Fußspuren im Dschungel -  W. Somerset Maugham

Fußspuren im Dschungel (eBook)

und andere Erzählungen
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2018 | 1. Auflage
592 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60936-3 (ISBN)
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Es gibt keinen Ort in den malaiischen Staaten, der bezaubernder wäre als Tanah Merah. Und in Tanah Merah gibt es keine netteren Leute als die Cartwrights. Er ist ein ruhiger, angenehmer Zeitgenosse, und sie ist scharfzüngig und spielt hervorragend Bridge. Und doch hat dieses reizende Paar ein Geheimnis, so dunkel, dass sie der Polizeikommandant von Tanah Merah eigentlich verhaften müsste. Aber Fußspuren im Dschungel sind noch keine Beweise.

W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.

W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.

{7}P & O


Mrs. Hamlyn sah von ihrem Liegestuhl aus die Passagiere die Gangway heraufkommen. Das Schiff hatte in der Nacht in Singapur angelegt und seit Tagesanbruch Fracht eingeladen. Die Kräne und Winden hatten den ganzen Tag gequietscht und geächzt, doch waren ihre Ohren mittlerweile an dieses andauernde Geräusch gewöhnt. Sie hatte im Hôtel de l’Europe zu Mittag gegessen und war dann, weil sie nichts Besseres zu tun hatte, in einer Rikscha durch die bunt belebten Straßen der Stadt gefahren. In Singapur treffen viele Rassen aufeinander. Die Malaien fühlen sich, obwohl sie sich auf heimischem Boden befinden, in Städten nicht wohl und sind nur in geringer Anzahl vertreten. Dagegen wimmelt es auf den Straßen von geschmeidigen, geschäftstüchtigen und fleißigen Chinesen. Die dunkelhäutigen Tamilen gehen unhörbar auf nackten Sohlen, als wären sie nur Durchreisende in einem fremden Land; die gutgenährten und wohlhabenden Bengalen hingegen bewegen sich ungezwungen und selbstbewußt in ihrer neuen Umwelt. Die schlauen und unterwürfigen Japaner scheinen mit dringenden geheimen Angelegenheiten beschäftigt zu sein. Die Engländer mit ihren Tropenhelmen und weißen Anzügen bewegen sich schnell in Autos oder gemächlich in ihren Rikschas durch die Straßen und tragen ein lässiges und sorgloses Wesen zur Schau. Die Herrscher über diese {8}wimmelnde Bevölkerung üben ihre Autorität lächelnd und scheinbar unbeteiligt aus. Und nun wartete Mrs. Hamlyn müde und von der Hitze erschöpft auf die Abfahrt des Schiffes und die lange Reise durch den Indischen Ozean.

Sie winkte mit ihrer ziemlich langen Hand – denn sie war eine große, kräftige Frau – dem Arzt und Mrs. Linsell zu, als diese an Bord kamen. Sie war schon in Yokohama zugestiegen und hatte mit süßsaurer Miene die zwischen den beiden entstandene Intimität beobachtet. Linsell war Marineoffizier und der britischen Botschaft in Tokio zugeteilt gewesen, und Mrs. Hamlyn hatte sich gewundert, mit welcher Gleichgültigkeit er die Aufmerksamkeiten hinnahm, die der Arzt seiner Frau erwies. Zwei Männer kamen jetzt über die Gangway, neue Passagiere. Sie versuchte zum Zeitvertreib aus ihrem Auf‌treten zu schließen, ob sie Junggesellen oder verheiratet waren. Ganz in der Nähe saß eine Gruppe Männer auf Rohrstühlen. Mrs. Hamlyn hielt sie ihren Khakianzügen und breitrandigen Filzhüten nach für Pflanzer. Der Decksteward war vollauf damit beschäftigt, all ihre Bestellungen zu erledigen. Sie sprachen und lachten laut, denn sie hatten alle reichlich getrunken und waren deshalb unbekümmert lustig. Offenbar war es eine Abschiedsrunde für einen aus ihrer Schar, aber Mrs. Hamlyn konnte nicht entdecken, wer von ihnen als Passagier zurückbleiben würde. Die Zeit bis zur Abfahrt wurde immer kürzer. Weitere Passagiere trafen ein, und dann kam Mr. Jephson würdevoll die Gangway heraufgeschlendert. Er war Konsul und fuhr auf Heimaturlaub. Er war in Schanghai an Bord gekommen und hatte sofort begonnen, sich um Mrs. Hamlyn zu bemühen. Aber sie war sehr wenig zum Flirten aufgelegt. {9}Wenn sie an den Grund dachte, der sie nach England zurückführte, wurde ihr Gesicht finster. Sie würde Weihnachten noch an Bord sein, meilenweit von allen entfernt – aber wem lag überhaupt noch etwas an ihr? Sie fühlte so etwas wie einen Stich durchs Herz, aber es dauerte nur einen Augenblick. Es ärgerte sie, daß eine Sache, die sie mit solcher Entschlossenheit aus ihrem Bewußtsein verbannen wollte, immer wieder ihren Geist beschäftigte.

