Fräulein Hedy träumt vom Fliegen (eBook)

Roman
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2018 | 1. Auflage
526 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-75171-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fräulein Hedy träumt vom Fliegen -  Andreas Izquierdo
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»Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert.« - Eine Annonce in der örtlichen Tageszeitung bringt alles ins Rollen: Hedy von Pyritz, 88 Jahre, diszipliniert, scharfzüngig, eitel. Hellwacher Verstand, trockener Humor, zuweilen übergriffig. Eine alte Dame, die meist im Rollstuhl sitzt, sorgt für einen handfesten Skandal in dem kleinen Städtchen im Münsterland, wo sie herrschaftlich residiert.
Aber Fräulein Hedy bleibt unbeirrt: Sie wird ihren Willen durchsetzen! Und findet in ihrem schüchternen, sanften Physiotherapeuten Jan einen Mitstreiter. Vielmehr nötigt sie ihn förmlich dazu. Der junge Mann wird sie fahren. Basta!
Jan hat keinen Führerschein, dafür aber eine nie behandelte Lese-Rechtschreibschwäche, so dass Hedy den Unterricht übernimmt und sich schon bald eine ungewöhnliche Beziehung zwischen den beiden festigt. So vertraut sie ihm nach und nach die Geheimnisse ihrer schillernden Vergangenheit an und verändert damit auf ungeahnte Weise seine Zukunft ...
Andreas Izquierdo erzählt in seinem Roman die Geschichte einer Freundschaft zwischen einer alten Frau und einem jungen Mann, die beide für immer verändert - eine Geschichte, die federleicht beginnt und sich dann zu einem wuchtigen, mitreißenden Drama entwickelt.



<p>Andreas Izquierdo, geboren 1968, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte u.a. den Roman <em>König von Albanien</em> (2007), der mit dem Sir-Walter-Scott-Preis für den besten historischen Roman des Jahres ausgezeichnet wurde, sowie den Roman <em>Apocalypsia</em> (2010), der den Lovelybooks-Leserpreis in Silber für das beste Buch 2010 erhielt und zum Buch des Jahres bei Vorab-lesen.de gewählt wurde. Zuletzt erschienen von ihm die Romane <em>Das Glücksbüro</em> (2013), <em>Der Club der Traumtänzer</em> (2014) sowie <em>Romeo &amp; Romy</em> (it 4575).</p>

Andreas Izquierdo, geboren 1968, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte u.a. den Roman König von Albanien (2007), der mit dem Sir-Walter-Scott-Preis für den besten historischen Roman des Jahres ausgezeichnet wurde, sowie den Roman Apocalypsia (2010), der den Lovelybooks-Leserpreis in Silber für das beste Buch 2010 erhielt und zum Buch des Jahres bei Vorab-lesen.de gewählt wurde. Zuletzt erschienen von ihm die Romane Das Glücksbüro (2013), Der Club der Traumtänzer (2014) sowie Romeo & Romy (it 4575).

1


Gegen drei Uhr in der Früh erwachte Fräulein Hedy aus einem herrlichen Traum und verlor den Verstand. Da war ein Kichern in ihrem Kopf und ein Kitzeln in ihrem Bauch, als sie mit einem lausbübischen Grinsen aus dem Bett stieg, auf Zehenspitzen zum Fenster tippelte, barfuß auf die Brüstung ihres französischen Balkons im Dachgeschoss stieg und die Arme weit von sich streckte. Da stand sie dann: ein fliegendes Nachthemd mit Dutt im bleichen Mondlicht.

Es war ganz still oben auf dem Hügel, auf dem ihre Villa stand, während sich die kleine Stadt zu ihren Füßen fast schon in mittelalterlicher Ehrfurcht vor ihr zu verbeugen schien. Dabei war es so kalt, das die Luft klirrte und man die leisen Seufzer derer zu hören glaubte, die sich im Schlaf die Decken über die Köpfe gezogen hatten.

Fräulein Hedy kannte ihre kleinen und großen Wünsche, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und Niederlagen. Nichts war ihr in den vergangenen achtundachtzig Jahren verborgen geblieben, sie hatte sie alle überlebt und jetzt flog sie über sie hinweg, und ihr war, als würde sie die kleinen Schluchzer und Stöhner mit sich nehmen auf ihrem Flug durch die Nacht, und je mehr sie davon sammelte, desto gewaltiger baute sich ein Ruf in ihren Lungen auf.

