Am Ende des Ozeans (eBook)

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2018 | 1. Auflage
526 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11417-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Ende des Ozeans -  Barbara Ewing
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Ein ergreifendes Frauenschicksal aus einer Zeit der Unterdrückung London, 1849. Die sechzehnjährige Harriet Cooper hat nur eine Verbündete: ihre ältere Schwester Mary. Als die heiß geliebte Mary an der Cholera stirbt, ist Harriet ihrem Vater schutzlos ausgeliefert. Der Parlamentsabgeordnete ist völlig hingerissen von seiner Tochter - mehr, als gesund wäre. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis er in seiner Schwäche für seine Tochter zu weit gehen wird. Mit dem Mut der Verzweiflung flieht Harriet nach Neuseeland - wo es Männer geben soll, die auch Frauen Freiheit zugestehen.

Barbara Ewing, geboren 1944 in Neuseeland, machte Karriere als Schauspielerin und Autorin. Sie wurde in der «Royal Drama Academy» in London ausgebildet und war mit vielen Fernseh- und Theaterrollen erfolgreich. Daneben hat sie zahlreiche Romane verfasst.

Barbara Ewing, geboren 1944 in Neuseeland, machte Karriere als Schauspielerin und Autorin. Sie wurde in der «Royal Drama Academy» in London ausgebildet und war mit vielen Fernseh- und Theaterrollen erfolgreich. Daneben hat sie zahlreiche Romane verfasst.

Eins


Bei Einbruch der Dämmerung hasteten die Laternenanzünder mit ihren Leitern durch die Hauptstraßen, wichen den Leuten aus, kletterten wie Affen empor und zündeten die Gaslampen an. Später, als es dunkler wurde, leuchteten an der Themse die ersten Lichter auf.

In Westminster drang ein heller Schein aus dem Parlament, sobald die Diener die Lampen für die Herren Abgeordneten entfachten. Dann flammte und flackerte es nach und nach auch auf den Schiffen aller Art auf, die den Fluss befuhren, und die wendigen Leichter verschwanden flugs in tiefen Schatten oder tauchten daraus auf. Mitten im wirren, lärmenden Gewimmel auf den Brücken steckten die Droschkenkutscher ihre Laternen an; es war Flut, und Hunderte vorüberziehender Wagenlampen spiegelten sich flüchtig im dunkelnden Wasser, das über die schlammigen Ufer stieg und sich in finstere Gassen hinabschlängelte. Bisweilen stießen pferdegezogene Droschken mit pferdegezogenen Omnibussen und Kutschen zusammen, mit Frachtwagen und Handkarren: Pferde strauchelten, Kohlen prasselten zu Boden, Früchte und Gemüse kullerten unter eisenbeschlagene Räder, Straßenhändler schrien und lachten, Damen kreischten, Kutscher schimpften und fluchten. Wer sich auf eigenen Beinen fortbewegte, bahnte sich seinen gefahrvollen Weg schiebend und schubsend zwischen Unrat und Rossäpfeln; viele benutzten die nur spärlich beleuchtete neue Hungerford Bridge, die allein Fußgängern vorbehalten war, obgleich Bauern häufig auch ihr vor Angst kotendes Vieh über diese Brücke zum Smithfield Market trieben, zur Schlachtbank.

(Einige Bewohner der Stadt shienen an diesem warmen Spätsommerabend jedoch keinerlei Licht zu benötigen, sie kannten wohl ihren Weg durch die schmaleren Straßen und feuchten Gassen, denn eilends liefen sie unbeleuchtete Pfade entlang, sogar über das aufgeweichte Ufer, dessen Schlamm bei Flut in die Stadt gespült wurde; sie bogen nach rechts oder links in einen Durchgang oder einen Hausflur ein, wo ihnen eine trübe Kerze oder ein Flüstern die Richtung wies.)

Fahl schimmernd ging der Mond auf. Die ersten Sterne funkelten, und die Nacht senkte sich über London, verwandelte das gelbgraue Wasser des Flusses in schwarzen Samt, verbarg den beißenden, dunklen Rauch, der in Schwaden aus den Schornsteinen aufstieg, und verhüllte die Turmspitzen der großen Kirchen und Paläste, sodass die Stadt – beinahe – schön anmutete.

