Opernroman (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
352 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-24690-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Opernroman -  Petra Morsbach
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein farbenprächtiger Roman über Leben und Lieben auf der Bühne
Triumph und Niederlage, Höhen und Tiefen, nirgendwo wird so intensiv gelebt und gelitten wie in der Oper. Dabei geht es hinter den Kulissen mindestens so dramatisch zu wie auf der Bühne. Von der Diva bis zum Beleuchter, von der Kantinenwirtin bis zum Intendanten - sie alle sind Teil eines ganz speziellen sozialen Kosmos, von dem Petra Morsbachs »Opernroman« leichtfüßig erzählt. Da opfern die einen für die Kunst ihr Leben, während andere die Kunst skrupellos in den Dienst ihrer Karriere stellen. Intrigen, Liebschaften und große Gefühle gehören zum Alltag - auch nachdem der Vorhang gefallen ist.

Petra Morsbach, geboren 1956, studierte in München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. »Opernroman«, »Gottesdiener« und »Justizpalast«. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Jean-Paul-Preis. 2017 erhielt sie den Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim und den Wilhelm-Raabe-Preis.

Einweisungsprobe

Einweisungsprobe für die Oper Tristan und Isolde von Richard Wagner, eine Neuinszenierung vom vorigen Monat. Der erste Tristan hat versagt und wurde gefeuert, den zweiten mochte Isolde nicht leiden, jetzt ist kurzfristig ein dritter angereist und wird von der Regieassistentin Babs in die Inszenierung eingewiesen.

Nachmittags ist es im Theater still. Auf der leeren Probebühne im beinahe verwaisten Haus arbeiten nur der Gasttenor James McGuire, die Assistentin Babs und der Korrepetitor Jan. Die Probebühne ist fast so groß wie die Bühne, befindet sich im dritten Stock des Hauses und hat eine lange, halbrunde Fensterfront zu den Dächern der Altstadt hin. Sonnenlicht scheint herein. Das Bühnenbild ist mit Holzpaletten markiert worden, damit der Sänger sich auskennt, wenn er morgen abend zum ersten Mal die richtige Bühne betritt.

Gegenüber der Glasfront an der schmutzigen Rückwand vor einem abgestoßenen Probenklavier wartet der Korrepetitor Jan. Er ist weich und blaß, hat spitze, abstehende Ohren und langweilt sich. Korrepetitoren langweilen sich oft. Sie müssen am Klavier den Orchesterpart simulieren, Einsätze geben und außerdem alle Partien singen können. Aber auf szenischen Proben müssen sie vor allem viel warten.

»Hier ist die Stelle auf der Mauer, von wo Sie runter in den Garten springen.« Man probt bereits den zweiten Akt, in dem Tristan heimlich unter Todesgefahr seine Geliebte Isolde besucht. »Passen Sie auf, Isolde schmeißt manchmal ihre Fackel dorthin. Die Fackel hat einen spitzen Kranz …« Babs blättert angespannt in ihrem Klavierauszug, in dem sie die Regieanweisungen notiert hat. Sie ist patent und zwanghaft, so, wie Assistenten sein müssen. Stämmig, Igelschnitt, weiter Pullover, um die Hüften ein Ledertäschchen, das die ganze Notausrüstung enthält. »Und hier«, erklärt sie James, »ist die Bank, auf der Sie später landen.«

»Aaah!« James leckt sich die Lippen.

Jan klimpert auf dem Klavier leise Jazz.

»Achtung, Kapelle!« ruft Babs ihm zu. Jan kann diesen Ausdruck nicht leiden. Er sieht sich als Künstler, als Könner, und nicht als Musikmaschine. Außerdem sind Korrepetitoren besser ausgebildet, klüger und schneller als Regieassistenten und lassen sich deswegen ungern was sagen. Aber Jan streitet sich heute nicht. Er spielt die paar Takte vor dem Auftritt Tristans, während James laut mitzählt: vier – fünf – sechs –

ISOOOLDE!

James hechtet wie Tarzan auf die Spielfläche.

Jan singt mit dünner Stimme die Repliken Isoldes. Babs unterbricht und erläutert. Jan läßt den Kopf zwischen die Schultern sinken und ähnelt jetzt einer bleichen, dicklichen Fledermaus.

