Der Teufel in Frankreich (eBook)

Erlebnisse. 1940
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2018 | 1. Auflage
335 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1679-3 (ISBN)

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Der Teufel in Frankreich - Lion Feuchtwanger
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Bericht aus der Hölle. Mai 1940: Einer der politischen Flüchtlinge, die von den französischen Behörden im Lager Les Milles interniert werden, ist der Schriftsteller Lion Feuchtwanger. Wie so viele Nazi-Gegner hatte er in Frankreich Zuflucht gesucht. Doch nun sitzt er in der Falle, die Angst vor den heranrückenden deutschen Truppen erreicht im Lager ein kaum erträgliches Maß. 'Liberté, Egalité, Fraternité stand riesig über dem Portal des Bürgermeisteramtes, man hatte uns gefeiert, als wir, vor Jahren, gekommen waren, die Zeitungen hatten herrliche, respektvolle Begrüßungsartikel geschrieben, die Behörden hatten erklärt, es sei eine Ehre für Frankreich, uns gastlich aufzunehmen, der Präsident der Republik hatte mich empfangen. Jetzt also sperrte man uns ein.' Lion Feuchtwanger.

Lion Feuchtwanger, 1884-1958, war Romancier und Weltbürger. Seine Romane erreichten Millionenauflagen und sind in über 20 Sprachen erschienen. Als Lion Feuchtwanger mit 74 Jahren starb, galt er als einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache. Die Lebensstationen von München über Berlin, seine ausgedehnten Reisen bis nach Afrika, das Exil im französischen Sanary-sur-Mer und im kalifornischen Pacific Palisades haben den Schriftsteller, dessen unermüdliche Schaffenskraft selbst von seinem Nachbarn in Kalifornien, Thomas Mann, bestaunt wurde, zu einem ungewöhnlich breiten Wissen und kulturhistorischen Verständnis geführt. 15 Romane sowie Theaterstücke, Kurzgeschichten, Berichte, Skizzen, Kritiken und Rezensionen hatten den Freund und Mitarbeiter Bertold Brechts zum 'Meister des historischen und des Zeitromans' (Wilhelm von Sternburg) reifen lassen. Mit seiner 'Wartesaal-Trilogie' erwies sich der aufklärerische Humanist als hellsichtiger Chronist Nazi-Deutschlands.

Verflucht sei dein Eingang und verflucht sei dein Ausgang.

Der Herr wird dich hinschmettern vor deine Feinde.

Einen Weg wirst du ausziehen gegen sie,

und auf sieben Wegen wirst du vor ihnen fliehen.

Am Abend wirst du sprechen: Oh, wäre es Morgen,

und am Morgen wirst du sprechen: Oh, wäre es Abend.

Die Schiffe von Bayonne


Ich habe zu Anfang dieses Buches von dem kleinen Zimmer erzählt im Erdgeschoß meines Hauses in Sanary, wo der Radioapparat stand. Vor diesem Radioapparat habe ich merkwürdige Erlebnisse gehabt. Der Apparat war meine Verbindung mit Deutschland, mit meiner Heimat, mit meiner Heimatstadt München. Sonderbar klangen aus diesem Apparat Stimmen von Menschen, die man lange nicht gesehen, doch nicht vergessen hatte, von Schauspielern, die einmal in meinen Stücken gespielt hatten und die jetzt Nazisprüche herunterleierten. Der Apparat berichtete von Orten, die man sehr genau kannte, und von widerwärtigen Kundgebungen, die jetzt dort stattfanden. Hier lag ich, in der guten Sicherheit Frankreichs, auf meiner Ottomane und hörte zwiespältigen Gefühles mit an, wie irgendein Minister oder sonstiger Funktionär der Nazis sinnlos gegen mich wetterte.

