Elm Haven (eBook)

Zwei Romane in einem Band

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
1008 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-23475-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elm Haven -  Dan Simmons
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Es ist der Sommer 1960. Die schwüle Hitze macht allen in Elm Haven, Illinois, schwer zu schaffen, und die Tage fließen träge dahin. Für die fünf Freunde Mike, Duane, Dale, Harlen und Kevin wird diese Zeit zum Sommer ihres Lebens, dessen Ereignisse ein unzerstörbares Band der Freundschaft und des geteilten Grauens zwischen ihnen schmieden werden. Denn noch ahnen sie nicht, was im Keller ihrer Schule lauert. Noch liegt Elm Haven friedlich in der Sommerhitze ...

Mit 'Elm Haven', das die beiden Romane 'Sommer der Nacht' und 'Im Auge des Winters' enthält, hat Dan Simmons einen großen Klassiker der amerikanischen Horrorliteratur geschrieben..

Dan Simmons wurde 1948 in Illinois geboren. Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre als Englischlehrer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Simmons ist heute einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Seine Romane »Terror«, »Die Hyperion-Gesänge« und »Endymion« wurden zu internationalen Bestsellern, die Verfilmung von »Terror« ist eine der erfolgreichsten TV-Serien unserer Zeit. Der Autor lebt mit seiner Familie in Colorado.

2

Dale Stewart saß im Zimmer der sechsten Klasse von Old Central und war insgeheim davon überzeugt, dass der letzte Schultag die schlimmste Strafe war, die sich Erwachsene je für Kinder ausgedacht hatten.

Die Zeit verging so unglaublich langsam; es war schlimmer, als wäre er im Wartezimmer eines Zahnarztes, schlimmer, als hätte er Ärger mit seiner Mom und wartete darauf, bis sein Dad nach Hause kam, um das Strafmaß festzulegen, schlimmer als …

Es war furchtbar.

Die Uhr an der Wand über dem blau getönten Kopf der alten Mrs. Doppelbett sagte, dass es 14.43 Uhr war. Der Kalender an der Wand informierte ihn, dass heute Mittwoch, der 1. Juni 1960 war, der letzte Schultag, der letzte Tag, an dem Dale und die anderen die unsägliche Langeweile im Bauch von Old Central ertragen mussten – aber nun schien die Zeit in jeder Hinsicht so unerbittlich stehen geblieben zu sein, dass sich Dale vorkam wie ein Insekt in Bernstein, wie die Spinne in dem gelblichen Stein, den Pater Cavanaugh Mike geliehen hatte.

Es gab nichts zu tun. Nicht mal Schularbeiten. Die Sechstklässler hatten diesen Nachmittag um halb zwei ihre ausgeliehenen Schulbücher zurückgegeben, Mrs. Doubbet hatte sie entgegengenommen und jedes aufs Gründlichste nach Schäden untersucht … obwohl Dale sich nicht vorstellen konnte, wie sie die Beschädigungen dieses Schuljahrs von denen der jahrelangen Misshandlungen unterscheiden wollte, die die zerlesenen Schulbücher von früheren Ausleihern hatten erdulden müssen … und als das vorbei war und das leere Klassenzimmer ganz fremd aussah, bis hin zu den kahlen schwarzen Brettern und den säuberlich geschrubbten Holzpulten, hatte die alte Doppelbett lethargisch vorgeschlagen, dass sie etwas lesen sollten, obwohl die Bücher der Schulbibliothek schon am Freitag zuvor eingefordert worden waren, mit der Androhung, sonst das abschließende Zeugnis nicht zu bekommen.

Dale hätte sich ja eines seiner Bücher von daheim zum Lesen mitgebracht – vielleicht das Tarzan-Buch, das er mittags offen auf dem Küchentisch liegen gelassen hatte, als er zum Essen nach Hause gegangen war, vielleicht auch einen der Doppelromane aus der ACE-Science-Fiction-Reihe, die er verschlang –, aber obschon er mehrere Bücher pro Woche las, hätte Dale niemals die Schule als Ort zum Lesen betrachtet. Die Schule war der Ort, wo man Klassenarbeiten schrieb, dem Lehrer zuhörte und Antworten gab, die so einfach waren, dass sogar ein Schimpanse sie aus den Büchern hätte ablesen können.

