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Kali (eBook)

Eine Vorwintergeschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
162 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75636-2 (ISBN)
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Im neuen Buch, der geheimnisvollen und überraschungsreichen 'Vorwintergeschichte' Kali, bricht eine Sängerin nach Abschluß ihrer Tournee in ihre Kindergegend auf - nach Handke-Land: 'In die Gegend gleich nebenan, hinter dem Kindheitsfluß. ... Dort ist der Winter noch Winter. Oder: Es ist eine Auswanderer-Gegend ... Das Einzige, was ich noch weiß: Der Untergrund dort besteht bis in die tiefsten Tiefen aus Salz - Kali. ... Auch im Sommer ein schneeweißer Bergrücken mitten in der Ebene.' An jenem Ort leben die unterschiedlichsten Weltenbewohner, 'Überlebende des Dritten Weltkriegs, der rund um uns schon seit langem wütet, unerklärt, wenig sichtbar, aber um so böser'. Deren Leben, so wird der Sängerin bei ihrer Ankunft in der Siedlung auf dem Kali-Berg deutlich, ist völlig aus den Fugen, seit ein Kind verschwunden ist. Und wie geht es mit dem Kind weiter? Und warum heißt es am Ende: 'Ah, wenn einmal ein Kind ins Erzählen kommt...'? In Kali hat Peter Handke die Geschichte, die Stationen, das ernste Spiel des Verlorengehens, des Findens und Suchens in unserer Zeit erzählt. Wen sucht die Sängerin? Warum reist sie zunächst zu ihrer Mutter? Wieso flößt sie dem Mann und dessen Sohn in der Bergwohnsiedlung Angst ein? Und warum reist sie zum tiefsten Punkt des Salzstocks?

<p>Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (K&auml;rnten) geboren. Die Familie m&uuml;tterlicherseits geh&ouml;rt zur slowenischen Minderheit in &Ouml;sterreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach K&auml;rnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (K&auml;rnten) und das dazugeh&ouml;rige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im M&auml;rz 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschlie&szlig;enden Pr&uuml;fung abgebrochen, erscheint sein erster Roman <em>Die Hornissen</em>. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legend&auml;ren Theaterst&uuml;cks <em>Publikumsbeschimpfung </em>in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann.</p> <p>Seitdem hat er mehr als drei&szlig;ig Erz&auml;hlungen und Prosawerke verfasst, erinnert sei an: <em>Die Angst des Tormanns beim Elfmeter </em>(1970), <em>Wunschloses Ungl&uuml;ck</em> (1972), <em>Der kurze Brief zum langen Abschied </em>(1972), <em>Die linksh&auml;ndige Frau </em>(1976), <em>Das Gewicht der Welt</em> (1977), <em>Langsame Heimkehr </em>(1979), <em>Die Lehre der Sainte-Victoire </em>(1980), <em>Der Chinese des Schmerzes </em>(1983),<em> Die Wiederholung </em>(1986), <em>Versuch &uuml;ber die M&uuml;digkeit</em> (1989), <em>Versuch &uuml;ber die Jukebox</em> (1990), <em>Versuch &uuml;ber den gegl&uuml;ckten Tag</em> (1991), <em>Mein Jahr in der Niemandsbucht </em>(1994), <em>Der Bildverlust </em>(2002), <em>Die Morawische Nacht</em> (2008), <em>Der Gro&szlig;e Fall</em> (2011), <em>Versuch &uuml;ber den Stillen Ort</em> (2012), <em>Versuch &uuml;ber den Pilznarren</em> (2013). </p> <p>Auf die <em>Publikumsbeschimpfung </em>1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgef&uuml;hrt, <em>Kaspar. V</em>on hier spannt sich der Bogen weiter &uuml;ber <em>Der Ritt &uuml;ber den Bodensee </em>1971), <em>Die Unvern&uuml;nftigen sterben aus </em>(1974), <em>&Uuml;ber die D&ouml;rfer</em> (1981), <em>Das</em> <em>Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land </em>(1990), <em>Die Stunde da wir nichts voneinander wu&szlig;ten</em> (1992), &uuml;ber den <em>Untertagblues </em>(2004) und <em>Bis da&szlig; der Tag euch scheidet </em>(2009) &uuml;ber das dramatische Epos <em>Immer noch Sturm</em> (2011) bis zum Sommerdialog <em>Die sch&ouml;nen Tage von</em> <em>Aranjuez </em>(2012) zu <em>Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstra&szlig;e</em> (...