Die Schiffsglocke klang laut über Deck. Es war die Ankündigung, daß der Dampfer bald abfahren würde. Die Männer, die in ihrer Nähe saßen, schickten sich zum Aufbruch an.

»Nun, wenn wir nicht mitfahren wollen, machen wir uns besser auf die Socken«, sagte einer von ihnen.

Sie erhoben sich und gingen auf die Gangway zu. Jetzt, da sie einander die Hände schüttelten, sah Mrs. Hamlyn auch, von wem sie sich verabschiedeten. Der Mann, den sie ins Auge faßte, hatte nichts Interessantes an sich, aber weil sie nichts Besseres zu tun hatte, musterte sie ihn genauer. Er war kräftig und breitschultrig und wohl über einen Meter achtzig groß. Sein Khakianzug war schon reichlich abgetragen, sein Hut zerbeult und verwittert. Seine Freunde, die nun das Schiff verlassen hatten, setzten die Unterhaltung vom Kai aus fort. Mrs. Hamlyn hörte, daß er mit einem starken irischen Akzent sprach. Seine Stimme war volltönend, laut und herzhaft.

Mrs. Linsell war nach unten gegangen. Der Arzt begrüßte Mrs. Hamlyn und setzte sich neben sie. Sie erzählten einander ihre kleinen Tageserlebnisse. Die Glocke erklang wieder, und bald darauf glitt das Schiff vom Kai fort. Der Ire winkte {10}seinen Freunden ein letztes Lebewohl zu und schlenderte dann zurück zu dem Stuhl, auf dem er Zeitungen und Zeitschriften hatte liegenlassen. Er grüßte den Arzt mit einem kurzen Nicken.

»Kennen Sie ihn?« fragte Mrs. Hamlyn.

»Ich bin ihm im Klub vor dem Tiffin vorgestellt worden. Er heißt Gallagher und ist Pflanzer.«

Nach dem Lärm bei der Abfahrt und dem Hinundhergerenne auf dem Schiff wirkte die Stille jetzt um so tiefer und wohltuender. Sie dampften langsam an schroffen, mit grünem Buschwerk bewachsenen Felsenklippen vorüber (der Ankerplatz der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company, kurz P & O genannt, befand sich in einer kleinen geschützten Bucht) und fuhren nun in den Haupthafen ein. Schiffe aller Nationen lagen hier in großer Anzahl vor Anker – Passagierschiffe, Schlepper, Leichter und Trampschiffe. Darüber hinaus sah man hinter der Brandungslinie die Masten und Rahen, einen richtigen Stangenwald, der einheimischen Dschunken. In der sanften Abendsonne hatte die ganze Szenerie etwas seltsam Geheimnisvolles. Man hatte den Eindruck, daß alle diese Schiffe, die jetzt stillagen, auf irgendein bedeutendes Ereignis warteten.

Mrs. Hamlyn schlief nicht besonders gut und hatte sich angewöhnt, bei Tagesanbruch an Deck zu gehen. Es beruhigte ihr aufgewühltes Herz, die letzten, nur noch schwach schimmernden Sterne vor dem immer heller werdenden Licht des Morgens verbleichen zu sehen. Zu so früher Stunde ließ das unbewegt daliegende glasklare Meer alle irdischen Sorgen unbedeutend erscheinen. Das Licht war noch blaß und die Luft angenehm kühl. Als sie am nächsten {11}Morgen ans Ende des Promenadendecks kam, stellte sie fest, daß jemand schon vor ihr aufgestanden war. Es war Mr. Gallagher. Er spähte nach der flachen Küste Sumatras hinüber, die der Sonnenaufgang wie durch Zauberhand aus dem dunklen Meer gehoben hatte. Sie war überrascht und ein wenig ärgerlich, aber bevor sie umkehren konnte, hatte er sie gesehen und nickte ihr zu.

