Das dunkle Wort (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44406-1 (ISBN)
Sylvia Englert hat Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert und schrieb als Journalistin unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Ihre Fantasyromane für Jugendliche unter dem Pseudonym Katja Brandis (Woodwalkers-Reihe) stürmen derzeit die SPIEGEL-Bestsellerliste, nun hat sie mit 'Das dunkle Wort' einen Roman für Erwachsene vorgelegt. Wenn sie nicht gerade um die Welt reist, lebt sie mit Mann, Sohn und drei Katzen in der Nähe von München.
Sylvia Englert hat Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert und schrieb als Journalistin unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Ihre Fantasyromane für Jugendliche unter dem Pseudonym Katja Brandis (Woodwalkers-Reihe) stürmen derzeit die SPIEGEL-Bestsellerliste, nun hat sie mit "Das dunkle Wort" einen Roman für Erwachsene vorgelegt. Wenn sie nicht gerade um die Welt reist, lebt sie mit Mann, Sohn und drei Katzen in der Nähe von München.
Prolog
Inyra wusste, wie Furcht schmeckte. Wie Asche, bitter und heiß – so heiß, dass sie sich durch den ganzen Körper brannte. So fühlte sich ihr Inneres an, als sie einen Fuß vor den anderen setzte, auf dem kaum sichtbaren Pfad durch das stachelige Crizzra-Gestrüpp. Es schien sich an sie zu krallen, sie zurückzuhalten. Hatte er es verhext?
Sie warf einen besorgten Blick zu ihrer Tochter Vinja, die bewegungslos in dem Tragetuch auf dem Rücken ihres Neffen hing. Ihr Kopf war zu Seite gesackt, ein dünner Speichelfaden rann aus ihrem Mundwinkel. Inyra ging einen Moment lang schneller, um ihren Neffen einzuholen, nahm einen Tuchzipfel und wischte den Faden behutsam weg. Immerhin, Vinnie wirkte nicht verängstigt. Sie konnte nicht wissen, wohin ihre Mutter sie brachte. Zu wem.
»Wie weit noch?«, ächzte ihr Neffe Mig. »Der Weg ist verdammt steil! Wir müssten doch bald oben sein.«
»Nicht mehr weit«, sagte Inyra.
»Was ist, wenn der Kerl uns nicht sehen will? Schließlich lebt er auf diesem Berg, weil er allein sein will, hat Pap gesagt … und immerhin hat er jemanden umgebracht, sagen alle – seine Frau und sein ungeborenes Kind gleich dazu!« In Migs Stimme klang Besorgnis mit. »Das stimmt doch, oder?«
»Es stimmt«, sagte sie knapp. Mig war zu jung, um sich zu erinnern – vor vier Jahresläufen hatte er sich noch mit den jungen Hunden auf der Erde gewälzt und für ein halbes Mon pro Stück Feuerwanzen gefangen, bevor sie irgendetwas in Brand stecken konnten. Doch Inyra erinnerte sich gut, es war ein großer Skandal gewesen. Der junge, brillante Erste Magus des Regenten, angeblich der talentierteste Magier seiner Generation, alle hatten über seine neusten Erfolge gesprochen … und dann das. Dunkle Magie habe er entfesselt, um seine Frau nach einem Streit auf grausame Weise zu töten, hieß es.
Dunkle Magie! Ein eiskalter Schauer überlief Inyra. Aber sie zwang ihre Füße voran, einen Schritt und dann noch einen und noch einen. Sie musste versuchen, mit ihm zu reden, ihn um Hilfe zu bitten, das schuldete sie Vinnie.
»Er hat niemandem geschadet, seit er hier ist«, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.
»Es hat ihn ja auch niemand wütend gemacht«, keuchte Mig und blieb stehen, um zu verschnaufen oder sich nach Schmetterlingen umzusehen. Er war vernarrt in die Viecher, in jedem freien Moment beobachtete und zeichnete er sie.
Gerade bewegte Vinnie sich und wimmerte leise. Inyra strich ihr beruhigend über das Köpfchen, gab ihr einen Kuss und zupfte das Lederblatt zurecht, das sie vor der grellen Sonne der Trockenzeit schützte.
