ins Büro gekommen war, hatten sich die Inspektoren geradezu einen Spaß daraus gemacht. Aber Justin war nicht im Geringsten von dem abgewichen, was er anfänglich berichtet hatte.

»Und was hast du dann getan?«

»Ich bin ebenfalls losgerannt … Ich kann es schwer erklären. Ich glaube, in dem Augenblick, da ich den Mann fliehen sah, habe ich Angst bekommen und bin so schnell ich konnte weggelaufen.«

»In die entgegengesetzte Richtung?«

»Ja.«

»Bist du nicht auf den Gedanken gekommen, um...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2019
Reihe/Serie George Simenon
Georges Simenon
Nachwort Manfred Papst
Übersetzer Hansjürgen Wille, Barbara Klau, Bärbel Brands
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 99. Fall • Fieber • Junge • Justin • Kinder • Kirche • Leiche • Provinz
ISBN-10 3-311-70064-3 / 3311700643
ISBN-13 978-3-311-70064-7 / 9783311700647
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 533 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2022)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99