Unter uns nur Wolken (eBook)
288 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1582-6 (ISBN)
Mag die Erinnerung auch gehen, die Liebe bleibt. Tom ist ratlos: Sein Großvater Florian hat Alzheimer und lehnt jede Hilfe ab. Während bei Florian das Gestern verschwindet, sucht Tom im Heute verzweifelt eine Pflegerin. Doch keine will bleiben, denn sobald Tom die Wohnung verlässt, wird der charmante alte Herr zum Ekelpaket. Bis Ani vor der Tür steht. Ohne Wohnung, dafür mit Liebeskummer. Alle Versuche, Ani zu vergraulen, scheitern. Allmählich beginnt Florian sich ihr zu öffnen und gegen das Vergessen anzuerzählen. Vor allem von seiner großen Liebe Greta. Und verändert damit nicht nur sein Leben, sondern auch das von Ani und Tom... Berührend und witzig: ein Generationenroman, der unter Lachen zu Tränen rührt.
Ulrike Mayrhofer und Carmen Schmit, die beiden Autorinnen hinter dem Pseudonym Anna Pfeffer, sind seit ihrer gemeinsamen Schulzeit in Wien befreundet und haben zusammen Geschichten geschrieben. Heute leben sie in Hamburg und Wien, sind zusammen 75 Jahre alt, haben zwei Männer, sechs Kinder und einen Hund.
Ulrike Mayrhofer und Carmen Schmit, die beiden Autorinnen hinter dem Pseudonym Anna Pfeffer, sind seit ihrer gemeinsamen Schulzeit in Wien befreundet und haben zusammen Geschichten geschrieben. Heute leben sie in Hamburg und Wien, sind zusammen 75 Jahre alt, haben zwei Männer, sechs Kinder und einen Hund.
Ani
Ich renne. Meine Füße tragen mich nach draußen, und ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so schnell war. Meine Beine überholen meine Gedanken, sie laufen von allein, sie fliegen, über die Treppe, in die Ungewissheit, durch die schwere Glastür. Über den Asphalt, vorbei an den hupenden Autos und dampfenden Bussen, bis ich nicht mehr weiterkann. Ich halte die Tasche fest an meinen Körper gepresst, mein Atem geht heftig, und ich bekomme kaum Luft, aber zumindest bin ich da raus. Sein Gesicht hätte ich nicht länger ertragen können, und trotzdem sehe ich es noch immer vor mir, mit seinem beschissenen Mitgefühl und seinen beschissenen Worten, und mein Verstand beginnt langsam zu kapieren, was gerade passiert ist. Meine Welt hat sich verändert, sie existiert nicht mehr, obwohl ich noch existiere. Ich stehe da und weiß nicht, wohin ich jetzt gehen soll, während die Leute ringsum es ganz genau zu wissen scheinen. Die meisten ignorieren mich, nur ein Mann mit einer schwarzen Aktentasche schaut mich lange an. Ich vermute, dass es an meiner verschmierten Wimperntusche liegt oder einfach daran, dass ich eine Frau bin und Brüste habe, vielleicht reduziert sich alles darauf.
Und dann denke ich wieder an ihn und weiß, dass es sich nicht darauf reduzieren lässt, nicht auf ihre Brüste oder meine Brüste, auch wenn das irgendwie am einfachsten wäre. Natürlich ging es um mehr, um viel mehr, das konnte ich in seinem zerknirschten Gesicht ablesen, mit dem er noch immer so tat, als ob er nur das Beste für mich wollte.
Ich will nur ehrlich zu dir sein, Ani.
Als ob Ehrlichkeit das Beste wäre, diese Scheißehrlichkeit, die so verdammt weh tut, dass ich gerne schreien würde und toben, ich würde gerne zurück zu ihm und etwas zerstören, aber die Genugtuung gebe ich ihnen nicht. Ich bin nicht das labile Ding, für das sie mich halten, ich bin mehr, auch wenn ich gerade jetzt zu heulen anfange.
Zuerst ist es nur eine Träne, und dann sind es ganz viele, wie eine stille Armee, lautlos. Nur zehn Minuten liegen zwischen meinem alten und dem neuen Leben, zehn Minuten, das ist eigentlich nicht viel, aber genug, um alles umzuwerfen.
Ich wische die Tränen weg, er hat schon alles, mehr Tränen bekommt er nicht. Langsam öffne ich meine Tasche und suche zwischen den Klamotten und meinem Fotoapparat nach dem Portemonnaie. Gerade mal fünfzig Euro, mehr habe ich nicht. Wo soll ich jetzt hin?