»Aber wer ist er denn nun? Warum glaubst du überhaupt, dass er Vinnie …« Mig konnte den Mund nicht halten. Das war schon so gewesen, als sie ihn in der Dorfschule unterrichtet hatte – gnädige Ostra Namina, wie gern sie jetzt dort gewesen wäre, vor einer Klasse von Kindern, die sie mit leuchtenden Augen anblickten! Aber diese Zeit war vorbei, vielleicht für immer, schließlich musste sie sich um Vinja kümmern.
»Das habe ich dir längst gesagt, schon vor Tagen.« Sie schaffte es nicht, die Ungeduld aus ihrer Stimme zu tilgen. »Er ist ein Magier. Du hast schon mal einen Magier gesehen, oder?«
Doch der Sohn ihres Bruders antwortete nicht – er schwieg erschrocken. So wie sie selbst.
Sie waren angekommen. Vor ihnen auf einem felsigen, mit dürrem Gras bewachsenen Plateau stand die ehemalige Schäferhütte. Besonders groß war sie nicht. Grob behauene Steine und Holzbalken trugen ein Dach aus Schieferplatten.
Inyra spürte ihr Herz in der Brust flattern. Doch unverhofft trat Mig neben sie und schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das half ein wenig.
»Gehen wir«, sagte Inyra entschlossen.
Als sie die Hand hob, um an die verwitterte Holztür zu klopfen, fuhr ihr der Schreck bis ins Mark. Denn in diesem Moment bog mit langen Schritten ein Mann um die Ecke der Hütte – ein schlanker, breitschultriger Mann mit kurz geschorenen, weißen Haaren. Schweigend blickte er ihnen entgegen. Er trug einfache Kleidung, nicht den weißen Umhang eines Magiers, und doch wusste sie sofort, dass er es war. Terwyn del Cresta.
Warum hatte sie eigentlich jemanden erwartet, der gebeugt und erloschen war? Dieser Mann wirkte intensiv und kraftvoll. Er war kaum älter als sie selbst, und sie hatte gerade einmal achtundzwanzig Jahresläufe erlebt.
»Was wollt ihr hier?«, fragte der Mann schroff. Seine Stimme klang rau, als habe er sie lange nicht benutzt. »Habt ihr nicht gehört, dass ich keinen Wert auf Besuch lege?«
Er hängte ein Bündel Pfeilwurzeln, das er in der Hand gehalten hatte, zum Trocknen an einen Haken. Dabei rutschte der Ärmel seines Hemdes zurück, und zum Vorschein kamen die Wellen-Ornamente, die jeder Magier in Skaidar trug. Reines Silber, so tief mit der Haut verbunden, dass es ein Teil von ihr geworden war.
Aus dem Augenwinkel sah Inyra, wie sich Migs Lippen bewegten, er zu zählen begann … und seine Gesichtszüge erstarrten. Denn es waren nicht zwei Wellen, die dieser Mann trug, so wie der Magier ihres Dorfes, und auch nicht drei oder vier. Es waren sieben – er hatte alle Sieben Ströme gemeistert. Noch nie hatte Inyra jemanden gesehen, der den Siebten Strom beherrschte, und wahrscheinlich würde sie auch nie wieder einen solchen Magier sehen.
Egal jetzt, rief sie sich zur Ordnung, warf einen Blick zu Vinnie hinüber und neigte dann den Kopf. »Shaquar schütze Euch, Terwyn del Cresta. Entschuldigt, dass ich Euch störe, aber ich komme wegen meiner Tochter Vinja.« Rasch, bevor er sie davonjagen oder verwünschen konnte, befreite sie Vinnie aus dem Tragetuch auf dem Rücken ihres Neffen und hielt sie dem Mann entgegen, ein jämmerliches Bündel, das wieder begonnen hatte, leise zu wimmern.
Terwyn del Cresta seufzte und deutete auf eine Holzbank vor der Hütte. »Wie alt ist sie? Wie lange ist sie schon so?«
Steif vor Angst setzte sich Inyra mit Vinnie auf die Bank, und der Mann ging vor ihnen in die Hocke. Als Inyra sah, wie sanft seine kräftigen Hände ihre Tochter untersuchten, schwand ihre Furcht ein wenig. »Bei der Geburt vor einem Jahreslauf ist etwas schiefgegangen. Wir haben uns so auf sie gefreut, aber seither ist sie wie in sich selbst gefangen.« Sie erwähnte nicht, dass ihr Mann deswegen gegangen war, sie nicht einmal mehr wusste, wo er war. Das interessierte ihn sicher nicht.
