Venezuela (eBook)

Die gescheiterte Revolution

(Autor)

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2018 | 1. Auflage
248 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-411-1 (ISBN)

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Venezuela - Hannes Bahrmann
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Mit gewaltigen Finanzmitteln aus dem Erdölverkauf wollte Hugo Chávez in Venezuela den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« einführen. Das Konzept stammte von deutschen Soziologen, die Umsetzung erfolgte mit kubanischen Beratern. Doch die Revolution scheiterte grandios. Heute ist Venezuela hoch verschuldet und verzeichnet Weltrekorde bei Inflation und Kriminalität. Die Versorgung ist zusammengebrochen.Die Armut, die eigentlich bekämpft werden sollte, hat sich seit den Präsidentschaften von Chávez und Maduro verdoppelt. Die Proteste auf den Straßen nehmen zu. Was ist schiefgelaufen?
Hannes Bahrmann blickt in die Geschichte des Landes zurück, zieht eine kritische Bilanz der Entwicklung der letzten Jahre und zeigt die tieferen Ursachen auf.

Hannes Bahrmann, Jahrgang 1952, studierte Lateinamerikawissenschaften und Geschichte, arbeitete als Journalist und ist Autor zahlreicher Sachbücher zur Geschichte Lateinamerikas, darunter Publikationen zu den gescheiterten Revolutionen in Kuba (2016), Nicaragua (2017) und Venezuela (2018). Darüber hinaus veröffentlichte er viel beachtete Bücher zur DDR-Politik und deutschen Vereinigung.

Jahrgang 1952, Studium der Geschichte und Lateinamerikawissenschaften in Rostock; danach Journalist bei Rundfunk, Zeitungen und Nachrichtenagenturen; seit 1984 regelmäßige Reisen nach Kuba und Nicaragua; Autor zahlreicher Sachbücher zur Geschichte Mittelamerikas und der DDR-Politik, darunter "6 mal Mittelamerika", Berlin 1985; "Piraten der Karibik", Berlin 1989; "Chronik der Wende", Berlin 1994/1999, zuletzt: "Abschied vom Mythos. Sechs Jahrzehnte kubanische Revolution"; er arbeitete in den 1980er-Jahren in Nicaragua als Berater der UNESCO, war Wahlbeobachter in Managua und reiste wiederholt durch das Land; lebt in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.

Die Vorgeschichte


»Die mythenbildende Kraft der Volksphantasie
hat sich zu allen Zeiten in der Erfindung ›großer Männer‹ bewährt.
Das schlagendste Beispiel dieser Art ist unstreitig Simón Bolívar.«

Karl Marx

Hätte Chávez das Ende seiner Revolution in diesen Tagen miterlebt, er hätte angesichts der Verhältnisse wohl ein ähnliches Fazit wie sein großes Vorbild Simón Bolívar ziehen müssen. Der schrieb nach zwanzig Jahren Kampf um die Unabhängigkeit 1830:

1.»Lateinamerika ist für uns unregierbar.

2.Wer der Revolution dient, pflügt das Meer.

3.Das einzige, was man in Amerika machen kann, ist emigrieren.

4.Dieses Land wird unweigerlich in die Hände zügelloser Tyrannen fallen, die allen Farben und Rassen angehören.

5.Zerfressen von den Verbrechen, erschöpft von der Barbarei, werden uns die Europäer verachten und nicht einmal mehr erobern wollen.«

Ungeachtet dieses deprimierenden Resümees kurz vor seinem Tode, ist außer Ernesto »Che« Guevara kein anderer lateinamerikanischer Freiheitskämpfer so oft abgebildet und verklärt worden wie Bolívar. Straßen und Schulen tragen seinen Namen, die venezolanische Währung, Städte und Provinzen und sogar ein Land – Bolivien. Seit einem Erlass aus dem Jahre 1876 muss in Venezuela der Hauptplatz jedes noch so kleinen Ortes nach dem Libertador (Befreier) benannt werden. Seine Büste ist in Venezuela allgegenwärtig, ob in Amtsstuben, auf Plätzen oder in Parks. Selbst sein Pferd ziert das Staatswappen der heutigen Bolivarischen Republik Venezuela.