 
 
 
 
 
Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen.

Allmählich setzt das Gedächtnis ein, und ich höre sie, noch ohne sie zu sehen. Und was höre ich von ihr? Ist das ihre Stimme? Oder ein Instrument? Der Ton, eher der Klang, hat etwas von beidem. Es ist eine Art von Zusammenklang, von Instrument und Stimme. Oder nichts als ein Instrument, das sich darüber hinaus als Stimme anhört? Gesang? Nein, Stimme, wie nur je eine, ein Rufen wie manchmal im Traum, ein Ruf, der bei mir ankommt als ein Gerufenwerden wie keines sonst, und so ankommt nicht nur bei mir. Denn nach ein paar Augenblicken der Stille höre ich eine mehrtausendfache Antwort, unisono, einen allgemeinen Aufschrei, der ein Versprechen ist. An sie, die Ruferin? Nein: eines jeden so Aufschreienden an sich selber; ein geschrieener Schwur an mich selber. Dabei habe ich den Klang auch als einen Drohruf im Ohr, zugleich als einen Zornausbruch, zugleich als einen Schmerzenslaut.

Es war ein Schlußklang, den ich gehört habe, der Schlußklang eines Konzerts, des letzten während ihrer Tournee vor dem Winter. Soll ich sie Sängerin nennen? Oder Ruferin? Am ehesten hat sie bei ihren Bühnenauftritten auf mich als eine Musikantin gewirkt, wenn spielend, so nicht für uns, sondern rein um des Spiels willen, und so auch ohne je den Anschein oder das Gehabe eines Spiels. Ab dem Schlußklang jetzt, mit dem diese Geschichte anhebt, soll sie freilich keine Musikantin mehr sein, nur noch, bis zum Ende der Geschichte, die und die.

Und nun sehe ich sie auch. (Es wurde Zeit.) Nicht auf der Bühne ist sie mir in den Blick geraten — als sei solch ein Bild für das Gedächtnis tabu —, vielmehr hier auf der Hinterbühne. Fast zugleich mit dem allgemeinen Aufschrei ist sie hereingekommen; hat sich gezeigt. Von den vereinzelten Leuten da sind die, welche saßen, schon vorher aufgestanden, stumm, und lassen sie nun ebenso stumm an sich vorbeigehen, wie durch ein Spalier. Der immer noch nicht verklungene Klang oder Zusammenklang von vorhin hätte auch das Werk eines Mannes sein können. Aber das hier ist eine Frau wie nur je eine. So schnell war sie vorbei auf ihrem Weg in die Garderobe, daß von ihrem Aufzug kaum etwas zu erkennen war. Sie erschien auch ohne Schweiß, oder nasse Haare, wanderte herein auf die Hinterbühne gleichsam aus dem Nachtwind, und ist auch schon da durch und weitergewandert, dabei spürbar alles im Blick; denn wie sonst hätte sie, die anscheinend nur geradeaus schaute, etwas einem der Techniker Entfallenes, einen Knopf? eine Münze?, auf dem Boden wahrgenommen, es aufgehoben und ihm, dem »Richtigen«, im Vorbeiwandern zugeworfen?

