Die Frauen der Villa Fiore 1 (eBook)
448 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-21539-2 (ISBN)
Constanze Wilken, geboren 1968 in St. Peter-Ording, studierte Kunstgeschichte, Politologie und Literaturwissenschaften in Kiel und promovierte an der University of Wales in Aberystwyth. Als Autorin ist sie sowohl mit großen Frauen- als auch mit historischen Romanen erfolgreich.
1
Der Fahrtwind war warm, und sie schloss die Augen, um die Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. Sie hörte das Knattern der Vespas und atmete den Geruch von Benzin, Pinien und Staub, in den sich der modrige Duft des Sees mischte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Soll ich das Verdeck schließen? Es staubt ziemlich«, wandte Dario sich an seine Beifahrerin.
Sie öffnete die Augen. »O nein, es ist schön so.«
Es war kalt in New York gewesen. Kalt, nass und beklemmend. Die Straßenfluchten zwischen den Wolkenkratzern hatten ihren Reiz verloren, der Glamour war verflogen, die Stadt nur noch eine Ansammlung von Beton, Stahl, Glas und zu vielen hektischen Menschen. Das schnelle Leben, der Erfolg und die Anerkennung in der Firma hatten ihr alles bedeutet. Doch am Ende waren es nur Zahlen auf dem Papier. Erfolg war vergänglich und das Lob der Kollegen heuchlerisch. Alle warteten nur darauf, dass einer aus der Meute einen Fehler machte. Dann biss und schlug man sich um das goldene Fell und den Platz, den es zu besetzen galt. Sie hatte es ihnen leicht gemacht und war einfach gegangen.
»Giulia, geht es dir gut? Sollen wir anhalten?« Dario warf ihr einen besorgten Blick zu und lenkte den Wagen von der Hauptstraße auf einen Rastplatz.
Sie lächelte. »Mein schöner Cousin. Warum bist du noch nicht verheiratet? Ein erfolgreicher Anwalt, ein Dottore mit einer Kanzlei in Rom. Die Frauen laufen dir sicher die Tür ein!« Sie strich ihm über die Wange. »Danke fürs Anhalten, caro. Ich vertrete mir kurz die Beine.«
Dario Massinelli half ihr aus dem Sportcabrio. »Das mit den Frauen hat Zeit. Wobei du dir vorstellen kannst, dass meine Mutter lieber heute als morgen einen Enkel hätte.«
Er hakte seine Cousine unter und ging mit ihr zum Ufer des Sees.
»Wie geht es Tante Bruna? Streitet sie noch immer so viel mit deinem starrköpfigen Vater?«
»Sie reden schon lange nicht mehr richtig miteinander. Wenn es um die Fattoria geht, raufen sie sich zusammen, aber sonst …« Er machte eine vielsagende Geste. Dario Massinelli war der einzige Sohn ihrer Tante Bruna und ihres Onkels Salvatore, dem Bruder ihres Vaters.
»Die Fattoria … Es ist so lange her. Ich war immer gern bei euch. Habt ihr die Pferde noch?«
»Aber natürlich! Du weißt nicht, dass deine Schwester sich jetzt um den Stall kümmert? Milena macht das großartig. Sie hat einige Preise für die Fohlen gewonnen.«
Sie blieben stehen und schauten über den Lago Trasimeno. Das Plätschern des Wassers, das Schnattern der Enten und Kindergelächter weckten glückliche Kindheitserinnerungen in Giulia.
»Damals schien alles so einfach und so sicher. Ich hätte nie gedacht …« Sie brach ab und strich sich die langen dunklen Haare aus dem Gesicht. »Lass uns weiterfahren, Dario.«
»Wissen sie, dass du kommst?«
»Sì, aber nur Bianca weiß, was passiert ist.« Bianca war die mittlere der drei Massinelli-Schwestern und stand Giulia am nächsten. Selbst die Entfernung und die Jahre im Ausland hatten nichts an der Vertrautheit der Schwestern ändern können. Wenn es ein ernsthaftes Problem gab, rief Giulia Bianca an, und umgekehrt war es genauso.
