Ich war Diener im Hause Hobbs (eBook)
384 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31874-6 (ISBN)
Verena Roßbacher, geboren 1979 in Bludenz/Vorarlberg, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. »Mon Chéri und unsere demolierten Seelen« ist nach ihrem Debüt »Verlangen nach Drachen« (2009), »Schwätzen und Schlachten« (2014) und »Ich war Diener im Hause Hobbs« (2018) ihr vierter Roman bei Kiepenheuer & Witsch.
Verena Roßbacher, geboren 1979 in Bludenz/Vorarlberg, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. »Mon Chéri und unsere demolierten Seelen« ist nach ihrem Debüt »Verlangen nach Drachen« (2009), »Schwätzen und Schlachten« (2014) und »Ich war Diener im Hause Hobbs« (2018) ihr vierter Roman bei Kiepenheuer & Witsch.
1
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Nennung meines Berufs immer wieder auf ein gewissermaßen natürliches voyeuristisches Interesse stößt, kaum jemand, der sich dem entziehen kann. Kommt das Gespräch auf meine Ausbildung in den Niederlanden, gesellt sich fast automatisch diese diffuse Sehnsucht nach einer Art Internatsleben dazu, die mit seriellen Wiederholungstätern wie Hanni und Nanni oder Schloss Schreckenstein kultiviert wurde und die mit Harry Potter ganz ungeahnt neuen Aufwind bekommen hat. Die Vorstellung, für zwei Monate in einem riesigen Schloss (das Valkenberger Schloss, ursprünglich als Kloster angelegt, ist sicher eines der beeindruckendsten Gebäude dieser Art im Süden Hollands und mit seinen hundertfünfunddreißig Zimmern und dem weitläufigen Grund gewiss kein schlechter Ort, um auf die künftige Arbeit in den luxuriösen Häusern vorbereitet zu werden), sprich, in allernobelster und höchst traditioneller Umgebung zusammen mit zwanzig Leuten aus der ganzen Welt den Beruf des Butlers zu lernen, jeden Tag vierzehn bis sechzehn Stunden zu arbeiten und dabei immer wohlgekleidet im Frack und Hemd zu sein, erweitert die Hogwartsszenerie um das Quäntchen Downton Abbey, das wir alle so dringlich vermissen.
Ich schloss die Schule erfolgreich mit meiner Graduierung zum anerkannten Diener ab.
Nach meiner Ausbildung ging ich gemeinsam mit Robert van der Velden durch die Akten der Familien mit vakanten Stellen. Ich blätterte durch die Angebote, es reizte mich, ins Ausland zu gehen, nach Kapstadt oder zu einer Familie auf Malta, ich stellte es mir äußerst anregend vor, bei einem Minister in Paris zu arbeiten oder bei Geschäftsleuten in London, andererseits war mir auch mulmig bei dem Gedanken, gleich beim ersten Job »in die Welt« hinauszugehen, zumal mein Englisch nicht gerade das von Shakespeare war. Ich sah die Fotos durch, große Familien und kleine und Paare und einzelne Damen oder Herren, sie posierten vor Palmen oder im Fotostudio oder lachten auf gut ausgeleuchteten Schnappschüssen.
Schlussendlich war es gar nicht van der Veldens Datei, die mich zu den Hobbs brachte, nein, kurios genug, es geschah über die Vermittlung Rosl Fraxners.
Ich war nach der Matura durch Zufall dazu gekommen, für ein knappes Jahr für einen gewissen Dr. Thaler zu arbeiten. Rosl Fraxner hatte natürlich mitgekriegt, dass ich nach meinem Engagement oben in seiner Villa am Margarethenkapf die Sache in den Niederlanden auf der Dienerschule sozusagen professionalisiert hatte, und als ich wieder zurück war, stöberte sie mich bei meinem samstäglichen Kaffee im Element auf, machte ihr unvermeidliches Foto und setzte sich ungefragt an meinen Tisch.
Ich ließ die Financial Times sinken. »Hier ist besetzt.«
»Ja ja ich weiß, ich bin eh gleich wieder weg, ich habe nur gehört, dass du eine Anstellung suchst.«
»Gehört? Von wem?«
Sie wackelte unverbindlich mit der Hand und kramte in ihrem Rucksack.
