Die Thronfolger (eBook)

Macht und Zukunft der Monarchie im 19. Jahrhundert - Mit zahlreichen Abbildungen
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2019 | 1. Auflage
464 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-16891-9 (ISBN)

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Die Thronfolger -  Frank Lorenz Müller
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Habsburger, Hohenzollern, Bourbonen & Co.: Wie die großen Dynastien Europa prägten
Die Tage der Monarchie in Europa schienen gezählt, als der Henker an einem Januartag des Jahres 1793 der jubelnden Menge das abgetrennte Haupt von Ludwig XVI. entgegenstreckte. Trotz aller Revolution trat jedoch das Gegenteil ein: Kaiser, Könige und Fürsten sollten das 19. Jahrhundert prägen und ihr Amt vielerorts mit Glanz, Geschick und Erfolg ausüben. In seinem wunderbar erzählten Geschichtspanorama zeigt uns Frank Lorenz Müller, warum das so war. Im Zentrum stehen dabei die Persönlichkeiten und Schicksale der Thronfolger - denn sie waren es, die alle Erwartungen, Hoffnungen, Träume auf sich vereinten und somit im doppelten Sinne für das Überleben der Monarchie sorgten.

Frank Lorenz Müller, geboren 1970, ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität St.Andrews in Schottland. Er studierte in Berlin und Oxford Geschichte und Anglistik und promovierte mit einer Arbeit über die deutsch-britischen Beziehungen vor der Reichsgründung. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen hat er sich mit der Revolution von 1848/49 befasst, mit dem Nationalismus, Imperialismus und der Monarchie im 19. Jahrhundert.

Einleitung

Der 21. Januar 1793, der Tag, an dem König Ludwig XVI. von Frankreich zum Schafott auf der heutigen Place de la Concorde gebracht wurde, war kalt und neblig. Mehr als 100000 Soldaten säumten die verschneiten Straßen der französischen Hauptstadt. Die Wagenkolonne mit dem Verurteilten brauchte beinahe zwei Stunden für die dreieinhalb Kilometer lange Strecke von Ludwigs Gefängnis im Tour de Temple. Als man die Hinrichtungsstätte erreicht hatte, stieg der entthronte Monarch aus der Kutsche, legte den Mantel ab und knöpfte den Kragen seines Hemdes auf. Da der Weg zur Guillotine rutschig war, stützte er sich zunächst auf den Arm seines Beichtvaters, des irischstämmigen Abbé Henry Edgeworth, erklomm die Stufen dann jedoch allein. Vom Schafott aus wandte sich der König, der vom Nationalkonvent wegen Landesverrats zum Tode verurteilt worden war, an die riesige Menschenmenge, beteuerte seine Unschuld und vergab seinen Feinden. Doch ein von General Antoine Santerre, dem Kommandanten der Nationalgarde, befohlener Trommelwirbel übertönte seine letzten Worte. Dann packten die Scharfrichter den Bourbonen und zwangen ihn unter das Fallbeil. Der kräftige Nacken des Verurteilten passte allerdings nicht richtig in die vorgesehene Aussparung im Richtblock, und so verlief die Hinrichtung unsauber und sehr blutig. Als der Henker das abgetrennte Haupt endlich hochhielt, brachen bei einigen der Umstehenden alle Dämme: Ein paar Gaffer kosteten von dem verspritzten Blut des Königs und stritten über seinen Geschmack, andere tauchten ihre Hände hinein, und so viele wollten Taschentücher oder Briefumschläge damit benetzen, dass der Scharfrichter schließlich einen Eimer voll Blut bereitstellte. Neun Monate später wurde an gleicher Stelle die Witwe des Königs, Marie Antoinette, enthauptet. Als das Beil fiel, ertönte auch bei dieser Gelegenheit der Ruf: »Es lebe die Republik!«1

