Der Horizont der Freiheit (eBook)

Roman

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1692-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Horizont der Freiheit -  Ines Thorn
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Eine Frau in den Wirren der Revolution.

Frankfurt 1848. Die Stadt ist in heller Aufregung. Die Nationalversammlung tagt in der Paulskirche. Auch der Verleger Joseph Rütten wird von dieser Aufbruchsstimmung angesteckt. Mit seinem Geschäftspartner Zacharias Löwenthal möchte er all die wesentlichen Texte drucken, um die Revolution zu befördern - allen voran den Roman »Wally - die Zweiflerin « von Gutzkow. Doch seinen Verlag plagen nicht nur Probleme mit der Zensur, sondern zudem große Geldsorgen. Und er ist verliebt - in Wilhelmine Pfaff, die Witwe eines Druckers. Die revolutionäre Atmosphäre in der Stadt droht umzuschlagen. Zwei Delegierte werden ermordet - und bald hat die Obrigkeit eine Verdächtige gefunden: Henriette Zobel, eine Freiheitskämpferin und Wilhelmines beste Freundin ...



Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane 'Die Walfängerin', 'Die Strandräuberin', 'Ein Stern über Sylt', 'Ein Weihnachtslicht über Sylt' und 'Der Horizont der Freiheit' lieferbar. Bei Rütten & Loening ist zudem 'Die Bilder unseres Lebens' erschienen.

Mehr zur Autorin unter www.inesthorn.de.

1. Kapitel


Frankfurt, 1845

Mit Politik haben wir nichts am Hut«, erklärte Wilhelmine Pfaff und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie stand in Frankfurt am Main vor dem Haus Großer Hirschgraben 4 und funkelte Joseph Rütten verärgert an. »Das lohnt die Mühe kaum, und Ärger gibt es obendrein.« Um ihre Meinung zu bekräftigen, verschränkte sie die Arme vor der Brust, so dass das blaue Tuchkleid ein wenig in die Höhe rutschte. An Sonn- und Feiertagen trug sie einen Reifrock und ein wunderbar geschnittenes Kleid, oben eng und unten weit, das sich über dem Reifrock bauschte. Auch steckte sie sich das volle braune Haar hoch und drehte sich Löckchen in die Strähnen, die ihr Gesicht umrahmten. Aber heute war Donnerstag und also nicht einmal Markttag, und mit ihrem Reifrock würde sie am Ende noch in die Gewindepresse geraten oder sich mit der Druckerfarbe beschmutzen. Sie hatte zugenommen in der letzten Zeit, doch das störte sie nicht, weil es Walther nicht störte. Selbst das Salzweib, das auf jedem kleinen Fehler endlos herumhackte, hatte nur gesagt: »Da habt Ihr was zum Zusetzen, wenn Ihr mal krank werdet.« Im Augenblick tat die Haushälterin so, als würde sie die Fensterbretter in der Wohnstube der Pfaffs sauber wischen, dabei wusste jeder, der Frau Salzmann kannte, dass sie dort nur wischte, um zu hören, was die Pfaffin mit dem Verleger Joseph Rütten zu besprechen hatte.

»Jetzt seid doch nicht so hartherzig, Wilhelmine, wir kennen uns nun schon so lange. Wir sind Nachbarn, die Literarische Anstalt Rütten und Loewenthal liegt Eurer Druckerei genau gegenüber. Und wir sind wirklich in Not. Ihr braucht die Schriften ja auch gar nicht zu lesen, sondern nur zu drucken.« Rütten schob sich das schon ein wenig schüttere, dunkle Haar aus der Stirn und fuhr mit dem Finger in den engen Kragen, als würde ihm die Luft abgeschnürt.

»Damit wir die Obrigkeit an den Hals kriegen?« Wilhelmine Pfaff schüttelte den Kopf. »Und damit wir dieselben Schwierigkeiten bekommen wie Ihr mit Euren wirrköpfigen Freunden? Außerdem müssen die Sachen gesetzt werden, und das kann man nun mal nicht mit zugekniffenen Augen.«