Mir fallen meine Freunde ein, die alle mehr zu ihm als zu mir gehören, mir fällt meine beste Freundin ein, die es nicht mehr gibt, mir fällt meine Mutter ein, zu der ich garantiert nicht zurückgehen werde, das habe ich mir geschworen.
Seufzend stecke ich meine Geldbörse zurück und mache die Tasche zu. Vielleicht gibt es in der Nähe eine kleine Pension, aber wie lange werde ich dort mit fünfzig Euro bleiben können? Das Geld von dem Magazin bekomme ich erst in ein paar Wochen, darauf kann ich nicht zählen, und den Job in dem Café bin ich seit letztem Dienstag auch los.
Egal. Einfach weitergehen und darauf hoffen, dass mein Kopf schon eine Lösung finden wird, mit all seinen Gehirngängen und Synapsen, wofür sind die denn sonst da. Irgendwann tun mir meine Füße weh, und ich setze mich an eine Bushaltestelle, einfach nur um zu sitzen und nicht mehr zu gehen. Langsam ziehe ich mein Handy aus meiner Tasche und suche nach Pensionen unweit von hier. Pensionen, die ich mir leisten kann. Alles, was es hier gibt, beginnt bei vierzig Euro.
Ich atme tief ein und aus und versuche das Gefühl der Panik, das langsam in mir hochkriecht, zu ignorieren. Am liebsten würde ich aufstehen und mich auf die Straße legen, genau an die Stelle, wo der Bus hält. Ich würde mich einfach überrollen lassen, würde das Stückchen Leben, das noch in mir ist, aus mir herausquetschen lassen und müsste nicht darüber nachdenken, ob ich vielleicht doch zu meiner Mutter muss, für die das ein gefundenes Fressen wäre, oder die Nacht im Park verbringen will.
»Haben wir uns nicht vorhin schon getroffen?«, fragt eine Frau neben mir, und ich schrecke hoch. Sie hat hellblonde Haare und trägt eine Jeansjacke, doch sie meint nicht mich, sie meint das junge Mädchen mit dem Undercut und dem Nasenpiercing, das sich gerade neben mich setzt. Das gepiercte Mädchen runzelt kurz die Stirn, und dann nickt sie, wie einer dieser Wackeldackel, die auf der Rückbank von Autos sitzen.
»Stimmt. Du bist gerade aus der Wohnung gekommen, als ich meinen Termin hatte.« Sie macht eine kurze Pause. »Also ich weiß nicht, wie es bei dir war, aber für mich ist das nichts.« Sie zieht ihre grüne Jacke enger.
Die Blonde nickt jetzt auch und beißt von ihrem Sandwich ab. »Die Wohnung ist gigantisch, oder? Aber der Alte ist furchtbar. Hat er dich auch angeschrien?«
Das Mädchen neben mir verengt die Augen. »Er hat mich angespuckt. Und ich sage dir, das war mit voller Absicht.«
Die Blonde seufzt. »Ein Jammer, die Wohnung war wirklich unglaublich schön, und so hell!« Sie fährt sich durch die Haare. »Nachdem ich die Fotos im Internet gesehen hatte, dachte ich mir: Wow, so schlimm kann der Job gar nicht sein. Aber … nein, das mache ich nicht.«
»Ich hab ihm auch gesagt, dass ich mir das noch überlegen muss, aber ich hatte das Gefühl, dass er mich sofort genommen hätte. Ich könnte gleich einziehen, hat er angedeutet. Das war alles irgendwie eigenartig, schließlich bin ich noch in der Ausbildung.« Sie zieht die gepiercte Nase kraus. »Ich hab kein gutes Gefühl dabei.«
»Der muss wirklich verzweifelt sein«, sagt die andere, und ich versuche gar nicht mehr, so zu tun, als würde ich die beiden nicht belauschen. Wohnung, heute einziehen, Verzweiflung – irgendwie habe ich das untrügliche Gefühl, dass sich das nach mir anhört. Ich nehme allen meinen Mut zusammen und drehe mich zu ihnen um. Viel schlimmer als eben bei Noah kann es nicht werden.
»Entschuldigung, sprecht ihr, wovon ich denke, dass ihr davon sprecht?«, mische ich mich ein.
