Gottesdiener (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
416 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-24689-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gottesdiener -  Petra Morsbach
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Irrungen und Wirrungen eines katholischen Provinzpfarrers
Isidor Rattenhuber, geschlagen mit roten Haaren, einem hartnäckigen Stottern und seiner Herkunft aus einem armen, lieblosen Elternhaus, wird Priester, um all dem zu entgehen. In der Liturgie erlebt er Ordnung und Geborgenheit, beim Vorlesen der Heiligen Schrift verliert sich sein Sprachfehler. So wirkt er jahrzehntelang in einer kleinen Gemeinde namens Bodering, lernt innerhalb und außerhalb des Beichtstuhls die Schicksale und Sünden seiner Schäfchen kennen, hadert mit der Einsamkeit und den veralteten Strukturen der Kirche. Und verliert zum Schluss beinahe, was ihm all die Jahre Motor war: den Glauben.

Petra Morsbach, geboren 1956, studierte in München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. »Opernroman«, »Gottesdiener« und »Justizpalast«. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Jean-Paul-Preis. 2017 erhielt sie den Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim und den Wilhelm-Raabe-Preis.

St. Emmeram


Wenn nicht der Herr das Haus baut,
müht sich jeder umsonst, der daran baut.

(Ps 127,1)

So finster Außenstehenden – aber nur denen – Bodering vorkommen mag, so hell und klar ist Boderings Kirche, St. Emmeram. Für Isidor ist sie die ansprechendste, edelste Kirche des Bayerischen Waldes, er hat sieben seiner besten Jahre für ihre Renovierung hingegeben, und daß er nie daran gedacht hat, Bodering zu verlassen, liegt auch an ihr.

Ihm gefällt zum Beispiel, daß sie als frühbarocke Kirche relativ schlicht gehalten ist. Sie ist einschiffig und hat ein hohes Tonnengewölbe, das auf weißen Pilastern ruht. Große, hochgestellte Bogenfenster, sechs im Langhaus, vier im Chor, lassen von allen Seiten Licht herein, und da auch die Wände weiß sind, funkelt sie bei Sonne wie ein himmlisches Schiff. Die Ornamentik kommt ohne quellende Formen und dunklen Protz aus: Bis auf die vergoldeten Kapitelle und ein schlichtes Kranzgesims fehlt jede Stukkatur. Sogar der Beichtstuhl ist ein einfacher Holzkasten, um den herum allerdings der Maler eine üppige Marmordekoration mit Sockel, Säulen und einer prächtigen roten Kartusche gemalt hat.

Am hölzernen Hochaltar gefällt Isidor die lebendige Darstellung von Mariä Verkündigung: Maria sitzt in einer dämmrigen Kammer, und über ihr schwebt der Erzengel Gabriel mit gewaltigen Flügeln, die im weichen Licht der Abendsonne schimmern. Gabriel blickt freundlich, beinah zärtlich auf Maria herab, während er ihr verkündet, daß der Herr sie erwählt habe. Maria, ein einfaches, zartes Mädchen, ist halb erschrocken, halb vertrauensvoll, auch ein bißchen geschmeichelt; man könnte meinen, eine leichte Röte überfliegt ihr Gesicht.

Der Hochaltar wird flankiert von zwei Stuckmarmorsäulen, rot mit weißer Äderung. Die Altarbeleuchtung, für die Isidor weder Kosten noch Mühen gescheut hat, hebt den heiligen Geist auf dem Giebelgesims, Gottvater und Sohn im Auszug, Gabriels goldene Flügel und Marias liebliches Gesicht hervor, dazu diese roten Säulen, die mit ihrer unruhigen Zeichnung wie Flammen wirken.

Auch die transparent erscheinenden Fresken im Deckengewölbe stammen vom Maler des Hochaltarbildes und zeigen die Geschichte des hl. Emmeram in ebenso ausdrucksvollen Bildern. Die Figuren haben den Schwung und die Sinnlichkeit des Barocks ohne dessen übersteigerte Theatralik. Zu Isidors Entzücken hat der Maler die Geschichte in einem imaginären Bodering angesiedelt, obwohl sie sich eigentlich südlich der Donau abgespielt hat.