An diesem Radioapparat war mir, kurz bevor ich mein schönes Haus mit dem Konzentrationslager hatte vertauschen müssen, die Nachricht entgegengeschmettert von dem Zusammenbruch Belgiens. Die Nazis hatten die Meldung barbarisch effektvoll aufgemacht. Zuerst brachten sie die üblichen Siegesnachrichten, dann forderten sie auf: »Bleiben Sie am Apparat, wir bringen Ihnen in etwa fünf Minuten eine wichtige Sondermeldung.« Man wartete unbehaglich. Dann, nach etwa fünf Minuten, hieß es: »Wir bringen Ihnen jetzt eine Sondernachricht der Obersten Heeresleitung. Deutsche Truppen sind soeben in die belgische Stadt Löwen eingezogen.« Und gespielt wurde jenes sentimental-schmissige Lied: »Gib mir deine Hand, deine weiße Hand, denn wir fahren, denn wir fahren, denn wir fahren gegen Engeland.« (Mit seinem dummen Archaismus, mit seiner mittelalterlichen Hansa-Heldenhaftigkeit und seiner Sentimentalität eines der verlogensten Lieder der Welt.) Das verlogene Volkslied kaum verklungen, hieß es wieder: »Bleiben Sie am Apparat, wir haben Ihnen in wenigen Minuten noch eine Sondernachricht zu bringen.« Und nach fünf Minuten von neuem das gemeine Lied und gemeldet wurde: »Deutsche Truppen sind soeben in die belgische Hauptstadt Brüssel eingezogen«, und: »Bleiben Sie am Apparat«, wurde man ein drittes Mal aufgefordert, »wir haben Ihnen bald eine weitere Sondermeldung zu bringen.« Und abermals: »Wir fahren gegen Engeland«, und: »Deutsche Truppen haben soeben die befestigte Seestadt Antwerpen eingenommen.« Und: »Deutschland, Deutschland über alles« und das pöbelhafte Nazi-Lied Horst Wessels.

Dies war einer der trüben Auftakte dessen, wovon wir dann im Konzentrationslager erfuhren. Wir hörten von der Einnahme von Amiens und Arras, von dem Vorrücken der Deutschen überall in Nordfrankreich, von der Einnahme von Boulogne, von Calais. Wir hörten, daß der König von Belgien seiner Armee befohlen hatte, die Waffen zu strecken. Wir hörten von einer Rede, in welcher der französische Ministerpräsident eine Reihe seiner Generäle der Unfähigkeit zieh oder des Verrates und sie absetzte.

Alles das hörten wir in Umrissen, vage. Die wenigen Zeitungen, die wir ergatterten, kamen verspätet, die zensurierten Meldungen verschleierten die Situation. Wir lauschten eifrig auf das wenige, was wir erfuhren, wir kommentierten jedes Wort, wir studierten eingeschmuggelte Landkarten, es gab unter uns zahlreiche Strategen, die darlegten, was, wieso und warum.

Soviel war gewiß: die Nazis drangen vor, die Nazis bedrohten Paris. Und wenn sie Paris nehmen, was wird aus uns? Es war scheußlich, hier im Lager zu sitzen, hilflos, gefangen, nichts unternehmen zu können gegen das näherrückende Unheil, nicht einmal Genaueres darüber zu erfahren.

Man konnte den steigenden Erfolg der Nazis messen an dem Benehmen derjenigen unter uns, die mit ihnen sympathisierten. Sie waren eine winzige Minderheit, sie hatten sich bis jetzt still verhalten: jetzt witterten sie Morgenluft. Weit machten sie den Mund auf und erklärten triumphierend, Paris werde sich unter keinen Umständen halten, es sei aus mit Frankreich. Einer unter den Nazis hielt in seinem Stroh einen kleinen Radioapparat versteckt; höhnisch teilte er uns die Siegesmeldungen der Nazis mit.

Es sah schwarz aus um uns, und die zahlreichen Gerüchte machten unsere Lage noch schwärzer.

Ich selber war überzeugt, daß die Ereignisse in Frankreich, was immer geschehen mochte, den Krieg nicht entscheiden würden. Ich war überzeugt, daß die Hitler-Leute, so große Augenblickserfolge sie gewannen, den Endsieg nie würden erringen können. Sowenig sich die Deutschen im ersten Krieg gegen die ganze vereinigte Welt zu halten vermocht hatten, sowenig – das stand mir mathematisch fest – konnten sie sich in diesem Kriege halten. Ich sagte das meinen Kameraden immer wieder. Ich war überzeugt und überzeugte. Am andern Tag freilich kamen von neuem die Schwarzseher, und ich mußte von neuem überzeugen.

Mehr noch als das, was im Norden geschah, beschäftigte uns alle, beschäftigte ganz Südfrankreich das Problem: Was wird Italien tun? Wird Italien in den Krieg eintreten? Die nächsten italienischen Flughäfen waren nur eine halbe Flugstunde entfernt. Was wird, wenn Italien den Krieg erklärt, mit uns geschehen?

Bis jetzt, diese ganzen neun Monate hindurch, hatte das Land hier unten vom Kriege nicht viel zu sehen und zu spüren bekommen. Jetzt auf einmal rückte er allen auf die Haut. Die Offiziere gingen mit versperrten, bedrückten Gesichtern herum, die Soldaten waren finster und ängstlich, sie wußten nicht, wie sie sich gegen das neue Übel wehren sollten.

