Mord bei 45 Touren (eBook)
152 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11455-9 (ISBN)
Die beiden französischen Autoren Thomas Narcejac (1908-1998) und Pierre Boileau (1906-1989) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo - Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
Die beiden französischen Autoren Thomas Narcejac (1908–1998) und Pierre Boileau (1906–1989) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock. Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906–1989) und Thomas Narcejac (1908–1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
I
«Ich bringe ihn noch um! Das wird das Ende sein, verlaß Dich darauf!»
Sie blieb vor dem Fenster stehen und blickte über das Meer, ohne es zu sehen. Leprat bemühte sich, seine Krawatte zu binden. Dabei beobachtete er Eve im Spiegel, und schon erwachte in ihm das Begehren. Es war wie eine Krankheit, die keine Umarmung heilen konnte. Eve trug ein weißes, plissiertes Kleid; unter dem leichten Stoff zeichnete sich ihr Körper ab. Leprat wurde unruhig. Er schimpfte vor sich hin, wünschte Krawatte und Konzert zum Teufel …
«Komm her, mein kleiner Jean», sagte Eve. «Gib mir die Krawatte. Du bist schlimmer als ein Kind … Du weißt doch, daß du mein Kind bist!»
Sie stand mit erhobenen Armen vor ihm, und er versenkte seine Augen in die hellen Augen seiner Geliebten. Er hätte ihr am liebsten gesagt: ‹Denke nicht mehr an ihn … Denke ein wenig an mich!› Aber während sie ihm einen tadellosen Schmetterlingsknoten band, fuhr sie ganz ruhig fort:
«Ich werde ihn töten. Etwas anderes verdient er nicht.» Leprat wußte, daß er auf ihre Gedanken eingehen mußte: Er mußte noch einmal all die Beschwerden anhören, die er längst auswendig kannte, und empört den Kopf schütteln. Sie liebte ihn, weil er ein Vertrauter war, der niemals schwankte.
«Ich habe ihn eben gesehen. Er hielt die kleine Brunstein im Arm und hatte die Frechheit zu behaupten, es sei nicht wahr. Er lügt bei jedem Atemzug. Ich ekle mich vor ihm wirklich!» Ihre hellen Augen wurden ganz grau.
«Ich liebe diesen Gewitterhimmel», scherzte er, um seine Erregung zu verbergen.
Aber sie war ganz von ihrem Haß erfüllt. Sie war allein mit diesem Haß. Leprat zählte nicht mehr.
«Ich habe ihn geohrfeigt», fuhr sie fort. «Übrigens hat er mir die Ohrfeige zurückgegeben, und zwar sehr kräftig.»
«Schließlich», wagte Leprat einzuwerfen, «hat er dich nicht zum ersten Mal betrogen.»
«Soll er mich betrügen», schrie sie, «daraus mache ich mir gar nichts! Aber er soll den Mut haben, es einzugestehen. Was ich ihm nie verzeihe, ist, daß er mich zwanzig Jahre lang belogen hat. Er belog mich schon, als wir noch nicht verheiratet waren. Zärtlich sagte er zu mir: ‹Du bist meine Einzige, meine Vielgeliebte›, und sobald er mich verließ, ging er mit dem erstbesten hergelaufenen Frauenzimmer ins Bett!»
Sie war von Leprat abgerückt, als wenn die männliche Berührung ihr plötzlich Ekel eingeflößt hätte. Sie blickte ihren Geliebten mißtrauisch und böse an.
«Die Lüge», sagte sie, «ist für mich der Tod. Vielleicht bin ich eine Dirne, aber ich kann nicht lügen. Als ich deine Geliebte wurde, habe ich ihm noch am gleichen Abend alles eingestanden. Aber ihr Männer könnt die Wahrheit nicht vertragen. Für euch soll die Liebe eine schöne Geschichte sein, und die Geschichte interessiert euch mehr als die Frau!»
Leprat schlüpfte in den Rock, zog die Manschetten herunter und betrachtete sich von vorn und von der Seite.
«Ja», sagte sie, «du bist schön. Die Frauen werden nur für dich Augen haben. Wie dumm sind wir Frauen doch!»
