Pandolfo (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
544 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-30044-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pandolfo -  Michael Römling
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein überwältigend prächtiger, phantastisch recherchierter und ungeheuer spannender historischer Roman in der Tradition von Umberto Eco. Mailand 1493: Der junge Pandolfo wird schwer verletzt und ohne Gedächtnis von dem Seidenhändler Bernadino Bellapianta auf der Straße gefunden. Nun arbeitet er für den reichen Unternehmer und Abenteurer. Auf der Suche nach seiner Vergangenheit steigt Pandolfo mit einem Flugmaschinenbauer in die Lüfte auf, stolpert über einen toten Osmanen, verliebt sich zum zweiten Mal in dieselbe Frau, überlebt einen weiteren Mordanschlag und kommt langsam dahinter, dass sein Wohltäter nicht ganz so tadellos ist, wie er scheint.

Michael Römling, geboren 1973 in Soest, studierte Geschichte in Göttingen, Besançon und Rom, wo er acht Jahre lang lebte. Nach der Promotion gründete er einen Buchverlag, schrieb zahlreiche stadtgeschichtliche Werke und historische Romane. 

Michael Römling, geboren 1973 in Soest, studierte Geschichte in Göttingen, Besançon und Rom, wo er acht Jahre lang lebte. Nach der Promotion gründete er einen Buchverlag, schrieb zahlreiche stadtgeschichtliche Werke und historische Romane. 

1


Wenn alle, die Bernardino Bellapianta etwas zu verdanken haben, sich vor der Kathedrale versammeln und, sagen wir, über San Lorenzo Maggiore zur Stadt hinausziehen würden, dann dürfte die Spitze dieser Prozession Assago, vielleicht sogar schon Binasco erreicht haben, bevor das Ende überhaupt die Porta Ticinese durchschritten hätte. Ja, vielleicht würden die Letzten sogar vom Zug abgeschnitten, weil inzwischen die Dämmerung hereingebrochen wäre und die Wachen eine Lücke im Strom der Dankbarkeit genutzt und den Nachzüglern entnervt die Tore vor der Nase zugeknallt hätten. Nein, ich übertreibe nicht. Ja, ich weiß, dass es bis Assago sechs Meilen sind und neun bis Binasco.

Möglicherweise würde sich dann gleichzeitig, angelockt von dem Auflauf, noch ein weiterer Zug aus denen formieren, die Bernardino Bellapianta vor den Kopf gestoßen und mit der schamlosen Zurschaustellung seines Reichtums gedemütigt hat, ein Aufmarsch all derer, die er übers Ohr gehauen, aus dem Geschäft gedrängt und in den Ruin getrieben hat. Um Rangeleien zwischen den beiden Gruppen zu vermeiden, sollte man diesen zweiten Zug vielleicht über San Babila durch die Porta Orientale leiten, wenn möglich mit einem kleinen Umweg, um ihn nicht direkt an Bernardino Bellapiantas Palast vorbeidefilieren zu lassen.

Wenn man es mir gestattete, würde ich mit der allergrößten Freude die erste Prozession anführen. Denn trotz allem, was hier noch zur Sprache kommen wird, stehe ich am Ende doch tiefer in Bernardino Bellapiantas Schuld als alle, die durch ihn zu Geld und Ansehen gekommen sind und damit prahlen, dass sie bei ihm ein und aus gegangen sind, ab und zu an seinem Tisch gegessen haben oder vielleicht auch nur ein einziges Mal zu ihm vorgelassen wurden.

 

Bernardino Bellapianta rettete mein Leben am Tag des heiligen Servatius im tausendvierhundertdreiundneunzigsten Jahr nach der Geburt unseres Erlösers. Ich selbst erinnere mich nicht an diesen Tag, und das wäre wohl auch zu viel verlangt, schließlich hatte mir gerade jemand mit einem Hammer ein beachtliches Loch in den Schädel gehauen. Aus dem, was mir später von verschiedenen Zeugen berichtet wurde, reime ich mir in etwa den folgenden Ablauf der Ereignisse zusammen:

Es war ein warmer Abend. Der Himmel wölbte sich in einem für unsere Gegend ganz unüblichen Blau über der Stadt, und die Schatten wanderten an den Strebepfeilern des Chors der Kathedrale empor, der die umstehenden Gebäude einschüchternd überragte. Ein letzter Schimmer wie von geschmolzenem Kupfer lag auf den wirr zusammengenagelten Gerüsten, die die unfertige Vierungskuppel umrankten, sodass das Ganze passenderweise fast wie eine Dornenkrone aussah. Drinnen verhallten die letzten Orgelklänge der Abendmesse. Später wurde behauptet, der Priester hätte über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gepredigt. Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Ist bekannt? Gut.