Der heilige Emmeram war ein Regensburger Bischof und Missionar des 7. Jahrhunderts. Auf einer Pilgerreise nach Rom traf er in München die Herzogstochter Uta, die unehelich schwanger war und ihm ihre Not beichtete. Emmeram erlaubte ihr, einige Tage nach seiner Abreise ihn als Kindsvater auszugeben, um ihren Geliebten zu retten; er dachte, er würde zum Zeitpunkt des Geständnisses schon außer Landes sein. Utas Bruder aber holte ihn bei Bad Aibling ein, ließ ihn an eine Leiter binden, blenden und ihm Hände und Füße abhauen. Da Emmeram sich vorher einem Mitbruder anvertraut hatte und außerdem sein Leichnam wundersam zu leuchten begann, erkannte der Herzog, daß ein Unschuldiger getötet worden war.

Am Bild des Martyriums fällt auf, daß das Gesicht des hl. Emmeram dem des Erzengels Gabriel ähnelt. Von der Leiter aus, während Blut aus seinen Waden sprudelt, blickt Emmeram beruhigend auf die arme Uta, die den Blick dankbar und unsicher erwidert. Uta ähnelt der Jungfrau Maria aus dem Hochaltar. Der Henker hält zwar schon den Dolch zur Blendung gezückt, zögert aber und sieht eher unbehaglich auf den jungen Adligen, dessen Kleidung der eines Boderinger Forstmeisters ähnelt.

Die übrigen Fresken im Langhaus zeigen: Bodering im Sturzregen, während der Leichnam des Heiligen auf ein Schiff getragen wird (der Legende nach beendete das Martyrium eine 40tägige Dürreperiode). Die römische Mauer, vor der Emmeram in Regensburg bestattet lag, im Schneesturm, Uta kniet am Grab. Eine alte Frau hinter ihr, offenbar von Emmeram geheilt, wirft die Krücken beiseite. Dann: Die Erhebung der Gebeine des Heiligen durch Bischof Gaubald im 8. Jahrhundert: noch einmal Bodering, diesmal im Frühling, Schnee auf den Fichten des Grammerbergs, die blanke Kappe des Schattenbergs von zartem Grün überzogen. Hinten links die Kirche St. Emmeram, in voller Barockpracht ins 8. Jahrhundert versetzt: weiß mit gelb abgesetzten Ornamenten, ein eleganter Turm mit achteckigem Glockengeschoß und Schindelhaube. Das Chorgewölbe schließlich zeigt des Heiligen Verklärung: Engel tragen ihn zwischen weißen Wölkchen hindurch gen Himmel.

Isidor feiert die heilige Messe überall gern, am liebsten aber in dieser Kirche. Ihn stimuliert die Vorstellung des freundlichen Engels vom Hochaltar, der mit erhobenem Lilienstab über der unschuldigen Maria schwebt, während links und rechts von ihnen die roten Marmorsäulen flackern. Der Augenblick ist ebenso intim wie feierlich und bedeutet, daß Maria den Schmerz, der dieser Begegnung folgt, nie bereuen wird. Ihr Sohn wird sterben, aber wieder auferstehen; und Isidor im feierlichen Meßgewand, nur ein paar Meter vor dem Altar stehend und durch eine dezente Beleuchtung mit ihm verbunden, wird dabei helfen. Marias Zuversicht tröstet ihn, aber auch er tröstet Maria. Er hat in seinem Leben an vielem gezweifelt, aber nie an der Heiligkeit dieser Handlung. Sie ist schwer zu begreifen, aber er spürt sie geradezu körperlich, im Herzen, in den Augen, in seiner Stimme, die bei der Lesung der heiligen Worte einen besonderen Klang gewinnt.

Der Kirche gilt Isidors erster Blick aus dem Fenster, jeden Morgen.

Heute wirbelt Schnee um den Turm, während sich langsam die blaue Dämmerung hebt. Im Hof kratzt Nachbarin Liesl mit der Schneeschaufel. Als die Glocke halb neun schlägt, legt sich ein leichter Widerschein von Morgenrot auf St. Emmeram.

Der Tag verläuft undramatisch. Es gibt nur wenige Termine: Um neun in der Dreifaltigkeitskirche Treffen mit dem evangelischen Kollegen zur Vorbereitung des ökumenischen Silvestergottesdienstes. Halb elf Erstbeichte der Erstkommunikanten in Bodering. Nachmittags um vier Schülergottesdienst in Zwam mit anschließender Krippenspiel-Probe. Um halb sieben ist er fertig. Den letzten Termin – eine kurze Besprechung mit Feuerwehrhauptmann Bertl Rupp, der das Licht von Bethlehem im Weihnachtsgottesdienst überbringen wird – erledigt Isidor zu Fuß, damit er auch mal an die frische Luft kommt. Es ist eine halbe Stunde zu gehen.

