Bierleichen -  Roland Weis

Bierleichen (eBook)

Ein Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
288 Seiten
Rombach Verlag KG
978-3-7930-6063-5 (ISBN)
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Dass irgendetwas nicht stimmte, nahm Max Sachs, oberster Braumeister der Staatsbrauerei Rothaus, bei seinem morgendlichen Kontrollgang sofort wahr. An Braukessel Nummer drei im weiß gekachelten Sudhaus stand die Luke einen winzigen Spalt breit offen. Kaum denkbar, dass einer seiner Mitarbeiter derart schlampen und die Öffnung nicht ordnungsgemäß verschließen würde. Er schob die Luke auf, um einen Blick in den Kessel zu werfen. Ein schwarzer Schatten schimmerte vom Kesselboden durch den schaumigen Sud. Max Sachs war irritiert, denn die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften standen hier, im Herzen der Brauerei, jenen in der Intensivstation der Freiburger Uniklinik in nichts nach. Nur kurze Zeit später übernahmen die Beamten von der Kripo Waldshut das Regiment im Brauhaus ...

Ein Auftrag

Der junge Mann am Besuchertischchen wirkte schüchtern, aber ohne dass er etwas tun oder sagen musste auch charmant. Hätte man die Chefsekretärin gefragt, sie hätte den Besucher als „schnufflig“ bezeichnet. Er sprach die Mutterinstinkte an, vielleicht wegen seines treuen Dackelblickes, oder wegen der Strubbelfrisur, oder wegen des unbekümmerten Lächelns, wegen seiner heiteren Erscheinung insgesamt. Wenn Alfred lächelte, waren Frauen generell bereit, ihn zu beschützen, zu verköstigen und in die Arme zu schließen. Nun saß er schon geschlagene anderthalb Stunden im Vorzimmer des Brauereichefs und wartete darauf, endlich in das Chefbüro vorgelassen zu werden. Schließlich hatte er einen Termin. Schließlich war er eingeladen worden. Aber die „Herren“, die sich laut Sekretärin noch dort drin befanden, hatten Wichtiges zu besprechen, ließen sich Zeit.

„Es ist ganz ungeschickt heute, ganz ungeschickt“, klagte die Chefsekretärin mehrfach und bedachte Alfred mit mitleidigen Blicken. „Wollen Sie es nicht ein anderes Mal probieren. Wir können einen neuen Termin vereinbaren?“

Ursula Lang, die Chefsekretärin im Vorzimmer von Brauerei­vorstand, gab sich alle Mühe, den Besucher bei Laune zu halten. Kaffee hatte sie bereits besorgt, Mineralwasser ebenso, einige ältere Ausgaben der Branchenzeitschrift „Brauerei Forum“, eine farbige Broschüre vom Besucherzentrum der Rothausbrauerei, einen Flyer von der Brauereigaststätte, und zwischendurch immer wieder ihre besorgte Frage: „Wollen Sie noch warten? Es ist sehr ungeschickt heute, es kann noch länger dauern.“

Was denn so „ungeschickt“ an diesem Tag war, mochte sie ihm nicht anvertrauen. Alfred fand es auch nicht heraus, wenn er bei ihren zahlreichen Telefonaten die Ohren spitzte. Wenn aus anderen Büros Besucher hereinschauten und ihn am Besuchertisch wahrnahmen, brachen sie ihre Gespräche schnell ab, unterhielten sich nur noch im Flüsterton oder verkündeten bedeutungsschwer: „Ich komme später noch mal, dann reden wir über alles ...“ Jedenfalls blieb Alfred ahnungslos zurück. Nur soviel stand fest: Irgendein ganz außergewöhnliches Ereignis beschäftigte die Brauerei. Zwar hatte Alfred bei seinem Eintreffen die vielen Polizeiautos auf dem Gelände der Brauerei bemerkt, und auch die ratlosen, aufgeregten und erhitzen Gesichter der Menschen waren ihm aufgefallen, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen. War vielleicht ein Unglück passiert?

