Auf Abwegen (eBook)

Wenn Jugendliche kriminell werden

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
240 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-438-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf Abwegen - Werner Gloss
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Was haben wir falsch gemacht?, fragen sich viele Eltern, wenn ihr Kind straffällig geworden ist. Neben Versagensgefühlen und Zukunftsängsten wächst der Druck, wichtige Entscheidungen zu treffen. Fachliche Unterstützung und Beratung sind dringend gefragt - doch die richtigen Stellen zu finden ist oft Glücksache und anwaltliche Begleitung womöglich zu teuer. Nicht nur Alleinerziehende fühlen sich in dieser Situation schnell überfordert.
Anhand mehrerer Fallbeispiele erklärt Werner Gloss - er ist als Polizeihauptkommissar seit 20 Jahren in den Bereichen Jugendsachen und Prävention tätig -, wie aus Kindern, die Probleme haben, Jugendliche werden, die Probleme machen. Der Autor vermittelt anschaulich kriminologische und strafrechtliche Hintergründe. Darüber hinaus bietet das Buch Tipps für den Umgang mit den Konsequenzen der Straftat.

Jahrgang 1965, Polizeihauptkommissar, seit 20 Jahren u.a. in den Bereichen Jugendsachen und verhaltensorientierte Prävention tätig, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Polizei in der Deutschen Vereinigung für Jugendrichter und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) und zweiter Vorsitzender eines Präventionsnetzwerks in Franken. Er konzipiert und moderiert Fortbildungen für Polizeibeamte und Sozialarbeiter.

Jahrgang 1965, Polizeihauptkommissar, seit 20 Jahren u.a. in den Bereichen Jugendsachen und verhaltensorientierte Prävention tätig; Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Polizei in der Deutschen Vereinigung für Jugendrichter und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) und zweiter Vorsitzender eines Präventionsnetzwerks in Franken. Er konzipiert und moderiert Fortbildungen für Polizeibeamte und Sozialarbeiter.

Vorwort


An einem Morgen im Sommer 2018 stand der Name Jaroslaw R. im Tagesbericht der Kriminalbereitschaft Mittelfranken unter der Rubrik »ungeklärte Todesfälle und Tötungsdelikte«. Jaroslaw R. war in einem Fastfood-Restaurant in Nürnberg zusammengebrochen und wenig später in einer Klinik verstorben – an der Überdosis einer Drogenmixtur. Natürlich ist der Name geändert, so wie alle Namen in diesem Buch erfunden sind. Auch Orte und Details, die Rückschlüsse auf die Personen und ihre Schicksale erlauben, wurden anonymisiert. Die Geschichte und der Tod von Jaroslaw R. sind allerdings ebenso real wie endgültig.

Polizeilich betrachtet handelt es sich um einen sogenannten unnatürlichen Tod, der der Staatsanwaltschaft angezeigt werden muss, auch wenn wie im Fall von Jaroslaw R. Fremdverschulden ausgeschlossen wird. »Unnatürlicher Tod« und »Fremdverschulden« sind amtliche Kategorien, die nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen. Zum einen ist der Tod so natürlich wie das Leben, eine klare Angelegenheit, die keine Auslegung zulässt. Anders sieht es bei der Schuld aus. Es stellt sich die Frage, wer für den Tod von Jaroslaw R. verantwortlich ist, wenn man von der Tatsache absieht, dass jeder Mensch sein Leben grundsätzlich selbst in die Hand nehmen muss. Tatsächlich existieren jenseits der Selbstverantwortung der Person und juristisch relevanter Schuldzuweisungen Verantwortlichkeiten, die uns alle angehen. Jaroslaw R. ist in gewisser Weise ein Opfer der Verhältnisse. Vieles spricht dafür, dass es in der Vergangenheit unterlassen wurde, Teufelskreise zu durchbrechen oder schädliche Entwicklungen abzuwenden. Chancen blieben ungenutzt und mögliche Hilfen wurden nicht gewährt. Das Schicksal von Jaroslaw R. war weder vorbestimmt noch unausweichlich.

