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Vermächtnis einer Jugend (eBook)

Autobiografie
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
526 Seiten
Matthes & Seitz Berlin Verlag
978-3-95757-667-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Als eine der wenigen Frauen ihrer Generation besteht Vera Brittain 1914 die Aufnahmeprüfung zum Oxford College, zudem mit Bravour. Nur wenig später verliebt sie sich in den hochbegabten Roland, einen Freund ihres älteren Bruders Edward. Doch der jähe Ausbruch des Ersten Weltkriegs macht nicht nur die Träume der außergewöhnlichen Frau, sondern die einer ganzen Generation zunichte: Roland und Edward kommen, wie so viele ihrer Freunde, in den Schlammwüsten des erbarmungslosen Kriegs zu Tode. Sie selbst bricht das Studium ab, geht als Hilfskrankenschwester an die Front und wird Zeugin unausdenkbarer Qualen der Opfer und der Überforderung der Helfer in London, Malta und Étaples. Als sie 1918 völlig desillusioniert nach England zurückkehrt, weiß sie mit Bestimmtheit: Nur wenn der Pazifismus die Menschen so erregt, wie es die Anspannung in Kriegszeiten tut, kann die sinnlose Vernichtung von Leben und Zukunft aufgehalten werden. Die eindrücklichen, präzisen autobiografischen Schilderungen der Erfahrungen von Frauen im Krieg, ihres Einsatzes, ihrer Hoffnungen, Ängste und ihrer Trauer rücken die konkreten Schrecken und Folgen für das eigene Leben so nahe wie kaum ein anderes literarisches Zeugnis.

Vera Brittain, 1893 im britischen Newcastle-under-Lyme geboren, brach 1915 das Studium in Englischer Literatur in Oxford ab und arbeitete als freiwillige Krankenschwester im Ersten Weltkrieg. Nach Kriegsende engagierte sie sich politisch als Feministin und Pazifistin. Sie war Sprecherin der League of Nations Union, der Peace Pledge Union und des Anglican Pacifist Fellowship. Ihr schriftstellerisches Werk umfasst etliche autobiografische Romane und politische Schriften. Vera Brittain starb 1970 in Wimbledon.

Vera Brittain, 1893 im britischen Newcastle-under-Lyme geboren, brach 1915 das Studium in Englischer Literatur in Oxford ab und arbeitete als freiwillige Krankenschwester im Ersten Weltkrieg. Nach Kriegsende engagierte sie sich politisch als Feministin und Pazifistin. Sie war Sprecherin der League of Nations Union, der Peace Pledge Union und des Anglican Pacifist Fellowship. Ihr schriftstellerisches Werk umfasst etliche autobiografische Romane und politische Schriften. Vera Brittain starb 1970 in Wimbledon.

II


ALS DEBÜTANTIN IN DER PROVINZ


Im Rosengarten

Tau auf erröteten Blüten,
Rosenpracht hold entpellt:
Was, dachte ich, gibt’s Schönres
auf dieser Welt?

Schritte, sacht und dann zagend
(Sollte sie etwa nicht?),
gingen vom Laubenschatten
ins Sonnenlicht
.

Mittag und duftige Zierden,
Golden, rosa und rot.
»Wozu«, sprach ich, »sind Rosen
mir letztlich not?«

R. A. L., 11. Juli 1914

– 1 –


Doch als ich Debütantin wurde, ausstaffiert mit Kleidern aus London, die ich nicht zu tragen verstand, lagen der Krieg noch zwei und mein Krankenhausdienst drei Jahre weit entfernt. Wir wuchsen am Ende einer beispiellosen Epoche großen Wohlstands und ungestörter Sicherheit auf, die wir so nie wieder erleben sollten, glaubten aber, sie bestünde seit undenklichen Zeiten und bis in alle Ewigkeit.

Meinen ersten Ball, den High Peak Hunt Ball, absolvierte ich sittsam gekleidet in konventionellem weißem Satin und Perlen; in dieser Uniform wirbelte ich in den folgenden Wochen unentwegt zu den Klängen von »Dreaming« und »The Vision of Salome« in den Armen junger Männer mit ungestümen Körpern und dürftigen Gesprächstalenten. Diese Bälle waren keineswegs so zwanglos, wie sie aussahen; auf ihnen wurden die Heiratschancen der jungen Frauen anhand ihrer Beliebtheit als Tanzpartnerinnen ermittelt und sie wurden folglich von zahlreichen miteinander konkurrierenden Anstandsdamen besucht, die das Geschehen mit größter Erwartung und Besorgnis verfolgten.

