Der Zerfall der Demokratie (eBook)
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44497-9 (ISBN)
Yascha Mounk, 1982 in München geboren, ist Politikwissenschaftler und Associate Professor an der Johns-Hopkins-Universität. Darüber hinaus hat er die einflussreiche Zeitschrift Persuasion gegründet und schreibt u.a. für die New York Times, den Atlantic und die ZEIT. Bei Droemer erschien von ihm 2018 Der Zerfall der Demokratie.
Yascha Mounk, 1982 in München geboren, ist Politikwissenschaftler und Associate Professor an der Johns-Hopkins-Universität. Darüber hinaus hat er die einflussreiche Zeitschrift Persuasion gegründet und schreibt u.a. für die New York Times, den Atlantic und die ZEIT. Bei Droemer erschien von ihm 2018 Der Zerfall der Demokratie.
Vorwort
Es war eine Schreckensvision der Zukunft. Normales Leben gab es in der Stadt, als ich sie an einem Samstag im Spätsommer des Jahres 2018 besuchte, nicht mehr. Der Verkehr von Straßenbahnen und Bussen war, zumindest im Zentrum, eingestellt. Viele Geschäfte hatten geschlossen.
Drei Gruppen hatten Chemnitz untereinander aufgeteilt: die Rechten, die lautstark und zahlreich durch das Zentrum marschierten. Das viel kleinere Grüppchen von Gegendemonstranten, das sich etwas abseits zu einem Konzert gegen rechts versammelt hatte. Und die Polizei, die vor allem damit beschäftigt war, beide Lager irgendwie auseinanderzuhalten.
Chemnitz ist nicht Deutschland, und auch den Chemnitzer Alltag spiegeln diese furchtbaren Stunden zum Glück nicht wider – das multiethnische Deutschland ist längst schon Realität, und zwar im gesamten Bundesgebiet. Direkt gegenüber der AfD-Zentrale, die als Anlaufpunkt für den Marsch der rechten Wutbürger und rechtsradikalen Wüstlinge diente, steht ein Vietnamrestaurant sowie eine Shisha Lounge. Und doch offenbaren die Tage des Chaos in Chemnitz gefährliche Entwicklungen, die eben auch zu Deutschlands gelebter Realität gehören.
Als ich im Herbst 2016, ein paar Monate vor der Wahl Donald Trumps und etwa ein Jahr vor dem Einzug der AfD in den Bundestag, durch Deutschland reiste, waren sich die politischen, journalistischen und intellektuellen Eliten des Landes ihrer Sache noch sicher. »Was machen Sie, falls Trump Präsident wird?«, fragte ich einige führende Politiker. »Ach, das ist so unwahrscheinlich, darüber machen wir uns keinen Kopf«, erwiderte mir sinngemäß einer nach dem anderen. »Wie wird die AfD, wenn sie in den Bundestag einzieht, die deutsche Politik verändern?«, hakte ich nach. »Ach, die werden schon an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern«, hieß es immer wieder. »Und falls sie’s doch ins Parlament schaffen, wird sich auch nicht allzu viel ändern – die sind politisch ja vollkommen isoliert.«
Heute wissen wir, wie naiv das war.
Trump ist der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach einem chaotischen Start hat er seine Regierung in eine erstaunlich effektive Abrissbirne verwandelt. Ein Jahr nach seiner Machtergreifung berichteten die amerikanischen Medien noch von Trumps Angriffen auf die etablierten Normen und Institutionen des Landes. Mittlerweile sprechen sie, wenn Trump die Unabhängigkeit des FBI untergräbt oder die Opposition pauschal als gefährlichen Mob verunglimpft, von dem üblichen Streit zwischen Demokraten und Republikanern.
Auch außenpolitisch hat Trump viel verändert: Immer wieder hat sich das Land unter seiner Führung an die Seite von Diktatoren und Autokraten geschlagen. An seiner Bereitschaft, den globalen Handel stark einzuschränken, ist kaum mehr zu zweifeln. Und ob die USA ihren Alliierten im Falle eines Angriffs auf deren Territorium zu Hilfe kommen würden, ist zumindest fraglich.