Wir haben Rucksäcke, fernab vom wandertechnischen Kontext, immer verachtet. »Ein Rucksack«, sagte Gösch einmal sehr richtig, »verhöhnt jede Silhouette. Einen Dicken aber gibt er der Lächerlichkeit preis, da er den vorhandenen, ausladenden Rundungen eine weitere, künstlich erzeugte hinzufügt und dadurch unweigerlich die gesamte Dicklichkeit gnadenlos ins Rampenlicht stellt.« Speziell Rosl Fraxners Exemplar – aus Leder mit Webintarsien im Aztekenlook – brachte mich auf die Palme. Eine Rosl Fraxner, das war meine ganz private Meinung, katapultierte ein Rucksack mitsamt ihren ausladenden Rundungen endgültig ins Reich der Albträume.
Missbilligend schaute ich zu, wie sie diverse Utensilien zutage förderte und auf meinem Tischchen aufreihte, einen bunten Schal, eine Reisepackung Hakle feucht, zwei Tafeln Milka-Schokolade, eine abgenudelte Kosmetiktasche, ein verkrümeltes, samtummanteltes Haargummi und allerlei Zubehör für ihre Kamera. Sie zerrte schließlich einen großen Umschlag hervor und reichte ihn über den Tisch, dann bestellte sie sich einen Kaffee.
»Das passt jetzt gerade ganz schlecht. Ich bin verabredet.«
»Wie nett, endlich wieder ein bisschen amore in deinem Leben, wie heißt sie denn?«
»Ich bin mit Olli verabredet.«
»Ach. Na ja, bis der Obergauner da ist, bin ich schon längst davongehüpft.«
Gehüpft ist gut, dachte ich, während ich die Zeitung weglegte und unwillig, jedoch zugegebenermaßen auch etwas neugierig, die Papiere aus dem Umschlag holte. Es waren zwei Seiten getippter Text auf dickem Papier nebst einem geschmackvollen Familienporträt.
Auf dem Bild saß die Familie an einem zur Kaffeejause gedeckten Tisch in einem spätherbstlichen Garten, die Sonne fiel schräg und wohlwollend durch die tiefgelben Blätter einer Linde und tauchte die Protagonisten in ein wunderbar warmes Licht. Es war, wie ich später erkennen würde, ein Foto aus ihrer Season’s-Greatings-Reihe – eines der wenigen in Farbe. Eigentümlich und nicht vereinbar mit meinen Vorstellungen einer handelsüblichen Familie fand ich die Anwesenheit gleich zweier Männer. Es gab auf dem Bild eine Frau (klarer Fall: die Mutter), einen kleinen Jungen – der Sohn, was sonst –, und dazu diese Zwillingsbrüder im väterlichen Alter (wer hier welche Funktion einnahm, war mir zunächst unklar), allerdings deutlich älter als die Frau, diese vier jedenfalls schienen den Hobbs’schen Haushalt zu bilden. Aus den leichtfüßigen Zeilen des saisonalen Grußes entnahm ich, dass der eine von beiden, der Vater, erfolgreicher Anwalt war und sein Bruder, weniger erfolgreich, wie durchaus neckisch suggeriert wurde, Maler. Ich betrachtete noch einmal das Bild, und mit diesen beiden Berufsoptionen ließ sich die Rollenverteilung problemlos klären, der eine Zwilling steckte souverän und gelassen in tadellos sitzendem Anzug italienischen Schnitts, der andere trug einen irgendwie zerknüllt wirkenden Dreiteiler, Marke Jahrhundertwende, den Olli, Isi, Gösch und ich ihm früher sofort abgekauft hätten. So jemand die Karikatur eines Malers entwerfen wollte, er würde zu diesen Klamotten greifen. Sie gefielen mir beide sofort, nein, es war nicht nur, dass sie mir gefielen, sie wirkten seltsam vertraut, als hätte ich sie schon mal irgendwo gesehen und wir wären gut klargekommen, vielleicht war es einfach ihr intelligenter, leicht amüsiert wirkender Blick, der einem das Gefühl gab, man teile zusammen die Erfahrung irgendeiner Schlüpfrigkeit und würde einvernehmlich darüber schweigen.