»TIM-BUK-TUUU! TIM-BUK-TUUU

Das Herz einer alten Frau hatte viele Geheimnisse.

Einen Moment später schon riss ihre Haushälterin Maria die Schlafzimmertür auf, stürmte zu ihr, umfasste mit kräftigen Armen ihre Taille und zog sie vom Balkon herunter, zurück ins Zimmer. Dann schloss sie die Fenster und rieb sich fröstelnd die nackten Arme.

»Was ist passiert?!«, rief sie besorgt.

Hedy sah sie lächelnd an.

»Sind Sie wach?«, fragte Maria und wedelte mit den Händen vor ihren Augen herum.

Hedy zog mürrisch die Brauen zusammen: »Was machen Sie denn da?«

»Ihr Leben retten.«

»Das ist doch Unsinn!«

»Draußen sind es minus zehn Grad. Und Sie stehen in der Kälte und heulen den Mond an!«

»Nichts dergleichen!«

»Ich bin davon wach geworden, Fräulein Hedy!«

»Dann gehen Sie jetzt wieder schlafen!«

»Und es ist alles in Ordnung?«, hakte Maria nach.

»Aber natürlich!«

»Sie sind nicht verrückt geworden?«

»Nein.«

»Und was soll dann dieses Geschrei?«

»Was für ein Geschrei?«

»Dieses ›Timbuktuuu! Timbuktuuu!‹« Maria fuhr mit den Händen durch die Luft, um den absurden Vorgang zu unterstreichen.

Hedy zuckte mit den Schultern: »Eine Stadt in Afrika. Mali, genauer gesagt.«

»Und?«

»Nichts: und. Ich war nie dort.«

»Dann haben Sie geträumt?«

»Bestimmt.«

Maria fixierte sie noch einen Moment, dann seufzte sie leise und fragte: »Wollen Sie etwas essen?«

»Jetzt?«

»Essen hält Leib und Seele zusammen!«, beharrte Maria.

Hedy schüttelte den Kopf: »Gute Nacht, Maria!«

Sie kehrte ihr den Rücken und wartete, bis Maria leise das Zimmer verlassen hatte. Eine Weile starrte sie noch durch das Fenster in den Nachthimmel. Da dachte sie ebenso wirr wie schelmisch: Die Königin war erwacht, ein Spatz hatte an ihrem Haar gezupft. Lass ihn ein in den großen Irrgarten der unerzählten Geschichten.

Öffne das Fenster und biete ihm die Welt.

2


Am nächsten Morgen deutete nichts mehr darauf hin, dass Fräulein Hedy den Verstand verloren haben könnte, denn sie begann diesen Morgen, wie sie jeden Morgen begann: Sie nutzte den Treppenlift, um ins Parterre zu fahren, wo Maria bereits auf sie wartete, weil sie dort immer auf sie wartete, und es war, als schwebte ihre Hoheit aus dem Himmel herab zu ihren Untertanen.

Sie ließ sich aus dem Sitz helfen, schlüpfte in einen dicken Wintermantel, ging noch vor dem Morgengrauen zur Tür hinaus und marschierte dann die lange beleuchtete Auffahrt ihres Anwesens genau sieben Mal auf und ab. Mit geradem Rücken und durchgedrückten Knien und für eine Dame ihres Alters mit erstaunlicher Geschwindigkeit.

Obwohl Tauwetter eingesetzt hatte, zitterte Maria vor Kälte, während sie bei den Stufen zum Anwesen auf Hedy wartete und die Zeitung vom Boden aufhob. Sie beobachtete Fräulein Hedy bei ihrem morgendlichen Ausdauertraining: Atemwölkchen stiegen aus ihrem Mund wie Dampf aus einer Lokomotive, als sie dort die Auffahrt hoch- und runterschnaubte. Hedy hatte Schmerzen in den Knien, Fußgelenken und im Rücken, und Maria bewunderte sie jeden Morgen für ihre Disziplin und ihre Härte gegen sich selbst, denn Hedy verzog keine Miene beim Marschieren, und hätte man sie gefragt, wie es ihr ginge, hätte sie »Blendend« gerufen und abgewunken.

