Anmerkungen zu Hitler (eBook)

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2019 | 1. Auflage
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00290-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Anmerkungen zu Hitler -  Sebastian Haffner
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Bis heute hat dieses zuerst 1978 erschienene Buch nichts von seiner Bedeutung verloren. Wie keine zweite Darstellung über den Nationalsozialismus leisten die «Anmerkungen zu Hitler» einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis deutscher Vergangenheit - und damit auch der Gegenwart. Seinen Autor hat dieses Buch auf einen Schlag weltberühmt gemacht. Haffners führt an einer der dunkelsten Gestalten deutscher Geschichte vor, dass es eben nicht einen zwangsläufigen Gang der Geschichte gibt, der unausweichlich in die Katastrophe führt, sondern dass es Menschen und Persönlichkeiten sind, die den Gang der Geschichte beeinflussen und auf die es ankommt.

Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin, war promovierter Jurist. Er emigrierte 1938 nach England und arbeitete als freier Journalist für den «Observer». 1954 kehrte er nach Deutschland zurück, schrieb zunächst für die «Welt», später für den «Stern». Sebastian Haffner starb 1999.

Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin, war promovierter Jurist. Er emigrierte 1938 nach England und arbeitete als freier Journalist für den «Observer». 1954 kehrte er nach Deutschland zurück, schrieb zunächst für die «Welt», später für den «Stern». Sebastian Haffner starb 1999.

Leistungen


In den ersten sechs Jahren seiner zwölfjährigen Herrschaft überraschte Hitler Freund und Feind mit einer Reihe von Leistungen, die ihm vorher fast niemand zugetraut hatte. Es sind diese Leistungen, die damals seine Gegner – 1933 immerhin noch eine Mehrheit der Deutschen – verwirrten und innerlich entwaffneten und die ihm in Teilen der älteren Generation auch heute noch ein gewisses heimliches Renommee verschaffen.

Vorher hatte Hitler nur den Ruf eines Demagogen gehabt. Seine Leistungen als Massenredner und Massenhypnotiseur allerdings waren immer unbestreitbar gewesen und machten ihn in den Krisenjahren, die 1930–1932 ihren Höhepunkt erreichten, zu einem von Jahr zu Jahr ernsthafteren Anwärter auf die Macht. Aber kaum jemand erwartete, daß er sich, an die Macht gelangt, bewähren würde. Regieren, sagte man, ist eben etwas anderes als Reden halten. Auch fiel auf, daß Hitler in seinen Reden, in denen er die Regierenden maßlos beschimpfte, die ganze Macht für sich und seine Partei verlangte und den Unzufriedenen aller Richtungen unbekümmert um Widersprüche zum Munde redete, niemals einen einzigen konkreten Vorschlag machte, was etwa gegen Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit – damals die allbeherrschende Sorge – getan werden sollte. Tucholsky sprach für viele, als er schrieb: «Den Mann gibt es gar nicht; er ist nur der Lärm, den er verursacht.» Um so größer war der psychologische Rückschlag, als der Mann sich nach 1933 als ein überaus tatkräftiger, einfallsreicher und effizienter Macher erwies.