Dann steht sie in der Garderobe, auch diese ausgeleuchtet fast wie eine Bühne. Wie aus großer Ferne wird hörbar das anhaltende Schreien des Publikums. Sie steht an der Tür, gerade hereingekommen und schon wieder dabei, zu gehen; umgezogen und aufbruchsbereit. Oder hat sie sich erst gar nicht umziehen müssen, setzt sich jetzt bloß eine Mütze auf und legt sich einen Mantel um? Ist mit ihrem Straßenzeug auf der Bühne erschienen und macht sich in diesem wieder davon? Ein Ansatz zu einem Rhythmus geht auf sie über, ein völlig anderer als der des Schreiens und Klatschens aus der Ferne, ein eher gegenläufiger, wie widerwilliger; bricht gleich ab. Ziemlich dunkel: so ahne ich im Moment ihre Augen, fast finster. Es ist, als halte sie sich dann die Ohren zu, nimmt die Hände dabei aber immer wieder weg, trommelt sich nun auf den Kopf. Die ganze Garderobe, mit ihrem Gesicht im Spiegel, links und rechts und im Rücken weitergespiegelt, erscheint unräumlich, und das nicht bloß wegen der Spiegel, eine vielfach verschachtelte Fläche, sich selbst reflektierend, und hier im kleinen, dort im großen, oder im schiefen Winkel, verzerrt, auf den Kopf gestellt sich wiederholend.

Und wieder sehe ich sie stehen, draußen auf einer Straße, allein. Sie wartet, ohne zu warten. Es ist spät in der Nacht, und wiederum, wenn nicht tag- so fast bühnenhell. Eine recht große Stadt muß das sein. Das Lichterdurcheinander der Fahrzeuge und der Reklamen, zusammen mit den stark vermischten Geräuschen — die nahen jetzt wie fern, die fernen jetzt wie in der Ohrmuschel selber, insgesamt ein Krach —, gibt von neuem den Eindruck von Flächigkeit anstelle des Raums. Was ist unten? Was ist oben? Der Vollmond geht auf unterhalb einer ebenso runden, nur kleineren Verkehrsampel. In den Regenlachen des Asphalts in einem fort das Blinken der Nachtflugzeuge und der Satelliten. Sie hält sich abwechselnd die Augen und die Ohren zu, scheint zugleich auch damit zu spielen, für ein Hör- wie Schauspiel in einem. Ein großes Auto ist dann auf sie zugerollt, mit abgeblendeten Scheinwerfern, jetzt kurz aufblendend. Eine hintere Tür wurde ihr aufgehalten. Sie ging um den Wagen herum und stieg vorne ein. Die Limousine fädelte sich ein in den nächtlichen Verkehr, und mit ihrer Langsamkeit schienen auch alle die anderen Fahrzeuge sich zu verlangsamen.

In der Limousine. Nacht. (Freilich: wenn es in der Geschichte hier Nacht ist, spielt in diese immer wieder auch etwas von einem hellichten Tag mit hinein, so wie umgekehrt, wenn es Tag ist, noch und noch Nachtwinkel und Nachtschatten mittun.) Sie und der Fahrer. Allgegenwärtig ein leichter Wind, auch im Inneren des Gefährts. Draußen die Straßen sind belebt von Passanten wie zur Stunde eines südlichen Korso, obwohl die Stadt eher eine heutige Allerwelt darstellt, ohne ein Zeichen von Südlichkeit, etwa Palmen oder venezianische Löwen. Ab und zu hat sich ein Gesicht aus der Menge von außen den Scheiben genähert, anfänglich mit einem neugierigen Starren, das sich angesichts der Passagierin drinnen jeweils in ein Staunen verwandelte, wozu ein sofortiges Zurückweichen gehörte. Der Fahrer ist ein noch junger Mann, als eine Art Uniform weiße Handschuhe, und eine Kappe, die sie ihm gleich abnahm, so wie sie auch auf der Stelle das Radio abschaltete, was beides zu einem gemeinsamen Ritual zu gehören schien.

