Das Geheimnis des gelben Geparden (eBook)
154 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11377-4 (ISBN)
Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906-1989) und Thomas Narcejac (1908-1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo - Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
Die beiden französischen Autoren Pierre Boileau (1906–1989) und Thomas Narcejac (1908–1998) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock. Die beiden französischen Autoren Thomas Narcejac (1908–1998) und Pierre Boileau (1906–1989) haben zusammen zahlreiche Kriminalromane verfasst. Ihre nervenzerreißenden Psychothriller haben viele Regisseure zu spannenden Filmen inspiriert, am bekanntesten sind wohl «Die Teuflischen» und sein amerikanisches Remake «Diabolisch» und «Vertigo – Aus dem Reich der Toten», sicher einer der besten Filme von Alfred Hitchcock.
1
François Rauchelle, Tierarzt
Le Clos Saint-Hilaire über
Beauvoir-sur-Mer (Vendée)
an
Maître Maurice Garçon
Mitglied der Academie Française
Anwalt am Obersten Gericht
Paris
ALLES BEGANN AM 3. MÄRZ DIESES JAHRES. So kommt es mir wenigstens vor. Ich kann nicht mehr das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden. Hat der Besuch Vials alles ausgelöst? In gewissem Sinne, ja. Aber wenn man nicht an einen Zufall glaubt, hat das Drama schon zwei Jahre früher begonnen. Auch im März! Denn es war März, als ich mit Eliane hierher zog. Wir kamen von Epinal.
Aber ich will Ihnen nun nicht mein ganzes Leben erzählen. Ich will Ihnen nur ausführlich die Ereignisse dieser letzten drei Monate schildern, nichts zusammenfassen, nichts frisieren, mit einem Wort, genauso wie ich sie erlebt habe. Ich weiß nicht, ob ich schuldig oder unschuldig bin. Sie werden das entscheiden, wenn Sie diesen Bericht gelesen haben, denn ich werde mir Mühe geben, einen Bericht zu verfassen.
Ich bilde mir nicht ein, mich gewandt auszudrücken. Aber mein Beruf hat mich gelehrt zu beobachten, nachzudenken, auch mitzufühlen, und darunter verstehe ich, empfänglicher als andere für das zu sein, was ich ‹Symptome› nenne. Wenn ich mich einem Tier zum erstenmal nähere, weiß ich sofort, wie ich sein Vertrauen gewinnen kann, wie ich es ansprechen, streicheln, beruhigen muß. Zunächst ertasten meine Finger unter dem schweißnassen Fell die Angst. Sie können mir glauben, daß die Tiere von Todesangst gepeinigt werden. Ich habe immer ein Gefühl für diese dumpfe Angst gehabt, die die Tiere umfangen hält, wenn sie krank sind. Über Angst weiß ich Bescheid. Deswegen bin ich ein guter Zeuge.
Und doch hatte ich an jenem dritten März, als die Glocke anschlug, keinerlei Vorahnung. Die Nacht brach herein. Ich war abgespannt. Den ganzen Tag war ich im Marschland unterwegs gewesen, von einem Hof zum anderen gefahren. Ich hatte gerade geduscht und war im Hausrock in meinem Arbeitszimmer damit beschäftigt, eine Liste der pharmazeutischen Artikel aufzustellen, die ich dringend aus dem Labor in Nantes brauchte. Tom bellte. Ich stand widerwillig auf. Sicher ein Unfall. Ein verwundetes Pferd, das vielleicht getötet werden mußte. Ich ging hinunter und durch die Küche, um Eliane Bescheid zu sagen.
«Ich werde mich beeilen. Wenn es nicht zu dringend ist, werde ich morgen hingehen.»
«Es wird wieder so kommen, daß du kalt essen mußt», sagte Eliane, was bedeutete, ‹ich werde wohl wieder allein essen müssen!› Aber ich konnte mir nicht leisten, nachlässig zu sein. Mein Vorgänger hatte innerhalb von ein paar Monaten seine Klienten verloren, einfach deshalb, weil er nicht begriffen hatte, daß auf der Marsch die Tiere wichtiger sind als die Menschen. Ich ging die Allee hinunter. Durch das Torgitter erkannte ich die großen Umrisse und die dunkle Masse eines ungewöhnlich langen Wagens, ohne Zweifel eines amerikanischen. Beunruhigt legte ich einen Schritt zu und öffnete das Tor.