Sodass man nicht sah, was alles aus Senkgruben und Abtritten, von Unrathaufen und Nachteimerwagen, vom Siechen- und vom Arbeitshaus, von den Friedhöfen, den Schlachthäusern oder den Läden, die Innereien feilboten, aus den Gaswerken, den Baumwollfabriken, den Färbereien und den Gerbereien durch Rinnsteine und Gossen in die Themse floss. Man konnte weder die Tierkadaver sehen noch den Schweinekot und Pferdemist oder die menschlichen Exkremente, weder das Arsen aus den Räudebädern für die Schafe noch die Metallsalze, das Bleiweiß, die Farbstoffe und die Bleichmittel, die in den Fluss gelangten; und auch nicht die menschlichen Leichen, die hier ins Wasser geworfen wurden.

Und lautlos strömte die ganze Nacht lang aus dieser größten Kloake der Stadt – der Themse – das verunreinigte, verseuchte Wasser durch amtlich genehmigte Rohre wieder in die Stadt zurück, in das Leitungsnetz, das die Einwohner Londons mit Wasser versorgte.

 

«Gentlemen», begann der Premierminister.

Darauf verfiel er für einen Moment in Schweigen und ließ die Mundwinkel hängen. Er setzte seine Brille auf, ehe er noch einmal einen Blick auf das Papier warf, das vor ihm lag. «Gentlemen, die neue Choleraepidemie fordert bereits mehr als zweihundertfünfzig Todesopfer pro Tag. Unsere Hospitäler sind in hohem Maße überlastet, die Londoner Friedhöfe quellen bereits über, im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist dringend geboten, alle üblichen Vorkehrungen zu treffen, und es obliegt uns» – hier hielt er kurz inne –, «Londons Bevölkerung nicht in Unruhe zu versetzen, doch wir müssen die Menschen warnen, wie ich nun Sie warne, da sich die Seuche wieder einmal nicht mehr auf die – äh – ärmeren Stadtteile unserer Metropole beschränkt.» Er hörte das Rascheln und Räuspern der Männer, die nicht glauben mochten, dass eine Seuche auch ihnen gefährlich werden könnte. Den einen oder anderen sah er gar in seiner Westentasche nach einer Zigarre tasten (einer edlen Zigarre, einem Symbol, einem Talisman gegen das, was anderen, geringeren Leuten widerfuhr). Da hob der Premierminister ein wenig die Stimme. «Wie schon beim letzten Mal hat es den Anschein, als habe die Krankheit unversehens Barrieren übersprungen, denn sie brach auch an Orten aus, an denen man sie – äh – nicht erwartet hatte. Bisher wurden die meisten Todesfälle südlich des Flusses gemeldet, doch ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass die Cholera in dieser Woche auch in Marylebone aufgetreten sein soll. Und ich bedaure zutiefst, Ihnen mitteilen zu müssen, dass mich eines unserer Ehrenwerten Mitglieder soeben vom Tod seiner eigenen vierzehnjährigen Tochter unterrichtet hat.»

Das Rascheln und Räuspern schwoll zu beachtlicher Lautstärke an, während die Herren Abgeordneten bestürzt um sich blickten – bestürzt und, wie der Premierminister gleichfalls bemerkte, aufs äußerste erschrocken. Wer? Wer? Doch nicht einer von uns? Doch nicht die Cholera? Hastig nahm er die Brille ab und verließ die Kammer.

Als er sein geräumiges Büro betrat, das ihm einen Blick auf den Fluss gewährte, holte er selbst eine Zigarre heraus. Er wollte, er könnte nach Hause gehen. «Nun denn», wies er indes den abwartend neben ihm stehenden Diener an, «schicken Sie die Herren herein.»

Die Schar der Geschäftsleute: die Planer, die Spekulanten, die Anwälte und Bankiers, sie hatten in einem der Räume am Ende des langen Korridors seiner geharrt. Jetzt strömten sie herein. Einige der Herren lächelten und rieben sich halb frohgemut, halb flehend die Hände, gleichwohl ein wenig davon eingeschüchtert, dass sie sich in dem wieder errichteten Palast im eindrucksvollen Amtszimmer dieses bedeutenden Mannes befanden. Manche waren auch zuversichtlich und tatendurstig, hundertmal tatendurstiger als ihr Premierminister. Die Welt veränderte sich, entwickelte sich, und sie wussten, dass sie ihnen gehörte.

