Ruhrpiraten (eBook)

Roman
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2018 | 2. Auflage
406 Seiten
Gmeiner-Verlag
978-3-8392-5672-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ruhrpiraten -  Mike Steinhausen
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Ruhrgebiet 1942. Während Deutschland im Gleichschritt marschiert, träumen der 16-jährige Egon Siepmann und sein Freund Fritz Gärtner von Freiheit und Abenteuer. Hin und her gerissen zwischen dem Kampf ums Überleben, den Schikanen der Hitlerjugend und der Verfolgung durch die Gestapo, suchen sie nach ihrer Identität. Doch wer sich in dieser Zeit auflehnt, wird bestraft. Und die Schergen des NS-Regimes kennen keine Gnade.

Mike Steinhausen wurde 1969 in Essen geboren. Er ist Polizeibeamter und war mehrere Jahre als Zivilfahnder im Bereich der Drogenbekämpfung tätig. Sein Debüt als Autor gab er mit dem zeitgeschichtlichen Kriminalroman »Operation Villa Hügel«.

Mike Steinhausen wurde 1969 in Essen geboren. Er ist Polizeibeamter und war mehrere Jahre als Zivilfahnder im Bereich der Drogenbekämpfung tätig. Sein Debüt als Autor gab er mit dem zeitgeschichtlichen Kriminalroman »Operation Villa Hügel«.

Sommer 1942


Die Tage vergingen wie im Flug und der Sommer stand vor der Tür. Egons neue Freunde pflegten eine Kameradschaft, die so ganz anders war, als man es ihm in der Hitlerjugend hatte beibringen wollen. Dieser Zusammenhalt war aufrichtig. Wie bei echten Brüdern. Und er hatte sich ihr Vertrauen nicht mal erarbeiten müssen. Sie hatten es ihm einfach entgegengebracht. Dass sie Karl Huber als ihren Anführer sahen, ergab sich von allein. Vielleicht lag es daran, dass er älter als die anderen wirkte und dass sein Gesicht nicht diese Heiterkeit besaß. Vieles, was die anderen erfreute, schien ihm trivial. Wenn er lachte, wirkte es manchmal gespielt. Oft zog er sich zurück und wenn man in diesen Momenten an ihn herantrat, war er tief in Gedanken versunken. Er war erwachsener als die anderen. Von einer Reife, von der Egon nicht wusste, ob er ihn darum beneiden sollte. Karl wirkte auf ihn wie ein Gefangener seiner rastlosen Gedanken, ohne die Leichtigkeit der Altersgenossen, die grenzenlos träumen und sich dieser Schwärmerei hingeben konnten.

Doch eigentlich waren alle gleichberechtigt. Niemand erteilte Befehle und wenn eine Entscheidung anstand, stimmten sie ab. Sie waren füreinander da und jeder trat für die anderen ein. Das galt sogar für Heinz Klemke, der auf seine Art anders war und der von allen nur »Klampfe« genannt wurde, weil er fast nie ohne seine Gitarre rausging. Ein Sonderling, schmächtig, mit feingliedrigen Händen, auffallend blass und beinahe einen Kopf kleiner als der »Blaue«, der Egon mit seinem feuerrotem Schopf nur bis zur Nasenspitze reichte. Außerdem war er seltsam in seinem Benehmen. Nie sprach er so roh wie die anderen. Heinz stotterte, insbesondere wenn er nervös war. Karl hatte ihm berichtet, dass Heinz in einem Haus gewesen war, in dem eine Bombe eingeschlagen war. Beinahe zwei Tage war er verschüttet gewesen, bis sie ihn gefunden hatten. Wie durch ein Wunder war er nicht verletzt gewesen. Bis auf ein paar Prellungen und Schürfwunden. Aber seitdem würde er nicht mehr »geradeaus sprechen«, wie er es immer nannte. Außerdem genierte sich Heinz. Er war merkwürdig, auf seine Art. Wenn sie gemeinsam baden gingen, blieb er stets am Ufer. Egon vermutete, dass er nicht schwimmen konnte. Und selbst wenn die Sonne einen heißen Tag versprach, bedeckte er sich mit langer Kleidung. Er zog sich nie aus. Der Blaue hatte ihm gesagt, dass Heinz nicht zur HJ musste, weil er Waise war und bei seiner Tante in Essen-Huttrop oben am Wasserturm wohnte. Außerdem wäre er bei der Musterung durchgefallen, weil er so ein Hänfling sei. Aber hier, in ihrer Gemeinschaft, war er ein gleichberechtigter Teil.