«Monsieur Rauchelle?»
«Ja.»
«Doktor Vial.»
Ich bat ihn einzutreten. Er zögerte; schließlich sagte er: «Nur eine Minute.»
Als ich neben ihm herging, dachte ich bei mir: ein Pariser, der das Wochenende in Saint-Gilles oder in Sables verbringt. Vielleicht, um sein Haus vor den Osterferien durchzulüften … Ungefähr fünfzig, mindestens … Reich … Die Kinder sind versorgt … Madame hat einen Hund, den sie mit Süßigkeiten überfüttert hat … Einen Pekinesen oder einen Dackel … Ich führte ihn in mein Sprechzimmer. Er sah sich um, legte seinen Filzhut und die Handschuhe auf den Untersuchungstisch, wies den Stuhl, den ich ihm hinschob, zurück und hielt mir sein Zigarettenetui hin. Er trug einen eleganten Tweedanzug mit einem drapierten Ziertaschentuch, und das gab ihm das Air eines Schauspielers. Seine Augen waren sehr blau, hart, hervortretend; die Gesichtshaut glatt, wohlgenährt, fleischige Ohren. Er erdrückte mich etwas.
«Würde es Ihnen etwas ausmachen, nach Noirmoutier zu fahren?» fragte er.
«Nein. Ich fahre nicht sehr oft hin wegen der Gois. Es ist so ein Zeitverlust, wenn man auf der anderen Seite durch die Flut festgehalten wird. Aber wenn es nötig ist …»
Er beobachtete mich bewegungslos. Er hörte kaum zu.
«Haben Sie schon einmal wilde Tiere behandelt?»
«Wilde Tiere? Na, was denken Sie! Sogar Stiere habe ich behandelt.»
«Nein», sagte er mit einem kaum wahrnehmbaren Zeichen der Ungeduld. «Darum handelt es sich nicht. Es geht um einen Geparden.»
Dieses Wort schreckte mich auf. Es tat mir weh. Ich zuckte die Schultern.
«Wollen Sie mir bitte erklären …»
«Natürlich.»
Er schob seinen Hut zurück und setzte sich auf die Ecke des Tisches.
«Mit zwei Worten: Ich bin Chirurg in Brazzaville. Ich habe gerade einige Monate in Frankreich verbracht und jetzt vor meiner Rückreise in Noirmoutier eine Freundin besucht, Madame Heller …»
Er suchte mit den Augen einen Aschbecher, vielleicht wollte er sich einen Halt geben. Ich hatte den Eindruck, daß er widerwillig sprach. Er fuhr fort:
«Eine seltsame Frau. Sie ist in den Kolonien geboren. Ich hoffe, dieses Wort erschreckt Sie nicht. Sie hat da unten gelebt, dort geheiratet. Sie ist wahrhaftig eine Afrikanerin. Und dann ist sie nach dem Tode ihres Mannes im vorigen Jahr nach Frankreich gegangen.»
«Nach Noirmoutier?»
Vial lächelte:
«Ihr Einwand ist berechtigt. Ich könnte sie mir eher in Paris vorstellen. Sie ist sehr gebildet, malt ganz vortrefflich. Aber sie hat kein Vermögen. Sie besaß nichts als dieses alte Haus, das sie von ihrem Mann geerbt hat. Also mußte sie sich bescheiden …»
«Trotzdem, Noirmoutier nach Brazzaville!»
«Es blieb ihr nichts anderes übrig», sagte Vial trocken. «Sie ist übrigens nicht unglücklich. Sie werden sehen, daß der Platz sehr hübsch ist. Das Haus steht in einem Pinienwald.»
«Dem Bois de la Chaise?»
«Ja, ich glaube. Von ihrem Atelier aus sieht Miriam das Meer, die Küste.»
Er hatte ‹Miriam› gesagt, ganz mechanisch. Er war also gewöhnt, sie Miriam zu nennen. Aber das bewies nichts.
«Und der Gepard?» fragte ich.
