Der Narr und seine Maschine (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
143 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-75884-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Narr und seine Maschine -  Friedrich Ani
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Tabor Süden, der vielerfahrene und vielerleidende Spezialist für Vermisstenfälle, wollte seine Ermittlertätigkeit nie wieder aufgreifen, nachdem beim letzten Fall ein Mitarbeiter der Detektei das Leben verloren hatte. Doch seine ehemalige Chefin überredet ihn nun dazu, sich zum allerallerletzten Mal auf Personensuche zu machen. Er soll Cornelius Hallig auftreiben. Als Autor von Kriminalromanen war Hallig eine Zeitlang eine Berühmtheit, lebte mit seiner Mutter in einem Münchner Hotel und verschwand von einem Tag auf den anderen.
Friedrich Ani lässt seinen Ur-Ermittler Tabor Süden wiederauferstehen und bringt ihn auf die Spur des Autors Cornelius Hallig. Schon bald wird Süden sich der Parallelen zwischen seinem Leben und dem des Autors bewusst. Und so gerät die Suche nach Hallig letztlich zu einer Suche nach sich selbst.



Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und vielfach prämiert, u. a. mit dem Deutschen Krimipreis, dem Crime Cologne Award, dem Stuttgarter Krimipreis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Friedrich Ani ist Mitglied des PEN-Berlin.

Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und vielfach prämiert, u. a. mit dem Deutschen Krimi Preis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Seine Romane um den Vermisstenfahnder Tabor Süden machten ihn zu einem der bekanntesten deutschsprachigen Kriminalschriftsteller. Friedrich Ani ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und des Internationalen PEN-Clubs. Sein Roman Der namenlose Tag (2015), ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi Preis und dem Stuttgarter Krimipreis, markierte Anis Wechsel zu Suhrkamp. Seit 2015 ist Friedrich Ani auch mit seinen Theaterstücken im Suhrkamp Theater Verlag vertreten.

2


Kein Auto, kein Lastwagen überfuhr den Mann, der bei Rot über die Friedrich-Eckart-Straße ging. Die Hände hatte er immer noch in den Taschen seines unpassenden Mantels, sein Hemd wies weiterhin keine Schweißflecken auf. Für Cornelius Hallig schien das Wetter nicht zuständig.

Die Eggenfeldener Straße überquerte er eher zufällig bei Grün, seine Schritte passten gerade zum Schaltsystem der Anlage. Drüben angekommen, schwankte er. Irritiert streckte er den Arm nach der Hausmauer aus. Sie fühlte sich rau und angenehm kühl an, und er machte noch einen Schritt.

Als spüre er zum ersten Mal die Wucht der Hitze, schloss er den Mund und kippte nach vorn. Den Aufprall seiner Stirn auf dem harten Stein nahm er wie ein physisches Echo seiner Erschütterung von vorhin wahr, als ihm bewusst geworden war, was ihn an einem vor Helligkeit strotzenden Tag in den dunkelsten Teil der Stadt getrieben hatte.

Die linke Hand gegen den abblätternden, bröckligen Putz gepresst, die andere in der Manteltasche, in den Haaren einen unerwartet wohltuenden Hauch, sog er einen modrigen Geruch ein, von dem er glaubte, er käme aus einem Kellerfenster auf Höhe des Bürgersteigs. Er sah nicht hin.

Da waren keine Kellerfenster. Unterhalb der sieben Fenster im Erdgeschoss, von denen vier vergittert waren, setzte sich das Mauerwerk noch ein Stück fort und endete neben dem Gehweg. Die Fenster im ersten Stock hatten keine Gitter, aber dieselbe Form mit sechs Glasquadraten, an einem Fenster hing noch eine Gardine. Auf dem Dach ragte das weiße Rund einer Satellitenschüssel ins Sonnenlicht.

Zwischen Hallig, der sich wie erschöpft an der verwitterten Hausmauer abstützte, und der Tür mit dem auffallend weißen Rahmen, dem geschwungenen Metallgriff und der in der Mitte unterteilten Milchglasscheibe war ein längliches, verschlissenes, namenloses Klingelschild in die Wand eingelassen. Gleichzeitig den vertrauten Geruch einsaugend, wandte Hallig den Kopf. Sein Blick huschte über das leere Schild. Kein Wunder, dachte er beiläufig, wir sind ja ewig weg.