Und etwa so läßt sich der Fahrer dann hören: »Zu Ihrem Abschied von unserem Land möchte ich Ihnen etwas sagen. Ich war in allen Ihren Konzerten hier. Ihr letztes Konzert heute war etwas ganz Besonderes. Aber auch die anderen Abende waren etwas Besonderes und, ich weiß das, nicht bloß für mich. Sie wollen einem mit Ihrem Musizieren etwas geben. Auch wenn Sie zeitweise stumm sind und ich Sie nur noch in der Einbildung höre, geben Sie, entäußern Sie sich, teilen Sie sich auf für unsereinen — oft gerade dann. Ohne sich zu verausgaben, geben Sie, und wie. Oder nein: Sie verausgaben sich doch, wie nur je ein Musiker, aber so anders als die Musiker, die ich kenne, und ich kenne sie alle, alle. Auch die möchten geben, sich selber. Sie aber geben nichts, rein gar nichts von sich selber, sondern ich weiß nicht was. Es geht bei Ihnen keinen Ton oder Takt lang um Ehrlichkeit, oder gar Wahrheit, sondern um — ich weiß nicht was. Ich habe mir abgewöhnt, Wir zu sagen. Ich habe mir jedes Wir sogar verboten. Aber Ihre Musik hat mein Wir neubelebt. Wir, ja, wir sind von Ihren Konzerten gemeinsam weggegangen, ein jeder in seine Richtung, oder, umso besser, in gar keine Richtung, bloß keine Richtung, und bloß nicht nachhause.«

Der Fahrer hat mittendrin eine Platte oder Kassette eingelegt, wieder wie im Ritual, die von ihr nach dem ersten Ton gestoppt wird. Und er spricht dann weiter: »Vielen Sängern, und mehr noch Sängerinnen, wird eine warme Stimme nachgesagt. Bloß ist das oft die falsche Wärme. Eine angetrimmte Wärme. Eine Wärme mit Botschaft. Ihre Stimme ist anders warm. Längst zähle ich sie nicht mehr, die Stars, die ich gefahren habe, durch mein Land. Sie hier sind die erste, die für mein Land Augen gehabt hat, auf den Seitenstraßen und auf den Zwischenstrecken, da besonders. Ihre Stimme, die kommt aus Ihrem Schauen. Und wie Sie geschaut haben all die Zeit lang. Dabei war das kein warmer Blick. Ihre Art Schauen war finster, und es hat mir Angst gemacht, eine seltsame Angst. Erst mit Ihrer Musik übertrug sich dieses Drohen als Wärme, und blieb doch im Unterton Drohung. Wir sollten laut ihm alle verschwinden von hier, abhauen von hier. Und dabei hat Ihr Drohen, anders seltsam, mir Lust gemacht, aufs Abhauen, aufs Weggehen, und überhaupt auf das Gehen. Und stattdessen fahre ich, und fahre, und fahre.« — Sie: »Und wen werden Sie als nächsten durch Ihr Land fahren?« — Der Fahrer: »Fürs erste niemanden mehr. Es kommt der Winter, und die Sänger bleiben im Süden. Und hier ist alles andere als der Süden.«

Sein Reden ist übergegangen in eine Art Singen: »Sie waren unsere Vorwintersängerin. Nach Ihnen bleibt uns nur noch der Heimweg. Verdammter Heimweg. Auch lang nach Mitternacht. Auch auf mein Bootshaus am Fluß. Meine Eltern waren Indianer. Ah,...

Erscheint lt. Verlag 21.10.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Angst • Aufbruch • Erlösung • Erzählung • Kali • Kärntner Landesorden in Gold 2018 • Kind • Krieg • Liebe • Nestroy-Preis 2018 • Nobelpreis für Literatur 2019 • Österreich • Peter Handke • Reise • Roman • Sängerin • ST 3980 • ST3980 • Suche • suhrkamp taschenbuch 3980 • Vorwinter
ISBN-10 3-518-75636-2 / 3518756362
ISBN-13 978-3-518-75636-2 / 9783518756362
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