«Ja, der Gepard ist krank. Ich hatte ihr dieses Tier zum Abschied geschenkt. Ich wollte, daß sie etwas Lebendiges hat, das sie an Afrika bindet. Vielleicht hatte ich unrecht. Jetzt ist Nyété krank. Ich weiß nicht, was sie hat. Sie ist ein Weibchen, und die Weibchen sind zarter als die Männchen, sensibler. Ich habe den Eindruck, daß sie sich hier nicht eingewöhnen kann. Madame Heller versteht nicht, sie zu behandeln, meiner Ansicht nach jedenfalls. Ich möchte gern, daß Sie einmal hingehen. Verstehen Sie, für mich bedeutet dieses Tier etwas mehr als ein Gepard.»
Ja, ich begann zu verstehen. Vial erhob sich.
«Werden Sie hingehen?»
«Ja, morgen früh.»
«Danke.»
Er schien erleichtert und bemühte sich, herzlich zu sein.
«Sie erreichen mich in Sables d’Olonne, im Hôtel Remblai. In zehn Tagen fahre ich. Berichten Sie mir …»
Er verbesserte sich sofort.
«Sagen Sie mir, ob Sie etwas machen können. Natürlich trage ich die Kosten.»
Er wandte sich zur Tür, nun wieder ganz gelassen, ganz ein großer Herr.
«Eine undankbare Aufgabe, was ich da von Ihnen verlange. Aber Nyété ist sehr sanft. Ich bin überzeugt, daß Sie keine Schwierigkeiten haben werden.»
Er suchte nach einem letzten liebenswürdigen Wort, das er aber nicht fand, und drückte mir die Hand.
«Auf bald. Hôtel Remblai.»
Er fuhr geräuschlos an, und ich schloß das Tor. Ein Gepard! … Sicher eine Art Jaguar. Ich hatte bestimmt keine Angst, aber ich bereute es fast, Vial zugesagt zu haben.
«Du kannst auftragen!» rief ich Eliane zu, als ich in mein Arbeitszimmer hinaufging.
Ich blätterte in einigen Büchern und fand bald einen kurzen Artikel:
Gepard: Fleischfresser der Gattung Großkatze. Der Gepard, auch Jagdleopard oder Mähnenleopard genannt, ist in Südasien und Afrika zu Hause. Er ähnelt einer Riesenkatze, kann aber wie ein Hund abgerichtet werden. Sein Fell ist von einem falben Gelb und mit runden schwarzen Flecken bedeckt. Er ist 1 m lang. Er besitzt die Kraft, die Geschmeidigkeit und das kräftige Gebiß der Katzen, aber er hat nicht ihre spitzen Krallen und ihre Wildheit. Sein Haar ist gekräuselt wie das eines Hundes. Man nennt ihn auch Tschitah.
Ich schaute hoch: am nächtlichen Horizont blinkten die Leuchtfeuer der Insel. Es war gar keine Frage, ich mochte Vial nicht. Ich stellte fest, wann Niedrigwasser war: sechs Uhr fünfzehn. Der Vormittag war also hin. Meine Laune war nicht die beste, als ich mich zu Eliane setzte. Neugierige Fragen hatte ich jedoch nicht zu befürchten. Eliane fragte nie.
Ich habe vorhin geschrieben, daß ich Ihnen nicht mein Leben erzählen will. Aber gewisse Einzelheiten muß ich doch genau angeben. Sonst glauben Sie mir am Ende nicht. Ich fühle, daß jede Kleinigkeit zählt. Ich hätte Ihnen zum Beispiel unser Haus beschreiben sollen. Am Ausgang von Beauvoir führt die Straße zur Gois hinunter. Sie schlängelt sich zwischen den Salzteichen hindurch, beschreibt seltsame Kurven wie ein Bergpfad in einer tellerflachen Ebene. Hier und da liegen, wie zufällig hineingesetzt, Bauernhöfe, weißgetünchte Häuser, Schuppen oder Scheunen, deren Türen mit einem großen weißen Kreuz geschmückt sind. In der Bretagne stellt man Kruzifixe an den Wegkreuzungen auf. Hier malt man Kreuze an die Türen. Warum habe ich mich nicht in Beauvoir niedergelassen, das doch ein ganz bedeutender...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2018 |
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Übersetzer | Yvonne de Hair |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | dunkles Geheimnis • Faszination • Spannung • Tierarzt • Witwe • Wodoo-Geister |
ISBN-10 | 3-688-11377-2 / 3688113772 |
ISBN-13 | 978-3-688-11377-4 / 9783688113774 |
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