Jüdischer Almanach Mein Israel (eBook)
200 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-75796-1 (ISBN)
Siebzig Jahre nach seiner Gründung ist der Staat Israel trotz seiner exponierten Position ein selbstverständlicher Teil des Nahen Ostens. Was sich der österreichische Visionär Theodor Herzl einst erdachte, ist heute ein Land westlicher Prägung bevölkert von Einwanderern aus aller Welt.
In diesem Almanach sollen Insider (säkulare, aber auch ultraorthodoxe Betrachter) ebenso wie Außenseiter (aus Ägypten, China und Indien) zu Wort kommen, die jeweils ihren ganz eigenen Blick auf das Land richten.
Zugleich feiert dieser Almanach das 25jährige Jubiläum dieser Publikation. Das Leo Baeck Institut Jerusalem führt mit dem Jüdischen Almanach eine alte Tradition fort: Im Jahr 1902 wurde erstmals ein Jüdischer Almanach herausgegeben, im damals neu gegründeten Jüdischen Verlag in Berlin; bis 1938 gab der Schocken Verlag einen Jüdischen Almanach heraus. Im Jahr 1993 wurde die Reihe vom Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag wieder ins Leben gerufen.
Mit Beiträgen von Ofri Ilany, Sarah Stricker, Amir Eshel, Johannes Becke, Anja Siegemund, Stefan Litt und vielen anderen.
Gisela Dachs ist Publizistin, promovierte Sozialwissenschaftlerin und Professorin am Europäischen Forum der Hebräischen Universität Jerusalem. 2016 erschien der von ihr herausgegebene <em>Länderbericht Israel</em> im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung. Seit 2001 ist sie die Herausgeberin des Jüdischen Almanachs. Sie lebt in Tel Aviv.
Gisela Dachs, geboren 1963, ist Autorin und Journalistin. Sie lebt in Tel Aviv und schreibt u. a. für Die Zeit.
Jakob Hessing
Vor einem Vierteljahrhundert
Zur Neugründung des Jüdischen Almanachs
Der Jüdische Verlag, der im Berlin der Vorkriegszeit bestanden hatte, wurde schon in den fünfziger Jahren wiederbelebt. Später übernahm ihn Dietrich Pinkerneil in seinen Athenäum Verlag, der aber bald in Konkurs ging, und in den neunziger Jahren machte Siegfried Unseld ihn schließlich zu einem festen Bestandteil des Hauses Suhrkamp. Thomas Sparr, der über Celan promoviert hatte, wurde der neue Cheflektor, und er schlug mir vor, in Jerusalem einen jährlichen Almanach für den Verlag herauszugeben.
Was im Einzelnen dazu geführt hat, dass es in Deutschland wieder einen Jüdischen Almanach gibt, mag dem Zufall geschuldet sein, aber die hier skizzierte Vorgeschichte hat ihre innere Logik. Die Neugründung des Almanachs am Ende des 20. Jahrhunderts ist ein Teil der Dialektik, deren Pole die Schoah und die Entstehung des Staates Israel sind, und sie bestimmte auch das Datum, zu dem der Jüdische Verlag im Suhrkamp Verlag sein erstes Programm vorlegte. Im Jahr 1992 wurde der 10. Todestag Gershom Scholems begangen, in dessen Biographie der Weg von Berlin nach Jerusalem bereits vorgezeichnet ist, und diesen Weg musste jetzt auch der Almanach gehen.
Denn was er am Anfang des Jahrhunderts noch zu sein versprach, konnte er am Ende des Jahrhunderts nicht mehr halten. Einst hatte Martin Buber den Begriff der Jüdischen Renaissance geprägt, in der das deutsche Judentum sich auf seine verschütteten Wurzeln besinnen sollte, und der Almanach war als ein Forum für diese Besinnung gedacht. Allein die Tatsache, dass er nur einen einzigen Jahrgang aufzuweisen hat, 1902, zeigt die tiefe Krise an, die das deutsche Judentum schon vor dem Ersten Weltkrieg ergriffen hatte — und jetzt, neunzig Jahre später, gehörte das alles längst der Vergangenheit an. Das deutsche Judentum, an das der Almanach sich ursprünglich gerichtet hatte, gab es nicht mehr, und der Almanach, den ich in Jerusalem herausgeben sollte, musste anders konzipiert werden.