Hugo Chávez war dem Befreier förmlich verfallen. Bei seinen Auslandsreisen wurden die Hotels oder Residenzen, in denen er übernachtete, angewiesen, ein lebensgroßes Bild Bolívars aufzuhängen. Bei Kabinettssitzungen blieb neben dem Präsidenten stets ein Stuhl frei, damit sich der Angebetete setzen konnte, sollte er überraschenderweise doch einmal vorbeikommen. Aus jeder Flasche Rum, die er öffnete, goss er den ersten Schluck auf den Boden, mit den Worten: »Für Simón Bolívar«. Wenn er allein sein Essen einnahm, war ein zweites Gedeck auf dem Tisch, und manch ein Kellner berichtete später, Chávez bei einer angeregten Unterhaltung angetroffen zu haben. Auf den verwunderten Blick eines Kellners soll er geantwortet haben: »Ich habe mich gerade mit Bolívar unterhalten.«

2010 ließ Chávez die Gebeine Bolívars aus dem Pantheon in Caracas holen, um sie in Spanien auf ihre Echtheit prüfen zu lassen. Ein Jahr später präsentierte er einen neuen Luxussarg für den nunmehr geprüften echten Befreier. »Wir wissen jetzt zweifellos und für immer, dass Du hier bist, Vater, Du bist hier mit uns, das bist Du«, sagte Chávez bei der Feier im Pantheon. Der neue Mahagoni-Sarg war mit Perlen und Diamanten sowie acht von der venezolanischen Zentralbank gestifteten Goldsternen verziert. Bis zum 17. Dezember 2030, dem 200. Todestag Bolívars, sollte ein Mausoleum errichtet werden.

Wer war dieser Simón José António de la Santísima Trinidad Bolívar Palacios y Blanco?

Er wurde 1778 in eine Familie spanischer Aristokraten aus dem Baskenland in Caracas geboren. Sein Vater besaß Bergwerke, Plantagen und Sklaven und war einer der reichsten Venezolaner der damaligen Zeit. Man wurde Ausgang des 18. Jahrhunderts in Südamerika nicht sehr alt – mit neun Jahren war Simón Bolívar bereits Vollwaise und mit 21 Jahren Witwer.

Landläufig sieht man in lateinamerikanischen Kämpfern verwegene Gestalten mit üppigen Schnauzbärten, mit viel Temperament und wenig Plan. Bolívar war das Gegenteil: Seine Erscheinung war nicht sehr eindrucksvoll, er war klein und schmächtig, dafür aber von überragendem Geist. Er gehörte zweifellos zu den weltweit bedeutendsten Denkern und Politikern des 19. Jahrhunderts.

Der Kämpfer für die kontinentale Unabhängigkeit Simón Bolívar (1783 – 1830)

Bolívar hatte Glück mit seinen Lehrern: Andrés Bello, einer der klügsten Lateinamerikaner seiner Zeit, Gefährte von Alexander von Humboldt auf dessen Reisen durch den Kontinent, unterrichtete ihn in Geographie und Literatur. Noch größeren Einfluss hatte Simón Rodríguez. Er machte den jungen Bolívar mit den Philosophen der damaligen Zeit vertraut. Beim englischen Staatstheoretiker Thomas Hobbes lernte er dessen Gesellschaftsverständnis einer aufgeklärten Monarchie, wonach alle Menschen bei der Überwindung von Furcht und Unsicherheit ihre Freiheitsrechte auf den Souverän übertragen, der sie voreinander schützt. Der französische Aufklärer Claude Adrien Helvetius lehrte ihn, dass das Glück aller die Voraussetzung für das Glück des Einzelnen ist. Alle Menschen seien gleich, Unterschiede durch Besitz gelte es zu begrenzen.

Der Höhepunkt der Unterrichtungen war für seinen Lehrer das Werk von Jean-Jacques Rousseau, dem Wegbereiter der französischen Revolution. Hier wurde Bolívar vertraut mit dessen Grundauffassung, dass alle Menschen von Natur aus gut seien, aber dann durch die gesellschaftlichen Verhältnisse Neid, Missgunst und Niedertracht die Oberhand gewinnen würden. Daher sei es notwendig, einen Sozialvertrag zu schließen, der ein einvernehmliches Zusammenleben regele. Zudem lernte Bolívar über Rodríguez auch die Grundprinzipien der Republik, Gewaltenteilung und Volkssouveränität, kennen.

Als sein Lehrer wegen Widerstands gegen die spanische Kolonialverwaltung das Land verlassen musste, trat Bolívar als Kadett in die Militäranstalt Milicias de los Valles de Aragua ein. Nach zwei Jahren wurde er zum Unterleutnant befördert und zu weiterreichenden Studien nach Madrid geschickt. Dort wohnte er bei einem Amerikaner, der der Geliebte der Königin war und ihm auch Zugang zum Hof verschaffte. Im Anschluss an seine Studien unternahm der junge Venezolaner ausgedehnte Reisen durch Europa, beobachtete die Krönung Napoleons, traf Alexander von Humboldt, war an Königshöfen ein ebenso gern gesehener Gast wie in den literarischen Salons.

