Zuhause (eBook)
432 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403594-9 (ISBN)
Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für »Gilead«, den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten »Zuhause« und »Lila«. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die »New York Review of Books«. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa.
Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für »Gilead«, den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten »Zuhause« und »Lila«. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die »New York Review of Books«. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa. Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.
eine sensibel beobachtende Erzählerin […] ein introvertiert schwelender, leiser Roman.
Die Behutsamkeit […] vor allem ist es, die beeindruckt. Hier werden keine Urteile gefällt, steht so vieles zwischen den Zeilen
Es geht in diesem bewegenden Roman (der zu einer Kleinstadt-Trilogie der großen amerikanischen Autorin gehört) [...] um Rassismus und dessen Überwindung durch Liebe.
Jede menschliche Perspektive ist begrenzt; wirklich ins Herz eines anderen zu schauen, das vermag nur Gott. Oder eine Romanautorin wie diese.
»Zuhause, Glory! Auf Dauer! Ja!«, sagte ihr Vater, und ihr wurde schwer ums Herz. Seine Augen wollten strahlen, schwammen aber vor Mitleid. »Oder jedenfalls auf gewisse Dauer«, besann er sich, nahm ihr die Tasche ab und wechselte dazu seinen Stock in die schwächere Hand. Lieber Gott, dachte sie, lieber Gott im Himmel. So begannen und endeten neuerdings all ihre Gebete, die eigentlich Stoßseufzer des Staunens waren. Wie konnte ihr Vater so gebrechlich sein? Und wie konnte er so leichtsinnig darauf bestehen, den Kavalier zu spielen, seinen Gehstock über das Treppengeländer zu hängen, um ihr, lieber Gott, die Tasche hinauf aufs Zimmer zu tragen? Er tat es aber, stand dann vor der Tür und musste sich erst wieder sammeln.
»Dies ist das hübscheste Zimmer. Sagt Mrs. Blank.« Er deutete auf die Fenster. »Querlüftung. Ich weiß nicht. Ich finde sie alle hübsch.« Er lachte. »Nun, es ist ein gutes Haus.« Das Haus verkörperte für ihn ein im Ganzen gesegnetes Leben, das war augenfällig, war unbestreitbar. Das räumte er gerne ein, besonders im Angesicht großen Kummers. Von dem Haus sprach er, häufiger noch seit dem Tod ihrer Mutter, wie von einer treuen Gefährtin vieler Jahre, die schon um jede Annehmlichkeit, jeden Segens willen schön zu nennen war. Diese Schönheit fiel allerdings nicht jedem ins Auge. Das Haus war zu hoch für die Gegend, hatte eine schmucklos gerade Fassade, ein flach geneigtes Dach und Dreiecksgiebel über den Fenstern. »Italienischer Villenstil«, meinte ihr Vater, aber das war geraten oder eine Rechtfertigung. Denn das Haus wirkte nüchtern und prätentiös zugleich, trotz der geschlossenen Veranda, die ihr Vater vorne für die im Ort so beliebten Besuche an heißen Sommerabenden hatte anbauen lassen und die längst überrankt war von einer gewaltigen Klettertrompete. Es sei ein gutes Haus, sagte ihr Vater, und meinte damit, es habe, obwohl es eine so unglückliche Figur machte, ein gutes Herz. Draußen im Garten waren Beete und Sträucher verwahrlost, das musste selbst ihm klar sein, obwohl er sich nur noch selten über die Veranda hinauswagte.
