Die Arroganz der Macht (eBook)

Hochmut kommt vor dem Fall
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
287 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-6924-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Arroganz der Macht -  Rüdiger Voigt
Systemvoraussetzungen
15,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ist Demokratie womöglich eine 'beliebige Laune des Volkes', wie Platon meinte? Wenn das Volk tatsächlich ein 'unwissendes Publikum' ist, dann muss es zur Demokratie erzogen werden. Eine selbst ernannte Elite aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die die 'Hegemonieapparate' (Gramsci) bedient, sieht sich hierzu berufen. Ihr Ziel ist die Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine reibungslose Herrschaft erlaubt. Die Arroganz der Mächtigen nimmt dabei ständig zu. Urplötzlich jedoch erteilt das Volk den Herrschenden eine Abfuhr: Die Briten wollen aus der EU austreten, die Amerikaner wählen Donald Trump, Rechtspopulisten erhalten Auftrieb. Das Jahr 2017 ist zu einem 'Schlüsseljahr' für die Demokratie geworden.

DEMOKRATIE IN DER KRISE

Krise der Demokratie? Überlegungen zu einer aktuellen Frage

Politische Systeme, in denen die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, werden üblicherweise ‚Demokratie‘ genannt. Das Wort ist aus den beiden (alt-)griechischen Wortbestandteilen Demos (Volk) und kratós (Herrschaft) zusammengesetzt. Deshalb von einer ‚Volksherrschaft‘ zu sprechen, scheint aber ein wenig voreilig zu sein, da das Volk heute in aller Regel nur indirekt an der Herrschaftsausübung beteiligt ist. Demokratie hat sowohl einen inhaltlichen als auch einen verfahrensmäßigen Aspekt. Die in England lehrende belgische Politologin Chantal Mouffe bezeichnet die real existierende Demokratie von heute als liberale Demokratie, die sie so charakterisiert: „Liberale Demokratie ist als Synthese aus zwei verschiedenen Traditionen zu verstehen: der liberalen Tradition der Herrschaft des Gesetzes und individueller Rechte sowie der demokratischen Tradition der Volkssouveränität […]. Demokratie wird heute lediglich als Rechtsstaatlichkeit und die Verteidigung der Menschenrechte verstanden, während die Idee der Volkssouveränität als überholt gilt und aufgegeben worden zu sein scheint“ (Mouffe 2011). Der deutsch-britische Soziologe Sir Ralf Dahrendorf (1929–2009) hat die Demokratie folgendermaßen beschrieben: „Die Demokratie ist ein Ensemble von Institutionen, die darauf abzielen, der Ausübung politischer Macht Legitimation zu verleihen, indem sie auf drei Kernfragen eine schlüssige Antwort liefern“ (Dahrendorf 2003):

1. Wie können wir in unseren Gesellschaften Veränderung ohne Gewalt herbeiführen?

2. Wie können wir mit Hilfe eines Systems der „checks and balances“ die Machtausübenden kontrollieren und sicherstellen, daß sie ihre Macht nicht missbrauchen?

