Mensch auf Raten (eBook)
124 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11361-3 (ISBN)
Die beiden französischen Autoren Thomas Narcejac (1908-1998) und Pierre Boileau (1906-1989) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo - Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
Die beiden französischen Autoren Thomas Narcejac (1908–1998) und Pierre Boileau (1906–1989) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock. Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906–1989) und Thomas Narcejac (1908–1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
Monsieur le Président de la République,
ich erlaube mir, Ihnen heute diesen Bericht vorzulegen, denn ich habe gute Gründe zur Annahme, daß Ihnen die Affäre René Myrtil nicht dem wahren Sachverhalt gemäß dargelegt worden ist und daß Ihnen gewisse Aspekte, die höchstens zwei oder drei Personen bekannt sind, systematisch verheimlicht wurden. Die Berichte, die ich seit dem 19. April regelmäßig dem Polizeipräfekten übergeben habe, waren nur eine Art Gedächtnisstütze, und das Ende dieser grauenhaften Affäre ist nie schriftlich festgehalten worden. Daher erscheint es mir unerläßlich, nochmals alle jene Geschehnisse aufzurollen, die man, einzeln beachtet, unterschiedlich beurteilen kann; die jedoch, zusammen genommen, eine so erschreckende Bedeutung gewinnen, daß es vermutlich noch niemand auf sich genommen hat, Sie zu unterrichten. Meine Rolle hätte sich auf die eines Beobachters beschränken sollen. Aber die weitgreifenden Befugnisse, die man mir übertragen hatte, machten mich nolens volens zum Detektiv und halfen mir, einem gräßlichen Geheimnis auf die Spur zu kommen. Was ich zu enthüllen habe, geht unmittelbar die höchste Autorität in unserem Staate an. Meine Eröffnungen eignen sich allerdings nicht für die Form eines trockenen Berichts, der doch nur unglaubwürdig erscheinen müßte; ich halte es für besser, zu schildern, wie ich die Wahrheit, immer wieder vom Zweifel geplagt, nach und nach erkennen mußte. Der besseren Verständlichkeit wegen ist es nötig, weit auszuholen und die Ereignisse in allen Einzelheiten zu schildern, ohne jemanden zu schonen. So mag dieses Dokument, das nach Lage der Dinge eher einem Roman gleichen wird, sowohl der Justiz als auch der Wissenschaft dienen.
Ich wurde am 19. April um elf Uhr vormittags zum Polizeipräfekten gerufen. Das wäre an sich überraschend gewesen, denn der 19. April war ein Ostermontag, und das gesamte Personal der Préfecture hatte frei; doch hatte Andreotti, der Präfekt, schon am Freitagabend zu mir gesagt:
«Eh, Garric … Verreisen Sie nicht, ja? Ich werde Sie bestimmt am Sonntag oder Montag brauchen.»
Ich bin seit Jahren einer seiner engsten Mitarbeiter; seine Stimme verriet mir gleich, daß es sich um etwas Ernstes handeln mußte.
«Irgendeine große Sache?» fragte ich. «Was Politisches etwa?»
«Keine Spur. Ich kann Ihnen noch nichts Näheres sagen. Aber fahren Sie zum Wochenende nicht weg!»
Während der folgenden achtundvierzig Stunden stellte ich die ausgefallensten Vermutungen an. Als ich schließlich Andreotti gegenüber saß, hatte sich meine Neugier derart gesteigert, daß mir unsere Unterredung wie ein Stenogramm im Gedächtnis haftenblieb. Andreotti war besorgt. Er bot mir eine seiner kleinen holländischen Lieblingszigarren an und kam gleich zur Sache.
«Mein lieber Garric, Sie … eh, Sie sind doch katholisch, nicht wahr?»
«Ja, Monsieur le Préfet.»