Dario öffnete ihr die Wagentür. »Du hast Glück, dass du solche Schwestern hast.«
Als Einzelkind aufgewachsen hatte Dario viel Zeit bei seinen Cousinen verbracht und die Stelle des großen Bruders und Beschützers übernommen. Giulia drückte seinen Arm und ließ sich wieder in den Sitz sinken. Die restliche Fahrt über hing sie ihren Gedanken nach und wappnete sich für die Begegnung mit ihrem Vater.
Lorenzo Massinelli hatte ihr bis heute nicht verziehen, dass sie nach dem Studium in New York geblieben war. Das Familienunternehmen hatte sich damals in einer Krise befunden, und Lorenzo hatte auf sie als Nachfolgerin gebaut. Aber Giulia hatte ihre Zukunft nicht im Weinanbau gesehen. Das Risiko, das jede neue Ernte mit sich brachte, die aufwendige Pflege der empfindlichen Rebstöcke und die enge Welt der Hügel östlich von Florenz waren ihr damals als Bedrohung und nicht als Verlockung erschienen. Doch als sie jetzt durch die Hügel fuhr und das Sonnenlicht die endlosen Reihen der Rebstöcke in goldenes Licht tauchte, entrang sich ihr ein tiefer Seufzer.
Dario wich einem Traktor aus, der von einem Kiesweg auf die schmale Straße bog. In lang gezogenen Spiralen mit scharfen Kurven zog sich die Straße durch die Hügel und schließlich um den Berg herum, auf dem sich das Gut der Massinellis befand. An einer Kreuzung schaltete Dario in einen niedrigeren Gang, denn der Weg führte steil bergan. »Villa Fiore« wies ein handbemaltes Schild die Richtung. In entgegengesetzter Richtung säumten Zypressen einen Feldweg. »Fattoria Massinelli« stand auf einem verwitterten Wegweiser und darunter ein offizielles Straßenschild, das nach Doccia wies.
Die Villa war das Symbol des Weinguts und zierte Etiketten, Briefköpfe und das Hinweisschild. Seit einigen Jahren stand Villa Fiore für einen qualitätsvollen biologischen Wein, der sich auf dem Markt behauptet hatte. Die Olivenbäume der Fattoria grenzten an die Weinreben, und Giulia entdeckte eine Gruppe Reiter zwischen den Bäumen.
»Milena?«
Dario nickte. »Sie kann sich vor Anfragen nicht retten. Reitest du noch?«
»Ich habe das letzte Mal vor zehn Jahren auf einem Pferd gesessen. Aber wenn ich es jetzt so sehe …« Sie beobachtete die Pferde.
Wie hatte sie es geliebt, mit Milena durch die Hügel zu reiten. Dieses Gefühl von unbeschwerter Freiheit hatte sie seither nicht mehr gespürt.
Zu beiden Seiten der Straße zogen sich Weinreben wie ein Webmuster über den Hügel. Vor ihnen führte die Zypressenallee zur Villa und zum Wald auf der Hügelkuppe hinauf, und zwischen den Bäumen schimmerte das sanfte Gelb der Fassade hindurch.
»Deine Mutter wird sich freuen, wenn sie hört, dass du vorhast zu bleiben.« Dario fluchte, als der Sportwagen Kies aufwirbelte und ein Stein gegen die Windschutzscheibe flog.
»Wer sagt, dass ich bleibe?« Wie sollte es weitergehen? Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie keinen Plan für die Zukunft, und das machte ihr Angst.
»Ich dachte nur, weil du doch nicht mehr nach New York zurück willst. Für mich wäre das auch nichts. Kundenbesuche, zwei, drei Tage, dann reicht es mir. Es gibt dort nichts, was in Rom nicht schöner wäre.«
Giulia lachte. »Du Snob!«
»Überhaupt nicht. Sag, dass ich unrecht habe!«
»Kann ich nicht.«
»Ecco qui, da haben wir es.«
Der Wagen rollte über raues Kopfsteinpflaster durch ein hohes Tor. Eine Zeder, die ein aristokratischer Vorfahre vor über dreihundert Jahren gepflanzt hatte, begrüßte die Besucher der Villa mit elegant ausladenden Zweigen. Ein typisch toskanischer Bau mit rotem Ziegeldach, mattgelber Fassade und hölzernen Fensterläden erhob sich zweigeschossig vor ihnen – die Villa. Bepflanzte Terrakottatöpfe, Zitronenbäume, Oleander und Rosen zierten Mauern und Wege. Ein erdiger, süßlicher Duft hing in der Luft.