Egon verbrachte seine gesamte Freizeit mit seinen neuen Freunden, was zu heftigen Diskussionen mit Mutter führte, weil er meistens erst spät am Abend oder in der Nacht nach Hause kam – und manchmal erst am nächsten Morgen. Sie habe große Angst um ihn, und Annemarie würde ihn vermissen. Außerdem warf sie ihm vor, sich zu verändern. Egon schnitt sich seit geraumer Zeit nicht mehr die Haare. Er würde verlottert aussehen, was auch schon der ganzen Nachbarschaft aufgefallen sei. Auch auf der Zeche hatten ihn die Vorgesetzten angemahnt. Außerdem hätte sich die Stammführung gemeldet und berichtet, dass Egon seit längerer Zeit nicht mehr zum Pflichtdienst erschienen war. Doch für Egon stand fest, dass er nie wieder zur Hitlerjugend gehen würde. Seit er Fritz, Karl und die anderen kennengelernt hatte, war ihm klar geworden, dass er ein Leben in Freiheit, fernab jeglicher Bevormundung leben wollte. Was ihn in den letzten Wochen am meisten überrascht hatte, war die Feststellung, wie viele Jugendliche er traf, die so dachten wie er. Einmal waren sie bis nach Duisburg-Wedau zum Entenfang gereist, wo sie mit über hundert Leuten ein ganzes Wochenende verbracht hatten. Und einige Male waren sie nach Hattingen gefahren, um eine große Gruppe Gleichgesinnter zu treffen. Karl hatte auch noch frühere Treffen geschildert, die ihn zur Grafenmühle bei Gladbeck in der Recklinghauser Hardt geführt hatten. Als Erkennungsmerkmal diente ihnen die Kleidung. Alle zogen sich ähnlich an. Karierte Hemden, kurze Hose, möglichst aus Leder, und weiße Kniestrümpfe, die sie lässig bis zu den Knöcheln heruntergeschoben trugen. Immer war es Karl gewesen, der gewusst hatte, wo man hinkonnte und wo etwas los war. Meistens aber verbrachten sie ihre Zeit an der Ruhr oder am Strandbad »Haus Scheppen« am Baldeneysee. Egon, Karl und Heinz, der Blaue und Fritz. Dazu Berthold Reinhardts, der von allen nur »Bert« genannt wurde, und Dirk Eichholz und ein paar andere, die sporadisch immer mal dazustießen. Sie hatten gefischt und ein Lagerfeuer gemacht und sich über die tollsten Dinge unterhalten. Klampfe war ein begeisterter Karl-May-Leser. Er wusste mehr über Cowboys und Indianer als irgendjemand sonst und oft hatte er ihnen aus den Büchern vorgelesen. Er hatte eine ganze Bibliothek, wie er stolz behauptete. Erstaunlicherweise stotterte Heinz nicht, wenn er las oder zu seiner Gitarre sang. Als würde er zu einem Teil dieser Geschichten und Lieder werden. Wenn er las oder sang, dann tat er das mit einer solchen Hingabe, dass die anderen wie gebannt an seinen Lippen hingen. Am meisten faszinierte Egon der Roman »Der Schatz im Silbersee« und die Figur des Old Firehand. Überhaupt mochte er diese Cowboy-und-Indianer-Geschichten, während der Blaue lieber amerikanische Detektivgeschichten hörte. Weil da immer junge Frauen vorkamen. Und manchmal wurden auch deren Rundungen beschrieben. Jedenfalls freute sich Egon immer, wenn Heinz Lesestoff mitbrachte und er nahm sich vor, selbst mehr zu lesen. Der Blaue war ein Naturtalent, wenn es darum ging, etwas zu besorgen. Immer hatte er einen Beutel Kartoffeln, Brote, manchmal Würstchen dabei und einmal sogar einen ganzen Schinken und drei Flaschen Wein angeschleppt. Aber nie verriet er, woher er das alles hatte. Dirk Eichholz war ein Meister im Fallenstellen. Er benötigte lediglich eine Schlinge und einen biegsamen Stock, den er vor einem Karnickelbau anbrachte. Und davon gab es in den Ruhrwiesen Hunderte. Kaninchen auszunehmen, war denkbar einfach. Ihr Fell konnte man tatsächlich im Ganzen vom Körper ziehen. Und im Spätsommer waren sie alle vom frischen Grün gemästet, sodass ihr Fleisch noch besser schmeckte. Manchmal kamen auch andere Gruppen zu ihnen. Sogar aus anderen Städten, aus Wuppertal und vom Brügmannplatz aus Dortmund. Karl hatte mal gesagt, dass er in Köln gewesen sei. Dort würde jeder Zweite nicht zur HJ gehen. Meistens aber kamen die anderen aus Essen-Borbeck vom Höltingsweg. Sogar Mädchen waren dabei, was die Stimmung immer hob. Vor allem beim Blauen. Sie waren so anders als die Mädchen des BDM.