»Nur dieses eine Mal!«

Wilhelmine seufzte. Ihr ging es gar nicht gut. Es fühlte sich an, als würde sie eine kräftige Erkältung bekommen. Zum Streiten fehlte ihr die Kraft. Sie wusste genau, dass der Verleger Joseph Rütten zu ihrem Mann ging, ihn ins nächste Gasthaus lockte und dort um den Finger wickelte. Wenn sie jetzt ja sagte, bliebe ihrem Mann ein Besäufnis erspart. Doch sie schüttelte erneut den Kopf, denn die Pfaffin war eine kluge Frau. Walther Pfaff würde nichts sagen, wenn sie wieder einmal die Geschäfte an sich riss, doch Wilhelmine wusste, dass er heimlich darüber seufzte. Schließlich war er der Inhaber der Pfaff’schen Druckerei, und ihm stand es zuvörderst zu, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen. Und Wilhelmine ließ ihn im Glauben, dass er die Geschäfte fest in seinen Händen hielt, auch wenn es nicht so war.

»Walther soll entscheiden«, sagte sie also. »Rütten, Ihr könnt gleich mitkommen und Euch den Bescheid abholen.«

Sie drehte sich um und verschwand im Haus.

Der Eingang der Pfaff’schen Druckerei befand sich im Erdgeschoss des Hauses Großer Hirschgraben 4, direkt gegenüber der Literarischen Anstalt von Joseph Rütten und Dr. Zacharias Loewenthal, und zog sich im rechten Winkel zum Graben und zum Pfaff’schen Wohnhaus nach innen.

Wilhelmine öffnete die Tür und verzog das Gesicht. Der Lärm war ohrenbetäubend, der Geruch der Druckerfarbe setzte sich auf der Stelle in den Kleidern und Haaren fest. Walther Pfaff stand an einer Druckpresse und drehte am Griff. Der Geselle suchte im Setzkasten herum, den Winkelhaken unter den Arm geklemmt, und holte ein paar Lettern heraus. Wilhelmine stellte sich neben ihren Mann und tippte ihm leicht auf die Schulter. Walther Pfaff war einen halben Kopf kleiner als seine Frau, trug einen beachtlichen Bauch vor sich her und eine vom Wein rot geäderte Nase im Gesicht. Seine hellblauen Augen blickten klug und neugierig in die Welt. Er war nicht nur Drucker mit Leib und Seele, sondern auch ein Genießer vor dem Herrn. Es gab beinahe keinen Tag, an dem er am Nachmittag nicht in eines der Kaffeehäuser ging und sich dort eine heiße Schokolade und eine Zigarre bestellte. Kam er dann nach Hause, küsste er sein Weib herzhaft und fragte, während er sich die Hände rieb: »Was hat das Salzweib gekocht? Soll ich einen Riesling aus Rheinhessen, einen Dornfelder oder einen Grauburgunder aus dem Elsass öffnen?«

Doch es war gerade einmal kurz nach halb zehn am Vormittag, die leiblichen Genüsse daher noch fern.

Walther fuhr herum, als er Wilhelmines Hand auf seiner Schulter spürte. »Rütten ist da«, brüllte sie über den Lärm hinweg. »Er will, dass du ihm etwas druckst.«

Walther nickte, wandte sich zu Joseph Rütten um und lächelte. »Sie hat Euch bereits abgewiesen?«, fragte er.

Joseph Rütten nickte. »Wie immer.«

Wilhelmine zog die Schultern hoch, schürzte die Lippen, dann winkte sie ab und begab sich durch eine Seitentür in die Küche des Wohnhauses.

»Was soll ich drucken?«, fragte Walther und wischte sich die schwarz verschmierten Hände an einem alten Lappen ab.

»Wally, die Zweiflerin von Karl Gutzkow«, erwiderte Rütten. »Und zwar so schnell Ihr könnt.«

»Worum geht es darin?«

Rütten schüttelte den Kopf. »Das wollt Ihr gar nicht so genau wissen.«

»Doch!«, beharrte Pfaff. »Ich kann es mir nicht leisten, mich mit der Obrigkeit anzulegen. Ist das der Roman, für den der Gutzkow vor ein paar Jahren wochenlang im Gefängnis gesessen hat? Damals, als er noch Mitarbeiter beim Verleger Sauerländer war? Mir scheint, Gutzkow ist keiner, der in Frankfurt gut angeschrieben ist. Am Ende war er auch auf dem Hambacher Fest dabei. Zumindest trägt er einen der Bärte, die als Hambacher Bärte verschrien und – wenn mich nicht alles täuscht – verboten sind. Ein Revoluzzer also, ein Krawallmacher.« Er brach ab und strich sich nachdenklich über das Kinn, das vor Jahren ebenfalls von einem Hambacher Bart bedeckt gewesen war. »Sein Vortrag hat mir gefallen, das muss ich zugeben. Die Museumsgesellschaft hatte ihn eingeladen. Es gab viel Applaus, und auch meinen Beifall hatte er.«