3. Wie kann das Volk, wie können alle Bürger an der Ausübung der Macht mitwirken?

Neben diesem verfahrensmäßigen Aspekt ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit die nach dem Inhalt der Demokratie. Was gehört unverzichtbar dazu, wann ‚kippt‘ ein politisches System, so dass aus einem (halbwegs) demokratischen Staat ein autoritärer oder gar ein totalitärer Staat wird? Die Schwierigkeit, diese Frage zu beantworten, besteht vor allem in der Zuordnung bestimmter Eigenschaften, denn: „Jene Eigenschaften, die gestern noch dem Totalitarismus als einem die Gesellschaft verschlingenden Staat zugeschrieben wurden, sind nun zu den Eigenschaften der Demokratie als einer den Staat verschlingenden Gesellschaft geworden“ (Rancière 2011). Der deutsche Philosoph Robert Spaemann hat das anlässlich der Leipziger Buchmesse 2006 auf den Punkt gebracht, als es um den Ausschluss rechter Publikationen („Junge Freiheit“) ging: Der Staat darf sich nicht an der Ächtung „verfassungskonformer Positionen“ beteiligen, er warnt vor einem „liberalen Totalitarismus“. Der französische Philosoph Miguel Abensour (2011) setzt sich daher für die folgende Neuinterpretation ein: Man muss „die totalitäre Herrschaft nicht als eine bis zum Äußersten getriebene Politisierung analysieren, sondern als ein Unternehmen der Zerstörung des Politischen […]. Das Problem besteht also darin, dass die Unterscheidung zwischen ‚demokratisch‘ und ‚totalitär‘ immer verschwommener und damit schwieriger geworden ist. Sie hängt zudem in starkem Maße von dem theoretischen bzw. ideologischen Ausgangspunkt des Betrachters ab. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Robert Dahl (1915–2014) ist daher der Ansicht, dass zunächst einmal die verborgenen Standpunkte der Demokratietheorie sichtbar gemacht werden müssen, bevor man ernsthaft über die Probleme der Demokratie sprechen könne.

1. Der Staat als Garant der Demokratie

Demokratie ist offenbar stets auf einen Ordnungsrahmen angewiesen, zu dem auch ein territorial begrenzter öffentlicher Raum mit realen Grenzen (Staat) gehört. Der Staat wird hier als Garant der Demokratie und nicht als deren Antipode verstanden. Eine Kernaufgabe des Staates, die er nicht vernachlässigen darf, ist es, die Staatsgrenzen zu sichern, zu schützen und notfalls zu verteidigen. Darüber hinaus findet Demokratie aber in einer globalisierten Welt statt, in der vor allem wegen der Digitalisierung aller Lebensbereiche im In- und Ausland Grenzen ‚durchlässig‘ geworden sind. Nicht nur Ideen, sondern auch Menschen und Güter können in Europa weitgehend ungehindert von einem Land ins andere gelangen. In dieser Welt gibt es neben zahlreichen Gewinnern eine zunehmende Anzahl von tatsächlichen oder gefühlten Verlierern, von denen sich eine wachsende Anzahl nicht mehr mit den Gegebenheiten abfinden will. Befinden wir uns also in einer akuten Krise der Demokratie? Wesentliches Charakteristikum einer Krise ist die dringende Notwendigkeit von Handlungsentscheidungen. Bei den Entscheidungsträgern herrscht ein Gefühl der Bedrohung vor, das zu einem Anstieg an Unsicherheit, Dringlichkeit und Zeitdruck führt. Die Folge ist oft ein „blinder Aktionismus“ aufseiten der Politik. Immer neue Vorschläge von Politikern (‚Agenden‘) unterschiedlichster Couleur werden – unabhängig von ihrer Durchführbarkeit – vorgebracht und anschließend meist von der Öffentlichkeit ‚zerredet‘.

‚Wutbürger‘ als Träger der Demokratie?

Bei den Betroffenen entspricht diesem Gefühl der Bedrohung Verzweiflung oder Wut. Daraus wird der polemische Begriff ‚Wutbürger‘ abgeleitet, das sind meist nicht organisierte Menschen, die ihrem Frust in Demonstrationen, die nicht von Gewerkschaften etc. initiiert worden sind, Luft machen. Diese Bürger sind besonders deshalb für die Herrschenden so ‚lästig‘, weil sie zumeist finanziell unabhängig und daher nicht leicht „unter Kontrolle“ zu bringen sind. Der Begriff wurde durch den Essay Der Wutbürger des Journalisten Dirk Kurbjuweit im Spiegel in die öffentliche Diskussion eingeführt und löste sogleich heftige Kontroversen aus. „Der Wutbürger wehrt sich gegen den Wandel, und er mag nicht Weltbürger sein. […] Er vergisst zudem, dass er die Demokratie trägt. […] Der Wutbürger macht nicht mehr mit, er will nicht mehr. Er hat genug vom Streit der Parteien, von Entscheidungen, die er nicht versteht und die ihm unzureichend erklärt werden. Er will nicht mehr staatstragend sein, weil ihm der Staat fremd geworden ist“ (Kurbjuweit 2010).