Nach und nach verschwammen die Bilder in seinem Kopf, die der Vergangenheit und die der Gegenwart. Sie bildeten einen Strudel aus irrlichternden Kristallen, der ihn schwindeln ließ. Vor seinen Augen schleuderten Personen und Gegenstände und Straßenzüge im Kreis.

Im irren Glauben, er könnte etwas erkennen, riss er die Augen auf und starrte die schäbige Wand vor sich an wie eine riesige, körnige, Horrorszenen speiende Leinwand. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, weil der Boden unter ihm zu schwanken begann, nahm er auch die rechte Hand aus der Manteltasche und presste sie gegen die Wand.

Jetzt spürte er klebrige Nässe an seinem Rücken. In seinen weit geöffneten Augen sammelten sich Schweißtropfen, seine Lippen schmeckten salzig. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass das lauter werdende Krächzen, das ihm in den Ohren wehtat, nicht von der Krähe auf der Dachrinne kam, sondern aus seinem pumpenden Brustkorb. Mit ausgestreckten Armen, den Buckel der Sonne entgegengestreckt, stand er schräg da und erwartete das Ende.

Dann kam ihm diese Vorstellung so verstörend vor wie alles andere.

Er wollte noch nicht sterben. Nicht hier. Er war jetzt vierundsechzig. Auf wunderliche Weise dämpfte die Zahl das Beben in ihm ein wenig.

Vierundsechzig, wiederholte er im Stillen. Wenn er sich nicht täuschte, strömte mit der gespeicherten Kälte des Hauses frischer Sauerstoff in ihn, der sein Keuchen linderte und die Rinnsale auf seinem Gesicht trocknete.

Mitte sechzig. Er kam nicht davon los. Trinker, im medizinischen Sinn Alkoholiker, schwerer Raucher seit Jugend an, ein Klappergestell ohne Reserven. Seit Monaten quälte ihn eine Entzündung am Unterschenkel. Er litt an Appetitlosigkeit, Durstanfällen und Sehstörungen.

Behutsam zog er eine Hand zurück. Er kippte nicht um. Gewohnheitsmäßig vergrub er die Hand in der Manteltasche. Im Vergleich zur Wand kam ihm die Tasche wie eine Stoffsauna vor. Das störte ihn nicht.

Also würde er nicht sterben. Nicht hier. Er war nicht hergekommen, um zu sterben, sondern um …

Mit einer ruckartigen Bewegung wandte er sich vom Haus ab, der Straße zu, auf der er unterwegs gewesen war, von der Straßenbahnhaltestelle durch die Unterführung bis …

Von einer plötzlichen Eingebung getrieben, drehte er sich um und ging bis zum Ende des Gebäudes. Dort begann der Holzzaun, der nach ein paar Metern abrupt aufhörte, während der Zaun auf der gegenüberliegenden Seite des Grundstücks fast bis zum Bürgersteig reichte. In diesem Areal hatte der Kräutergarten seiner Mutter gelegen, direkt neben der klobigen Betonsäule mit der Inschrift »5 Kilometer nach München«. Wer diese Säule gegossen hatte, und wann und zu welchem Zweck, hatte er vergessen. In seiner Erinnerung hatte das sinnlose Ding seit jeher den Garten verschandelt. Heute war alles egal. Der schmiedeeiserne Balkon im ersten Stock glänzte mickrig in der Sonne, die ehemalige Balkontür bestand aus einer verrosteten Eisenplatte.

Zur Straße hin, die ins Zentrum des Viertels führte, war das Grundstück offen zugänglich, aber er machte keinen Schritt weiter. Neben der Tür standen zwei Plastikmülltonnen. Er hatte keine Erklärung dafür. Niemand wohnte mehr hier. Die ebenfalls mit einer Milchglasscheibe ausgestattete Tür in dem Metallrahmen war früher aus Holz gewesen, das Fenster daneben vergittert wie die auf der vorderen Seite.