Große Teile Europas wandeln bereits in Trumps Fußstapfen. Im März 1946 sprach Winston Churchill von einem Eisernen Vorhang, der sich von Stettin im Baltischen Meer bis nach Triest am Adriatischen Meer über den Kontinent gesenkt hätte. Heute könnte man diese historische Linie entlangfahren und die Reise gar nach Bari oder Athen fortsetzen, ohne jemals ein Land zu verlassen, welches von Populisten regiert wird.
Im Jahr 2000 stimmten bei nationalen Wahlen etwa acht Prozent der Europäer für populistische Parteien, und diese waren in sieben Regierungen vertreten. Mittlerweile stimmen im Schnitt 26 Prozent der Europäer für populistische Parteien, und diese stellen 15 Regierungen. Bei den im Frühjahr 2019 bevorstehenden Wahlen fürs Europäische Parlament könnten rechtspopulistische Parteien zur stärksten Fraktion avancieren.
Polen und Ungarn zeigen, wie akut die Gefahr ist, die von solch populistischen Regierungen ausgeht. Seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2015 hat die polnische Regierung die öffentlichen Einrichtungen des Landes auf eklatante Weise angegriffen. Mittlerweile steuert sie das Staatsfernsehen und drangsaliert private Medien mit wirtschaftlichen Schikanen. Die Gerichte sind mit loyalen Richtern bestückt und obliegen Anweisungen des Justizministers. Wenn die Regierung 2019 zur Wiederwahl steht, geht es um nichts weniger als den Erhalt der polnischen Demokratie.
Ungarn ist schon einen Schritt weiter. In den letzten Jahren hat Viktor Orbán seine Macht stetig ausgebaut. Konstante Angriffe auf die Zivilgesellschaft – wie zum Beispiel auf die unabhängige Central European University in Budapest – haben die Redefreiheit für Kritiker des Regimes eklatant eingeschränkt. So beschrieb selbst die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die letzten Parlamentswahlen in ungewöhnlich undiplomatischer Sprache als äußerst fragwürdig.
Jahrzehntelang dachten Politikwissenschaftler, die Demokratie sei in Ländern, die schon zweimal durch freie und faire Wahlen die Regierung gewechselt haben und außerdem ein Bruttoinlandsprodukt von mehr als etwa 13000 Euro pro Kopf vorweisen können, gesichert. Diese Bedingungen erfüllt Ungarn. Und doch hat sich das Land in den letzten zehn Jahren von einer liberalen in eine illiberale Demokratie und schließlich von einer illiberalen Demokratie in eine Diktatur mit schnell verblassendem demokratischen Anstrich verwandelt.
Die große Frage ist nun, ob dasselbe Schicksal auch scheinbar gefestigtere und wohlhabendere Demokratien in Westeuropa ereilen könnte.
Grund zur Sorge gibt es durchaus: In Österreich regiert seit einem Jahr eine Koalition zwischen der ÖVP, einer immer radikaleren christdemokratischen Partei, und der FPÖ, einer immer rabiateren populistischen Partei. In Italien hat sich derweil die Lega, eine der ausländerfeindlichsten Parteien Europas, mit der Fünf-Sterne-Bewegung, einer zumindest ursprünglich eher links stehenden populistischen Partei, zusammengerauft. Das Einzige, was beide Parteien teilen, ist ein Hass auf die existierenden Institutionen – egal, ob sie in Form von unabhängigen Gerichten, von einigermaßen politisch neutralen Fernsehsendern oder von selbstbewussten NGOs daherkommen. Es ist durchaus möglich, dass die Institutionen in Österreich und Italien im Kampf gegen den Populismus bessere Karten haben werden als ihre polnischen und ungarischen Verwandten; eine Garantie kann es dafür derzeit jedoch nicht geben.
Auf den ersten Blick ist Frankreich in dieser düsteren Politlandschaft einer der wenigen Lichtblicke. Wie aus dem Nichts baute Emmanuel Macron eine neue politische Bewegung auf, die sich couragiert gegen den Populismus stellte und grundlegende Reformen anvisierte.