Der in Großbritannien lehrende deutsche Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn geht mit den ‚Wutbürgern‘ hart ins Gericht: „Und die Protest-Politik der bürgerlichen Mittelschichten beruft sich zwar auf demokratische Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, mobilisiert in Wirklichkeit allerdings das ihr zur Verfügung stehende Kapital (Bildung, soziale Netzwerke, relative materielle Sicherheit, Zugang zu politischen Institutionen etc.) vor allem, um privilegierte und kaum nachhaltige Lebensformen und Selbstverständnisse zu verteidigen“. Blühdorns Fazit: Wir erleben die „paradoxe Gleichzeitigkeit von Erosion und Radikalisierung demokratischer Wertvorstellungen“ (Blühdorn 2013). Anders als in Frankreich sind die Politiker in Deutschland nicht daran gewöhnt, dass Gegenmeinungen von ‚einfachen‘ Bürgern vorgebracht werden, dass demonstriert wird, ohne dass Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbände oder ähnliche Gruppierungen dazu aufgerufen und damit der Demonstration ‚ihren Segen erteilt‘, ihr also bereits im Vorhinein gewissermaßen den „Ruch des Unbotmäßigen“ genommen haben. Der französische Philosoph Alain Brossat zieht daraus den naheliegenden Schluss: „Die Volksenergie wird von Organisationen – Parteien, Gewerkschaften, Vereine – aufgefangen, deren Funktion es ist, das Volk und das Ereignis voneinander zu dissoziieren“ (Brossat 2013). Man könnte auch von einer ‚Kalmierungsstrategie‘ der Herrschenden sprechen.

Die demonstrierende Masse

Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass „bereits die friedliche Demonstration […] auf eine Verschiebung von Grenzen [zielt], sie zielt auf […] eine andere Wahrnehmung dessen, was als mehrheitsfähig oder überhaupt als öffentlich relevant gilt“. Die demonstrierende Masse „stört einen vermeintlichen Konsens“. Konsens – ob tatsächlicher, vermeintlicher oder vorgetäuschter – ist aber ein wichtiges Gleitmittel des politischen Systems. Ein Gegenmittel sieht Abensour darin, nicht nur „die Ideologien des Konsenses zurückzuweisen, vor allem die des Konsenses zwischen Demokratie und Staat, sondern auch die Idee des Konflikts [zu] entbanalisieren, sich davor [zu] hüten, sie zum Kompromiss zu drängen, und dem Konflikt stattdessen maximales Gewicht [zu] geben […]“ (Abensour 2012). Dieser Konflikt kann und soll auch auf der Straße ausgetragen werden. Wer sind nun die Konfliktteilnehmer, die als ‚Wutbürger‘ ihre Stimme im Rahmen von Demonstrationen erheben? Eine Göttinger Forschergruppe unter der Leitung des deutschen Parteienforschers Franz Walter hat im Herbst 2010 Teilnehmer der Kundgebung gegen „Stuttgart 21“ befragt. Dabei wurde die folgende Sozialstruktur der Protestierenden sichtbar:

Fast zwei Drittel der sog. ‚Wutbürger‘ sind älter als 46 Jahre.

Nahezu die Hälfte hat einen Universitätsabschluss.

Drei Viertel sind mit ihrer eigenen Situation durchaus zufrieden.

Weit über 50 Prozent sind mit der politischen Lage der Republik jedoch unzufrieden.

Die Meinungen der einzelnen Protestbürger in der Frage der Partizipationsdemokratie sind vielfältig.

Die überwiegende Mehrheit ist für...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2018
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Systeme
Schlagworte Demokratie • Michel Foucault • Repräsentation • Staatstheorie • Volk • Wahlen
ISBN-10 3-8288-6924-6 / 3828869246
ISBN-13 978-3-8288-6924-0 / 9783828869240
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 729 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Taschenbuch der europäischen Integration

von Werner Weidenfeld; Wolfgang Wessels; Funda Tekin

eBook Download (2023)
Springer VS (Verlag)
29,99