Bei Rupp geschieht dann noch etwas Unerwartetes: Christine, die Pfarrsekretärin, ruft an und bittet um eine Woche Urlaub, weil ihr Bruder erkrankt sei. Daß sie Isidor hinterhertelefoniert, um ihn das zu fragen, ist nicht ungewöhnlich: Sie liebt dramatische Aktionen.

Natürlich gibt Isidor ihr frei. Aber ein bißchen bedauert er es. Am Weihnachtsabend hätte der Bruder zu Besuch kommen sollen, und auch Isidor wäre eingeladen gewesen. Christel kocht sehr gut, und die Gegenwart des Bruders wirkt beruhigend auf sie. Es wäre schön gewesen.

Christine ist fünfzig, Witwe, starke Raucherin. Ihr Bruder Anselm ist im gleichen Alter wie Isidor und ebenfalls Pfarrer, ein untersetzter Mann mit stahlblauen Augen und kräftigem Händedruck. Weil er vierzig Kilometer von Bodering entfernt lebt, kommt er nur einbis zweimal im Jahr, jeweils abends nach hohen Festtagen. Dann betet er und singt Marienlieder mit einer tragenden, charaktervollen Tenorstimme. Isidor schätzt ihn als uneitlen, frommen Kollegen und bedauerte manchmal sogar, ihn nicht zum Nachbarn zu haben.

Aber dieser Anselm ist seit längerer Zeit nicht gesund. Christine hat schon öfter davon gesprochen: Er sei immer müde, komme morgens schwer aus dem Bett, das Herz tue ihm weh. Jetzt habe sich das zugespitzt, und Christine ist sehr aufgeregt. Nein, sie wisse nicht, was es sei. Arzt? Habe er nicht besucht, er wolle es nicht abklären, er könne jetzt seine Gemeinde nicht im Stich lassen. Mit der Arbeit gehe es noch irgendwie. Der Anselm sei halt so – traurig, sagt sie, deshalb wolle sie ihm beistehen. »W-wünscht er das?« fragt Isidor. – »Ja«, sagt sie mit bebender Stimme.

Kurz besprechen sie miteinander die Maßnahmen. Christine, die sehr zuverlässig ist, wird einen Zettel an die Tür zum Pfarrbüro heften, auf dem sie alles erklärt, und falls jemand noch eine Messe bestellen will, kann er das schriftlich tun; Formulare und Umschläge liegen bereit, das Geld (zehn Euro mit, fünf Euro ohne Orgel) muß er eben passend bereitlegen, ein Briefkasten hängt an der Tür. Zwei halbe Tage die Woche wird Isidor es ohne Sekretärin schaffen. Christine tut ihm leid. Sie hat im Leben wenig Glück gehabt. Der Bruder ist sehr wichtig für sie, und anscheinend ist sie auch wichtig für ihn, aber zu sich will er sie nicht holen. Es muß ihm schlecht gehen, wenn er sie für eine ganze Woche kommen läßt.

Um halb neun Uhr, nach einer Suppe von Frau Rupp, macht Isidor sich auf den Heimweg.

Was mag Anselm fehlen? fragt er sich, während er durch die Kälte stapft, die prickelnde Frostluft tief einatmend. Ist er traurig wegen seiner Krankheit oder krank wegen seiner Traurigkeit? Im letzteren Fall wär’s ein Glück, daß Anselm nicht in der Nähe lebt, denkt Isidor mit schlechtem Gewissen. Am Ende müßt ich noch für ihn einspringen.

Der Nachteil freilich ist, daß Isidor den Weihnachtsabend allein verbringen wird.

Fehler


Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, in der Tiefe des Abgrunds ging ich umher.

(Sir 25,4)

Auf dem Heimweg wählt er eine Abkürzung, am Sportplatz vorbei. Es ist eine fast...

Erscheint lt. Verlag 12.11.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bayrische Provinz • Christentum • Dorfpfarrer • eBooks • Glaube • Katholische Kirche • Katholizismus • Kirche • Priester • Religion • Roman • Romane
ISBN-10 3-641-24689-X / 364124689X
ISBN-13 978-3-641-24689-1 / 9783641246891
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