Und so hockten Dale und die anderen sechsundzwanzig Sechstklässler in der drückenden Hitze des Zimmers, während draußen ein aufziehendes Gewitter den Himmel verdunkelte und die ohnehin schon düstere Atmosphäre in Old Central noch mehr verfinsterte; der Sommer schien endlos weit zurückzuweichen, die Zeiger der Uhr erstarrten, und der stickige Dunst im Innern von Old Central legte sich wie eine Decke über sie.

Dale saß am vierten Pult in der zweiten Reihe von rechts. Von seinem Platz aus konnte er am Eingang zur Garderobe vorbei über den dunklen Flur sehen und gerade noch einen Teil der Tür zum Zimmer der fünften Klasse erkennen, wo Mike O’Rourke, sein bester Freund, ebenfalls auf das Ende des Schuljahrs wartete. Mike war so alt wie Dale – sogar einen Monat älter –, hatte aber die vierte Klasse wiederholen müssen, und daher waren die Freunde seit zwei Jahren durch den Abgrund eines ganzen Schuljahrs voneinander getrennt. Doch Mike hatte sein Unvermögen, die vierte Klasse zu absolvieren, mit derselben Fröhlichkeit hingenommen wie die meisten Situationen – er machte Witze darüber, war weiterhin Anführer auf dem Spielplatz, gehörte zu Dales engstem Freundeskreis und zeigte keinen Groll gegen Mrs. Groissant, diese alte Schachtel, die ihn ganz sicher aus schierer Boshaftigkeit hatte durchfallen lassen.

In Dales Klassenzimmer fanden sich ein paar von seinen anderen guten Freunden: Jim Harlen am ersten Pult, wo Mrs. Doubbet ihn im Auge behalten konnte. Momentan hatte Harlen den Kopf in die Hände gestützt, und seine Augen flackerten mit einer Nervosität durchs Klassenzimmer, die Dale ebenfalls spürte, aber zu verbergen versuchte. Harlen sah Dales Blick und verzog das Gesicht – mit einem Mund so elastisch wie Silly-Putty-Knetmasse.

Das alte Doppelbett räusperte sich, worauf Harlen wieder fügsam in sich zusammensank.

In der Fensterreihe saßen Chuck Sperling und Digger Taylor – Kumpels, Anführer, Wichtigtuer, Knallköpfe. Außerhalb der Schule sah Dale Chuck und Digger selten, nur im Training und bei Spielen der Jugendliga. Hinter Digger saß Gerry Daysinger in einem zerrissenen vergrauten T-Shirt. Außerhalb der Schule trugen alle Jeans und T-Shirts, aber nur die ganz armen Kinder wie Gerry und die Brüder von Cordie Cooke hatten sie auch in der Schule an.

Hinter Gerry saß Cordie Cooke selbst mit ihrem Mondgesicht und einem Ausdruck von Trägheit, der irgendwie weit über Dummheit hinausging. Sie hatte das feiste, flache Gesicht zum Fenster gewandt, doch ihre farblosen Augen blickten ins Leere. Sie kaute Kaugummi – sie kaute immer Kaugummi –, aber aus irgendwelchen Gründen schien Mrs. Doubbet das nie zu bemerken oder das Mädchen deshalb zurechtzuweisen. Hätten Harlen oder einer der anderen Tunichtgute der Klasse mit solcher Regelmäßigkeit Kaugummi gekaut, hätte Mrs. D. sie wahrscheinlich sofort suspendiert – aber bei Cordie Cooke schien sie das als natürlichen Zustand zu werten. Dale kannte das Wort Wiederkäuer nicht, aber wenn er Cordie sah, musste er oft an eine Kuh denken, die ihr Heu mampfte.

Hinter Cordie, am letzten besetzten Pult der Fensterreihe, saß Michelle Staffney, die einen beinahe erschreckenden Kontrast zu ihr bildete. Michelle trug einen makellosen hellgrünen Rock und eine gestärkte braune Bluse. Das Licht brachte ihr rotes Haar zum Leuchten, und Dale konnte selbst von seinem Platz aus ihre Sommersprossen sehen, die sich von ihrer blassen, fast durchscheinenden Haut abhoben.

Michelle sah von ihrem Buch auf, als Dale sie anschaute, und obwohl sie nicht lächelte, reichte der kurze anerkennende Blick aus, um das Herz des Elfjährigen schneller klopfen zu lassen.