»Schon so früh auf?« sagte er. »Zigarette gefällig?«

Er war in Pyjama und Pantoffeln. Er nahm sein Zigarettenetui aus der Jackentasche und reichte es ihr. Sie zögerte. Sie hatte nur ihren Morgenrock an und eine kleine Spitzenmütze über ihr zerzaustes Haar gezogen. Ihrer Meinung nach mußte sie wie eine Vogelscheuche aussehen, aber sie hatte ihre Gründe, ihre Seele zu peinigen.

»Ich denke, mit vierzig Jahren hat eine Frau kein Recht mehr, besonderen Wert auf ihr Aussehen zu legen«, sagte sie lächelnd, als müsse der Mann wissen, welch eitle Gedanken sie beschäftigten. Sie nahm die Zigarette an. »Aber Sie sind auch schon früh auf.«

»Ich bin Pflanzer. Ich mußte viele Jahre lang jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen und weiß noch nicht, wie ich diese Gewohnheit ablegen soll.«

Sie konnte sein Gesicht jetzt, da es nicht von einem Hut beschattet war, besser sehen. Es war angenehm, ohne hübsch zu sein. Er war allerdings viel zu dick, und so waren auch seine Gesichtszüge, die in seiner Jugend nicht übel gewesen sein mochten, verschwommen. Seine Haut war rot und aufgedunsen. Aber seine dunklen Augen blickten fröhlich drein. Er war mindestens fünfundvierzig; trotzdem war sein Haar schwarz und dicht. Er wirkte im ganzen sehr stark. Er {12}war ein schwerer, wenig anmutiger, gewöhnlicher Mann, und Mrs. Hamlyn wäre es wohl kaum eingefallen, mit ihm zu sprechen, wenn nicht die auf Schiffsreisen übliche größere Freiheit des Umgangs sie dazu verführt hätte.

»Fahren Sie auf Urlaub?« fragte sie ohne viel Umschweife.

»Nein, ich kehre für immer nach Hause zurück.«

Seine schwarzen Augen zwinkerten. Er war eine mitteilsame Natur, und ehe Mrs. Hamlyn nach unten ging, um ihr Bad zu nehmen, hatte er ihr bereits ziemlich viel von seinem Leben erzählt. Er war fünfundzwanzig Jahre im Malaiischen Staatenbund gewesen und hatte die letzten zehn Jahre eine Plantage in Selatan geleitet. Sie war hundert Meilen von allem entfernt, was man als Zivilisation bezeichnen konnte; das Leben war also dort ziemlich einsam für ihn gewesen, aber er hatte während des Kautschukbooms viel Geld verdient und mit einem Geschick, das man einem so unbekümmert aussehenden Mann gar nicht zugetraut hätte, seine Ersparnisse in Staatspapieren angelegt. Jetzt, da Kautschuk immer niedrigere Preise erzielte, wollte er sich ins Privatleben zurückziehen.

»Aus welchem Teil Irlands stammen Sie?« fragte Mrs. Hamlyn.

»Aus Galway.«

Mrs. Hamlyn hatte einmal eine Autotour durch Irland gemacht und erinnerte sich schwach an eine traurige und düstere Stadt mit großen Lagerhäusern aus Stein, verlassen und zerfallend, mit Blick auf die melancholische See. Sie hatte damals den Eindruck von viel Grün und leisem Regen, von Stille und Entsagung gehabt. Dort wollte Mr. Gallagher den Rest seines Lebens...

Erscheint lt. Verlag 29.11.2018
Übersetzer Wulf Teichmann, Eva Schönfeld, Kurt Wagenseil, Mimi Zoff
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Anthologie • Cartwrights • Geheimnis • Klassiker • Malaysia • Paar • Sammlung • Tanah Merah
ISBN-10 3-257-60936-1 / 3257609361
ISBN-13 978-3-257-60936-3 / 9783257609363
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