»Na, seht Ihr, Pfaff. Ihr kennt den Gutzkow und wisst, dass er kein schlechter Mann ist.«

»Trotzdem!«, beharrte der Drucker. »Ich habe eine Familie. Ginge es nur nach mir, dann wäre vieles anders. Aber ich habe die Wilhelmine, habe den Gesellen und das Salzweib, um die ich mich kümmern muss. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das, was Ihr von mir gedruckt haben wollt, dem Rat Freude bereiten würde.«

Rütten seufzte. »Ich will Euch nicht belügen, Walther. Ja, der Obrigkeit wird’s nicht gefallen. In Mannheim ist der Roman bis heute verboten. Loewenthal hatte ihn dort vor ein paar Jahren gedruckt. Die Hölle war los! Es gab sogar einen Ächtungsbeschluss. Seither will niemand mehr die Wally von Gutzkow drucken.«

»Also, worum geht es in dem Buch?«

Rütten seufzte. »Die junge Wally, Heldin des Romans, und ihr Freund Cäsar ringen um sexuelle Freiheit. Sie zweifeln an Gott, Papst und Kaiser und …«

»Hört auf, ich habe genug gehört.« Walther runzelte die Stirn. »Also, Rütten, wir wissen beide, dass sich etwas ändern muss in diesem Land. So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.«

Rütten nickte. »Ihr spielt auf den Schlesischen Weberaufstand an?«

Walther schüttelte den Kopf. »Schlesien ist weit weg. Ich meine die Veröffentlichung von Heinrich Heines Deutschland, ein Wintermärchen bei Hoffmann und Campe. Und damit meine ich natürlich auch das zersplitterte Land, die zahlreichen, manchmal winzigen Herrschaftsgebiete, die immer mal wieder aufkommenden Aufstände, die Veränderung der Arbeitswelt durch die Dampfmaschine. Wir brauchen Reformen an jeder Ecke, wir brauchen ein richtiges Parlament. Aber das wisst Ihr, Rütten, alles viel besser als ich.«

»Möglich«, erwiderte Rütten. »Aber wie sollen wir unsere Ansichten verbreiten, wenn die Drucker uns einen Korb geben?«

Walther fuhr sich durch das schüttere graue Haar, so dass es hernach an den Seiten etwas abstand. »Ich kann Euch das Buch nicht drucken. Es kann allerdings sein, dass ich in den nächsten Nächten vergesse, die Tür der Druckerei abzuschließen. Wilhelmine und ich haben einen sehr tiefen Schlaf. Und der Geselle kann immer einen zusätzlichen Groschen gebrauchen.«

Rütten nickte. »Ihr seid kein Feigling, Walther. Aber ich hoffe, ich finde noch anderswo einen Drucker, der mir das Buch ganz ohne solche Umstände setzt und druckt. Habt Dank, Walther, ich weiß Euer Angebot zu schätzen.«

Rütten nickte Pfaff zu, dann verließ er die Druckerei, blieb vor dem Haus stehen und blickte nach oben. Dort lehnte Wilhelmine aus dem Fenster. »Und?«, rief sie zu ihm hinunter. »Macht er es?«

Rütten hob bedauernd die Schulter.

»Wusste ich es doch.« Mit einem Knall schlug Wilhelmine Pfaff das Fenster zu.

Sie blieb mitten in der Wohnstube stehen und sah sich um. Die Haushälterin Frau Salzmann wischte mit dem Wedel die Spinnweben aus den Ecken. »Wir haben für all das hier schwer gearbeitet, Salzweib«, sagte Wilhelmine. »Rütten muss doch verstehen, dass wir das nicht wegen seiner konspirativen Druckwerke aufs Spiel setzen können.«

»Hmm«, machte die...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1848 • Drucker • Frankfurt am Main • Freiheitskampf • Gutzkow • Joseph Rütten • Nationalversammlung • Paulskirche • Verlag • Verlagsgeschichte • Verlagsgründung • Verleger • Vormärz
ISBN-10 3-8412-1692-7 / 3841216927
ISBN-13 978-3-8412-1692-2 / 9783841216922
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