»Was sagt der Magus Eures Dorfes?«
Inyra verzog verächtlich den Mund. »Er ist ein Stümper und richtet genauso viel Unheil an, wie er behebt! Beherrscht nur den Zweiten Strom, stolziert aber durch den Ort, als sei er der Beschützer aller Orchideen höchstpersönlich. Er hat gesagt, da kann man nichts machen und auch der Magus im nächstgrößeren Ort könne nicht richten, was mit ihr nicht stimmt.«
»Ich fürchte, in diesem Fall hat er recht«, sagte del Cresta. »Fünfter Strom mindestens.«
Sie schwiegen alle einen Moment. Inyra musste nicht aussprechen, was das bedeutete. Magier des Fünften Stroms gab es nur wenige in Skaidar, sie arbeiteten am Hofe des Regenten oder in den großen Handelsstädten. Wenn es ihr überhaupt gelänge, den langen, beschwerlichen Weg zu unternehmen und zu einem von ihnen vorzudringen, wäre es teuer, ihn zu beauftragen. Viel zu teuer.
Die sieben Wellen glänzten auf Terwyn del Crestas Unterarm, einen Moment lang nur, dann schob er den Ärmel wieder darüber. »Ich selbst kann es nicht tun«, sagte er.
»Bitte«, sagte Inyra leise und spürte, wie Verzweiflung in ihr hochstieg. »Wenn es um das Geld geht, dann … wir …«
Einen Moment lang war sein Gesicht ausdruckslos. Dann meinte er: »Darum geht es nicht. Ich habe geschworen, nie mehr Magie einzusetzen. Es tut mir wirklich leid.«
Mit großen Augen starrte Mig ihn an. »Aber … das ist Verschwendung!«, platzte er lautstark heraus, und Inyra erstarrte erneut vor Schreck.
Terwyn del Cresta wandte Mig das Gesicht zu, und einen Moment lang stand in seinen Augen etwas, das Inyras Knie noch weicher werden ließ. Eine furchtbare Dunkelheit. »Bist du sicher?«, fragte der Mann, der bis vor vier Jahresläufen der Erste Magus des Regenten gewesen war. Unter seinem Blick schien Mig auf die Größe eines Noynoys zu schrumpfen. Schweigend schüttelte er den Kopf.
Vinnie bewegte sich auf Inyras Schoß, strampelte ein wenig, als versuchte sie, sich aufzurichten, und hob den Kopf. Erstaunt merkte Inyra, dass die Kleine den Mann vor ihr anblickte. Dabei verzog sich das Gesicht ihrer Tochter, als wolle sie lächeln.
Del Crestas Züge entspannten sich ein wenig. Er holte tief Luft, richtete sich auf und verschwand einen Moment lang im dämmrigen Inneren seiner Hütte. Mit einem Stück Lederblatt in der einen Hand und einem kleinen Beutel in der anderen kam er wieder heraus. »Das hier ist Sibellkraut, das sollte helfen, ihre Muskeln etwas zu entspannen«, sagte er, reichte Inyra den Beutel und anschließend das dünne gegerbte Lederblatt. »Und das hier ist eine Nachricht an Idassa del Nelmon, die Erste Magus im Orchideenpalast. Wenn Ihr damit zu ihr geht, kann es sein, dass sie Euch hilft. Sagt ihr auch, dass sie den Stümper in Eurem Dorf ablösen lassen soll.« Er wandte sich zum Gehen, doch dann hielt er noch einmal inne und blickte Mig an. »Ach ja, und du, geh mal zu einer Sichtung. Du hast magisches Talent. Tu uns allen den Gefallen und lass dich ausbilden.«
»Wer … ich?« Migs Gesicht hatte die Farbe saurer Milch angenommen.
»Ja, du!«
»Aber wie …«
»Kann man spüren.« Die Tür knallte ins Schloss.
Inyra stieß den angehaltenen Atem aus....
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2018 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Abenteuer • Dunkle Magie • epische Fantasy • Intrigen • Krieg • Leid • Liebe • Magie • Tragik |
ISBN-10 | 3-426-44406-2 / 3426444062 |
ISBN-13 | 978-3-426-44406-1 / 9783426444061 |
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