Als ich drei Jahre später meinen Schreibtisch aufräumte, um als freiwillige Hilfspflegerin nach London zu gehen – nicht ahnend, dass ich Buxton für immer verließ –, fand ich in einer Schublade meine mit einem Seidenbändchen zusammengebunden Tanzkarten von damals. Zu diesem Zeitpunkt waren schon so viele der unbedarften jungen Männer in Frankreich oder den Dardanellen gefallen, dass mir diese Tanzlisten wie ein ganz und gar unpassendes Souvenir einer längst untergegangenen Welt vorkamen – einer Welt, in der nur der Untergang der Titanic die Menschen plötzlich an ihre Hybris erinnert hatte. Ich legte die Karten mit jener Mischung aus Nachsicht, Trauer und Verachtung einer Frau in den mittleren Jahren zurück, die auf das Relikt irgendeiner Jugendsünde stößt.

Während der letzten Monate des Jahres 1912 und in der ersten Hälfte von 1913 besuchte ich noch mehr Bälle, machte offizielle Besuche, lief Schlittschuh, rodelte, spielte oft Bridge, Tennis und Golf, nahm Musikstunden und trat in Laientheaterstücken auf; ich verbrachte meine Tage also mit all den herkömmlichen Beschäftigungen von Generationen wohlhabender junger Damen, um eine Zeit zu füllen, für die sie keine sinnvolle Verwendung hatten.

Meine planlose Lektüre von George Eliot, Thackery, Mrs. Gaskell, Carlyle, Emerson und Mereschkowski änderte an diesem Programm wenig, auch wenn diese Schriften seine völlige Sinnlosigkeit hin und wieder kompensierten. »Die Lektüre von Romola«, vermerkte ich am 7. April 1913 enthusiastisch in meinem Tagebuch, »ließ mich innerlich jubeln! Wie wunderbar, dass man so viel Begeisterung für 2s. 6d. kaufen kann! … Nun frage ich mich, wann jene Momente höchsten Empfindens in mein Leben kommen, die das eigene Gemüt für alle Zeiten verändern.«

In den Monaten, als der erste Balkankrieg ausbrach, der Dreierbund erneuert wurde und immer wieder Aufregung über deutsche Spione herrschte, bedrängte ich – wenn auch gelegentlich mit sinkendem Mut, da die Aussichten immer geringer und die sich auftürmenden Hindernisse immer größer zu werden schienen – pausenlos meine Eltern, mich aufs College gehen zu lassen. Mein Vater konterte meine beharrlichen Bitten mit dem immer gleichen Hinweis, er habe für meine Ausbildung bereits mehr als genug ausgegeben, »kleine Mädchen« müssten einsehen, dass ihre Eltern wüssten, was am besten für sie sei. Mich brachte diese vermeintlich wohlwollende Ablehnung vor allem deswegen zur Verzweiflung, weil ich in meinen Augen natürlich kein »kleines Mädchen« war, sondern eine Heilsbringerin des zwanzigsten Jahrhunderts, deren Mission es war, das Universum aus der geistigen Finsternis ins Licht zu führen.

Besessen von dem Wunsch nach einem ereignisreichen Leben und einem größeren Horizont kam ich nie auf den Gedanken, die Ehe als möglichen Weg in die Freiheit zu sehen. Nach all dem zu urteilen, was ich über Männer schon wusste, schien es mir eher wahrscheinlich, dass ein Ehemann meine Möglichkeiten noch mehr einschränkte. Eine Annahme, die dadurch gestützt wurde, dass nicht nur fast alle Männer, die ich kannte, in Buxton lebten, sondern die Stadt darüber hinaus auch für Englands besten Wohnort hielten.

Jede neuerliche Weigerung, einen weiteren Penny für meine Ausbildung auszugeben, ließ mich noch trübsinniger werden; ich fühlte mich gefesselt und gefangen; nach einigen Monaten zu Hause hasste ich Buxton mit einer Verachtung, die ich danach nie mehr für irgendetwas empfunden habe – da halfen auch die strenge Schönheit seiner Berggipfel und Täler oder die gute Luft nichts, wegen der sich so viele Rheumakranke hoffnungsvoll in die Hotels einquartierten und seine Heilwasser tranken. Fast zweihundert Meilen von London entfernt war ich an den Ort und meine Familie gefesselt. Ich hatte nichts zu tun und keinen, mit dem ich reden konnte; Edward verbrachte den überwiegenden Teil des Jahres in seinem Internat in Uppingham, der Kontakt zu Mina und Betty riss im Laufe der Monate immer mehr ab.

