Die Unberührbaren (eBook)
140 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11096-4 (ISBN)
Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906-1989) und Thomas Narcejac (1908-1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo - Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906–1989) und Thomas Narcejac (1908–1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock. Die beiden französischen Autoren Thomas Narcejac (1908–1998) und Pierre Boileau (1906–1989) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
Lieber Freund,
so haben Sie mich also wiedergefunden. Dank der Vorsehung, wie Sie sagen. Vielleicht! Aber Sie dürfen nicht glauben, daß ich die Absicht hatte, mich in Paris zu verstecken. Nein. Ich wollte nur in der Menge untergehen … verschwinden, um zu versuchen, ein neues Leben anzufangen. Mit voller Absicht habe ich alle Brücken abgebrochen. Sicherlich hätte ich Ihnen, die Sie jahrelang mein geistiger Vater gewesen sind, meine Zweifel anvertrauen müssen, aber ich kannte im voraus Ihre Antworten. Sie wären sehr kurz gewesen. Und ich fühlte mich bereits so zerschlagen, daß ich meiner Verzweiflung die herzzerreißende Szene ersparen wollte, in der wir beide uns gegeneinander gestellt hätten. Ich habe es vorgezogen, mich heimlich davonzumachen. Und ich muß Ihnen gestehen, es wäre mir lieber gewesen, wenn sich die Vorsehung, wie Sie es nennen, nicht in meine Angelegenheiten gemischt hätte. Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn in meinen Worten so etwas wie Groll mitklingt. Aber seien Sie versichert, er richtet sich ganz allein gegen mich. Dieser Groll ist das Leiden, das diejenigen verzehrt, denen nicht die Gnade der Schizophrenie zuteil geworden ist. Ein Teil von mir behauptet sich immer noch, kann nicht zusammenbrechen, trotz der Erschütterungen, die ich mir auferlege. Ihr Brief hat das schwankende Gebäude noch ein bißchen mehr auf die Seite geneigt. Und jetzt – ich weiß nicht mehr – ich fühle mich zwischen Freude und Zorn hin und her gerissen. Aber ich glaube, daß trotz allem die Freude überwiegt.
Sie haben nicht den Fehler begangen, mir zu verzeihen. Ihre Verzeihung wäre für mich eine Beleidigung gewesen. Sie haben mir Ihre Arme geöffnet, und ich werde Ihnen vielleicht mein Herz ausschütten, da Sie versichern, Sie seien bereit, mich zu verstehen. Es ist wahr, zehn Jahre sind inzwischen vergangen. Zehn Jahre: genug Zeit, um Tadel in Neugier zu verwandeln. Da nun einer Ihrer Freunde mir just in dem Augenblick begegnet ist, als ich nach Hause zurückkehrte, und da er auch nicht verfehlt hat, Ihnen unverzüglich von dieser Begegnung zu berichten, so ist das wohl in der Tat mehr als nur ein glücklicher Zufall. Ich sehe darin ein noch undeutliches Zeichen für einen Wechsel, der mir womöglich mein Leben ein bißchen weniger mühsam gestalten möchte. Ich habe bisweilen so sehr das Bedürfnis, mich jemandem anzuvertrauen!
Ich werde Ihnen alles sagen, so wie man sich ausblutet. Zeit habe ich leider nur allzuviel, denn ich bin seit einigen Monaten arbeitslos. Heute möchte ich Ihnen nur danken. Ich bin nicht schuldig, aber es bringt mich aus der Fassung, wenn andere das behaupten. Ihnen nochmals danke.
