Der Verfolger (eBook)
496 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44211-1 (ISBN)
John Katzenbach, geboren 1950, war ursprünglich Gerichtsreporter für den »Miami Herald« und die »Miami News«. Bei Droemer Knaur sind inzwischen zahlreiche Kriminalromane von ihm erschienen, darunter die Bestseller »Die Anstalt«, »Der Patient«, »Der Professor« und »Der Bruder'. Zweimal war Katzenbach für den Edgar Award, den renommiertesten Krimipreis der USA, nominiert. Er lebt mit seiner Familie in Amherst im Westen des US-Bundesstaates Massachusetts.Weitere Informationen unter www.john-katzenbach.de und www.johnkatzenbach.com
John Katzenbach, geboren 1950, war ursprünglich Gerichtsreporter für den »Miami Herald« und die »Miami News«. Bei Droemer Knaur sind inzwischen zahlreiche Kriminalromane von ihm erschienen, darunter die Bestseller »Die Anstalt«, »Der Patient«, »Der Professor« und »Der Bruder". Zweimal war Katzenbach für den Edgar Award, den renommiertesten Krimipreis der USA, nominiert. Er lebt mit seiner Familie in Amherst im Westen des US-Bundesstaates Massachusetts. Weitere Informationen unter www.john-katzenbach.de und www.johnkatzenbach.com
PROLOG
SO IST ES NICHT GEWESEN
Es war immer derselbe Traum – eine verdrehte, vom Schlaf verzerrte Spiegelung der Realität. Jedes Mal, wenn er ihn erneut durchlebte, war es eine einzige Qual: Im Traum kauerte er in seinem Versteck unter der zerfetzten Plane, nicht weit von den verkohlten Überresten seines Ferienhauses auf Cape Cod, und wartete auf den Mörder, der ihm schon seit Wochen auf den Fersen war. Aus der ursprünglichen Drohung – entweder du bringst dich um, oder ein Unschuldiger stirbt – war eine tödliche Wahl geworden: er oder ich. Aus der Mündung der halbautomatischen Pistole in seiner Hand stieg ein dünner Rauchfaden auf. Im Traum sah er von seinem Versteck aus, wie der Mörder in der nächtlichen Dunkelheit näher kam – genau so wie fünf Jahre zuvor im realen Leben. Der Killer kehrte ihm, die eigene Waffe im Anschlag, den Rücken zu. Doch als der Mörder herumwirbelte und die Pistole auf ihn richtete, verwandelte sich der Traum urplötzlich in ein schreckliches Zerrbild von Wahrem und Gewesenem. Denn anders als damals beschlug plötzlich seine Brille, sodass die Gestalt seines Widersachers mit der nächtlichen Umgebung verschwamm. Und dann klemmte seine Pistole. Es war, als wäre sein Finger am blockierten Abzug festgefroren, und egal, wie verzweifelt er abzudrücken versuchte, die Waffe verweigerte ihren Dienst, bis sie mit einem Mal in seiner Hand zerbrach und in nutzlosen Einzelteilen zu Boden fiel. Im Traum konnte er sehen, wie der Mörder auf ihn zielte, und dann schrie er: Das stimmt nicht! So ist es nicht gewesen! Doch seine Schreie wurden vom Knall aus der Pistole des Mörders übertönt, und es war, als stehe er neben sich und sehe zu, wie ihm die Kugel ins Herz dringt und sich das Blut seines verebbenden Lebens auf dem Boden ausbreitet.
An dem Punkt wachte er immer auf. Er blieb auf dem schweißnassen Bettlaken liegen, begann sofort zu grübeln, was genau er im Lauf des Tages gehört und gesehen oder woran er sich erinnert hatte und was davon der Auslöser für diesen Albtraum gewesen sein könnte. An Schlaf war danach kaum noch zu denken.
Er erkannte, dass sich im Traum das Einfache und das Komplexe in einem emotionalen Morast vermengten. So ungern er es sich eingestand, begriff er im Prinzip, was sich da in seinem Unterbewusstsein abspielte. Seit er sich in jener Nacht unter der Plane unsichtbar gemacht hatte, stand für ihn das Verborgene für seine Verwundbarkeit. In Wahrheit hatte damals Ricky, dem Mörder immer einen winzigen Schritt voraus, den Schuss abgefeuert, während er im Traum, in dem er immer einen kleinen Schritt zurücklag, zum Opfer wurde. Und so blieb selbst ihm, dem Psychoanalytiker, die wahre Bedeutung dieses wiederkehrenden Szenarios verschlossen – zum Greifen nahe und doch nicht zu packen.