Eins hätte allerdings den Beobachtern und Beurteilern Hitlers auch schon vor 1933 außer seiner Redegewalt auffallen müssen, wenn sie ein wenig besser hingesehen hätten: nämlich sein Organisationstalent, genauer gesagt, seine Fähigkeit, sich leistungsfähige Machtapparate zu schaffen und sie zu beherrschen. Die NSDAP der späten zwanziger Jahre war ganz und gar Hitlers Schöpfung; und sie war als Organisation jeder anderen Partei bereits überlegen, ehe sie, in den frühen dreißigern, Wählermassen hinter sich zu bringen begann. Sie stellte die altberühmte Parteiorganisation der SPD weit in den Schatten; noch mehr als diese in der Kaiserzeit gewesen war, war sie bereits ein Staat im Staate, ein Gegenstaat im kleinen. Und im Gegensatz zu der früh schwerfällig und selbstgenügsam gewordenen SPD besaß Hitlers NSDAP von Anfang an eine unheimliche Dynamik. Sie gehorchte nur einem beherrschenden Willen (Hitlers Fähigkeit, Konkurrenten und Opponenten in der Partei jederzeit fast spielend gleichzuschalten oder auszuschalten, war ebenfalls ein auf Künftiges deutender Zug, der genauen Beobachtern schon in den zwanziger Jahren hätte auffallen können), und sie war bis in die kleinsten Gliederungen hinunter voller Kampfeifer, eine dampfende und stampfende Wahlkampfmaschine, wie man sie in Deutschland vorher nicht gekannt hatte. Ebenso ließ Hitlers zweite Schöpfung der zwanziger Jahre, seine Bürgerkriegsarmee, die SA, alle anderen politischen Kampfverbände der Zeit – den deutschnationalen Stahlhelm, das sozialdemokratische Reichsbanner, selbst den kommunistischen Roten Frontkämpferbund – im Vergleich wie lahme Spießbürgervereine erscheinen. Sie übertraf sie alle bei weitem an Kampfbegierde und Draufgängertum, freilich auch an Brutalität und Mordlust. Sie – und sie allein – war wirklich gefürchtet.

Es war übrigens diese von Hitler bewußt geschürte Furcht, die dafür sorgte, daß der Terror und die Rechtsbrüche, die von März 1933 an Hitlers Machtergreifung begleiteten, so wenig Empörung und Widerstandswillen hervorriefen. Man hatte Schlimmeres gefürchtet. Die SA hatte ein Jahr lang mit blutrünstiger Vorfreude eine «Nacht der langen Messer» angekündigt. Sie fand nicht statt; es gab nur vereinzelte, heimliche und bald wieder unterdrückte, allerdings nie gesühnte Mordtaten an wenigen besonders verhaßten Gegnern. Hitler hatte persönlich und feierlich (unter Eid, als Zeuge vor dem Reichsgericht) angekündigt, daß nach seinem Machtantritt Köpfe rollen würden – die Köpfe der «Novemberverbrecher». Danach wirkte es fast erleichternd, daß die Veteranen der Revolution von 1918 und die Prominenten der Republik im Frühjahr und Sommer 1933 «nur» in Konzentrationslager eingesperrt wurden, wo sie zwar brutalen Mißhandlungen ausgesetzt und ihres Lebens nicht sicher waren, aber doch meistens früher oder später wieder herauskamen. Einige blieben sogar ganz unbehelligt. Man war auf Pogrome gefaßt gewesen; statt dessen gab es nur einen Tag lang – am 1. April 1933 – einen mehr symbolischen, unblutigen Boykott jüdischer Geschäfte. Kurz und gut, es war alles sehr schlimm, aber doch ein bißchen weniger schlimm als angedroht. Und diejenigen, die – wie sich später erwies, mit Recht – sagten: «Das ist alles nur der Anfang», wurden scheinbar Lügen gestraft, als der Terror im Laufe der Jahre 1933 und 1934 langsam abklang und in den Jahren 1935–1937, den «guten» Nazijahren, einer gewissen, nur durch die Weiterexistenz der nunmehr immerhin schwächer belegten Konzentrationslager leise gestörten, Normalität Platz machte. Die anderen, die gesagt hatten: «Das sind alles nur bedauerliche Übergangserscheinungen», schienen zunächst recht behalten zu haben.

Im ganzen muß man die Handhabung und Dosierung des Terrors in den ersten sechs Jahren – erst Furchterregung durch wüste Drohungen, dann schwere, aber hinter den Drohungen doch etwas zurückbleibende Terrormaßnahmen und danach allmählicher Übergang zu einer Beinahe-Normalität, aber ohne völligen Verzicht auf ein wenig Hintergrund-Terror – eine psychologische Meisterleistung Hitlers nennen. Sie sorgte bei den zunächst ablehnend oder abwartend Gestimmten – also der Mehrheit – für das rechte Maß von Einschüchterung, ohne sie zu verzweifeltem Widerstand zu treiben; und, noch wichtiger, ohne von den mehr positiv beurteilten Leistungen des Regimes allzusehr abzulenken.