Im Abstand eines Vierteljahrhunderts sind mir die Rahmenbedingungen dieses Konzeptes klarer, als sie es mir damals waren. Die Kontakte zwischen Israel und der Bundesrepublik entwickelten sich in Phasen — zuerst wirtschaftlich, ab 1965 auch diplomatisch —, mit den kulturellen Beziehungen aber dauerte es länger: Erst 1977 konnte an der Hebräischen Universität eine Deutsche Abteilung eingerichtet werden, erst seit den achtziger Jahren erschien die israelische Literatur auf dem deutschen Buchmarkt — vorher kannte man nur Ephraim Kishon —, und die Wende veränderte alles noch einmal grundlegend. Mit den Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion wuchs die kleine jüdische Gemeinde im Nachkriegsdeutschland fast um das Zehnfache an, sie schuf eine neue Demographie. Mit Israel und dem wiedervereinigten Deutschland standen sich jetzt zwei souveräne Staaten gegenüber, und dies machte eine Entflechtung der längst zerstörten, aber immer noch vielbeschworenen deutsch-jüdischen Symbiose nicht nur möglich, sondern auch notwendig.
Der neue Almanach musste ein israelisches Projekt sein, das sich an ein deutsches, nicht ein deutsch-jüdisches Publikum wandte. Das deutsche Judentum kam dabei nicht aus dem Blick, aber anders als in Bubers Jüdischer Renaissance war dieser Blick weniger auf seine Zukunft gerichtet als auf seine Vergangenheit. Es ist kein Zufall, dass der Almanach vom Jerusalemer Leo Baeck Institut herausgegeben wird, das die Geschichte des deutschen Judentums erforscht, und die historische Bewusstheit hält schon das Vorwort fest, das den ersten Band einleitet, den Almanach auf das Jahr 1993.
Sein Autor ist der Dichter Jehuda Amichai, der als hebräischer Lyriker berühmt geworden ist. Bevor er nach Palästina kam, verbrachte er seine Kindheit in Würzburg, und das Vorwort verfasste er in der deutschen Muttersprache. »Zwischen Deutschen und Juden steht seit dem Holocaust ein Abgrund. Es ist unmöglich, diesen Abgrund mit Zukunft oder Vergangenheit aufzufüllen, und er wird als Mahnmal bleiben, solange menschliche Geschichte nicht zur Archäologie und Geologie geworden ist. — Was wir machen können, ist viele Brücken über diesen Abgrund zu schlagen, große und kleine, breite und schmale Brücken. Solche Brücken müssen erhalten, erweitert und vermehrt werden. — Möge dieser Almanach eine weitere Brücke sein, auf der man sicher gehen kann und zugleich den Abgrund sieht, damit sich das Abgründige nie wiederholt.«
Amichai benennt die Zäsur, die den neuen Almanach von seinem historischen Vorgänger trennt, und er spricht von ihm zugleich als einer Brücke zwischen Juden und Deutschen. Erst jetzt können sie als politisch autonome Partner in einen Dialog eintreten, wie er selbst in den besseren Zeiten ihrer einstigen »Symbiose« nie möglich war, und in den ersten sieben Bänden des Almanachs, die ich von 1993 bis 1999 herausgab, habe ich versucht, etwas von diesem Dialog hörbar zu machen.