Von ganzem Herzen
Jean-Marie Quéré
Lieber Freund,
ich habe vier Tage verstreichen lassen. Um wieder zur Ruhe zu kommen. Um nüchtern über mich sprechen zu können, wenn das möglich ist. Auf jeden Fall aber ohne Selbstgefälligkeit und ohne literarische Ausschmückungen. Ja, ich habe den Glauben verloren. Das ist ganz plötzlich gekommen. Es gibt berühmte Bekehrungen, blitzartige Erleuchtungen. Aber ich weiß, daß es auch plötzlichen Schiffbruch gibt. Mit einemmal ist der Horizont verschwunden. Sonnenklare Wahrheit kehrt sich um in trostlose Gewißheit. Man sieht nur noch die Kehrseite aller Dinge, ja schlimmer noch, man entdeckt, daß es eine Lichtseite eigentlich niemals gegeben hat. Das ist mir eines Abends passiert, es war ein Sonntagabend … Ich könnte Ihnen ganz genau Tag und Stunde nennen, so lebhaft ist die Erinnerung in meinem Gedächtnis geblieben.
Ich sah mir gerade eine Sendung an über das Leben der Tiere. Ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir und verfolgte nur mit halbem Interesse die Entwicklungsgeschichte eines im Schlamm herumplatschenden Flußpferdes, als die Kamera plötzlich auf eine Gruppe von Zebras umschwenkte, die bei einer Wasserstelle weidete.
Ich habe eine Schwäche für Zebras wegen ihrer Arglosigkeit und ihres Ungestüms. Sie haben so etwas an sich, wirken so pummelig, pausbäckig und schalkhaft, daß man unwillkürlich an seine Kindheit erinnert wird. Sie zupften ein Büschel Gras, hoben die Köpfe, spitzten die Ohren gegen die Geräusche ihrer Umgebung und ästen dann beruhigt weiter. Die Gegenwart einer Löwin hinter einem Busch hatten sie gar nicht wahrgenommen.
Ich sehe dieses Tier wieder vor mir, sprungbereit zusammengekauert. Alles an dieser Löwin deutete auf Mord. Mordlust ließ ihre Muskeln erzittern, und aus ihren Blicken schossen tödliche Pfeile. Plötzlich zeigten sich die Zebras beunruhigt und stoben alle auf einmal davon. Die Löwin machte sich sogleich an die Verfolgung, und zwar schlug sie einen schrägen Kurs ein, durch den sie ein Zebra von der bereits durch eine Staubwolke verdeckten Herde abtrennte. Da wußte ich, daß das Verbrechen seinen Gang nehmen würde.
Ähnliche Szenen hatte ich schon oft gesehen, ohne jedoch sonderliche Aufregung dabei zu empfinden. An jenem Abend aber sah ich der Jagd mit Entsetzen zu. In vollem Lauf sprang die Löwin ihr Opfer an und hängte sich mit ihren sämtlichen Krallen in seinen Rücken. Sie warf das Zebra um und suchte seine Kehle. Gleichzeitig stieß sie ihr heiseres Triumphgeheul aus. Die Kamera fing die beiden ineinander verschlungenen Tiere ein. Es folgte eine Großaufnahme vom Kopf des Zebras, ich sah die drollige kleine Bürste von hellem Haar zwischen seinen Ohren und vor allem, oh, vor allem sein Auge, in dem sich der Himmel spiegelte und darin schon die Geier kreisten – seine langen Mädchenwimpern, die noch ein letztes Mal auf- und zuschlugen. Dann entspannten sich langsam die wild ausschlagenden Läufe. Jetzt war es nur noch gut, um gefressen zu werden. Die Löwin warf den Körper mit einem einzigen Stoß zur Seite, blutige Striemen mischten sich mit den Fellstreifen. Ein einziger Biß der Raubtierzähne öffnete den warmen Bauch. Die Flanken der Löwin bebten im Orgasmus.
Mit klopfendem Herzen versuchte ich meine Empfindungen zu analysieren: Ekel, Abscheu, Auflehnung, Abwehr, wie soll ich es Ihnen erklären? Worte schossen mir durch den Kopf:… der Tod … Unmöglich … Ich sage nein …
Sie sind vielleicht der Meinung, ich sei das Opfer einer momentanen Depression gewesen und der Todeskampf eines Zebras sei wahrlich nicht dazu angetan, eine ganze Metaphysik über den Haufen zu werfen. Ich höre Sie sagen: «Das Böse ist nur durch den Menschen auf die Erde gekommen. Ehe es den Menschen gab, war die Welt unschuldig, usw. …» Aber die Denker haben stets ihre Augen verschlossen vor der Tatsache, daß die Lust am Töten im animalischen Leben tief verwurzelt ist. Und das ist mir damals in einem niederschmetternden Augenblick der Erkenntnis klargeworden. Diese Krallen, diese Zähne, die Schnäbel, die Stacheln, alles nur Folterinstrumente. Sie bringen das Leiden und dann erst den Tod. Und dieses Leiden ist die Freude des Angreifers. Das hatte ich soeben deutlich gesehen. Dieser sterbende Blick über die geliebten Dinge: die Savanne, den Himmel, den Wind in den Gräsern … Warum? Warum das Ende von allem?