Nicht, dass die Beete je besonders gepflegt gewesen wären, selbst als das Haus noch bestens in Schuss war. Dafür hatten die Versteck- und Fangspiele gesorgt, Krocket, Badminton und Baseball. »Was hattet ihr für einen Spaß!«, sagte ihr Vater, als entspräche der gegenwärtig etwas desolate Zustand dem Konfetti und den Bonbonpapieren nach dem Durchzug einer triumphalen Parade. Und dann gab es noch die Eiche vor dem Haus, die um vieles älter war als das Wohnviertel und der Ort, die den Gehweg über ihren Wurzeln zur Stolperfalle machte und ihre unberechenbaren Äste über die Straße und das Grundstück reckte, Äste, deren Durchmesser Stämme gewöhnlicher Bäume übertrafen. Die Eiche schraubte sich in einer Weise hoch, bei der sie immer an einen Riesenderwisch hatte denken müssen. Ihr Vater sagte, Könntet ihr Kinder mit dem Blick Gottes sehen, vom Anbeginn der Erde an, würdet ihr diesen Baum hochschießen und sich im Licht drehen und die Arme ausbreiten und sich in der Freude sonnen sehen, Eiche in Iowa zu sein. Einst hingen vier Schaukeln von den Ästen und verkündeten der Welt den Kindersegen des Hauses. Die Eiche grünte nach wie vor, und natürlich gab es damals wie heute die Apfel- und Kirsch- und Aprikosenbäume, die Fliederbüsche, die Klettertrompete und die Taglilien. Ein paar der Schwertlilien ihrer Mutter hielten sich tapfer. Zu Ostern konnten sie und ihre Schwestern immer noch Arme voll Blumen pflücken, und dann schwammen die Augen ihres Vaters und er sagte, »Ach ja, ja«, als brächten sie ihm Andenken, Blumen als lediglich hübsche Erinnerung an Blumen.
Warum erschien ihr dieses standhafte, aufrechte Haus so verlassen? So untröstlich? Tja, Schönheit lag im Auge des Betrachters, sagte sie sich. Und doch kehrten sieben der Kinder ihres Vaters nach wie vor so oft heim wie möglich, riefen an, schickten Nachrichten und Geschenke und Kisten voll Grapefruit. Deren eigene Kinder wiederum wurden, sobald sie Buntstifte halten und kritzeln konnten, ermahnt, an den Großvater, den Urgroßvater zu denken. Gemeindemitglieder und deren Kinder und Enkel schauten so pflichtschuldig vorbei, dass es ihn überstrapaziert haben würde, hätte nicht der neue Pastor ihnen einen entsprechenden Wink gegeben. Und dann war da noch Ames, das Alter Ego ihres Vaters, dem er sich so lange und so rückhaltlos anvertraut hatte, dass er für sie alle wie ein zweiter Vater war, nicht zuletzt, weil er mehr über sie wusste, als ihnen behagen konnte. Manchmal rangen sie ihrem Vater das Versprechen ab, niemandem ein Sterbenswörtchen zu sagen, womit sie, wie er wusste, Reverend Ames meinten, denn er selbst war viel zu diskret, um weiterzuerzählen, was ihm im Vertrauen mitgeteilt wurde, außer eben im Beichtstuhl der kargen Junggesellenküche von Ames, wo solche Versprechen schnell vergessen waren, so ihr Verdacht. Und was genau sollte der Vater nicht erzählen? Wie sie verrieten, was Jack gesagt hatte, was Jack getan hatte oder vermutlich vorhatte.
»Ich muss es wissen«, sagte der Vater. »Um seinetwillen.« Also verpfiffen sie ihren armen missratenen Bruder, der es wusste und den es ärgerte und düster amüsierte und der sie auf dem Laufenden hielt oder in die Irre führte und zu diesem oder jenem dringenden Verdacht verleitete, den sie dann glaubten, äußern zu müssen bei allen Bedenken, schon um dem Vater einen erneuten Sheriff-Besuch zu ersparen. Sie waren keine Petzen. Untereinander hielten sie einen strikten Ehrenkodex ein, und Jack nahmen sie nur deshalb davon aus, weil sie nicht wagten, es nicht zu tun. »Werden sie ihn ins Gefängnis werfen?«, fragten sie einander bestürzt, als der Sohn des Bürgermeisters sein Jagdgewehr in ihrer Scheune fand. Hätten sie es doch nur gewusst, sie hätten es zurückbringen und dem Vater Schock und Schande ersparen können. Zumindest hätte er sich, vorgewarnt, etwas sammeln und sich sagen können, dass nicht gleich die allergrößte Besorgnis angebracht sei.
Nein, sie warfen ihn nicht ins Gefängnis. Jack bot, flankiert vom Vater, eine weitere Entschuldigung an und erklärte sich bereit, eine Woche lang jeden Morgen die Stufen vorm Rathaus zu fegen. Und in der Tat brach er jeden Morgen früh auf. Doch auf den Stufen sammelten sich Laub und Ahornflügel, bis die Woche um war und der Bürgermeister sie selbst zusammenkehrte. Nein. Sein Vater würde immer für ihn intervenieren. Nur machte schon die Tatsache, dass sein Vater sein Vater war, Interventionen meist überflüssig. Und der Bursche beherrschte nun mal die Kunst der Ausflüchte so perfekt wie die übrigen Boughtons das Apostolische Glaubensbekenntnis.