Alfred beobachtete mit heiterer Gelassenheit die freundliche Sekretärin. Er hatte keine Eile. Sie sortierte Post, heftete Blätter in Ordner, tackerte auf ihrem Computer herum und wimmelte am Telefon fast sämtliche auswärtigen Anrufer ab. „Es ist ganz ungeschickt heute!“ Einmal ließ sie einen Anrufer durch zu ihrem Chef: „Jawohl Herr Bonde, jawohl. Mache ich Herr Bonde, ja, ich sage es gleich. Ja, warten Sie, bleiben Sie dran!“ Dann, nach kurzem Verbinden: „Ich habe den Landwirtschaftsminister in der Leitung. Ja, direkt jetzt. Er hat gehört, was passiert ist. Ob er Sie gleich sprechen kann. Ja, ich stelle durch ...“

Alfred, der die Wortfetzen verstanden hatte, obwohl Ursula Lang wie alle guten Sekretärinnen das diskrete Telefonflüstern beherrschte, musste sich beim Namen Bonde besinnen, dass es sich bei der Rothausbrauerei ja um ein Staatsunternehmen handelte. Klar, der Landwirtschaftsminister war gleichzeitig auch Vorsitzender des Aufsichtsrates. Aber wieso die Dringlichkeit? „Er hat gehört, was passiert ist“, hatte die Sekretärin gesagt. Alfred wagte nicht zu fragen. Stumm saß er in seinem mäßig bequemen Sessel am Besuchertisch und heuchelte Desinteresse und Geduld. Das fliederfarbene Jackett zwickte unter den Achseln. Kein Wunder, es war ja nicht sein eigenes. Er hatte es sich von seinem Kumpel Linus ausgeliehen, dem Versicherungsmakler. Extra zu diesem Anlass, um ­einigermaßen schick auszusehen. Er selbst besaß nämlich kein Jackett. Aber wenn man zu einem geschäftlichen Termin beim Chef der Rothaus­brauerei eingeladen war, und wenn man darauf spekulierte, dass für einen bei diesem Termin vielleicht ein Auftrag heraussprang, dann zwängte man sich schon mal in ein zu enges und zu farbiges Jackett.

„Es ist wirklich ganz ungeschickt heute, wollen Sie nicht doch ein andermal wiederkommen?“, fragte ­Ursula Lang zum gefühlt hundertsten Mal, als der Zeiger der Uhr auf 14.30 Uhr vorrückte. Alfred verneinte: „Es macht mir nichts aus. Ich habe den ganzen Nachmittag Zeit, ich habe nichts anderes mehr vor.“

Das stimmte zwar, dennoch war es nur die halbe Wahrheit. Er studierte den Busfahrplan, den er sich aus dem Internet ausgedruckt hatte. Der Bus der Linie 7343 fuhr um 16.03 Uhr und dann noch mal um 17.07 und um 18.07 Uhr von der Haltestelle vor der Brauerei in Richtung Schluchsee-Seebrugg ab. Vom Bahnhof in Seebrugg gingen Züge um 17.39 Uhr und 18.39 Uhr Richtung Titisee und Freiburg ab. Er hatte also noch genug Zeit und zwei Optionen. Alfred seufzte und zauste sich mit einer unbewussten Bewegung das strubbelige Haar: Es war schon ein Martyrium der besonderen Art, im hintersten Hochschwarzwald auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein. Aber was wollte er machen? Auf seinen Führerschein musste er noch einige Monate warten, der lag auf Eis beim Landratsamt oder sonst einer Behörde. Für ein Jahr entzogen, wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss. 1,7 Promille hatte der Bluttest damals ergeben. Damals? Das war keine vier Monate her. Alfred schien es, als sei seither eine Ewigkeit vergangen.

Um 14.45 unternahm Ursula Lang einen weiteren Versuch: „Möchten Sie noch warten? Es tut mir sehr leid, aber bei uns geht heute alles drunter und drüber. Ich kann einen neuen Termin ausmachen ...“

„Nein, nein! Kein Problem für mich. Ich warte gerne. Danke!“

„Ich frage mal den Chef“, kündigte Ursula Lang an. Sie wählte in das seit Stunden so geheimnisvoll beschäftigte Chefzimmer hinein und sprach in den Telefonhörer: „Der junge Mann wartet immer noch. Soll ich ihn ...“ Sie lauschte in den Hörer. „Ah, ja. Ja, gut. Ich werde es ihm sagen.“