Die Vorhänge waren nicht zugezogen, der Premierminister schaute gern auf seine Stadt hinaus. Große und kleine Boote, Hunderte dunkler Schemen, da und dort mit flackernden Lichtern, tummelten sich auf dem Wasser. Sogar Geschäftsleuten stockte bei diesem Anblick kurz der Atem: ihr schöner Fluss. Auf einem silbernen Tablett wurden Getränke hereingebracht, ein Bedienter schenkte Whisky ein.

«Gentlemen», begann der Premierminister erneut. Mit einem Male überkam ihn Erschöpfung. Wie ermüdend das alles war, wie er sich nach seinem Zuhause sehnte! Hastig trank er das ihm gereichte Glas leer. «Gentlemen, wie es sich versteht, wurden mir Ihre Pläne kundgetan. Es ist wahr, dass der Verkehr in London mittlerweile ein unerträgliches, ein gewiss ganz und gar unannehmbares Ausmaß erreicht hat, und bisweilen frage ich mich …», in Gedanken noch bei seinem Auftritt vor der Kammer, «… ob es nicht sogar der Verkehr selbst ist, der diese nicht länger hinnehmbaren Seuchen in unsere prächtige Stadt bringt. Wie man mir berichtet, passieren trotz Ihrer neuen Eisenbahnen mehr als fünftausend Pferde jeden Tag Temple Bar. Das Gedränge, ganz zu schweigen vom – Miasma – ist vollkommen unerträglich geworden. Aber …», er füllte sein Glas nach, «… Sie wissen zweifelsohne, dass Ihr Antrag nur einer von vielen ist, die das Parlament in jüngster Zeit überschwemmt haben, und Sie wissen gleichfalls, dass eine Königliche Kommission bereits empfohlen hat, im Zentrum keine weiteren Eisenbahnschienen mehr zu legen.»

Die Herren wurden unruhig und hüstelten, einer schickte sich an, etwas zu sagen, doch der Premierminister hob abwehrend die Hand. «Ja, gewiss, Ihr Vorschlag unterscheidet sich von den anderen. Gleichwohl finde ich es immer noch befremdlich und eher abschreckend, mir Wagenzüge unter unserer Stadt vorzustellen. Unter unserer Stadt! In einem ringförmigen Tunnel unter unserer Stadt, wie ihn einige von Ihnen anregen! Haben Sie dabei erwogen, wie viele Kirchspiele und städtische Gilden für einen derartigen Plan miteinander in Einklang gebracht werden müssten? Guter Gott, machen Sie sich einen Begriff davon, wie schwierig es ist, an so viele Behörden und Administrationen mit einem Anliegen heranzutreten, das die ganze Stadt betrifft? Sie tragen sich, glaube ich, mit der Absicht, unter einer mit Häusern bebauten Fläche von London zu graben. Haben Sie dabei bedacht, welche Auswirkungen das auf unsere Häuser, unsere Wohnungen, ja sogar auf dieses Gebäude hier haben könnte, wenn Sie darunter Tunnel errichten? Es beschleichen einen Schreckensbilder davon, wie unsere prächtige Hauptstadt dabei ins Innere der Erde sinkt. Und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass Sie auch Mühe haben dürften, die Bevölkerung dieser großartigen Stadt dafür zu gewinnen, unterirdisch zu reisen.» Doch plötzlich erlahmte sein Interesse. «Gentlemen, ich würde mich dennoch freuen, wenigstens weiterführende Ideen in dieser Sache zu vernehmen. Wie ich höre, werden Sie heute Abend mit einigen der ehrenwerten Mitglieder des Parlaments speisen und mit ihnen die Gespräche fortsetzen, und vielleicht könnte ein neuer Bericht vorgelegt werden … ja … ja … Ich danke Ihnen, Gentlemen, vergeben Sie mir, aber ich fürchte, auf mich warten noch mehrere Besucher, und Ihre Majestät …» Er...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2018
Übersetzer Ingrid Altrichter
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Flucht • Halbwaise • London • Neuseeland • Schiffsreise • Verfolgung
ISBN-10 3-688-11417-5 / 3688114175
ISBN-13 978-3-688-11417-7 / 9783688114177
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