«Antworten Sie mir ohne Umschweife; wenn Ihnen die Aufgabe, für die ich Sie vorgesehen habe, nicht zusagt, lehnen Sie ruhig ab. Dann muß ich … Ich werde schon einen anderen finden. Aber, unter uns gesagt – es wäre mir lieb, wenn Sie annähmen. Sie sind der richtige Mann dafür. Es ist eine besonders heikle und schwierige Aufgabe, die man eher mit moralischen Bedenken als mit wissenschaftlicher Neugier anpacken sollte.»
Er erhob sich und trat ans Fenster. Unten breitete sich die menschenleere Stadt aus. Ich war einigermaßen verblüfft. Andreottis sichtliche Verlegenheit hatte sich auf mich übertragen … Ich glaube, daß es nicht unwichtig ist, diese Einleitung genau wiederzugeben, denn das Wesentliche an dieser Affäre sind die großen Zusammenhänge. An diesem Ostermorgen ahnte niemand, wie folgenschwer ein Entschluß sein könnte, der alles andere als leichtfertig gefaßt worden war. Wenn aber die Stunde einer Schlacht endgültig festgesetzt ist, wenn die Zukunft nur noch Glück oder Unglück bedeuten kann, dann wiegt jede Sekunde unendlich schwer; alles zählt, jede Einzelheit … Ich höre noch den gedämpften Schritt des Präfekten auf dem dicken Teppich; ich sehe noch das flimmernde Sonnenlicht auf den vergoldeten Ornamenten der Schreibtischkante vor mir.
«Nehmen Sie es mir nicht übel», nahm Andreotti das Gespräch wieder auf, «aber was ich Ihnen jetzt sage, ist streng vertraulich … Habe ich Ihr Ehrenwort, daß Sie keinem Menschen wiederholen werden, was Sie jetzt hören?»
«Sie haben mein Wort, Monsieur le Préfet. Im übrigen bin ich unverheiratet, ich habe keine Freundin, und in meiner Freizeit befasse ich mich mit Parapsychologie, und derlei pflegt man als Beamter nicht an die große Glocke zu hängen … Nein, die Gefahr, daß ich aus der Schule plaudere, ist wirklich nicht groß.»
«Ja, ich weiß … Ich danke Ihnen, Garric. Also: Kennen Sie Professor Marek?»
«Nur dem Namen nach. Ist das nicht der Chirurg, der diese aufsehenerregenden Operationen an Hunden …?»
«Richtig. Aber das ist schon eine Weile her. Inzwischen hat er … Garric, ich sage Ihnen – wenn der Mann die Mittel hätte, die manchen Forschern in Amerika zur Verfügung stehen, würde er die gesamte Chirurgie revolutionieren.»
Er hielt mir ein Foto hin. Ich sah ein seltsam runzliges Gesicht mit stark ausgeprägten Stirnfalten. Die Nasenflügel und der Mund waren von einem Netz kleiner Fältchen umgeben; die schwarzen Augen waren ohne Wärme, der etwas starre Blick abgewandt. Der kurze angegraute Bürstenschnitt gab die kräftigen, leicht abstehenden Ohren frei. Unten auf dem Bild las ich: Anton Marek.
«Er ist gebürtiger Tscheche», sagte Andreotti. «Während des ungarischen Aufstandes ist er nach Frankreich geflüchtet und hat sich in Ville-d’Avray niedergelassen. Wenn Sie dort sind, werden Sie seine Klinik sehen. Sie ist sehr typisch für ihn. Marek ist nämlich … Wie soll ich es erklären – eine Mischung von Einstein und Joanovici. Eine Kombination von Genie und armseligem Bastler … Er lebt dort mit seinen Hunden und einer Gruppe von fanatischen Schülern, und – alles was recht ist, er hat Wunder vollbracht. Die Presse hat nicht alles veröffentlicht, und die spärlichen Informationen sind ziemlich unbeachtet geblieben, weil die Amerikaner und Russen auf dem Gebiet der Transplantation scheinbar viel Sensationelleres leisten … Es ist heute verhältnismäßig leicht, eine Niere von einer Person auf die andere zu übertragen; aber wenn auch die Operation selbst meistens gelingt, wird doch das transplantierte Organ vom fremden Körper nicht immer angenommen. Es ist äußerst schwierig, die Abwehrreaktionen des Empfängerorganismus zu neutralisieren … Nun, Marek hat eine Methode ausgearbeitet, um diese Reaktionen zu eliminieren. Doch davon weiß praktisch kein Mensch etwas. Wir haben alles Nötige veranlaßt, um diese Entdeckung geheimzuhalten … Ich will nicht auf Einzelheiten eingehen; nur soviel kann ich Ihnen sagen: Eine Expertenkommission hat die von Marek operierten Hunde untersucht, und die Resultate sind geradezu verblüffend. Marek ist nicht nur imstande, Herz, Leber, Lungen und natürlich erst recht die Pfoten von einem Tier aufs andere zu übertragen, sondern auch … Halten Sie sich fest, Garric: den Kopf! Mit andern Worten, er hat die totale Transplantation entwickelt.»