Nun war Bernardino Bellapianta an diesem Abend weder von Jerusalem nach Jericho unterwegs, noch ging er zu Fuß. Er war zu Pferd. Genauer gesagt, ritt er den etwas schreckhaften Atlasschimmel, den ihm Hadim Ali Pascha verehrt hatte, der spätere Großwesir des türkischen Sultans. Das Geschirr des Pferdes war mit silbernen Beschlägen in Form kleiner gekrönter Schlangen versehen, ein Geschenk des Herrn Ludovico Sforza, der damals die Geschäfte unseres Staates führte. Von dieser Art waren die Männer, mit denen Bernardino Bellapianta verkehrte.

Für all jene, die mit den Verhältnissen nicht vertraut sind, sollte ich vielleicht erklären, wie seinerzeit die Dinge lagen: Ludovico der Schwarze, wie schon damals ganz Mailand ihn nannte, war der Onkel des rechtmäßigen Herzogs Gian Galeazzo Sforza, eines launischen Bürschchens von knapp vierundzwanzig Jahren, dem man die Geschicke des Staates beim besten Willen nicht hätte überlassen können. Er betrank sich von morgens bis abends und geisterte im Kastell von Pavia herum, während Ludovico die von ihm vorab unterzeichneten und gesiegelten Urkunden ausfertigte. Wenn Gian Galeazzo in den lichten Momenten zwischen seinen Vollräuschen bockig wurde, schickte Ludovico ihm ein paar neue Windhunde nach Pavia, und damit hatte es sich. Wenn es ganz schlimm wurde, ritt er selbst hin und gab seinem Neffen ein paar hinter die Löffel.

Zurück zu Bernardino Bellapianta. Am besagten Abend kam er von einer Besprechung mit Ludovicos Sekretären. Was genau dort erörtert und beschlossen worden war, ist nicht weiter wichtig. Worum auch immer es gegangen war, Bernardino Bellapianta wird seinen Willen bekommen haben. Die herzogliche Kasse schuldete ihm sechzehntausend Scudi, woran er die anwesenden Herren wohl nicht ausdrücklich hatte erinnern müssen.

Er verließ die Runde etwa zu der Zeit, als im Inneren der Kathedrale der Zelebrant seine Gemeinde entließ. Männer und Frauen strömten schwatzend auf den Domplatz. Vielleicht hallten die Worte, die unser Erlöser am Ende des Gleichnisses zu dem neunmalklugen Schriftgelehrten sagt, noch in ihren Ohren nach: Dann geh und handle ebenso. Allerdings war der Ratschlag ein paar Straßenecken weiter längst verklungen, wie wir gleich sehen werden.

Bernardino Bellapianta bahnte sich seinen Weg durch das fromme Volk, das sich langsam auf dem von geschlossenen Verkaufsbuden übersäten Platz vor der Kathedrale verteilte. Der eine oder andere mag den Vorbeireitenden erkannt haben. Die alte Ziegelfassade duckte sich unter dem aufgeplusterten Neubau, der die Kirche wie ein unvollendeter Kokon umschloss: ein gigantisches Federkleid aus Marmor zur Ehre eines Gottes, dessen Sohn sich mit den Bettlern abgegeben hatte. Bernardino Bellapianta umrundete den Bau und ritt ohne Eile am erzbischöflichen Palast vorbei.

Auf der Piazza Verzaro war zwei Tage zuvor Markt gewesen. Aus irgendeinem Grund waren Gemüseabfälle und verfaultes Obst nicht weggeschafft, sondern nachlässig zu einem riesigen Haufen zusammengekehrt worden.

In diesem Haufen lag ich.

Derjenige, der mir den Schädel eingeschlagen hatte, war verständlicherweise davon ausgegangen, dass ich nicht mehr am Leben sein konnte. Als wir uns später erneut begegneten, starrte er mich an wie ein Bauernjunge, dem gerade der Ziegenfüßige im Schwefeldampf erschienen ist.