Er zog Eve an sich, schob seine Hand unter ihr Kleid und streichelte mit den Fingerspitzen ganz zart ihren Rücken.
«Ich wenigstens», flüsterte er, «betrüge dich nicht».
«Wer weiß!»
«Wieso?», meinte er, und tat, als sei er ernstlich überrascht und betrübt.
Sie lehnte ihre Wange an seine Brust.
«Nein», sagte sie, «ich vertraue dir. Ich habe eine gute Nase für Männer!»
Und wieder empfand Leprat diesen unsinnigen Schmerz. Er hielt den Atem an.
«Eve», flüsterte er, «mir wird übel.»
Sie drehte den Kopf und aus ihrem kurzen Haar strömte ihm ein Duft von frischer Erde und zerdrückten Blumen entgegen.
«Warum wird dir übel, Liebling?»
Er schwieg. Er hätte sie beleidigt, wenn er sie gefragt hätte, wie viele Männer sie vor ihm geliebt hatte. Er war nicht einnal eifersüchtig. Übrigens würde sie nie verstehen, daß man eine Frau bis in ihre Vergangenheit hinein liebt, bis in ihre Kindheit zurück. Seine Hand streichelte weiter gleichmäßig ihre Schulter. Und er dachte: Sie ist fündundvierzig, ich dreißig. In fünfzehn Jahren wird sie sechzig sein. Und ich … Er schloß die Augen. Seit sechs Monaten hatte er sich daran gewöhnt, daß sie seine Geliebte war, und immer wieder spürte er dieses geheimnisvolle, brennende Aufsteigen der Tränen, dem ein Gefühl von Schwindel, Angst und Abscheu folgte. Eine Liebe ohne Zukunft … das war es, was er in den Armen hielt.
«War das ernst gemeint», fragte er, «was du vorhin sagtest?»
«Was denn?»
«Mit deinem Mann …»
«Ja», sagte sie. «Hätte ich einen Revolver oder irgendeine Waffe in der Hand gehabt … ich hätte ihn getötet.»
«Kaltblütig?»
«Ob kaltblütig, das weiß ich nicht … Ich glaube nicht … Sobald ich anfange zu überlegen, habe ich Mitleid mit ihm.»
Es durchfuhr Leprat heiß, und sein Herz begann zu jagen. Mit belegter Stimme fragte er:
«Dieses Mitleid … bist du sicher, daß es nicht Liebe ist, ein Rest von Liebe?»
Er betete leise: ‹Lieber Gott, laß sie nur nicht antworten: Ja, es ist vielleicht noch Liebe›, aber laut beharrte er mit beflissener Liebenswürdigkeit:
«Weißt du, ich fände es ganz natürlich. Ich bin ja kein Unmensch.»
Sie löste sich von ihm und blickte wieder aufs Meer hinaus. Ein Tanker lief mit kleiner Fahrt in die Hafenbucht ein. Es war die graue Stunde, wenn unter verhangenem Himmel der Widerschein des Wassers wie ein Schneefeld die Gesichter von unten beleuchtet.
«Nein», sagte sie. «Ich hasse ihn. Ich bewundere sein Talent, seine Kraft, seine Intelligenz. Ich verdanke ihm, was ich bin. Aber ich hasse ihn.»
In seiner schmerzlichen Verkrampfung ließ Leprat nicht nach:
«Vielleicht läßt er dich leiden, weil du ihn zur Verzweiflung gebracht hast?»
«Ich? Kein Gedanke! Ich war immer bereit, ihm zu verzeihen. Wenn er mir gesagt hätte: ‹Ich bin in Versuchung gekommen und habe nicht widerstehen können›, so hätte ich ihn geliebt wie zuvor. Aber nein! Er wollte eine schönere Rolle spielen als ihm zustand. Es genügt ihm nicht, so etwas wie Genie zu besitzen. Er will sich auch den Anschein geben, Herz zu haben. Also mußte ich an allem schuld sein: Ich verstand ihn nicht, ich war eine ehrgeizige, herrschsüchtige Frau … Ein elender Lügner!»