Wir Internierten mußten Unterstände graben, die uns vor den Fliegern schützen sollten. Geleitet wurden diese Arbeiten von einem Unterleutnant, der im Zivilberuf Munizipalsekretär war. Er hatte von dem Geschäft, das ihm da oblag, keine Ahnung. Wir mußten in dem harten Grund der Höfe tiefe Galerien aushauen, die im Zickzack liefen. Aber da nicht viel Raum war, so lief der größte Teil des Grabens in der Nähe des Hauses. Die Sachverständigen unter uns Internierten erklärten, die Anlage sei hoffnungslos dilettantisch. Wer sich während eines Bombardements in einem solchen Unterstand befinde, sei besonders bedroht. Denn treffe eine Bombe das Haus, so würden unfehlbar die Gräben durch das einstürzende Gebäude verschüttet. In vorsichtigen Worten setzten wir das dem Leutnant-Munizipalsekretär auseinander. Er wies uns barsch ab; es sei nun einmal Befehl da, Luftschutzunterstände zu schaffen.

Die Lagerleitung drängte darauf, daß die Arbeit schnell ausgeführt werde. Wir arbeiteten in Schichten, es herrschte gute Ordnung. Der Boden war hart, die Gräben mußten tief sein, leicht war die Arbeit nicht. Trotzdem kam sie den meisten zupaß, und nach der langen Beschäftigungslosigkeit freuten wir uns ihrer. Alle arbeiteten wir mit Lust. Man entledigte sich der Jacken, der Hemden, die derbgesichtigen, katholischen Geistlichen warfen ihre Soutanen ab, und mit nacktem, sich rötendem Oberkörper roboteten wir herum mit Hacken, Schaufeln, Schubkarren.

Zwei Tage, nachdem wir die Arbeit begonnen hatten, erfolgte ein erstes Bombardement, nicht durch die Italiener, sondern durch die Deutschen.

Der Lagerkommandant teilte offenbar die Meinung unserer Sachverständigen. Er schickte uns nicht in die Unterstände, sondern ließ uns ins Haus zurücktreiben. Die großen Tore wurden verrammelt wie in der Nacht, auch die Fensterluken mußten wie in der Nacht mit den Holzverschalungen geschlossen werden. Es war ein heftiges Bombardement, ein Flughafen war in unmittelbarer Nähe des Gebäudes, kaum zwei Meilen entfernt, die Einschläge erfolgten sehr nahe. Peinvolle, drückende Spannung war in uns, wie wir da, zweitausend Menschen, hilflos eingeschlossen waren in dem dunklen Gebäude. Die Erfahrenen unter uns schätzten nach den Geräuschen, welcher Art die Bombe gewesen sein und in welcher Entfernung sie eingeschlagen haben mochte.

Über vier Stunden blieben wir so eingeschlossen, den ganzen Mittag über; zu essen gab es nichts. Alle waren wir dumpf gereizt, am meisten die Juristen. Daß man uns hier in unmittelbarer Nähe eines Flugplatzes unterbringe, verstoße, setzten sie auseinander, gegen das Völkerrecht.

Zur Verfügung standen nur die vier Latrinen im Innern des Gebäudes. Doch auch diese standen nicht zur Verfügung; sie wurden, ich sagte es schon, tagsüber versperrt gehalten, und die Lagerleitung hatte sie auch diesmal nicht öffnen lassen. Das war es, was uns am meisten empörte; denn viele hatten das Bedürfnis. Schließlich brach man die Latrinen auf. Aber jetzt erklärten die Fremdenlegionäre, die Latrinen gehörten zu ihrem Bereich, und sie verlangten Eintritt von jedem, der sie benutzen wollte.

Wir waren unter uns, kein Franzose war im Gebäude, nur wir Internierten. Die Einschläge entfernten sich, kamen näher, entfernten sich. Durch die Luken der Verschalung spähten wir hinaus in die Höfe, sie waren vollkommen leer. Wir fühlten uns preisgegeben.

Ein tiefes Aufatmen war, als die Türen endlich wieder geöffnet wurden und wir hinaus konnten in den besonnten Hof.

In der Nacht erfolgte ein zweites Bombardement, aber es kam uns weniger schlimm vor. Das dunkle Haus, in dem wir...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2018
Co-Autor Marta Feuchtwanger
Sprache deutsch
Original-Titel Erstausgabe 1942 unter dem Titel „Unholdes Frankreich“ erschienen
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beobachtungen • Erinnerungen • Feuchtwanger • Marta Feuchtwanger • Tagebuch
ISBN-10 3-8412-1679-X / 384121679X
ISBN-13 978-3-8412-1679-3 / 9783841216793
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