Aber die Realität ist komplizierter, als es der zunächst weitverbreitete Enthusiasmus über Macrons rasanten Aufstieg hätte vermuten lassen. Bei der Präsidentschaftswahl verlor seine Kontrahentin Marine Le Pen zwar klar, konnte das von ihrem Vater 15 Jahre zuvor aufgestellte Rekordergebnis der Front National aber immerhin verdoppeln. Macron hat in den ersten Jahren seiner Amtszeit einige Reformen in Angriff genommen, doch dabei ist er auf denselben Widerstand gestoßen, vor dem seine Vorgänger letztlich kapitulieren mussten. Und so ist er anderthalb Jahre nach seiner Amtseinführung noch unbeliebter, als seine Vorgänger es waren.
Der Fall Frankreich illustriert somit auf erschreckende Weise das Problem der demokratischen Alternanz im Zeitalter des Populismus: Damit die liberale Demokratie langfristig sicher ist, bedarf es nicht nur einer Regierung, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet ist, sondern auch einer loyalen Opposition. Dies ist in weniger und weniger Ländern der Fall. Und damit hängt das Schicksal der Demokratie in vielen Staaten immer stärker vom Schicksal einzelner Politiker oder Parteien ab. Solange Macron in Frankreich im Amt bleibt, gibt es nichts zu befürchten – aber wer ihm, falls er 2022 abgewählt wird, folgen soll, ist vollkommen offen.
Die Veränderungen in Deutschland sind lange nicht so einschneidend wie jene in Ungarn, Italien, Österreich oder den USA. Aber auch Deutschland wandelt sich viel schneller und dramatischer, als die meisten Bürger noch vor ein paar Jahren vorhergesagt hätten. Die AfD ist mit satten 13 Prozent in den Bundestag eingezogen und mittlerweile in allen 16 Länderparlamenten vertreten. In vielen Umfragen ist sie die zweitstärkste Partei des Landes. Bei anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnte sie gar zur stärksten Kraft avancieren. Auch die einst einheitliche Front gegen die AfD bröckelt ein Jahr nach ihrem Einzug in den Bundestag schon gewaltig. So konnte sich der Fraktionsvorsitzende der CDU in Sachsen eine Koalition mit den Rechtspopulisten durchaus vorstellen – zumindest so lange, bis die Bundeskanzlerin ihm vehement widersprach.
Auch abseits der großen politischen Bühne hat das Erstarken des Rechtspopulismus das Land merklich verändert. Wie in den USA vor fünf oder zehn Jahren schreitet die Polarisierung in gewaltigen Schritten voran. Die Kräfteverhältnisse zwischen links und rechts mögen in den meisten Teilen Deutschlands anders aussehen als in Chemnitz; doch in allen Teilen der Republik kommt es immer häufiger zum Spektakel sich duellierender Demonstranten. Noch vor Kurzem ging es auf Twitter und Facebook in Deutschland verhältnismäßig ruhig und friedlich zu; mittlerweile sind die sozialen Netzwerke die wichtigsten Schlachtfelder, auf denen die »selbstverständlich Weltoffenen« ihre Scharmützel mit den »stolzen Deutschen« austragen. Und wer in Bus und Bahn die Augen offen hält, der kann leicht erkennen, wie viele unauffällig anmutende Bürger ihre Informationen mittlerweile aus...
Erscheint lt. Verlag | 29.1.2018 |
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Übersetzer | Bernhard Jendricke |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | AfD • Alexander Gauland • Bürgerrechte • David Johnston • David Van Reybrouck • Demokratie • Demokratie-Sterben • Die Akte Trump • Diskriminierung • Donald Trump • Europa • Feuer und Zorn • Finanzpolitik • fire and fury • Frauke Petry • Freiheit • Front National • Geert Wilders • gegen demokratie • Gegen Wahlen • Gesellschaftskritik • Jaroslaw Kaczynski • Jason Brennan • Liberalismus • Marie Le Pen • Menschenrechte • Michael Wolff • Minderheit • Norbert Hofer • PIS • Politikanalyse • Politik Deutschland • Politikverdrossenheit • Politikverweigerung • Politikwissenschaft • Populismus • Protestwähler • Recep Tayyip Erdogan • Rechtspopulismus • Rechtsstaat • Regierung • sachbuch politik • Selbstbestimmung • Technokratie • Trump im Amt • USA • Wahlen • Wirtschaftspolitik |
ISBN-10 | 3-426-44497-6 / 3426444976 |
ISBN-13 | 978-3-426-44497-9 / 9783426444979 |
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