Selbst mit achtzehn kann eine geistig unersättliche junge Frau nicht allein von schöner Landschaft leben. Solange Edward noch im Internat war, verhinderten nur zwei Dinge, dass ich an spontaner Selbstentzündung starb – mein Tagebuch, das ich so minutiös führte, dass ich mich heute darüber wundere, wie viel Zeit ich damals offenbar hatte, sowie ein rationalistischer Kaplan aus einer Nachbargemeinde. Ich hielt seine unorthodoxen Gedanken über die historisch-kritische Methode für äußerste Gelehrsamkeit, seine blumigen, dramatischen Predigten, für die ich jeden Sonntag drei Meilen zu Fuß ging, verkörperten für mich die geschliffenste Redekunst. Die Ferien waren erträglicher, weil Edwards Rückkehr aus Uppingham immer mit Musik einherging, die meinem Leben, wenn auch nur aus zweiter Hand, einen Sinn verlieh. Mein Klavierspiel ist seit jeher zweitklassig, weil meine kleinen Hände eine Oktave nicht problemlos greifen können, trotzdem verließ sich Edward, schon damals ein begabter und leidenschaftlicher Geiger, bei den schwierigen Sonaten und Konzerten, die er aus der Schule mitbrachte, auf meine Begleitung.

In diesen beiden Buxtoner Vorkriegsjahren setzte sich in mir ein Dünkel fest, der das Einzige sein dürfte, was mir nicht gezielt anerzogen wurde. Die Überheblichkeit der Mittelklasse hinsichtlich Geburt, Vermögen und Anglikanismus ließ ich bald mit einer fast naiven Begeisterung hinter mir, ich glaube aber kaum, dass ich mich jemals vom Dünkel einer Städterin befreien werde, dem Überlegenheitsgefühl des Londoners gegenüber Leuten aus der Provinz.

Der Provinzialismus verkörperte und verkörpert für mich immer noch die Gesamtheit aller falschen Werte: Menschen aufgrund dessen wertzuschätzen, was sie haben oder zu haben vorgeben, und nicht nach dem, was sie sind. Künstliche Zuordnungen und rigide Abgrenzungen, die in keinem Verhältnis zu realen Verdiensten stehen, sind offenbar sein Wesenskern, während die Verachtung von Intelligenz ebenso wie Misstrauen und Angst vor unabhängigem Denken in der Provinz unverzichtbare Garanten für Anerkennung sind. Seine gesammelte Niedertracht und vernichtende Kritik verkörpert für mich die streitsüchtige kleine Ehefrau des örtlichen Bankdirektors, die meine Mutter, nachdem sie als junge Ehefrau ihr erstes kleines Essen in Macclesfield gegeben hatte, scharf dafür kritisierte, an dem Abend »verschiedene Geschirre gedeckt zu haben«.

Ich glaube nicht, dass ich von Natur aus rachsüchtig bin, aber in den Jahren, in denen die schönen heidebewachsenen Hügel um Buxton meine Gefängnismauern waren, schwor ich Edward immer wieder, eines Tages in einem Roman Rache zu nehmen – was ich auch getan habe. Nur wenige meiner Bücher waren Verkaufserfolge und das in dieser Hinsicht schlechteste war mein zweiter Roman Not Without Honour. Aber nichts habe ich mehr genossen, als meinen Hass in diese Erzählung über das gesellschaftliche Leben eines Provinzstädtchens einfließen zu lassen.

– 2 –


In Edwards Ferien erzählte ich ihm mitunter Einzelheiten, die in dem Buch vorkommen würden, so, wie ich ihn in den Nächten unserer Kindheit mit der Geschichte des sagenhaften »Dicks« wachgehalten hatte. Er hörte immer noch so gut zu wie früher, denn all sein Interesse...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2018
Übersetzer Ebba D. Drolshagen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte England • Erster Weltkrieg • Familie • Feminismus • Frauen • Frieden • Großbritannien • Krieg • Pazifismus
ISBN-10 3-95757-667-9 / 3957576679
ISBN-13 978-3-95757-667-5 / 9783957576675
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