Ein Jahrzehnt voller Vertrauensbrüche, kleiner wie großer, wog auf beiden Seiten immer schwerer, weil ständig mit neuen Verstößen oder der Gelegenheit dazu zu rechnen war, und es wog noch viel schwerer, weil Jack es ihnen nie mit gleicher Münze heimzahlte, allerdings vielleicht deshalb nicht, weil ihre eigenen Streiche ihm viel zu läppisch vorkamen. Zu behaupten, dass sie Jacks wegen alle bis heute ein schlechtes Gewissen plagte, wäre übertrieben. Ganz ohne Frage hatte er seine Gründe gehabt, sich all die Jahre fernzuhalten und jeden Kontakt mit ihnen abzubrechen. Falls er, lieber Gott, überhaupt noch lebte. Rückblickend war durchaus denkbar, dass Jack das alles leid geworden war, so ernst er das Ganze, wie sie wusste, auch betrieben hatte. Manchmal schien er sich gewünscht zu haben, er könnte einem Bruder, einer Schwester einfach vertrauen. Sie alle konnten sich erinnern, dass er gelegentlich fast offen und ehrlich gewesen war, fast aufrichtig gesprochen hatte. Und dann hatte er gelacht, aber vielleicht aus Verlegenheit.
In den langen Jahren seither kümmerten sie sich zum Teil deshalb um den Vater, weil sie um seinen Kummer wussten. Und sie waren gut zueinander, waren heiter und erzählten gern von den schönen Zeiten, kramten in alten Fotos, damit der Vater lachen und sagen konnte, »Ja, ja, ihr habt es einem nicht leicht gemacht.« Ihre Bemühungen mochten wegen ihrer Schuldgefühle umso aufrichtiger gewesen sein oder wegen einer Trauer, die wie Schuld lastete. Ihre grundguten, freundlichen, heiteren Geschwister waren bewusst und demonstrativ gut, wohlmeinend und heiter. Selbst als Kinder waren sie gut gewesen, aber nicht zuletzt, um so zu gelten. Das alles grenzte bedenklich an Heuchelei, selbst wenn es nur ein Ausgleich für Jack sein sollte, der so offenkundig nicht gut war, dass er die Familie in ein schlechtes Licht rückte. Sie waren so froh, wie es sich der Vater nur wünschen konnte, nein fröhlich. Wie ausgelassen sie waren! Und der Vater lachte dazu, tanzte mit ihnen zur Victrola, sang mit ihnen am Klavier. Was für eine wunderbare Familie! Und Jack, wenn er mal da war, beobachtete das Treiben und lächelte und hielt sich abseits.
Jetzt, als Erwachsene, achteten sie so peinlich darauf, sich hier an Feiertagen zu treffen, dass Glory das Haus seit Jahren nicht leer und still erlebt hatte, zuletzt als junges Mädchen. Selbst als die anderen aus dem Haus waren, gab es noch ihre Mutter, und ihr Vater war noch energisch genug gewesen, das Haus mit seinem Kommen und Gehen, seinem Singen und Grummeln zu beleben. »Ich weiß wirklich nicht, warum er die Tür so zuschlagen muss!«, sagte ihre Mutter, wenn er aufbrach, um irgendeine Gemeindeangelegenheit zu regeln oder auf ein Damespiel bei Ames vorbeizuschauen. Er sprang geradezu behende die Stufen hinab. Gewiss, die Sache mit Jack und dem Mädchen und ihrem Baby war ein Schlag gewesen und hatte ihm zugesetzt, aber er war rüstig und voller Tatendrang. Später dann, als die Gebrechen des Alters ihn einholten und ihre Mutter gestorben war, gab es weiterhin den...
Erscheint lt. Verlag | 24.10.2018 |
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Übersetzer | Uda Strätling |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bad Boy • Boughton • Familie • Gilead • Glory • Heimkehr • Home • Jack • John Ames • Lila • Mittlerer Westen • Pastor • Tochter • Trost • USA • Vergebung • Verlorener Sohn |
ISBN-10 | 3-10-403594-6 / 3104035946 |
ISBN-13 | 978-3-10-403594-9 / 9783104035949 |
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