Leprat fühlte sich ohne Grund von diesen Vorwürfen getroffen. Er hatte fast Lust, Eves Mann zu verteidigen.
«Immerhin …», fing er an.
«Laß nur», sagte sie. «Komm zu mir. Küß mich, Jean.»
Und selbst der Kuß war ein Schmerz. Während Jean sich über ihren geheimnisvoll frischen Mund beugte, malte er sich aus, welche Lippen, Zähne, Zungen bereits in Berührung mit diesem süßen Mund vor Wonne erschauert waren. Er schwankte wie ein Baum im Winde. Er war ein Baum. Das Blut rauschte in ihm wie ein Blätterwald. Unter seinen Lidern kreiste eine Sonne. Und in einem Winkel seines Verstandes wiederholte eine Stimme: Der Körper ist immer neu. Der Körper hat kein Gedächtnis. Der Körper ist unschuldig … Der Körper … Der Körper …
Er rang nach Luft und richtete sich auf. Eve bot ihm immer noch ihr Gesicht und ihre offenen Lippen. Ihr aufgelöstes Lippenrot floß wie ein blutiges Rinnsal hinab. Sie war blaß und leblos, als wenn sie gerade in seinen Armen gestorben wäre. Und ihn erfüllte ein wildes und trauriges Glücksgefühl.
«Ich hasse ihn auch», flüsterte er.
Sie sahen sich an. Die schwarzen Augen und die grünen Augen. Die ersten Abendlichter flammten in Jeans Pupillen auf. Mit der Stirn suchte er die Stirn der Geliebten.
«Eve …» sagte er. «Meine Liebe … Meine Sorge …»
Er war übervoll von Worten, die er nicht auszusprechen wagte. All seine Schwächen hätte er jetzt offenbaren mögen. Er wünschte, daß sie alles von ihm wüßte, fühlte aber zugleich, daß die Liebe an zuviel Intimität sterben kann. Ob Zurückhaltung auch eine Lüge ist?
«Meine Qual …», sagte er noch, und dann schlug er einen leichten Ton an:
«Weißt du, daß es acht Uhr ist? Wir wollen in einer Stunde gehen. Behältst du dieses Kleid an?»
Eve lächelte plötzlich. Sie hatte ihren Mann vergessen, vielleicht auch ihren Liebhaber. Sie trat dem Leben mit einem neuen Gesicht entgegen wie eine Galionsfigur. Sie war bereit zu singen, hatte schon ihr Publikum vor sich und summte mit ihrer tiefen Stimme, von der Leprat gern sagte, daß sie Herz und Nieren angreife, den Refrain ihres letzten Liedes: Der November ist da.
«Ja», entschied sie. «Ich behalte dieses Kleid an.»
«Es ist etwas gewagt.»
«Ja, eben!»
Sie nahm den Lippenstift und zeichnete mit unfehlbarem Strich, ohne auch nur in den Spiegel zu blicken, ihren berühmten, kleinen, schmalen Mund nach. Die Karikaturisten hatten sich seiner längst bemächtigt: Eine Schlangenlinie, zwei Striche für die Grübchen, einer für die sehr pariserische Nase, dazu schwermütige, ernste Augen unter halbgeschlossenen Lidern. Dieses Bild sah man überall, an den Mauern und in den Zeitungen. Es spukte überall herum: bei den Studenten, den Matrosen, den Gefangenen. Leprat ließ es keine Ruhe.
«Diese Brunstein», sagte Eve, «ist eine richtige Zigeunerin!»
«Man muß gerecht sein, mein Kind. Dein Mann hat schon das Recht …»
«O, ich verstehe sein Spiel. Er will mich vernichten, das ist es. Er wird sie ein Lied kreieren lassen, und dann ein zweites … Du kennst doch das Publikum. Ein Lied, das gut einschlägt, genügt, und alle ihre Lieder werden...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2018 |
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Übersetzer | Joachim Nehring |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | ehebrecher • Frankreich • Liebhaber • Misstrauen • Sängerin • Schallplatte • Seitensprünge • Spannung |
ISBN-10 | 3-688-11455-8 / 3688114558 |
ISBN-13 | 978-3-688-11455-9 / 9783688114559 |
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