Die Tragödie von Jaroslaw R. begann vor etwa 20 Jahren. Ich war bereits damals Jugendsachbearbeiter einer Polizeidienststelle im »Speckgürtel« des Großraums NürnbergFürth: Reihenhaussiedlungen und Häuser im Landhausstil auf jeweils etwa 500 Quadratmeter Grund, modernes Wohnen auf engem Raum. Während sich die Baustile geändert haben, sind die Probleme der Menschen immer noch die gleichen. Junge Familien ziehen in Vororte, weil sie denken, dass die Kinder dort besser aufwachsen. Dafür nehmen sie lange Arbeitswege in Kauf und stellen sich morgens und abends in den Stau. Wohnraum im Umland ist gerade noch erschwinglich. Viele Eltern stehen unter Druck, nicht nur finanziell, sondern auch beruflich und emotional. Das Leben in »Suburbia« fordert seinen Tribut. Im Grunde ist seit dem Song der Pet Shop Boys aus den 1980er-Jahren alles beim Alten geblieben. Die Beziehungen der Menschen leiden unter permanenter Anspannung und allgemeiner Überforderung. Wenn das Leben nicht perfekt sein kann, dann soll es doch wenigstens gut werden, und oftmals gelingt nicht einmal das. Die Menschen muten sich zu viel zu und haben zu hohe Anforderungen an sich selbst, den Partner und die Kinder. Dementsprechend hoch sind die Scheidungsraten, und das Aufwachsen in diesem Umfeld ist nicht einfach. Nicht wenige Kinder und Jugendliche brechen mit allen Regeln und geraten außer Rand und Band. Zum Teil aus Langeweile und allzu oft auch aus Verzweiflung verstoßen sie gegen das Gesetz. »Sie laufen mit der Polizei um die Wette«, wie es in dem Lied der englischen Elektropop-Band heißt.

Die Eltern von Jaroslaw R. waren aus Polen nach Deutschland gekommen, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Als wir uns kennenlernten, gehörte Jaroslaw R. zu einer Clique, die den S-Bahnhof des Vorortes in Beschlag nahm und dort regelmäßig für Unruhe sorgte. Kleinere Straftaten waren an der Tagesordnung, und dementsprechend oft war die Polizei vor Ort. Ich erinnere mich an einen stillen Jungen, der sich aus Angst vor der Polizei fast »in die Hosen machte«. Jaroslaw R. war damals fast 18 Jahre alt, ein schlaksiger Junge mit ernsten braunen Augen. Im Gegensatz zu den anderen in seiner Clique war er sehr zurückhaltend. Ich hatte den Eindruck, er würde sich meine gut gemeinten Ermahnungen zu Herzen nehmen. Jaroslaw R. war ein kluger Mensch mit guten Anlagen, aber keine starke Persönlichkeit und leicht beeinflussbar. Er wurde seinerzeit als Mitläufer eingestuft und später als Betäubungsmittelkonsument registriert. Aus dem unscheinbaren Jungen wurde ein unauffälliger Mann. Obwohl sich Jaroslaw R. in einer klassischen Drogenkarriere befand, brachte er es auf gerade mal 14 Einträge im Strafregister. Er wurde drei Mal inhaftiert und verbrachte zehn, sechs und neun Monate hinter Gittern. Angesichts der Lebensumstände ist dies wenig. Unauffällige Menschen wie Jaroslaw R. werden nicht oft überführt, insbesondere dann nicht, wenn sie intelligent und vorsichtig sind.

Mit den Eltern von Jaroslaw R. habe ich nie richtig gesprochen. Elterngespräche gehörten seinerzeit nicht zum Handlungsrepertoire der Polizei, und umgekehrt gab es Vorbehalte der Eltern gegen eine Kommunikation mit einem Vertreter der Staatsmacht. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Eltern von Jaroslaw R. ihren Sohn zur Polizei begleiteten, obwohl sie das Recht dazu hatten. Die Sprachlosigkeit war beiderseitig. Offensichtlich waren die Eltern von Jaroslaw R., die selbst niemals Ärger mit der Polizei hatten, mit der Situation überfordert.

Erst mit der Zeit erkannte ich, dass Eltern einen wichtigen Schlüssel in der Hand halten. Sie sind die Konstante, an der junge Menschen ihr Leben ausrichten können. Auch wenn sich die Kinder von ihren Eltern entfernt haben und scheinbar das Gegenteil von dem tun, was diese sich wünschen, sind Eltern ein Fixpunkt in der Biografie ihrer Kinder. Im Laufe der Jahre habe ich mich um einen besseren Zugang zu den Eltern bemüht, mit deren Kindern ich als Polizeibeamter zu tun hatte. Ich habe Verständnis für ihre Sorgen und Nöte entwickelt und mir abgewöhnt, vorschnell Verantwortlichkeiten zuzuweisen. Stattdessen versuchte ich ins Gespräch zu kommen, oftmals bei den Familien zu Hause am Abendbrottisch. In diesem Rahmen gab es Aussprachen, die sich als sehr gewinnbringend erwiesen. Die Eltern erhielten Informationen und wurden über den Ablauf des Verfahrens aufgeklärt. Gleichzeitig reduzierte das vertraute Umfeld Berührungsängste und Machtspiele, sodass unbefangen über die Tat und das Kind gesprochen werden konnte.