FÜNF JAHRE DANACH
Er hasste Turbulenzen.
Das Problem war relativ neu, diese Angst hatte sich ohne ersichtlichen Grund im Lauf der letzten Monate bei ihm eingeschlichen. Auf einer Flughöhe von fünfunddreißigtausend Fuß spürte Ricky Starks, wie bei jedem heftigen Rütteln der Maschine sein Stresspegel stieg. Ihm zog sich der Magen zusammen. Er bekam schweißnasse Hände. Der Widerspruch zwischen den ihm wohlbekannten Fakten – dass das gelegentliche Absacken und Schaukeln ganz normal und kein Grund zu übertriebener Sorge war – und seinen Zwangsvorstellungen von Piloten, die bei jeder Turbulenz verzweifelt um die Kontrolle der Maschine kämpften, war nicht aufzulösen. Er machte sich dann in seinem Erste-Klasse-Sitz ganz klein und harrte schicksalergeben aus. Natürlich wusste er, dass es zahlreiche Medikamente gegen diese plötzlichen Panikattacken gab. Oft genug hatte er sie seinen Patienten verschrieben, doch nie sich selbst. Ebenso wenig hatte er jemals dieses fragwürdige Tapferkeitsideal kritisch beleuchtet, sondern sich allenfalls von Zeit zu Zeit gefragt, woher es rühren mochte, sich aber nie um eine ernsthafte Antwort bemüht.
Er flog nach Washington, wo er bei einem Forschungsseminar des National Institute of Health zum Thema posttraumatische Belastungsstörungen in seinem Vortrag von jungen Überlebenden der Hurrikan- und Hochwasserkatastrophe Katrina in New Orleans berichten sollte. Die Foto- und Filmaufnahmen von Menschen, die sich an Hausdächer klammerten, von überschwemmten Straßen und verzweifelten Obdachlosen in der Notunterkunft des Superdome hatten ihn wie magisch angezogen. Als der Sturm die Stadt heimsuchte, war Ricky gerade erst wieder in sein altes Leben zurückgekehrt: Seine falsche Identität als Richard Lively, die ihm nach der Konfrontation mit einer mörderischen Familie das Leben gerettet hatte, lag hinter ihm, und er knüpfte zaghaft wieder an das an, was er davor gewesen war: Dr. Frederick Starks; Witwer; Eigenbrötler; einstmals gut situierter Psychoanalytiker und aufsteigender Stern am Firmament der New Yorker Therapeuten.
Die Welt der Upper-Class-Psychiatrie in Manhattan allerdings war für ihn nur noch eine schöne Erinnerung. Praxis, Ruf, Finanzen, sogar sein Haus – das alles hatten ihm diese Menschen, die auf seinen Tod versessen waren, ruiniert. Im letzten halben Jahr hatte er in New Orleans schwer traumatisierte Kinder behandelt. Der Hurrikan hatte bei ihnen tiefe Spuren hinterlassen: Bettnässen. Pavor nocturnus. Unkontrollierbares Zittern. Stottern. Die Unfähigkeit, sich auch nur auf die einfachsten Aufgaben zu konzentrieren. Plötzliche Anfälle abgrundtiefer Depression. Und aggressives Verhalten: Ungehorsam. Feindseligkeit. Ein sprunghaftes Wiederaufleben von Banden selbst bei Jugendlichen unter zwölf Jahren, die vor der Katastrophe noch Kinderfilme geschaut hatten. Ein Anstieg von Drogenmissbrauch. Ein Anstieg von sinnloser Gewalt.
Immer wieder hatte er zu hören bekommen:
Ich will eine Waffe.
Man kann eine Windstärke zwölf nicht erschießen.
Ich will mich wehren.
Man kann sich einer Flutwelle, die über einen Deich hereinbricht, nicht wehrhaft entgegenstellen.
Ich will töten.
Man kann die Natur nicht töten.
Die Situation war wie auf ihn zugeschnitten – verwaiste, im Stich gelassene Menschen. Sein Lieblingspatient war ein verstörter dreizehnjähriger Junge namens Tarik, der vierundzwanzig Stunden neben der Leiche seines ertrunkenen Onkels auf einem Dachboden ausgeharrt hatte. Er wollte nicht sprechen, da er jedes Mal, wenn er es versuchte, nur hilflos ins Stottern kam. Ricky hatte sich eine Strategie für ihn ausgedacht – sie spielten Dame. Jedes Mal, wenn Tarik Ricky einen Spielstein abnahm oder wenn er zur Dame befördert wurde, gab es eine Pause, und Tarik musste Ricky etwas aus der Erinnerung an die Stunden auf dem Dachboden erzählen. Je länger sie spielten, desto mehr von der Geschichte kam ans Licht.