Wie gesagt, es war warm, und wegen des Gestanks, den das vergammelnde Grünzeug verströmte, dürften die Vorbeigehenden die Köpfe abgewandt haben. Sah also wirklich niemand, dass da eine Hand aus dem Abfallhaufen ragte? Auch dann nicht, als ein paar Köter daran zu zerren begannen? Hätten nicht zumindest die Besucher der Abendmesse etwas empfänglicher sein können für die Botschaft, die sie gerade gehört hatten?

Bernardino Bellapianta liebte es, allein durch die Stadt zu reiten. Er hätte einen kürzeren Weg einschlagen können, um nach Hause zu gelangen, doch er nahm die Piazza Verzaro. Wollte er einen Abstecher über San Giacomo in Raude machen? Möglicherweise reizte ihn ja der Gedanke, sich hinter den verschwiegenen Mauern des Freudenhauses unters Volk zu mischen, wo die jungen Damen bei schweißtreibenden Tänzen ihre Arme an den Gästen hochranken ließen. Vielleicht wollte er auf diese Weise sogar den Gerüchten begegnen, die damals über ihn im Umlauf waren und von denen ich erst später erfuhr: dass er es nämlich nach der Art der Florentiner lieber mit den jungen Herren trieb.

Was auch immer er vorhatte – er kam nicht dazu. Auf der Piazza Verzaro fiel sein Blick auf den Abfallberg und auf die Hand, an der gerade ein struppiger Köter besonders gierig zu zerren begonnen hatte, um die ganze Beute ans Licht zu holen.

Bernardino Bellapianta wendete sein Pferd mit einem Schenkeldruck. Gesichter drehten sich ihm zu. Hier und da wurde Unverständliches gemurmelt. Der Hund hielt inne, ohne die Hand loszulassen, und schielte misstrauisch zu Ross und Reiter empor.

Menschen tröpfelten aus dem Strom der Vorübergehenden heraus und sickerten zu einer kleinen Ansammlung zusammen, die wie von selbst neue Schaulustige anzog. Niemand rührte einen Finger. Alle glotzten abwechselnd auf den Köter und auf Bernardino Bellapianta, oder sie glotzten ihren Nebenmann an, um herauszufinden, was es überhaupt zu glotzen gab. Weiter hinten reckten sie die Hälse. In den Häusern, die den Platz säumten, klappten Fensterläden auf wie in einer Bühnenkulisse.

Bernardino Bellapianta wandte sich, immer noch im Sattel sitzend, zu den Gaffern um. Ob vielleicht mal jemand anfassen könne?

Keiner rührte sich. Im Gegenteil: Irgendwo aus der zweiten Reihe ließ sich ein verächtliches Schnauben vernehmen, und eine aufwieglerische Stimme verkündete, hier werde niemand irgendwo anfassen, nur weil einer dieser vornehmen Herren mal wieder zu bequem sei, vom Pferd zu steigen und sich die parfümierten Seidenhandschuhe schmutzig zu machen. Und überhaupt sei es den besagten vornehmen Herren doch ohnehin gleichgültig, ob andere auf der Straße verreckten oder nicht.

Bernardino Bellapianta schloss angesichts dieser bodenlosen Frechheit die Augen und holte tief Luft, als müsste er sich selbst zur Ordnung rufen, schwang sich dann mit einem halb gereizten, halb verächtlichen Knurren aus dem Sattel und übergab dem Erstbesten die Zügel seines Pferdes, nein, er übergab sie nicht: Er griff sich die erstbeste irgendwo an einem der Gaffer hängende Hand und klatschte die Zügel unwirsch hinein, als hätte er einen begriffsstutzigen Reitknecht vor sich. Dann wandte er sich dem Abfallhaufen zu.

Bernardino Bellapianta scheuchte den Köter mit einem Fußtritt davon. Kniete vor der blutverschmierten Hand nieder wie vor der Reliquie eines Märtyrers und ergriff sie. Fühlte den Puls. Fand...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Erinnerungsverlust • Geschichte • Gift • Handel • Historische Romane • Istanbul • Italien • Liebe • Mailand • Orient • Renaissance • Seide • Sultan • Verschwörung • versuchter Mord • Zweite Chance
ISBN-10 3-644-30044-5 / 3644300445
ISBN-13 978-3-644-30044-6 / 9783644300446
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin von 1710 bis zur …

von Gerhard Jaeckel; Günter Grau

eBook Download (2021)
Lehmanns (Verlag)
14,99
Historischer Roman

von Ken Follett

eBook Download (2023)
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
24,99