James McGuire ist fröhlich, graublond, untersetzt, hat kräftige kleine Zähne und sieht etwas verlebt aus. Er kommt aus Oklahoma und trägt als Markenzeichen Lederjacke und Cowboystiefel. Er hat gute Nerven, arbeitet seit vielen Jahren in Deutschland, liebt die Fachbezeichnung Heldentenor und ist stolz darauf, einer der wenigen Tenöre der Welt zu sein, die the Tristan schaffen.

»Mr. McGuire …« Babs kämpft gegen seine robuste Einschätzung der Oper.

»Jim, please.« Er hat, mit seinen sechsundvierzig Jahren, einen jungenhaften Charme.

»Jim, ich kann doch nichts dafür. Das ist eine moderne Inszenierung, da bleiben Sie stehen während des 0 sink hernieder. Das bedeutet, daß Sie verklemmt sind und sich nicht trauen. Sie können nur, wenn es dunkel ist.«

Jan, an seinem Klavier, fragt sich, ob Babs kokett ist oder nur dämlich.

»Und – wird es dunkel?« fragt Jim.

»Ja.«

»Aaah!« Er greift nach ihr.

Babs, warnend: »Genau. Er steht und hält sie während des ganzen Wachrufs. Aber ohne Sex.«

»Jesus«, lacht Jim, »that’s the Lach of the Jahrhundert! Wer hat euch eigentlich aufgeklärt? Euer Tristan ist kein Held, er ist ein Psycho-Cripple!«

Babs will Jan ein Zeichen geben, Jim faßt ihre Hand. »Hast du im Kino gesehen Conan der Barbar? Das ist Tristan! Before you haven’t seen that, you shouldn’t talk about the Tristan …«

Jan, an seinem Klavier, nimmt sich vor, Conan der Barbar anzuschauen.

Die Oper ist lang. Jim möchte bestimmte Sachen ganz genau wissen, und so zieht sich die Probe hin. Es dämmert. Jan sieht von seinem Platz aus nur zwei Schatten, die sich einander nähern. Er markiert Brangänes Wachruf, bei den ausgehaltenen Tönen zittert seine Stimme. Die Schatten von Jim und Babs versinken hinter dem Klavier, Babs schießt noch mal empor, dann legt sich Jims Hand um ihren Nacken und zieht sie hinab.

»Können wir das springen?« fragt Jan.

Jims Organ: »Auf keinen Fall, I need the timing, go ahead!«

Jan singt allein auf der dunklen Probebühne mit seiner schütteren Stimme:

EINSAM WACHEND
IN DER NACHT …

Danach gibt es eine kurze Pause. Babs schaltet das Licht an, minutenlanges Neonflackern über der staubigen, abgenutzten Bühne. Jan holt vom Automaten eine heiße Schokolade und zwei Kaffee. Es folgt der dritte Akt.

Jan und Babs sind erschöpft, Jim platzt vor Energie. Aus purer Lebensfreude singt er alles aus, anstatt seine Stimme für die Aufführung zu schonen.

Babs markiert Tristans Diener und Gefährten Kurwenal, das heißt, sie macht seine Gänge und Bewegungen, während Jan am Klavier seine Partie singt. Der todkranke Tristan soll sich an Kurwenal hochziehen, aber Jim ist nicht einverstanden damit. »Tristan ist schwer verwundet!« beschwört ihn Babs. »Er stirbt noch im selben Akt!«

»Er stirbt aus Liebe!« schimpft Jim. Ein Kennzeichen des Helden ist Eigensinn.

»Er stirbt aus Liebe und Verwundung!« schlägt Babs vor.