Dienstags und donnerstags von sechzehn bis siebzehn Uhr. Zunächst ging es nur langsam voran – weil Tarik versuchte, Ricky keine Steine abzunehmen, indem er entweder absichtlich verlor oder zuweilen sogar vor Frustration das Brett zu Boden schleuderte –, doch nach und nach gewann Tarik immer öfter und rückte mit seiner Geschichte heraus. Dabei ging zu Rickys Freude das Stottern mit jedem Sieg auf dem Brett ein klein wenig zurück. Und in dem Maße, wie er das Stottern überwand, gelang es dem Jungen, sich zu verzeihen, dass er überlebt hatte, während sein geliebter Onkel gestorben war.
Nur dass er eines Dienstagnachmittags nicht zum verabredeten Termin in Rickys Praxis erschien und auch seine Mutter nicht anrief, um sein Fehlen zu erklären.
Am Abend desselben Tages hatte Ricky in seiner kleinen Mietwohnung in einer Nebenstraße der Magazine Street im Garden District die Nachrichten eingeschaltet. Atemlos verkündete der Sprecher: »Ein weiterer Ausbruch von Straßengewalt nach Katrina im südlichen Teil des neunten Stadtbezirks. forderte das Leben eines dreizehnjährigen Jungen …«
Tarik war von einer rivalisierenden Bande angeschossen und auf der Straße liegen gelassen worden. Der Schütze hatte ihn mit seinem ein Jahr älteren Bruder verwechselt. Ricky rief bei der Polizei an, um Näheres zu erfahren, doch auf der Wache hielten sie sich bedeckt. In einem Telefonat mit dem Bezirksgerichtsmediziner erfuhr er dann, dass es ein langsamer, einsamer Tod um Mitternacht gewesen war. Der Schock über den Mord hatte Ricky wie gelähmt zurückgelassen und das Gefühl absoluter Hilflosigkeit nur noch verschlimmert, als zu dem Termin, der normalerweise für Tarik reserviert war, die Mutter des toten Jungen zu ihm in die Praxis kam.
Das Gespräch blieb ihm Wort für Wort ins Gedächtnis eingebrannt: »Doktor, ich muss etwas wissen, und niemand will es mir sagen.«
»Was denn? Wenn ich Ihnen helfen …«
»Fast zwei Stunden kam der Krankenwagen nicht. Die hatten Angst, so spät in der Nacht. Ich muss es wissen: Hatte mein Junge Schmerzen? Musste er leiden, bevor Jesus ihn zu sich holte? Ich muss es wissen. Es macht mein Herz kaputt, ich muss es wissen.«
Sie sah ihn mit einer Ehrfurcht gebietenden Mischung aus Geduld und Schicksalergebenheit an.
Und so log er: »Ich glaube nicht, Mrs Johnson. Höchstwahrscheinlich war Tarik bewusstlos und im Schockzustand, vermutlich hat er von seiner Umgebung und von dem, was mit ihm geschah, nichts mehr mitbekommen.«
Das war erstunken und erlogen, und er hasste sich für jedes unwahre Wort. In Wirklichkeit musste es ein grauenvoller Tod gewesen sein; mit offenen Augen dazuliegen und bei vollem Bewusstsein röchelnd langsam auszubluten – unfähig, um Hilfe zu rufen, nicht mehr in der Lage, wegzukriechen und auf sich aufmerksam...
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2018 |
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Reihe/Serie | Dr. Frederick Starks |
Übersetzer | Anke Kreutzer, Dr. Eberhard Kreutzer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alabama • amerikanische Psychothriller • amerikanische thriller • Anwalt • Der Patient • Dr. Frederick Stark • Dr. Frederick Starks • Erpressung • Frederick Starks • John Katzenbach Bücher • Justizirrtum • Katzenbach Bücher • Katz-und-Maus-Spiel • Miami • morddrohung • Mr. R. • New York City • Psychiater • Psychoanalytiker • Psychologe • Psychopath • Rache • Rumpelstilzchen • Selbstjustiz • Serienkilller • Serienmörder • Thriller Action • Thriller Rache • Thriller-Reihe • Thriller-Serie • Thriller Serienkiller • Thriller und Psychothriller • Thriller USA • Verfolgungsjagd |
ISBN-10 | 3-426-44211-6 / 3426442116 |
ISBN-13 | 978-3-426-44211-1 / 9783426442111 |
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