Vermisst -  Irmgard Braun

Vermisst (eBook)

Monika Trautners erster Fall
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
224 Seiten
Bergverlag Rother
978-3-7633-0115-7 (ISBN)
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Liam Pratzke ist verliebt, aber seine Angebetete ist nach einem Kletterkurs spurlos verschwunden. Ein Unfall? Selbstmord? Hat der Bergführer etwas damit zu tun? Die Polizei hat die Suche aufgegeben, aber Liam verfolgt weiter Susis Spuren in den Tannheimer und Ammergauer Bergen und macht sogar einen Kletterkurs für Fortgeschrittene, obwohl er vom Klettern keine Ahnung hat. Seine Großmutter Monika Trautner lehrt ihn die Grundlagen – und zeigt dabei Eigenschaften, die man kaum von einer älteren Dame erwartet hätte.

2. KAPITEL

„In den Alpen gibt es zu viele Berge“, sagte Liam. „Ich bin das nicht gewohnt.“

Moni lachte. „Meinetwegen könnte die ganze Welt aus Bergen bestehen. Du müsstest dann eben vom Trekkingrad aufs Mountainbike umsteigen und dich mal richtig anstrengen.“

Ihr Enkel wickelte eine Strähne seiner schulterlangen braunen Locken um den Finger. „Radfahren ist für mich – äh – mehr als nur Sport. Ich genieße die Landschaft und bin draußen, und das kann ich auch ohne Schwitzen und Keuchen und brennende Oberschenkel. Also ich würde nie klettern, ich verstehe irgendwie nicht, was dich dazu treibt, dich so zu plagen.“

Moni stand auf und ging zum Herd. In der Pfanne blubberte es, Tomatensauce spritzte gegen die Wandfliesen. Sie schaltete die Platte aus und setzte sich wieder. „Beim Klettern bin ich so konzentriert, dass ich nicht einmal merke, ob es anstrengend ist oder nicht.“

Sie musterte Liams längliches Gesicht mit der großen Nase. Seine dunkelbraunen Augen waren die eines verwundeten Teddybären.

Er wirkte oft träumerisch und weltfremd, aber diesen Ausdruck kannte Moni nicht an ihm. Und warum war er heute plötzlich bei ihr aufgetaucht, nur drei Tage, bevor sie einander beim Familienfest sowieso sehen würden?

„Wie war es auf deiner Weltreise, Oma?“

„Nicht so gut, wie ich es mir vorgestellt habe, als ich in Rente gegangen bin. Die Käfighaltung in Büros hinterlässt Spuren. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man plötzlich in die Freiheit entlassen wird.“

Sie ergriff die Pfanne und stellte sie auf einen unkonventionell geformten Untersetzer aus Ton. Moni lächelte. Anjas kleine Finger, ihr eifriges, mit Lehm verschmiertes Gesicht …

Die Spaghetti standen schon auf dem Tisch, aus einem Schüsselchen stieg der Geruch von frisch gehobeltem Parmesan. „Guten Appetit, Liam.“

Davon konnte bei ihrem Enkel keine Rede sein. Er schob seine Nudeln auf dem Teller hin und her, fragte Moni nach ihren Reiseerlebnissen in Thailand, Laos, Australien, dem Yosemite, Kanada und Norwegen.

Er hörte ihr nicht wirklich zu und starrte zu der verglasten Türe hinaus, die in den Garten führte.

Rosen glühten vor dem Grün des Rasens, Phlox und Chrysanthemen leuchteten, als gäbe es keine Schnecken. Seit Moni vor einem Dreivierteljahr auf Reisen gegangen war, war ihr Garten buchstäblich aufgeblüht, ihr Nachbar hatte gute Arbeit geleistet.

Sie leckte ihren Löffel ab und legte ihn auf den blanken Holztisch. „Schluss mit dem Smalltalk. Du siehst unglücklich aus, Liam. Magst du mir erzählen warum?“

Seine Lippen zitterten, seine Stimme war leise. „Sie ist weg. Susi ist weg.“

Er wandte sich von Moni ab und wischte über seine Augenwinkel.

Susi – das war wohl ein Mädchen, das ihn verlassen hatte. Aber warum kam er damit ausgerechnet zu seiner Großmutter? Sicher, Liam mochte sie, weil sie immer seine Partei ergriff, wenn sein Vater ihn als Taugenichts herunterputzte. Aber seine Vertraute war sie nie gewesen, dazu kannten sie einander zu wenig; Liam war erst im letzten Semester nach München gezogen.

Moni stand auf und machte sich daran, den Tisch abzuräumen und das Geschirr in die Spülmaschine einzuordnen. So hatte der junge Mann etwas Zeit, sich zu fassen.

Hinter ihr quietschte ein Stuhl. Ihr Enkel war aufgestanden und marschierte in der kleinen Küche auf und ab, immer knapp daran, Gewürzdosen, Müslipackungen oder Marmeladengläser aus den offenen Regalen zu wischen. „Susi ist verschwunden. Hast … hast du nichts darüber in der Zeitung gelesen? Blödsinn, natürlich nicht, ich habe ganz vergessen, dass du erst seit Kurzem zurück in Deutschland bist.“

„Was ist denn passiert?“

„Ich weiß es nicht! Zuerst habe ich gedacht, Susi hätte das Interesse an mir verloren, sie hat sich nicht mehr am Handy gemeldet und meine SMS nicht beantwortet, aber dann …“

Er warf sich auf den Stuhl und schlug die Hände vors Gesicht.

Moni bereitete eine Kanne Grüntee, den hatte Liam bei ihren seltenen Besuchen in Berlin immer getrunken.

Sie stellte zwei Tassen hin, schenkte ein und setzte sich ihrem Enkel gegenüber. Der herbe Duft stieg in ihre Nase – ach so, sie hatte das Wichtigste vergessen. Sie stand wieder auf und ging zu dem Einbauschrank, in dessen oberstem Fach sie die Süßigkeiten bewusst außerhalb ihrer unmittelbaren Reichweite platziert hatte. Sie musste einen Stuhl heranziehen und hinaufklettern, um an die bereits angebrochene Tafel dunkler Domori-Schokolade heranzukommen. Mit ihrer Beute in der Hand stieg sie wieder herunter, setzte sich und legte sie neben Liams Tasse.

Er versteckte sein Gesicht noch immer hinter seinen tellergroßen Händen, denen er den Spitznamen „Pratze“ verdankte: eine Verballhornung seines Nachnamens Pratzke.

„Du bist kein Kind mehr, das man mit Süßigkeiten trösten kann“, sagte Moni. „Aber ich habe da eine neue Schokoladensorte, die du als Harry-Potter-Fan vielleicht zu schätzen weißt. Ich bin sicher, dass sie gegen Dementoren hilft.“

Er schaute auf, zog ein Tempo aus seiner Jeanstasche und trompetete hinein. „Tut mir echt leid, ich wollte dich nicht – äh – belästigen, nur etwas fragen. Aber ich habe nächtelang kaum geschlafen, und wenn ich an sie denke …“

Er brach ein Stück Schokolade ab und schob es in den Mund. Ein schiefes Lächeln. „Ach, Oma. Es ist so schwer.“

Über der Stuhllehne hing eine Umhängetasche aus Jute; er zog einen Stapel Computerausdrucke heraus und legte sie vor Moni auf den Tisch. „Hier. Schau dir das an.“

Sie nahm den obersten Zettel und hielt ihn eine Armlänge von ihrem Gesicht entfernt vor sich hin, um den Text zu entziffern.

Kochel – Seit dem 3. September suchen Bergwacht und Polizei nach einer vermissten jungen Frau. Die 20-Jährige, die aus Stuttgart stammt, studierte in München an der LMU Pädagogik. Ihr Auto wurde am Kesselberg-Parkplatz gefunden, einem Ausgangspunkt für Wanderungen im Gebiet von Herzogstand und Jochberg. Obwohl bei der Suche 23 Bergwachtleute, ein Hubschrauber und zehn Hundesuchtmpps eingesetzt wurden, fehlt von der Vermissten noch immer jede Spur.

Moni nahm sich einen Ausdruck nach dem anderen vor und las. Die Meldungen lieferten im Prinzip alle dieselben Informationen.

Heute war der 11. September, das Mädchen wurde also seit neun Tagen vermisst.

Arme Eltern. Monis Kehle wurde eng. Es war kaum zu ertragen, wenn ein geliebter Mensch einfach verschwand, das wusste sie nur zu gut.

Sie legte die Papiere hin und schaute ihren Enkel an.

„Ich bin in die Berge gefahren und sinnlos durch die Gegend gelaufen, in der sie ihr Auto gefunden haben“, sagte er. „Durch steile Wälder und Schuttrinnen und absolutes Drecksgelände querfeldein, wo normalerweise kein Mensch hinkommt. Manchmal denke ich, ich werde verrückt.“

„Du liebst sie.“

Liam seufzte. „Ja. Wobei ich nicht einmal weiß, ob es ihr genauso geht. Wir sind eher – äh – befreundet, wir kennen uns erst seit drei Monaten. Ich habe Blumen für sie gepflückt und ein paar Lieder für sie geschrieben. Wir sind oft miteinander an der Isar entlanggeradelt, einmal waren wir im Theater. Und jetzt …“

Er trank einen Schluck Tee. „Jetzt würde ich gerne von dir wissen, wie die Chancen stehen, wenn jemand so lang nicht gefunden wird. Du rennst doch seit vierzig Jahren in den bayerischen Alpen herum und kennst dich dort aus.“

Ihn zu beruhigen wäre verlogen und würde ihm auf die Dauer nichts nutzen.

„Nicht allzu gut, fürchte ich. So etwas passiert relativ oft. Wanderer stürzen ab und verschwinden in einer Gletscherspalte, einer Schlucht oder in anderem Gelände, das man vom Hubschrauber aus nicht einsehen kann.“

„Aber Suchhunde könnten doch der Spur folgen!“, wandte Liam ein.

Moni schüttelte den Kopf. „Es gibt wilde Gegenden in den Bergen, felsig, steil, mit Latschen oder Gestrüpp zugewachsen, da kommen Hunde nicht durch, und die Bergretter haben keine Chance.“

„Susis Auto stand auf einem Parkplatz, von dem man auf den Herzogstand oder den Jochberg wandern kann. Kennst du dich dort aus, Oma?“

„Natürlich. Das sind Münchner Hausberge, an schönen Tagen trifft man dort manchmal Hunderte von Leuten, die Wege sind gemütlich. Aber an einigen Aussichtspunkten am Jochberg steht man direkt über den Felsabbrüchen der Nordwand. Und wer vom Herzogstand zum Heimgarten weitergeht, muss über einen stellenweise mit Drahtseilen gesicherten Grat.“

Liam seufzte. „Zwei Polizisten waren bei mir und wollten wissen, ob Susi deprimiert war oder irgendwie anders als sonst. Sie sagten, bei einem Selbstmord wäre es denkbar, dass sie bewusst vom Weg abgewichen ist.“

„Hältst du es für möglich, dass sie sich umgebracht hat, Liam?“

„Nein! Sie lacht gern und steckt alle mit ihrer guten Laune an. Nein, das ist ausgeschlossen.“

„Erzähle mir mehr von ihr.“

Liam lehnte sich zurück, sein Blick hing im Nirgendwo. „Sie ist keine Barbiepuppe, sondern ein bisschen rundlich, und ich finde das hinreißend, sie hat Grübchen und große braune Augen. Ihre Haare sind dunkelbraun, manchmal trägt sie Zöpfe, und das passt zu ihr, sie hat etwas Ländliches, Einfaches. Noch nie im Leben habe ich so gefühlt. Und jetzt – ich kann es einfach nicht glauben.“

Dass Liam so heftig verliebt war, ließ vermuten, dass er...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7633-0115-1 / 3763301151
ISBN-13 978-3-7633-0115-7 / 9783763301157
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