Pünktlich zur siebten Runde ging Maria Hedy ein Stück entgegen und bot ihr den Arm, den Hedy beiläufig annahm. Sie war erschöpft, Maria sah es in Hedys Augen, aber sie sagte kein Wort, sondern stieg mit Maria langsam die Treppe zur Eingangstür hinauf, wo der Rollstuhl wartete, in den Hedy sich setzte, um sich fortan von Maria durch die Villa schieben zu lassen.

»Ins Bad!«, ordnete Hedy an.

»Sehr wohl!«, antwortete Maria.

Später schob sie die wie aus dem Ei gepellte Hedy in die Küche, wo ein karges Frühstück und ein starker Kaffee auf sie warteten. Sie aß und trank langsam und ließ sich von Maria die wichtigsten Neuigkeiten aus dem Lokalteil der Zeitung vorlesen, die sie hier und da mit spöttischem Schnauben oder wohlwollendem Lächeln kommentierte.

»Was ist mit der Zeitung?«, fragte Hedy, als Maria gerade einen Beschluss des Stadtrats vorlas, der Kürzungen im Kulturhaushalt vorsah.

Maria blickte auf: »Was soll mit ihr sein?«

Hedy nickte kurz — Maria knickte mit einem Finger eine Ecke des Papiers um und kommentierte die Dreckschlieren darauf knapp mit: »Der Zeitungsjunge.«

Hedy nickte düster.

»Wie geht es Ihnen heute?«, fragte Maria.

»Blendend.«

»Ich meine … nach gestern Nacht!«

Hedy setzte die Kaffeetasse ab und tupfte sich die Mundwinkel: »Es war ein Traum.«

»Vielleicht sollten wir einen Arzt konsultieren?«

»Mir fehlt nichts, Maria.«

»Vielleicht der Mond?«

Hedy runzelte die Stirn.

»So etwas kommt vor!«, bekräftigte Maria.

Hedy schwieg eine Weile.

Und sagte dann: »Nein.«

»Nein?«

»Nein. Ich habe nur viel zu lange geschlafen. Aber jetzt bin ich wach.«

Maria sah sie unverwandt an.

»Und Sie sind sicher, dass es Ihnen gut geht?«, fragte sie misstrauisch.

Hedy lächelte sanft: »Ich bin wach. Nach all der Zeit endlich wach …«

Maria stand auf und sagte: »Ich rufe Dr. Weyers an.«

»Setzen Sie sich hin!«, befahl Hedy und beschied mit einer Geste, dass Maria mit der Lektüre fortzufahren habe. Die nahm nach kurzem Zögern wieder Platz, griff nach der Zeitung und begann zu lesen. Die Mittel für die Kammerkonzerte sollten gesenkt werden. Im Gegenzug hoffte man auf private Gönner, um die liebgewonnenen Auftritte der Musiker auch weiterhin finanzieren zu können.

Hedy trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Küchentisch und starrte auf die Zeitung.

»Genug!«, befand sie.

Maria sah sie über die Zeitung hinweg an.

»Wir fahren in die Stadt!«

»Jetzt? Es ist gerade mal halb acht Uhr! Wo wollen Sie denn hin?«

»Wir fahren zur Redaktion!«

»Wir könnten doch anrufen?«

»Bestellen Sie ein Taxi!«, gab Hedy zurück und schob sich mit dem Rollstuhl vom Tisch. »Es ist höchste Zeit!«

Was so drängte, sagte sie nicht, aber sie fuhren zum Pressehaus, doch nicht, um sich über den Zeitungsjungen zu beschweren. Und da wusste Maria, dass Hedy den Verstand verloren haben musste. Dass die letzte Nacht kein Zufall gewesen war, sondern allenfalls der Auftakt zu einer ganzen Reihe galoppierender Verrücktheiten, die nichts als Ärger einbringen würden.

Fräulein Hedy gab eine Anzeige auf.

Und diese Anzeige würde das brave, protestantische, münsterländische Städtchen, das die...

Erscheint lt. Verlag 15.1.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bruderkonflikt • bücher neuerscheinungen • Drama • Freundschaft • Freundschaft zwischen Generationen • Große Gefühle • Humor • insel taschenbuch 4702 • IT 4702 • IT4702 • Liebe • Mutter-Tochter-Konflikt • Roman • Romantik • Schüchternheit • ungleiches Paar • Unterhaltung
ISBN-10 3-458-75171-8 / 3458751718
ISBN-13 978-3-458-75171-7 / 9783458751717
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