«Das überrascht mich überhaupt nicht», sagte ich. «In Amerika arbeitet Scribner schon lange mit künstlichen Nieren, und erst kürzlich las ich einen langen Artikel über ein Depot, in dem die verschiedenen Organe aufbewahrt werden. Der Autor berichtete, daß dank der Initiative einer medizinischen Wochenzeitschrift eine Augenbank geschaffen worden sei und schlug vor, den medizinischen Fakultäten Institute für Experimentalchirurgie anzugliedern … Außerdem weiß ich, daß irgendein Russe die Pfote eines Hundes auf einen anderen transplantiert hat, nachdem dessen Blut vollständig ausgetauscht worden war.»
«Aber ein Kopf, Garric! Ein Kopf!»
«Ja, gewiß; es ist erstaunlich. Aber nachdem die Nerven- und Arteriennaht zur täglichen Praxis gehört, sehe ich nicht ein …»
«Um so besser, um so besser. Vielleicht bin ich einfach altmodisch», räumte Andreotti ein. «Ich freue mich jedenfalls, daß Sie auf dem Gebiet so beschlagen sind – ich sage ja, Sie sind der richtige Mann … Aber hören Sie weiter!»
Er setzte sich wieder, überlegte einen Augenblick und fuhr fort:
«Marek behauptet, dieselben Resultate auch bei Menschen erzielen zu können. Da besteht aber eine Schwierigkeit. Woher nimmt man die Spender? Allenfalls ist noch vorstellbar, daß ein Vater seinem verunglückten Kind eine Hand oder einen Arm opfert, aber auch das hat seine Grenzen. Höchstens, daß einmal ein Greis seinen Körper … eh, der Wissenschaft vermacht, wenn ich mich so ausdrücken darf, und …»
«Nein», unterbrach ich ihn; «für diese Art von Operationen braucht es junge und gesunde Leute.»
«Nicht einmal das genügt», fügte der Präfekt hinzu. «Sie vergessen die juristische Seite des Problems. Angenommen, Sie wollen im Interesse der Forschung Ihre Lunge, Ihre Niere oder ein anderes Organ Ihres Körpers hergeben – nun, Sie haben kein Recht dazu. Lassen wir den Fall des Vaters oder der Mutter, die sich für ihr Kind opfern, beiseite, obwohl auch dies bereits ein Problem aufwirft! Verallgemeinern wir. Laut unseren bestehenden Gesetzen hat niemand das Recht, sich freiwillig einer Verstümmelung auszusetzen.»
«Bleiben noch die zum Tode Verurteilten», sagte ich.
«Genau! Das einzige … eh, Menschenmaterial, das man einem Wissenschaftler zur Verfügung...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2018 |
---|---|
Übersetzer | Eva Koralnik, Eva Rottenberg |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Experiment • Hinrichtung • Mörder • Reue • Selbstmord • Spannung • Transplantation |
ISBN-10 | 3-688-11361-6 / 3688113616 |
ISBN-13 | 978-3-688-11361-3 / 9783688113613 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 714 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich