Leben, auf Papier beschrieben (eBook)

Briefe aus dem Krieg
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
528 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-23353-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Leben, auf Papier beschrieben -  António Lobo Antunes
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»Das Buch der Liebe unserer Eltern.« Maria José und Joana Lobo Antunes
Fast täglich hat António Lobo Antunes seiner Frau geschrieben, als er in den siebziger Jahren in Angola stationiert war. Mit der Veröffentlichung dieser Briefe erfüllen Lobo Antunes' Töchter den letzten Willen ihrer Mutter und machen damit ein einzigartiges, sehr persönliches Zeitdokument zugänglich. Lobo Antunes' Nachrichten aus dem Kolonialkrieg, illustriert mit Faksimiles, Fotos aus Angola und von der Familie, sind zugleich Tagebuch, Literatur, Kriegsbericht und Geschichte einer Liebe.

Der portugiesische Kolonialkrieg in Angola, den Lobo Antunes gut zwei Jahre lang hautnah miterlebte, war, wie für viele andere, auch für ihn eine traumatische Erfahrung. Sein Leben lang hat er sich damit auseinandergesetzt, seine Werke sind davon geprägt. In diesen Briefen hören wir jedoch zum ersten Mal seine persönliche Stimme aus jener Zeit, unverstellt, unzensiert, ganz privat.

Von Januar 1971 bis März 1973 war Lobo Antunes als Militärarzt in Angola, und bis auf drei längere Unterbrechungen, in denen er mit seiner Familie zusammen war, hat er fast täglich an seine damalige Frau geschrieben, die er 1966 kennenlernte und 1970 heiratete. 28 Jahre war er alt, isoliert von seiner Heimat, seiner Liebe, seinen Freunden, und er schrieb, ohne jemals daran zu denken, dass diese Briefe einmal jemand anders lesen sollte als sie. Er schmiedet Zukunftspläne, spricht über familiäre Ereignisse, erklärt berückend und wortreich seine Liebe oder schickt Wunschlisten für Tabak, Essen und Bücher. Er zitiert aus der Literatur, schickt Gedichte, diskutiert Theaterstücke. Und er erzählt von der Bevölkerung in Angola, von seiner Arbeit als Arzt, vom täglichen Horror des Krieges.

Lobo Antunes' Töchter Maria José und Joana haben mit diesem Buch den Wunsch ihrer Mutter erfüllt, nach ihrem Tod die Briefe ihres Mannes an sie zu veröffentlichen. Sie nennen es »Das Buch der Liebe unserer Eltern« und stellen jedem anheim, es für sich selbst anders zu deuten. Eins ist gewiss: Es ist ein einzigartiges Dokument aus dem Leben eines grandiosen Schriftstellers.

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.

Hier läuft alles weitgehend unverändert, und es wäre gut, wenn es so bliebe. Was für eine Geduld ich manchmal aufbringen muß, um gewisse Dinge zu ertragen!!

Mein lieber Schatz, meine Sehnsucht nach Dir ist riesig, und ich mag Dich immer mehr und mehr, und am schwersten fällt es mir, Deine Abwesenheit, dein Fehlen zu ertragen.

Millionen und Abermillionen Küsse von Deinem Mann

António

 

PS. Für den Mitbewohner:

Sei brav, sei vernünftig und ärgere Deine Mutter nicht. Und sag ihr von mir,

ICH LIEBE
ALLES
AN IHR!


 

28.2.71


 

Mein lieber Schatz,

zuerst einmal möchte ich Dir sagen, daß ich alles an Dir liebe an diesem weiteren Sonntag, den wir durch so große Entfernung und so viel Sehnsucht voneinander getrennt sind. Ich mag Dich immer mehr, und Du fehlst mir sehr sehr und noch mal sehr. Ich vergesse Dich nie, und nur Gott weiß, wie gern ich Dich sehen würde. Ich mag alles alles alles an Dir.

Gestern habe ich einen unfaßbaren Tag erlebt, denn ich war mit Machai, einem anderen Freund von mir, zum Abendessen bei Catolo und seiner Frau Domingas. Das Haus von Catolo ist unglaublich, voller Heiligenbildchen (und er bekreuzigt sich, bevor er sich an den Tisch setzt, obwohl er nie Gefangene macht …) und Giraffen und Antilopen aus Holz. Zum Abendessen habe ich Fuba, das Kartoffelmus ähnlich ist und entfernt nach Hostien schmeckt, und Hähnchenteile in einer höllisch scharfen Sauce gegessen und Bier getrunken. Das Schlimmste war, als Catolo mich gezwungen hat, die Lungen des Hühnchens zu essen. Vorher kam er mit einer großen Emailleschüssel voller Wasser, einem Stück Seife und einem Handtuch, stellte alles auf einen Stuhl, damit »der Herr Doktor« die Hände waschen konnte. Ich war wohl der einzige Weiße in einem Umkreis von mehreren Kilometern, und mir wurde das vor allem deutlich, als ein ungeheurer Regenguß auf dem Wellblechdach der Lehmhütte niederging. Sie waren mächtig stolz darauf, mich zu empfangen – Catolos gesamte Familie kam, um mich zu begrüßen –, und alle behandelten mich mit ausgesuchter Höflichkeit. Catolo hat mir auf unnachahmliche Art von seinem Aufenthalt in Lissabon erzählt, wo er den Prémio Governador Geral in Empfang genommen hatte, einem Aufenthalt, der an sich schon besser ist als alle Romane von Jorge Amado und bei dem ihm die unglaublichsten Dinge der Welt passiert sind. Ich werde Dir irgendwann dieses Abenteuer aus der anderen Welt erzählen: sie haben ihn allein in eine Pension an der Praça da Figueira gesteckt, und da er vom Fenster aus immer Menschen auf der Straße sah (»alles Weiße, keine Schwarzen«), dachte er, es sei immer Tag, und wanderte sechs Tage lang, ohne ein Auge zuzutun, durch die Straßen, um hinter den anderen nicht zurückzustehen: »niemand schlief, ich durfte nicht schlafen« etc. etc. etc. Aber die beste Episode ist vielleicht die von seiner Hochzeit oder, besser gesagt, von der Hochzeit, die er fast mit irgendeiner Weißen gefeiert hätte, bei der jeder gleich gesehen hätte, daß es sich um eine der miesesten Huren überhaupt handelte, die er aber für eine »große Dame« hielt.

Mein schöner Schatz, ich mag alles alles alles an Dir. Ich halte hier weiter stand, werde aber erneut von meinen verräterischen Eingeweiden geplagt. Die Ernährung und das Klima werden viel zu diesen ständigen, ärgerlichen Darmstörungen beitragen. Ich hoffe, dieser Mist macht mir nicht meine Gesundheit endgültig kaputt. Das ist eine übertriebene Klage, denn alles läuft letztlich ganz normal.

Meine Liebe, viele Küsse für Dich, sehnsüchtige und zärtliche Gedanken von Deinem total verliebten Ehemann

António

Vergiß nicht, daß ich

alles
an
Dir
mag


 

Meine Liebste,

 

hier kommen die interessanten Dokumente, von denen ich Dir erzählt habe und die in einem Terroristencamp gefunden wurden. Es lohnt nicht, die anderen Dinge wie Verpackungen von Arzneimitteln und Verbandsmaterial (alles russische Fabrikate) zu schicken. Aber ich dachte, Dir würden diese Bücher gefallen, denn sie sind nur schwer zu bekommen.

Mit Millionen Küssen von Deinem immer verliebteren Mann

António

1.3.71


 

1.3.1971
Noch immer in Gago Coutinho

 

Mein lieber Schatz,

ich liebe Dich weiterhin immer mehr und habe immer größere Sehnsucht nach Dir. Meine Liebe wird täglich um etliche Ewigkeiten größer, und ich fange schon an, die Monate zu zählen, die mich von Dir trennen. Bald werden wir einen Monat lang zusammensein, und ich hoffe, daß er mindestens so langsam vergeht wie die Zeit hier in dieser turbulenten Gegend.

Gestern kam ein Brigadegeneral (er stieg aus dem Flugzeug, ging eine halbe Stunde herum und setzte sich wieder ins Flugzeug, als hätten wir alle hier die Pest), und die Gefreiten sangen meine schöne geheime Komposition, die »Hymne der Brigadiere«:

All die Brigadiere
Mutig wie die Tiere etc.

Wie Du siehst, ich sprudele noch immer.

Noch etwas hat mich amüsiert, nämlich die Schlagzeile einer Zeitung aus Luanda, die besagte

DIE MÄNNER, DIE IN GAGO COUTINHO KÄMPFEN,
SIND MÄNNER IN GROSSBUCHSTABEN

Was sagst Du dazu? Da siehst Du mal, was für einen Mann Du Dir zugelegt hast, von was für einem Kaliber ich bin …

Mit derselben Post schicke ich Dir ein russisches Mathematikheft und zwei Lesebücher der MPLA, wirklich interessante Dokumente, die einem zu denken geben. Ansonsten ist die Ungerechtigkeit dieser Schreibereien offenkundig, jenseits jeder politischen Besonnenheit. Sie wurden bei einer Operation von Catolo beschlagnahmt, als ich ihn, obwohl ich schon hier war, noch nicht kannte. Sie hatten einem politischen Kommissar in einem Lager gehört, von dem ich mehrere Fotos gesehen habe, mit Wappentor und allem, vorzüglich im Busch verborgen. Es gibt so vieles von hier zu erzählen, von diesem sandigen Land, seinen Bananenstauden und Sümpfen! Heute ist Machai gekommen, um mir zu sagen, daß es am Sonnabend einen Merengue mir zu Ehren geben wird, den meine Freunde organisiert haben. Einer, Chinóia Camanga, ehemaliger Hauptmann der Unitas, wird dabei nicht viel gemacht haben, denn er ist immer häufiger betrunken. Noch gestern habe ich ihn aus einer Kneipe geholt, die pompös Freizeitclub genannt wird, wo er vor einer kleinen, respektvollen Menschenmenge herumstolperte, denn trotz allem ist sein Ansehen sehr groß, weil er ein herausragender Krieger ist. Unglücksfälle des Lebens …

Meine hübsche, geliebte Schönheit, ich bete Dich an, ich liebe Dich. Hier kommen meine Küsse und Umarmungen und meine ganze Sehnsucht mit viel Liebe von

António

 

PS. Zum Glück fehlt nur noch wenig, bis ich wieder bei Dir bin! GTS


 

2.3.71

 

Mein lieber Schatz,

erst gestern habe ich Dir die MPLA-Lesebücher geschickt, die hoffentlich in guten Zustand ankommen, obwohl sie wahrscheinlich eine Weile brauchen werden, nicht so lange allerdings wie die Aerogramme meiner Mutter – und die Zeitschriften –, die ich immer noch nicht bekommen habe. Sie fehlen mir hier wahnsinnig, da ich zu ärgerlichen Ausgaben gezwungen sein werde, wo ich doch so viel wie möglich sparen müßte. Ich schreibe 2 Briefe am Tag – und dennoch bin ich mit meiner Korrespondenz sehr im Verzug – und brauche daher etwa 60 Aerogramme im Monat. Sprich mit meiner Mutter darüber, aber Vorsicht: ich möchte nicht, daß Du Geld ausgibst, außer für unbedingt Notwendiges. Ich hätte auch gern gewußt, was mit dem SPM von Gildásio und von Jorge Rocha Mendes ist, und hätte gern die Adressen von Martinha und Dr. Manuel Abecassis. Ich muß nur noch diesen vieren schreiben, Onkel João und Teresa Janz (Fêfê habe ich bereits ein Aerogramm geschickt), um die Sammlung meiner Briefpartner zu vervollständigen.

Die Wohnung an der Avenida Grão Vasco ist wirklich großartig, sie wäre tatsächlich ideal für uns. Das einzige Problem ist die Miete, aber wenn der Mann von seinem hohen Roß etwas herunterkommt, könnte man das doch irgendwie regeln, findest Du nicht? Du wirst das schon so regeln, wie Du es für das Beste hältst, und was Du machst, finde ich in Ordnung. In diesem Monat, ich nehme an, in den nächsten Tagen, wirst Du, denke ich, die ersten der 5 Contos bekommen, die dann tröpfchenweise regelmäßig kommen werden. Das größte Problem wird meine Rückkehr sein, aber wenn ich schon von hier aus etwas Sicheres habe, zum Beispiel die Idanha13 oder die Polizei, von der Dein Vater gesprochen hat, oder irgendeine andere Anstellung, dann würde alles wie durch einen Zauber einfacher werden, und wir wären mehr oder weniger frei von monetären Ängsten. Vielleicht könntest Du Dich ja deswegen mal umhören, es wäre sehr wichtig für uns.

Die Geschichte macht Fortschritte und ist zweifellos die beste, die ich bis heute geschrieben habe: ich hoffe sie zum Urlaub fertig mitzubringen, und vielleicht könnte sie ja ein kleiner monetärer Erfolg werden – außer einem genialen Erfolg, denn das ist sie ganz bestimmt … … …

Entschuldige diesen kühlen Geschäftsbriefton. Inzwischen habe ich hier und da zu lächerlichen Preisen ein paar Kunstwerke eingeborener Künstler erworben, die für die Wohnung ganz besonders interessant wären. Wegen Deiner Liebe zu Spazierstöcken habe ich schon 2 bestellt, und ich hoffe, sie werden...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2018
Übersetzer Maralde Meyer-Minnemann
Zusatzinfo mit zahlr. s/w-Abb.
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Deste viver aqui neste papel descripto. Cartas da Guerra
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte 1970er • 70erjahre • Abenteuerroman • Afrika • Angola • Briefe • eBooks • Ehefrau • Familie • Fotos • Kolonialismus • Kolonialkrieg • Kriegsbericht • Liebe • Literatur • Portugal • Roman • Romane • Tagebuch
ISBN-10 3-641-23353-4 / 3641233534
ISBN-13 978-3-641-23353-2 / 9783641233532
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