Unter diesen positiven Leistungen Hitlers muß an erster Stelle, alles andere in den Schatten stellend, sein Wirtschaftswunder genannt werden. Den Ausdruck gab es damals noch nicht; er ist erst für die überraschend schnelle Wiederaufbau- und Wiederankurbelungsleistung der Ära Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt worden. Aber er paßt noch viel besser auf das, was im Deutschland der mittleren dreißiger Jahre unter Hitler vor sich ging. Viel tiefer und stärker war damals der Eindruck, daß ein wirkliches Wunder vollbracht wurde; und daß der Mann, der es vollbrachte, also Hitler, ein Wundertäter war.

 

Im Januar 1933, als Hitler Reichskanzler wurde, gab es in Deutschland sechs Millionen Arbeitslose. Drei kurze Jahre später, 1936, herrschte Vollbeschäftigung. Aus schreiender Not und Massenelend war allgemein ein bescheiden-behaglicher Wohlstand geworden. Fast ebenso wichtig: An die Stelle von Ratlosigkeit und Hoffnungslosigkeit waren Zuversicht und Selbstvertrauen getreten. Und noch wunderbarer: Der Übergang von Depression zu Wirtschaftsblüte war ohne Inflation erreicht worden, bei völlig stabilen Löhnen und Preisen. Das ist später nicht einmal Ludwig Erhard gelungen.

Man kann sich die dankbare Verblüffung, mit der die Deutschen auf dieses Wunder reagierten und die insbesondere die deutsche Arbeiterschaft nach 1933 in hellen Haufen von der SPD und KPD zu Hitler umschwenken ließ, gar nicht groß genug vorstellen. Sie beherrschte in den Jahren 1936–1938 die deutsche Massenstimmung absolut und verwies jeden, der Hitler immer noch ablehnte, in die Rolle eines querulantischen Nörglers. «Der Mann mag seine Fehler haben, aber er hat uns wieder Arbeit und Brot gegeben» – das war in diesen Jahren die millionenfache Stimme der ehemaligen SPD- und KPD-Wähler, die noch 1933 die große Masse der Hitlergegner gebildet hatten.

War das deutsche Wirtschaftswunder der dreißiger Jahre wirklich eine Leistung Hitlers? Man wird die Frage trotz denkbarer Einwände wohl bejahen müssen. Es ist vollkommen richtig: Hitler war wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch ein Laie; die einzelnen Einfälle, mit denen das Wirtschaftswunder in Gang gesetzt wurde, stammten größtenteils nicht von ihm, und besonders das halsbrecherische Finanzierungskunststück, von dem alles abhing, war eindeutig das Werk eines anderen Mannes: seines «Finanzzauberers» Hjalmar Schacht. Aber es war Hitler, der Schacht holte – erst an die Spitze der Reichsbank, dann auch des Wirtschaftsministeriums – und ihn machen ließ. Und es war Hitler, der all die Ankurbelungspläne, die schon vor ihm existiert hatten, aber vor ihm eben aus allen möglichen, hauptsächlich finanziellen Bedenken gestrandet waren, aus den Schubladen holen und ins Werk setzen ließ – von den Steuergutscheinen bis zu den Mefowechseln, vom Arbeitsdienst bis zu den Autobahnen. Er war kein Wirtschaftspolitiker, nein, und er hatte sich nie träumen lassen, daß er auf dem Umweg über eine Wirtschaftskrise und mit der Aufgabe, eine Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, zur Macht kommen würde. Die Aufgabe war ganz und gar nicht auf ihn zugeschnitten; in seinen Plänen und politischen Gedankengebäuden hatte das Wirtschaftliche bis 1933 kaum eine Rolle gespielt. Aber er besaß genug politischen Instinkt, um zu begreifen, daß es jetzt für den Augenblick die Hauptrolle spielte, und, überraschenderweise, auch genug wirtschaftspolitischen Instinkt, um, im Gegensatz etwa zu dem unseligen Brüning, zu...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Deutsche Geschichte • Deutschland • Diktator • Nationalsozialismus • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-644-00290-8 / 3644002908
ISBN-13 978-3-644-00290-6 / 9783644002906
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