Wahrscheinlich war er einfach nur deswegen gekommen: Zu sehen, was sich verändert hatte, zu sehen, was andere an diesem Ort nicht sahen, zu erkennen, dass es an der Zeit war, die Dinge ruhen zu lassen.

Dennoch war sein Vater zurückgekehrt, seine Mutter und er selbst, und seine Träume stülpten sich über den Tag wie ein Glasgefäß, in dem er, der Käfer, umherirrte und keinen Ausgang fand.

Unbändiger Durst überfiel ihn. In Hektik schluckte er deshalb seinen Speichel herunter und drehte gleichzeitig den Kopf in alle Richtungen, um nach einem Laden Ausschau zu halten. Dann stieß er einen gurgelnden Laut aus. Er wusste doch, wo er etwas zu trinken kaufen konnte!

Auf der anderen Seite der Eggenfeldener Straße, auf dem Grundstück mit den alten Hütten und Garagen, befand sich der Zeitungsladen von Frau Korff. In diesem Geschäft, wo es nach Papier und Zigaretten roch, hatte er schon als Fünfjähriger Limo und Zuckerstangen gekauft und immer etwas geschenkt bekommen, einen Lutscher, ein lustiges Comicheft, ein Spielzeugauto. Er war neugierig, wie Frau Korff heute aussah und ob sie ihn wiedererkannte.

Die Ladentür stand offen. Er hielt inne und hustete, weil er zu schnell gelaufen war. Das Brennen in seinem rechten Unterschenkel ignorierte er.

Aus dem Innern drang ein Geruch nach Fett und öligem Fisch. Wahrscheinlich täuschte er sich. Auf die Beschriftung über dem Fenster hatte er nicht geachtet, auch nicht auf das aufgestellte Werbeschild.

Diffuse Schatten füllten den Laden. Von der Sonne geblendet, musste er blinzeln, bis er die Umrisse der Einrichtung erkennen konnte. Keine Zeitungen weit und breit, keine Theke mit Süßigkeiten in runden und ovalen Plastikbehältern, keine Spielzeugfiguren, die in einem Extraregal neben der Kühltruhe auf neugierige Kinderaugen warteten. Keine bunten Comichefte und Frauenzeitschriften, keine Stapel Zigaretten und Kästchen mit Zigarren. Nirgendwo Lotto- und Totoscheine. Keine Frau Korff mit ihrer grünen Vogelspange in den Haaren und den runden silbernen Ohrringen, die den ganzen Tag klimperten. An stillen Sommertagen war das Geräusch bis über die Straße zu hören, klackklackklack, ein silbriges Klingen wie von geheimnisvollen Vögeln.

Niemand war da, nur er an der Tür. Der Geruch nach Fisch, der nicht einmal stark war, verursachte ihm Übelkeit.

Hallo, rief er.

Er bildete sich nur ein zu rufen. Stattdessen versickerte seine Stimme, kaum, dass sie seine trockenen Lippen erreicht hatte. Im Raum standen eine Theke, eine Kasse, in der Ecke ein Klapptisch mit zwei Stühlen, ein Kühlschrank mit einer Glasfront. Er wandte den Kopf zur Werbetafel vor der Tür. Mit weißer Kreide hatte jemand auf den schwarzen Untergrund...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2018
Reihe/Serie Ein Fall für Tabor Süden
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Detektiv • Ermittler • Krimi • Kriminalroman • Krimi Neuerscheinungen 2019 • literarischer Krimi • München • Privatdetektiv • Reise zu sich selbst • Spannung • Spurensuche • spurlos • spurlos verschwunden • ST 5020 • ST5020 • Suche • Suchen • Suche nach sich Selbst • suhrkamp taschenbuch 5020 • Tabor Süden • unauffindbar • Verlorenheit • Vermisst • Vermisstenfall • verschollen • verschwunden
ISBN-10 3-518-75884-5 / 3518758845
ISBN-13 978-3-518-75884-7 / 9783518758847
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