Aus monarchischer Sicht hätte das lange 19. Jahrhundert, das sich von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erstreckte, kaum apokalyptischer beginnen können. Für viele Zeitgenossen und Nachgeborene war die juristisch sanktionierte, öffentliche Tötung eines gesalbten Monarchen eine so empörende Untat, dass durch sie eine uralte Weltordnung für immer verloren schien. Einige verzweifelte Zeitgenossen wurden durch die Nachricht von Ludwigs Enthauptung in tiefe seelische Abgründe gestürzt, sodass es Berichten zufolge zu Selbstmorden und Fällen von plötzlicher Geisteskrankheit kam. Noch im 20. Jahrhundert bedauerte der französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus die Hinrichtung des Königs, denn sie erschien ihm, so Susan Dunn, als »die irreversible Zerstörung einer Welt, die sich für ein Jahrtausend an eine heilige Ordnung gehalten hatte«. Der 21. Januar 1793 bedeutete für Camus den dauerhaften Verlust eines moralischen, von einem transzendenten Gott sanktionierten Kodex.2

Angesichts dieses blutigen Auftakts zum langen 19. Jahrhundert hätte wohl kein Mitglied des eng miteinander verwobenen Netzwerks europäischer Herrscherfamilien sich an jenem düsteren Wintertag träumen lassen, welch farbenfrohe monarchische Spektakel 120 Jahre später in Berlin und Braunschweig veranstaltet werden sollten. Im Frühsommer 1913 gab sich nämlich in der deutschen Hauptstadt das dynastische Europa ein prachtvolles Stelldichein – nunmehr vor den Linsen von Filmkameras, die den festlichen Augenblick für alle Zeiten in bewegten Bildern festhielten. Man war gekommen, um der Hochzeit der Prinzessin Viktoria Luise, der Tochter des deutschen Kaisers, mit dem Welfenprinzen Ernst August von Cumberland beizuwohnen. Unter den mehr als tausend Gästen befanden sich die Spitzen der europäischen Monarchien: Zar Nikolaus II. war ebenso gerne beim deutschen Kaiser Wilhelm II., seinem angeheirateten Cousin, zu Gast wie König Georg V. von Großbritannien – auch er ein Vetter des Hohenzollern. Beide ließen es sich nicht nehmen, die junge Braut bei der Polonaise zu führen. Die Feier war mit Bedacht auf den 24. Mai, den Geburtstag der 1901 verstorbenen britischen Königin Viktoria, gelegt worden, eine Ahnin vieler der anwesenden hohen Gäste. Die Hochzeit war hochgradig politisch: Sie diente der Beilegung des seit der preußischen Annexion von Hannover im Jahr 1866 herrschenden Konflikts zwischen den Dynastien der Welfen und der Hohenzollern. Trotz dieses Hintergrunds wurde die Verbindung erfolgreich als Herzensangelegenheit präsentiert, und so säumten Tausende von begeisterten Berlinern die Straßen. Sehr zum Ärger der sozialistischen Presse, die solchen »Hurrapöbel« mit galligen Worten schmähte, nahm die Bevölkerung der Stadt während der mehrtägigen Feierlichkeiten lebhaften Anteil am Glück ihres »Prinzeßchens«.3

Die Berliner Hochzeit fiel in ein üppig ausgestattetes monarchisches Jubiläumsjahr, denn 1913 jährte sich nicht nur die siegreiche Schlacht von Leipzig zum hundertsten Mal, es war auch ein Vierteljahrhundert vergangen, seit Wilhelm II. den deutschen Kaiserthron bestiegen hatte. Beides wurde pompös gefeiert. Im November 1913 zog das frisch vermählte Paar dann unter dem Jubel der Bevölkerung in Braunschweig ein, wo Ernst August den Thron des Herzogtums bestieg. Damit kehrten die Welfen mehr als vier Jahrzehnte nach dem Ende des Königreichs Hannover als regierende Fürsten ins Deutsche Reich zurück. »Du alter Stamm / Sei stets erneut / In edler Fürsten Reihe, / Wie alle Zeit / Dein Volk Dir weiht / Die alte deutsche Treue«, war auf einer Festpostkarte zu lesen, die eigens für den großen Tag gedruckt worden war. »Auf den mit Blumen und blaugelben Landesfarben geschmückten Bahnhöfen begrüßte uns die Bevölkerung«, erinnerte sich Herzogin Viktoria Luise später. »Nicht nur die Einwohnerschaft der Stadt war hieran beteiligt. Aus der näheren und weiteren Umgebung waren weit über 100000 Menschen gekommen. […] Wer den Jubel gehört hat, bekam einen Begriff von der Macht der Tradition in den Herzen der Menschen.«4

Auch 120 Jahre nachdem der französische Revolutionär Maximilien de Robespierre im Nationalkonvent ausgerufen hatte, »Ludwig muss sterben, weil das Vaterland leben muss«, konnten sich die europäischen Monarchen also noch immer im warmen Licht öffentlicher Zustimmung sonnen, große Politik als Familienangelegenheit inszenieren und von der Macht dynastischer Loyalität in den Herzen der Menschen zehren. Durch das 19. Jahrhundert zog sich eine breite monarchische Ader, die jene Ära auf vielfältige Weise prägte. Um dieses Phänomen geht es im vorliegenden Buch.