1807 kehrte Bolívar nach Venezuela zurück. Zur damaligen Zeit lebten dort weniger als eine Million Einwohner. 200 000 zählten sich zur weißen Oberschicht, 60 000 Sklaven schufteten am anderen Ende der sozialen Skala und dazwischen lebten die Mestizen und Mulatten von der Produktion von Kolonialwaren. Es gärte im Land. Der damals 57-jährige Francisco Miranda unternahm bereits konkrete Schritte zur Beseitigung der spanischen Fremdherrschaft. Er hatte sich aktiv an der französischen Revolution beteiligt und war dort zum General aufgestiegen. Anschließend reiste er quer durch Europa, um Waffen und Geld für den Unabhängigkeitskampf daheim zu sammeln. Schließlich konnte er ein kleines Expeditionsheer ausrüsten, das 1806 in See stach. Das Unternehmen scheiterte jedoch, ehe es begonnen hatte, viele starben, Miranda gelang die Flucht.

Sein Ziel war es, die Amerikaner des gesamten Kontinents zu vereinen. Eine föderative Regierung sollte ihren Sitz an seiner engsten Stelle nehmen: in Panama. Staatsreligion sollte der Katholizismus sein, aber ohne die Inquisition. Einen Namen für das neue Staatswesen hatte Miranda auch schon: El Império Americano. Er war der Erste, der den Ureinwohnern Amerikas eine zentrale Rolle zudachte. Zwei Inkas sollten die Regierung ernennen und führen, einer in Panama, der andere reisend, um sich den Problemen der Bewohner vor Ort zu widmen.

1810 gelang der Putsch gegen die spanische Kolonialverwaltung. Er wurde zum Signal einer kontinentalen Erhebung. Die Aufständischen übernahmen die Stadtverwaltung von Caracas. Doch angesichts der Übermacht des Gegners suchten sie nach Unterstützung durch eine Großmacht. Mit dieser Mission betrauten sie den damals 27-jährigen Simón Bolívar. Der sprach bei den Vereinigten Staaten vor, doch die beriefen sich auf ihre Neutralität. Auch England winkte ab, weil es mit Spanien gegen Napoleon verbündet war. In London traf er Francisco Miranda, der sich ihm auf der Heimreise anschloss und den Vorsitz der ersten Republik Venezuela von 1810 übernahm. Beide verfolgten die Idee einer kontinentalen Einigung.

Bolívar hatte ein festumrissenes Zukunftskonzept. Statt eines Königs sah Bolívar einen starken Präsidenten an der Spitze des Staates. Wie beim Vorbild der englischen Verfassung sollten feste Regeln das Zusammenleben organisieren. Zu gewährleisten seien bürgerliche Freiheiten, so die Freiheit der Rede, des Gewissens und der Presse. Mann und Frau seien gleich zu behandeln. Ein oberster Rat nach dem Vorbild der griechischen Antike sollte mit seinen Gesetzen einen verbindlichen Sittenkodex schaffen, an den sich jedermann zu halten hatte. Begabte junge Menschen sollten unabhängig von ihrer Herkunft gefördert werden, ein Institut hatte die Aufgabe, geeignete Schriften für die Volksaufklärung herauszugeben. Arbeit und Wissen sollten Leitmotive des neuen Staats sein. Soweit der Plan.

Doch der Kampf um die Unabhängigkeit zwang Bolívar, sich in der zweiten Hälfte seines Lebens in bewaffneten Auseinandersetzungen aufzureiben. Es zeigte sich, dass der kleine, schmächtige Mann das Zeug zu einem großen Feldherrn hatte. Er verfügte über schier unbegrenzte Energien, verkraftete Niederlagen, war körperlichen Strapazen gewachsen und schreckte auch vor Grausamkeiten nicht zurück. Mit den Jahren wuchsen seine Ruhmsucht und sein ausgeprägter Machtwille. Bei seinen Feldzügen legte er in Lateinamerika mehr an Kilometern zurück als die großen historischen Feldherrn Hannibal, Alexander der Große und Cäsar zusammen. Hunderttausende seiner Soldaten fanden den Tod, er überlebte, aber neben den Worten und der Schrift nahm das Schwert einen immer größeren Platz...

Erscheint lt. Verlag 21.3.2018
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Zusatzinfo 57 s/w-Abbildungen und 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Schlagworte Bolivarianische Revolution • Bolivarische Revolution • Bolivarismus • Caracas • chavismus • Heinz Dieterich • Hugo Chávez • Nicolás Manduro • panamerikanismus • Petrodollar • Revolución Bolivariana • Revolution • Simón Bolívar • Sozialismus • Südamerika • Venezuela
ISBN-10 3-86284-411-0 / 3862844110
ISBN-13 978-3-86284-411-1 / 9783862844111
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