»Nein! Wenn er nicht wäre gestorben vor Liebe, niemand würde sich interessieren für that fucking story. Dann gäbe es nicht diese Oper, und ihr beide würde arbeitslos!«

Babs resigniert. »Also gut. Mach, was du willst. Spring auf, steh wie ein Baum …«

Kurze Pause. Jim, plötzlich galant: »Don’t worry, darling. I’ll do it for you. Although I think, that it is just Regisseurs-bullshit.«

Die Probe kann weitergehen. Babs ist erleichtert, denn am Gehorsam der Gastsänger wird ihre Leistung gemessen. »So please go down … Can you get my left leg?«

»I can get any leg you want, sweetheart!«

Jan setzt auf Babs’ Zeichen kurz vor dem Kurwenal-Monolog ein. Jim spielt mit rollenden Augen den delirierenden Tristan. Er packt den verzweifelten Kurwenal (Babs), zieht sich an ihm hoch, markiert nicht, sondern brüllt wie ein Stier:

MEIN KURWENAL, DU TRAUTER FREUND! …

MEIN SCHILD, MEIN SCHIRM
IN KAMPF UND STREIT

ZU LUST UND LEID MIR STETS BEREIT:

WEN ICH GEHASST, DEN HASSTEST DU,

WEN ICH GEMINNT, DEN MINNTEST DU …

Jan, der mißbilligend aufblickt, weil der Sänger den Takt verloren hat, sieht: Jim nun aufgerichtet, eine Hand umklammert Babs’ Genick, die andere ihren Arm, er stützt sich schwer auf sie und produziert einen Riesenton. Es schüttelt ihn wie einen Jet beim Durchbrechen der Schallmauer, Babs wird hin- und hergeschleudert und ringt nach Luft. Jan wandelt in einer Eingebung den Orchester-Part des Tristan um in eine Jazz-Improvisation. Jim merkt es nur allmählich, ist zunächst verblüfft, dann zornig, dann bricht er in ein übermütiges, donnerndes Gelächter aus.

Vor der Vorstellung

Vor der Vorstellung summt das Theater wie ein Bienenstock. Der Bühnenmeister überprüft die Dekoration, kümmert sich darum, daß Falten in den Prospekten glattgezogen und Risse genäht werden. Der Requisiteur sieht die Requisiten durch, bevor er sie auf zwei Regale links und rechts des Innenportals verteilt, und ärgert sich, daß an Isoldes Fackel wieder zwei Zacken verbogen sind. Er findet, der Bühnenbildner hätte sich eine zackenlose Fackel ausdenken können, wenn die Regie schon vorsieht, daß Isolde die Fackel durch die Gegend schleudert. Insgeheim wirft er den Regisseuren überhaupt ein liebloses Verhältnis zu Requisiten vor.

In der Herrenschneiderei kürzt man immer noch das Kostüm für den Gast-Tristan, der zu spät zur Anprobe erschienen war.

In der Maske wappnet man sich gegen die Wut der Chorsänger, die laut Regie im Gesicht kalkweiß geschminkt werden.

Die Solisten singen sich warm.

Im Stimmzimmer diskutieren Orchestermusiker das Fußballspiel des Nachmittags, bei dem der FC von der Borussia eine 0:5-Packung gekriegt hat. Einige sind im Frack, andere noch in Zivil; nur der Konzertmeister ist schon eingespielt. Vor der nüchternen Atmosphäre und dem Lärm ist er mit seiner Geige in das verlassene Treppenhaus des Werkstättentrakts geflohen, um noch einmal die schwierigsten Ansätze zu üben und ein paar heikle Stellen durchzufingern. Er ist heute nervös. Meistens überfällt ihn die Spannung erst später, und dann schlagartig: wenn er am Pult sitzt und im Saal das Licht ausgeht. Heute ist er aus irgendeinem Grund aufgewühlt. Er denkt den chromatischen Linien des Vorspiels nach und ist schon gefangen von der schmachtenden Gewalt dieser Musik. Vor Wonne sträuben sich ihm die Haare; der pure Gedanke an den Tristan-Akkord macht ihn fertig.

Der Oboist, der im dritten Akt das Englischhorn blasen wird, hat Zahnschmerzen und fürchtet um seine Solostellen. Er hätte absagen sollen; wer schätzt sein Opfer? Bestimmt nicht der Dirigent. Auf den hat er eine Wut. Seine Frau hat in der letzten Vorstellung im Rang gesessen und ihm bestätigt, was er längst ahnte: Der Dirigent – übrigens auch noch ihr musikalischer Leiter, der...

Erscheint lt. Verlag 12.11.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bühne • eBooks • Liebesromane • Oper • Roman • Romane • Theater
ISBN-10 3-641-24690-3 / 3641246903
ISBN-13 978-3-641-24690-7 / 9783641246907
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99