Das Überleben der europäischen Monarchien im 19. Jahrhundert ist umso erstaunlicher, wenn man den Blick darauf richtet, dass dieses Jahrhundert zumeist als eine Zeit beschleunigter, tiefgreifender, oftmals revolutionärer Veränderungen verstanden wird. Diese Interpretation spiegelt sich auch in den Titeln der historischen Meistererzählungen zu diesem Säkulum wider. Eric Hobsbawms klassische Trilogie charakterisiert es als eine Abfolge von drei Epochen: Auf die der Revolution folgt die des Kapitals und schließlich die des Imperiums; in den Bänden der großen Propyläen-Geschichte Europas machten Eberhard Weis und Theodor Schieder erst den »Durchbruch des Bürgertums« und dann die Errichtung eines »Staatensystems als Vormacht der Welt« als die Kennzeichen des Jahrhunderts aus, und nach Jürgen Osterhammels magnum opus erlebte das Säkulum nichts Geringeres als die »Verwandlung der Welt«. In der Tat veränderten sich die Lebensumstände der Menschen in Europa im Verlauf des 19. Jahrhunderts gewaltig: Die sich beschleunigende Industrialisierung erreichte immer mehr Regionen des Kontinents; der Anstieg der Bevölkerungszahl und die damit verbundenen Wanderungsbewegungen vom flachen Land in die Städte und fort aus Europa nach Übersee waren enorm; die Bereiche Kommunikation und Mobilität wurden von einem rapiden wissenschaftlich-technischen Fortschritt erfasst; die Alphabetisierung schritt rasch voran, und daraus erwuchs eine breitere Öffentlichkeit; immer größere Bevölkerungsgruppen profitierten davon, dass Verfassungen eingeführt und das Wahlrecht schrittweise ausgeweitet wurde; mit dem imperialen Ausgreifen einiger europäischer Mächte auf den Rest der Welt ergaben sich neue Horizonte.5

Trotz aller Veränderungen blieb Europa während dieser Epoche ein zutiefst monarchisch geprägter Kontinent. Jeder Staat, der sich im 19. Jahrhundert in Europa neu etablierte, hat den Schritt in die Unabhängigkeit unter der Herrschaft eines gekrönten Hauptes getan: von Griechenland (1821) und Belgien (1830) bis Bulgarien (1878) und Norwegen (1905). Auch als die Staaten des Erdteils 1914 in den Krieg zogen, war er noch immer ganz überwiegend monarchisch. Frankreich, die Schweiz, Portugal und das kleine San Marino stellten die republikanischen Ausnahmen dar, die die monarchische Regel bestätigten.6 Zwar gab es in einigen Staaten antimonarchische Bewegungen, und einzelne Herrscher waren einer scharfen, mitunter ätzenden öffentlichen Kritik ausgesetzt. Zudem befanden sich unter den zahlreichen Opfern der Welle nihilistischer Attentate um die Jahrhundertwende auch einige gekrönte Häupter – etwa Zar Alexander II., Kaiserin Elisabeth von Österreich oder König Umberto I. von Italien. Dennoch kann man nicht von einem ernst zu nehmenden antimonarchischen Trend sprechen. Vielmehr erfreuten sich die monarchischen Regime – in den verschiedenen Formen, die sie im...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 19. Jahrhundert • Adel • Adelsgeschlecht • Bourbonen • eBooks • England • Englisches Königshaus • Geschichte • Habsburger • Hohenzollern • Kaiserin Elisabeth • Königin Victoria • Monarchie • Queen Elizabeth • Thronfolger
ISBN-10 3-641-16891-0 / 3641168910
ISBN-13 978-3-641-16891-9 / 9783641168919
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