Auch Frau Hobbs wirkte äußerst sympathisch – definitiv gut aussehend –, sie strahlte diese Mischung aus Herzlichkeit und Kompetenz aus, die ich immer schon angehimmelt hatte. Der kleine Junge sah aus wie ein kleiner Junge eben aussieht, womöglich ein bisschen verzärtelt und am ganzen Körper hamsterbackig, in seinem Polopullover und den gebügelten Hosen glich er aufs Haar diesen schnöseligen Jungs aus der Patek-Philippe-Werbung, in der Uhren schon für die nächste Generation gekauft werden. Er tat mir leid, aber in Grenzen, ich habe kein besonderes Faible für Kinder.
Rosl Fraxner hatte schon wieder eines ihrer unleidigen Fotos gemacht – Krischi Kauffmann in Betrachtung wichtiger Unterlagen –, und ich legte das Bild zu dem Schreiben und schob ihr den Packen hinüber.
Sie trank einen Schluck Kaffee und verräumte ihren ganzen Plunder mit Ausnahme des Kosmetikbeutels wieder im Rucksack, die Hobbs’sche Akte ließ sie liegen.
»Eine bezaubernde Familie«, sagte sie, während sie sich mit energischen Strichen die Lippen anmalte, »stinkreich, und du bist genau das, was sie suchen.«
»Und was haben Sie mit denen zu tun?«
»Aber wo«, sie warf den Lippenstift zurück in den Beutel und betrachtete sich in einem kleinen Handspiegel, »aber gar nichts habe ich mit denen zu tun, ich kenne die überhaupt nicht, ich hörte nur über meine Künstlerfreunde in Zürich davon und dachte natürlich sofort an dich.«
»Was für Freunde?« Sicher, ich wollte wissen, wieso sie mit diesen Unterlagen zu mir kam, gerade zu mir, gerade sie! Aber ich ließ mir auch keine Gelegenheit entgehen, sie ein bisschen zu ärgern, es war einfach so, dass ich Rosl Fraxner liebend gern in Gespräche verwickelte, in denen sie mir zunehmend auf den Keks ging.
Sie klappte den Spiegel zusammen und fuhr sich wichtig durch die Haare, »Meine lieben Freunde, andere Künstler, ich sag immer ›Kirchenkünstler‹, aber nicht, weil die religiös sind oder so, das ist eine autonome Organisation ortsansässiger Künstler, die in einer ehemaligen Kirche in Zürich ihre Werke ausstellen. Seit Jahr und Tag hoff ich, sie laden mich einmal ein.«
»Sie sind doch nicht ortsansässig«, sagte ich, geschweige denn Künstlerin, dachte ich, wieso in aller Welt sollten die sie einladen?
»Aber was, ortsansässig ist ja ein dehnbarer Begriff, oder, das sind ja ganz fließende Grenzen, gerade in der Kunst. Jedenfalls sind mir diese Hobbs wärmstens empfohlen worden, ganz warm, eine total nette Familie und sehr für die Kunst. Genau das Richtige für dich.«
»Weil ich so für die Kunst bin, oder was.«
»Genau!«, rief sie in dieser entsetzlich lauten und dionysischen Art, die mich, nebst allem anderen, schon immer weite Kreise um sie hatte ziehen lassen. »Ihr seid doch so für die Kunst! Nur meine Bilder, die kommt ihr euch nie anschauen, dabei gibts da so viel zu entdecken, ich kenn euch doch, seit ihr kleine Putzerln warts. Komm doch einmal vorbei und schau dir die alten Bilder...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2018 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Butler • Diener • Familien-Geheimnis • Feldkirch • Freundschaft • John Wray • Österreichische Literatur • Skandal • Verlangen nach Drachen • Zürich |
ISBN-10 | 3-462-31874-8 / 3462318748 |
ISBN-13 | 978-3-462-31874-6 / 9783462318746 |
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