Sie wandte sich zu Alfred und verkündete mit ihrem mütterlich fröhlichen Lächeln: „Zehn Minuten noch.“

Alfred sah charmant aus und lächelte zurück, sein sonnigstes Schwiegersohnlächeln. Mit den Sekretärinnen musste man sich gut stellen, das hatte er schon immer so gehalten. Dann öffneten sich so manche Türen. Er widmete sich wieder dem „Brauerei Forum“ und dort dem schon mehrfach begonnenen Artikel „Der Brauer- und Mälzerlehrling in der dualen Berufsausbildung“. Obwohl ein begnadeter Biertrinker, beschränkte Alfreds Interesse an der Brauereibranche sich bisher lediglich auf das Endprodukt. Beeindruckt nahm er zur Kenntnis, welche vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten das Gewerbe bot.

Seit er selbst seinen Job bei der Wochenzeitung „Hochschwarzwaldkurier“ verloren hatte – genauer gesagt, er hatte hingeschmissen, weil man ihn an den Hochrhein versetzen wollte –, begann er sich für alle möglichen Jobs und Branchen zu interessieren, stets mit der Frage im Hinterkopf, wo er mit seiner bescheidenen Redakteurs­ausbildung vielleicht sonst noch landen könnte.

Unter der Rubrik „Stellenanzeigen“ bot das „Brauerei Forum“ nichts, was Alfred sich ernsthaft zugetraut hätte, außer vielleicht „Geschäftsführer/in einer gut geführten, erfolgreichen Privatbrauerei im Nordschwarzwald“. Geschäftsführer konnte man immer werden, solange es Mitarbeiter gab, die das Geschäft besorgten.

Er malte sich gerade aus, wie es wohl wäre, Geschäftsführer einer „gut geführten“ Privatbrauerei im Nordschwarzwald zu sein, da öffneten sich die schweren Türen zum Vorstandsbüro. Es erschien, zum Staunen von Alfred, erst ein Polizeikommissar, dann noch ein Polizeikommissar, dann noch ein Dritter, alle drei mit ernsten Gesichtern und zerknitterten Uniformen, die vom langen Sitzen in tiefen Bürosesseln kündeten.

Der Brauereichef erschien als Letzter im Türbogen und verabschiedete jeden einzelnen der drei Polizeioffiziere mit Handschlag und den Worten: „Viel Erfolg. Wir alle wünschen uns, dass dieser Fall möglichst schnell und umfassend aufgeklärt wird. Und wie besprochen: Alle Presseanfragen leite ich an die Staatsanwaltschaft in Freiburg weiter ...“

Als sie endlich verschwunden waren, war Alfred an der Reihe.

Die Sekretärin übergab den Besucher an ihren Chef: „Das ist der Herr, mit dem unser ... mit dem Heinz, mit dem Herr ­Böckler den Kontakt aufgenommen hat. Wegen der Chronik ...“ Sie brach die Einführung hilflos ab: „Sie wissen schon ...“

Der Brauereivorstand nickte und schüttelte Alfred die Hand, während er ihn einer schnellen und professionellen Musterung unterzog. Alfred fühlte sich nicht unbehaglich dabei, aber er spürte, dass der Brauereichef sich sofort ein präzises Urteil bildete. Mit einem Male fühlte er sich unbehaglich im fliederfarbenen Jackett. Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen.

Was hatte Alfred erwartet? Er wusste, dass es sich beim Chef der Rothausbrauerei um eine landesweit profilierte und aufs Höchste angesehene Persönlichkeit handelte. Alleine dies ­flößte Alfred gewaltigen Respekt ein. Er kannte den Brauerei­chef bisher nur aus dem Fernsehen. Jetzt stand er aber dem Mann leibhaftig gegenüber. Er hatte ihn sich viel größer ­vorgestellt. Der Brauereichef wirkte durch eine unaufdringliche physische Präsenz, vielleicht sollte man es Autorität nennen. Zwei sehr kluge und neugierige Augen musterten Alfred mit ehrlichem Interesse. Obwohl den Brauereichef an diesem Tage ganz offensichtlich wesentlich...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7930-6063-2 / 3793060632
ISBN-13 978-3-7930-6063-5 / 9783793060635
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