Die Arbeit mit jungen Straftätern hat mich seither nicht mehr losgelassen, zuerst auf Streife und später im Ermittlungsdienst. Dazu musste ich viel lernen, was mir in der Polizeiausbildung nicht vermittelt wurde. Kriminalität von Jugendlichen hat das Potenzial, Leben und Biografien zu zerstören. Delinquentes Verhalten in der Jugend kann sich zu einem persönlichkeitsprägenden Muster mit schlimmen Folgen auswachsen. Dies gilt nicht nur für den Umgang mit Rauschdrogen. Wer zum Beispiel in der Jugend nicht lernt, sein Auskommen auf ehrliche Weise zu organisieren, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Langfristig werden junge Menschen durch die Adaption von abweichendem Verhalten um die Chance gebracht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Andererseits gehören Regelverletzungen und Normverstöße zur Jugend wie das Salz in die Suppe. Restlos angepasste Jugendliche werden sich nicht zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickeln. Dementsprechend typisch ist strafbares Fehlverhalten, das auch bei Jugendlichen beobachtet werden kann, um die man sich ansonsten keine Sorgen machen muss. Doch ist die Einordnung abweichenden Verhaltens schwierig, besonders wenn man selbst betroffen ist und es um das eigene Kind geht. Eltern fehlt der Vergleich, weil über Jugendkriminalität für gewöhnlich nicht gesprochen wird. Die Straftaten der Kinder sind ein Tabuthema im Kreis der Verwandten und Bekannten. Beim Grillabend mit Freunden wird der Ladendiebstahl der Tochter mit keiner Silbe erwähnt. Nicht wenige Eltern können über das Unrecht, das ihre Kinder begingen, mit niemandem sprechen, vor allem dann, wenn es sich um ernsthafte Delikte wie zum Beispiel eine Sexualstraftat handelt. Aus diesem Grund werden in dem Buch Geschichten von jungen Menschen und ihren Eltern erzählt, die Betroffenen helfen sollen, das Verhalten ihres Kindes zu verstehen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, ein Gespür für die Relevanz des Fehlverhaltens zu vermitteln.

Strafbare Handlungen von Jugendlichen sind vielschichtig. Sie können sowohl als erzieherische Aufgabe wie auch als Bearbeitung von Kriminalität wahrgenommen werden. Bildlich gesprochen kann man die Jugendkriminalrechtspflege als eine Mischung aus Schullandheim und Strafanstalt beschreiben. Zur Jugendkriminalität gehört der Raubmord eines Heranwachsenden an einer gebrechlichen Seniorin ebenso wie das Verbreiten von Sexting-Fotos. Jeder Lehrer, der pubertierende Schüler nicht erst seit gestern unterrichtet, dürfte mit letztgenanntem Phänomen schon einmal konfrontiert worden sein. Es erfüllt den Tatbestand einer Straftat und kann sich zur Katastrophe auswachsen. In der Vergangenheit soll es schon zu Suiziden von Opfern gekommen sein, die nicht damit zurechtgekommen sind, dass ihr Bild unkontrolliert über das Internet verbreitet wurde. Gleichzeitig handelt es sich bei Sexting (das Wort ist aus den Begriffen Sex und Texting für SMS-Schreiben zusammengesetzt) um ein typisch pubertäres Verhalten, das sich in den allermeisten Fällen wieder gibt und ab einem gewissen Alter keine Rolle mehr spielt.

Es ist das breite Spannungsfeld zwischen brutalem Kapitalverbrechen und jugendlicher Dummheit, das es schwer macht, der Thematik...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2018
Reihe/Serie Lebenswelten & Lebenshilfe
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anwalt • Beratung • Erziehung • Erziehungsgedanke • Erziehungsrecht • Jugendhilfe • Jugendliche Straftäter • Jugendstrafrecht • Jugendstrafverfahren • Prävention • Prozessrecht • Rechtsextremismus • Sozialarbeiter • Tatvorwurf • Verteidiger • Vorläufige Festnahme • Wohnungsdurchsuchung
ISBN-10 3-86284-438-2 / 3862844382
ISBN-13 978-3-86284-438-8 / 9783862844388
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