Die beiden sehen mich an. »Du meinst die Anzeige? Wegen der Stelle?«
»Ich habe leider irgendwie die Adresse verschlampt … kommt ihr gerade von dort?«
Die blonde Frau mit der Jeansjacke nickt. »Ja, aber ich glaube nicht, dass du dort einziehen möchtest.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich würde es mir gerne ansehen.«
»Wie du willst, aber mach dich auf etwas gefasst«, sagt das Mädchen mit dem Nasenpiercing. »Es ist gleich um die Ecke, das Jugendstilhaus, oberste Wohnung. Ist die Nummer dreizehn.«
»Bei wem muss ich noch mal klingeln?«, frage ich unschuldig und stehe auf.
»Bei Hartmann«, sagt die Blonde, und dann gehe ich los, ihren zweifelnden Blick im Rücken.
Die Außenfassade des Hauses ist wunderschön, aber ich versuche, mich davon nicht blenden zu lassen. Wer weiß schon besser als ich, dass das Innen mit dem Außen oft nicht mithalten kann? Der Wind zerrt an mir, als ich den Kopf in den Nacken lege. Es ist ein typischer Jugendstilbau mit den geschwungenen Linien, ornamentalen Mustern und der unverkennbaren Symmetrie. Früher habe ich solche Gebäude geliebt, aber Liebe ist anscheinend etwas, das mir in den letzten Monaten abhandengekommen ist, wie ein Mantel, den man einfach irgendwo vergisst.
Zögerlich drücke ich die Klingel, neben der »Hartmann« steht, und dann fängt es zu regnen an, mit einer derart elementaren Wucht, die jeden Zweifel wegwäscht und mich nach drinnen drängt. Als der Summer angeht, drücke ich die schwere Tür auf und trete ein.
Drinnen ist es kühl und düster. Ich sehe einen Lift mit einem schmiedeeisernen Gitter, für den man einen Schlüssel braucht, und wende mich der Treppe zu. Das Mädchen hat gesagt, die Wohnung der Hartmanns liege in der obersten Etage, und als ich im vierten Stock ankomme, wartet schon ein großer, dunkelhaariger Typ vor der Tür. Er ist unrasiert, trägt schwarze Jeans mit einem schwarzen T-Shirt und wirkt müde, unglaublich müde. Er ist nicht viel älter als ich, vielleicht Anfang dreißig. Obwohl er ungewaschen aussieht, riecht er gut, aber das ist das einzig Positive an ihm. Seine ganze Körperhaltung strahlt etwas Kaltes und Ruppiges aus. Ich sehe ihn an und habe plötzlich das Gefühl, dass es ein Fehler war, hierherzukommen. Alles war ein Fehler, Noah war ein Fehler, diese Stadt war ein Fehler, mein Studium war ein Fehler. Was soll ich denn jetzt sagen, durchfährt es mich, und bevor ich noch länger hier stehen und ihn blöd anglotzen kann, mache ich auf dem Absatz kehrt.
»Warten Sie«, ertönt seine tiefe Stimme. »Wo wollen Sie denn hin?«
Er klingt eine Spur netter, als er aussieht, und ich bleibe stehen. »Tut mir leid, ich hätte nicht herkommen sollen«, sage ich über die Schulter.
Er mustert mich von oben bis unten. »Jetzt sind Sie schon mal da. Jetzt können Sie auch reinkommen«, erwidert er, dreht sich um und lässt die Tür offen stehen.
Ich höre, wie der Regen auf das Dach prasselt, mit seiner ganzen Kraft, ich höre das Eingangssignal einer SMS, die nach Noah klingt, und dann höre ich einfach auf zu denken und folge ihm in die Wohnung.
Drinnen empfängt mich der Geruch nach Vergangenheit, gemischt mit teurem Rasierwasser und alten Essensresten. Die Wohnung wirkt riesig, und ich erahne noch nicht einmal, wie groß sie ist. Die Räume sind stilvoll eingerichtet, viel Biedermeier, aber kombiniert mit modernen Stücken. Es sieht überraschend gemütlich aus, und ich frage mich, wie der Typ in dieses gediegene...
Erscheint lt. Verlag | 1.11.2018 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Alzheimer • Cecilia Ahern • Enkel • Generationenkonflikt • Graeme Simsion • Happy End • Honig im Kopf • Humor • Jojo Mojes • Liebe • Lisa Genova • Opa • Rachel Joyce |
ISBN-10 | 3-8412-1582-3 / 3841215823 |
ISBN-13 | 978-3-8412-1582-6 / 9783841215826 |
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