Die Streifen der HJ patrouillierten im Bereich des Borbecker Schlossparks verstärkt und mehr als einmal war es zu einer wüsten Schlägerei mit ihnen gekommen. Natürlich übertrieb die HJ, behauptete jedes Mal, einen großartigen Sieg errungen zu haben, obwohl sie oft genug den Arsch vollgekriegt hatten. Das hatte sich sogar bis nach Kray und Königssteele rumgesprochen. Das Ergebnis war, dass die Schutzpolizei vermehrt Druck ausübte und einige sogar von der Gestapo verhört worden waren. Egon mochte die Borbecker, mit denen sie sich häufig trafen. Einer hatte immer eine Gitarre dabei und gemeinsam sangen sie alte Lieder, die damals, vor Egons Zeit, in der Bündischen Jugend gesungen und mittlerweile verboten worden waren. Und später, wenn es dunkel wurde und die Funken über den Flammen stoben, sangen sie Lieder der Hitlerjugend, die sie umdichteten und mit denen sie diese Trottel aufs Korn nahmen. Jeden Abend wurden die Texte aufs Neue verändert und jedes Mal wurden sie besser und das Lachen darüber lauter. An solchen Abenden war der Krieg vergessen und Egon fühlte sich glücklich.

Doch eines Tages hatte sich die Situation plötzlich geändert. Als sie wieder an der Ruhr gesessen und lauthals ihre Lieder gesungen hatten, war es passiert. Wie aus dem Nichts waren die HJler aus allen Richtungen auf sie zugestürmt. Es war so schnell gegangen, dass ihnen nur die heillose Flucht geblieben war. Geistesgegenwärtig hatte der Blaue einen Eimer Wasser umgetreten, der neben der Feuerstelle gestanden und in dem sie ihre Getränke gekühlt hatten, sodass es schlagartig dunkel geworden war. Ihr Vorteil war, dass sie sich in dem Bereich gut auskannten und schnell und vor allen Dingen unerkannt abhauen konnten. Einige entkamen den HJlern nicht und bekamen ein paar Hämatome und Prellungen ab. Der Blaue trug ein Veilchen davon, was hervorragenden Anlass bot, sich darüber lustig zu machen. Nur Fritz war sauer. Ihn wurmte es noch Tage, dass sie klein beigegeben hatten. Im Nachhinein hatte es Egon nicht gewundert. Bei dem Lärm, den sie verbreitet hatten, hatten sie eigentlich damit rechnen müssen, irgendwann einmal aufzufallen.

In der folgenden Zeit nahmen die Kontrollen der HJ- Streifen zu. Schließlich war es Karl, der das aussprach, was die meisten dachten.

»Wir können uns das nicht länger gefallen lassen.«

Fritz nickte zustimmend.

»Das an der Ruhr war kein Zufall«, fuhr Karl fort. »Das war eine geplante Aktion.«

»Genau!«, warf der Blaue ein. »Auge um Auge«, betonte er mit erhobenem Finger, was in Anbetracht seines mittlerweile eher violetten Veilchens zu Gelächter führte.

»Mischen wir sie mal so richtig auf!«, rief Dirk Eichholz, der dabei aufsprang und eine Faust ballte. »Was meinst du, Fritz?« Kräftig schlug er ihm auf den Rücken.

Karl hob die Hand, um dem Enthusiasmus seiner Freunde Einhalt zu gebieten. »Wir müssen das überlegt angehen.«

»Blödsinn!«, kam es von Dirk Eichholz, der noch immer stand. »Ich habe keine Angst vor...

Erscheint lt. Verlag 7.2.2018
Reihe/Serie Zeitgeschichtliche Kriminalromane im GMEINER-Verlag
Verlagsort Meßkirch
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Edelweiß • Edelweißpiraten • Hitlerjugend • Jugend • Jugendgruppe • Jugendwiderstand • Kampf • Kampf ums Überleben • Nordrhein-Westfalen • Piraten • Ruhrgebiet • Schikanen der Hitlerjugend • Swing • Swing-Jugend • Überleben • Überlebenskampf • Verfolgung durch Gesta • Widerstand • Wiederstand
ISBN-10 3-8392-5672-0 / 3839256720
ISBN-13 978-3-8392-5672-5 / 9783839256725
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