»Ich habe beinahe vergessen, wie schön es hier ist«, murmelte Giulia.
Auf der anderen Straßenseite waren die Kellerei mit den großen Stahltanks und darüber der Wald. Eichen und Haselbäume machten den Großteil des Baumbestands aus und boten einen guten Nährboden für die begehrten Trüffel. Als Giulia einen struppigen braunen Hund durch das Unterholz jagen sah, wartete sie einen Moment und war enttäuscht, als ein junger, ihr unbekannter Mann erschien und nach dem Hund pfiff.
»Wo ist Ruggero? Ist er nicht mehr für unsere Trüffel verantwortlich?« Sie war als Kind oft mit dem knorrigen Mann auf der Suche nach Trüffeln durch den Wald spaziert. Er musste an die siebzig Jahre alt sein. »Er ist doch nicht gestorben?«
»Der alte Ruggero? Nein, nein. Als ich ihn das letzte Mal traf, klagte er über schmerzende Knochen. Ah, dein Empfangskomitee … Bist du bereit?« Dario hatte den Wagen langsam vor den Haupteingang rollen lassen, auf dessen Treppenstufen ihre Eltern standen.
Ihr Vater war grauer geworden, hatte sich seine schlanke Figur und seine jugendliche Ausstrahlung jedoch bewahrt. Die ernste Miene verriet nicht, welche Gefühlslage sie zu erwarten hatte. Lorenzo Massinelli überragte seine Frau Manuela um einen halben Kopf. Die zierliche blonde Frau wischte sich verschämt die Augen, und Giulia kämpfte ihrerseits mit den Tränen. Ihre deutschstämmige Mutter war der ruhende Pol der Familie und hatte mit ihrer diplomatischen Art manchen Familienstreit beilegen können. Nur mit Giulias Entscheidung für ein Leben in den USA hatte auch Manuela ihren Mann nicht versöhnen können. Und weil sich die Fronten zwischen Vater und Tochter immer mehr verhärtet hatten, war Giulia seit Jahren nicht nach Hause gekommen. Heimlich hatten sie und Manuela sich stattdessen in Rom getroffen.
Giulia atmete tief durch und ging auf ihre Eltern zu. Kurz bevor sie die letzte Stufe erreicht hatte, entrang sich ihrem Vater ein Schluchzen, und er schloss die verlorene Tochter in die Arme.
»Warum erst jetzt, Giulia?« Er küsste sie auf die Wangen und schien sich wieder gefasst zu haben.
»Meine Schöne …« Ihre Mutter umarmte und küsste sie und strich ihr über die langen braunen Haare. »Du bist zu blass und zu dünn. Das werden wir ändern.« Manuela lächelte und begrüßte Dario. »Danke, dass du sie uns gebracht hast.«
Dario stellte Giulias Koffer ab.
»Bianca hat ein Mittagessen für uns gekocht. Sie müsste auch gleich da sein. Renata ist eine fähige Köchin und nimmt ihr viel ab. Kommt herein, nun kommt schon!«, drängte Manuela ihre Familie ins Haus.
Die große Halle des Familiensitzes hatte nichts von ihrer beeindruckenden Atmosphäre...
Erscheint lt. Verlag | 18.2.2019 |
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Reihe/Serie | Die Villa-Fiore-Saga |
Die Villa-Fiore-Saga | |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | eBooks • Familiensaga • Frauenroman • Frauenromane • Gesellschaftsroman • Italien • Liebesromane • Romane für Frauen • Toskana • Weingut |
ISBN-10 | 3-641-21539-0 / 3641215390 |
ISBN-13 | 978-3-641-21539-2 / 9783641215392 |
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