Wenn Gott existiert, wenn er überall ist, dann muß er doch das Krachen der zerbrechenden Knochen hören, das von einem Ende unseres blutigen Planeten bis zum anderen die Stille der Tage und Nächte ausfüllt. Der fressende Planet. Der abscheuliche Jubel über den gestillten Hunger. Der Sieg der Raubtiere, der den Sieg des Menschen vorbereitet, ihn ankündigt. Vom Urtier bis zum Krieger ist keiner unschuldig. Dessen bin ich jetzt ganz sicher. Ich will nicht einmal mehr darüber diskutieren, denn wie Sie sich wohl vorstellen können, habe ich bereits gekämpft. Ich habe es von allen Seiten betrachtet, dieses Problem des Leidens. Aber ständig sah ich das verwirrte Auge des erschlagenen Tieres vor mir.
Hirngespinste? Sei’s drum! Vielleicht war ich bereits seit langem reif dazu, diese Gegenoffenbarung zu empfangen und mich von ihr durchdringen zu lassen. Aber, Recht oder Unrecht, ich fühlte mich gehalten, meine Handlungen mit meinen Überzeugungen übereinzustimmen. Ich konnte nicht mehr glauben. Was für eine unendliche Güte war das, so frage ich Sie, die vom Urbeginn der Zeiten den Mord gedeihen ließ? Bis hin zum Hügel von Golgatha? Ich wiederhole nochmals, daß ich nicht behaupte, recht zu haben. Ich sage nur, daß sich meine Augen geöffnet haben, daß ich begriffen habe … aber ich will Sie nicht weiter belästigen mit diesem Erlebnis, das mich verdorrt und ausgebrannt hat.
Ich mußte mich verstecken, mich in der anonymen Masse vergraben. Ich bin fortgegangen, ohne irgend jemanden zu benachrichtigen. Ich bin nach Paris gekommen. Paris, das bedeutet Einsamkeit im Gewimmel. Da ist es leicht, unterzutauchen. Und ich bin untergetaucht. Es ist mir gelungen, diesem herrenlosen Glauben, der sich wie ein verirrter Hund an meine Fersen heftete, zu entkommen, ihn abzuschütteln. Endlich habe ich mich frei gefühlt.
Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist, diese Freiheit, wenn alles erlaubt ist. Es gibt keine Gebote mehr, nur noch ein einziges Gesetz: das Verlangen. Diesmal war ich wirklich in einen Dschungel geraten. Ich konnte völlig ungestraft meinen Durst stillen. Aber unglücklicherweise bin ich kein besonders leidenschaftlicher Mensch. Und wenn man kein Geld hat, ist auch das Verlangen nichts weiter als ein Krampf der Phantasie. Ich war arm, und das bedeutete, daß ich auf der Seite derer stand, die gefressen wurden, und nicht auf der Seite der Fressenden. Nun ja, schließlich war ich darüber gar nicht mal allzu unglücklich. Ich hatte im Quartier Latin eine kleine möblierte Wohnung gefunden. Natürlich mußte ich dafür auch zahlen, und sie kostete mich ein gut Teil...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2018 |
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Übersetzer | Elisabeth Uebe |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abscheu • Frankreich • Geheimnis • Haftstrafe • Mord • Selbstmord • Spannung |
ISBN-10 | 3-688-11096-X / 368811096X |
ISBN-13 | 978-3-688-11096-4 / 9783688110964 |
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