Die sieben Bände enthalten insgesamt 108 Beiträge, deren inhaltliche Mischung mich jetzt, im Rückblick, einigermaßen überrascht. Deutlich mehr als die Hälfte (64) haben einen deutsch-jüdischen Bezug, ein Viertel (26) thematisieren das Dritte Reich. Das war mir während der Arbeit an den Almanachen natürlich nicht bewusst, und ich habe es überprüft, um meine Herausgebertätigkeit möglichst objektiv darzustellen. Statistiken mögen trocken sein, aber sie geben Auskunft, und wenn dieses deutsch-jüdische Übergewicht nicht meiner Erinnerung entspricht, so ist es doch kaum verwunderlich. Ich hatte mir vielleicht gewünscht, Almanache zu machen, die »israelischer« wären, aber niemand kann über seinen Schatten springen: Von Beruf bin ich ein Germanist, der die deutsch-jüdische Literatur erforscht, und das hat nicht nur meine Interessen gelenkt, sondern auch die Kreise bestimmt, in denen ich professionell vernetzt war und einen großen Teil meiner Beiträger finden konnte.
Obwohl es nicht so beabsichtigt war, ist die deutsch-jüdische Prägung meiner Bände vielleicht dennoch richtig gewesen. Der Jüdische Verlag sollte die Tradition, aus der er kam, nicht verleugnen, und am Ende des dunkelsten Jahrhunderts in der jüdischen Geschichte schuldete auch sein Almanach dieser Tradition eine Verbeugung. Von den vielfachen Formen, die sie in den Beiträgen angenommen hat, seien einige hier zumindest angedeutet.
In fast allen der sieben Bände kommen Themen in den Blick, die das deutsche Judentum aus der Innenperspektive zeigen: vom Brantspigel, dem ältesten Werk deutsch-jüdischer Moralliteratur im 16. Jahrhundert, über die Rolle der Hagada im 19. Jahrhundert bis zur Selbstwehr, einer zionistischen Zeitung im Österreich des Ersten Weltkriegs; von einer kritischen Analyse der deutsch-jüdischen Symbiose bis zum Kulturbund, in den das Dritte Reich die Juden Deutschlands zwang; von den Grenzen der Aufklärung, unter denen schon Moses Mendelssohn zu leiden hatte, über die Gründung des Central-Vereins bis hin zu den jüdischen Museen in Deutschland und in Österreich, die dieses Judentum nun historisch zur Schau stellen.
Zahlreiche Beiträge thematisieren Schlüsselfiguren der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte. Oft kommen sie mit eigenen Texten zu Wort, werden von ausgewiesenen Fachleuten kommentiert und in Bezüge gestellt, die nicht immer leicht ersichtlich sind, weil die Schatten des 20. Jahrhunderts auf ihnen liegen. Hannah Arendts Biographie der Rahel Varnhagen wird als ein Gespräch zweier Jüdinnen gelesen, die am Anfang und am Ende der Emanzipation standen; und dunkler noch ist der Beitrag des Holocaust-Forschers Dov Kulka, der die Jerusalemer Gedichte seines früh verstorbenen Freundes Gershon Ben David vorstellt: Ihre Sprache ist deutsch, ihr Thema ist Auschwitz, ihr Autor ist ein Mann, der das Lager zwar überlebt hat, sich jedoch nie aus ihm befreien konnte.
Ein eigenes Kapitel sind die Korrespondenzen zwischen Juden und Deutschen — zwischen dem hebräischen Dichter Ludwig Strauß und dem deutschen Dichter Hans Carossa; oder dem Jerusalemer Erziehungswissenschaftler Ernst Simon und Heinrich Böll — sowie Briefwechsel zwischen Juden unter sich. »Es fällt mir nicht leicht, diesen Brief zu schreiben«: So beginnt die Antwort Peter Szondis an Gershom Scholem, der ihn eingeladen hatte, den Jerusalemer Lehrstuhl für Komparatistik zu übernehmen, und dann begründet er, weshalb er das...
Erscheint lt. Verlag | 7.5.2018 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Lexikon / Chroniken |
Technik | |
Schlagworte | 70 Jahre Staatsgründung • Almanach • Israel |
ISBN-10 | 3-633-75796-1 / 3633757961 |
ISBN-13 | 978-3-633-75796-1 / 9783633757961 |
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