Nicht alle Freunde von Dale befanden sich hier im Zimmer. Kevin Grumbacher war in der fünften Klasse – von Rechts wegen, da er neun Monate jünger war als Dale. Lawrence, Dales Bruder, saß in Mrs. Howes dritter Klasse im Erdgeschoss.

Dales Freund Duane McBride war hier. Duane – doppelt so dick wie der zweitpummeligste Schüler nach ihm – beanspruchte das dritte Pult der Mittelreihe. Er war wie immer beschäftigt und notierte etwas in dem abgegriffenen Spiralbuch, das er dauernd mit sich herumschleppte.

Duanes störrisches braunes Haar stand ihm zerzaust vom Kopf ab, und er rückte sich mit einer unbewussten Geste die Brille zurecht, während er stirnrunzelnd durchlas, was er geschrieben hatte, bevor er sich wieder an die Arbeit machte.

Obwohl die Temperatur über fünfundzwanzig Grad lag, trug Duane das dicke Flanellhemd und die ausgebeulten Cordhosen, die er den ganzen Winter über angehabt hatte.

Dale konnte sich nicht erinnern, dass er Duane je in Jeans und T-Shirt gesehen hatte, obwohl der dicke Junge von einer Farm stammte – Dale und Mike und Kevin und Jim und die meisten anderen kamen aus der Stadt – und dort Arbeiten erledigen musste.

Dale rutschte auf seinem Stuhl herum. Es war 14.49 Uhr. Aus einem abstrusen Grund, der mit dem Busfahrplan zu tun hatte, ging der Schultag erst um 15.15 Uhr zu Ende.

Dale studierte das Porträt von George Washington an der vorderen Wand und fragte sich zum zehntausendsten Mal dieses Jahr, wieso die Schulbehörde den Druck eines unfertigen Bildes aufhängte. Sein Blick schweifte zur Decke viereinhalb Meter über dem Boden und zu den drei Meter hohen Fenstern an der gegenüberliegenden Wand. Er betrachtete die Bücherkisten auf den leeren Regalen und fragte sich, was aus den Schulbüchern werden würde. Würde man sie zur Gesamtschule rüberschaffen? Oder verbrennen? Wahrscheinlich Letzteres, da Dale sich die alten, stockfleckigen Bücher nicht in der brandneuen Schule vorstellen konnte, an der seine Eltern mit ihm vorbeigefahren waren.

Vierzehn Uhr fünfzig. Noch fünfundzwanzig Minuten, bis der Sommer wirklich anfing, bis die Freiheit regierte.

Dale betrachtete die alte Doppelbett. Der Name kam ihm nicht voll Boshaftigkeit oder Gemeinheit in den Sinn; sie war immer das alte Doppelbett gewesen. Achtunddreißig Jahre lang hatten Mrs. Doubbet und Mrs. Duggan gemeinsam die sechste Klasse unterrichtet – ursprünglich in gegenüberliegenden Klassenzimmern, aber dann, als die Schülerzahl etwa zur Zeit von Dales Geburt zurückgegangen war, in ein und derselben Klasse –, Mrs. Doubbet vormittags Lesen, Aufsatz und Sozialkunde, Mrs. Duggan nachmittags Mathe und Naturwissenschaften, Rechtschreiben und Schönschrift.

Die beiden waren Mutt und Jeff, die humorlosen Abbott und Costello von Old Central: Mrs. Duggan dünn, groß und hektisch, Mrs. Doubbet klein, dick und langsam, ihre Stimmen fast gegensätzlich, was Timbre und Tonlage anging, ihre Leben miteinander verflochten. Sie lebten in nebeneinander gelegenen viktorianischen Häusern an der Broad Avenue, besuchten dieselbe Kirche, nahmen gemeinsam an Kursen in Peoria teil und verbrachten ihre Ferien zusammen in Florida; zwei unvollständige Persönlichkeiten, die ihre Fähigkeiten und Schwächen irgendwie kombinierten und so ein ausgewogenes Individuum schufen.

In diesem letzten Jahr der Vorherrschaft von Old Central war Mrs. Duggan kurz vor dem Erntedankfest krank geworden. Krebs, hatte Mrs. O’Rourke, Dales...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2019
Übersetzer Joachim Körber, Friedrich Mader
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Summer of Night / A Winter Haunting
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte eBooks • ES • Horror • Kindheit • Paranormales • Sechziger Jahre • Stephen King
ISBN-10 3-641-23475-1 / 3641234751
ISBN-13 978-3-641-23475-1 / 9783641234751
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