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Eine amerikanische Familie (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
496 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97770-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
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USA im Jahr 2029. Der Dollar ist kollabiert und durch eine Reservewährung ersetzt. Wasser ist kostbar geworden. Und Florence Mandible und ihr dreizehnjähriger Sohn Willing essen seit viel zu langer Zeit nur Kohl. Dass es Florence trotz guter Ausbildung so schwer haben würde, ihr Leben zu meistern, hätte niemand aus der Familie gedacht. Doch als die Mandibles alles verlieren und in einem Park Unterschlupf suchen müssen, sind es nicht die Erwachsenen, sondern Willing, der mit Pragmatismus, Weitsicht und notfalls auch krimineller Entschlossenheit dem Mandible-Clan wieder auf die Beine hilft ... Scharfsinnig und ironisch erzählt Lionel Shriver von den Konsequenzen von Globalisierung und Nationalismus - eine beängstigende Zukunftsvision und ein komischer, liebevoller, fesselnder Familienroman.

Lionel Shriver, geboren 1957 in Gastonia, North Carolina, lebt mit ihrem Mann, dem Jazzmusiker Jeff Williams, in Portugal und London. Ihr in 25 Sprachen übersetzter Roman »Wir müssen über Kevin reden« wurde mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Auch ihr um ein Gedankenspiel kreisender Roman »Liebespaarungen« erhielt international höchstes Kritikerlob und stand über Wochen auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien »Die Letzten werden die Ersten sein«.

Lionel Shriver, geboren 1957 in Maryland, USA, lebt mit ihrem Mann, dem Jazzmusiker Jeff Williams, in London und Brooklyn. Ihr in 25 Sprachen übersetzter Roman "Wir müssen über Kevin reden" wurde mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Auch ihr um ein Gedankenspiel kreisender Roman "Liebespaarungen" erhielt international höchstes Kritikerlob und stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien "Eine amerikanische Familie". Daneben engagiert sich Lionel Shriver seit einigen Jahren verstärkt für Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Identitätspolitik.

KAPITEL 1


Grauwasser


»Nimm kein sauberes Wasser zum Händewaschen!«

Was als sanfte Erinnerung gedacht war, kam als schrille Ermahnung. Florence wollte nicht wirken wie jemand, den ihr Sohn einen Boomertrottel nennen würde, und doch – die Regeln im Haus waren einfach, und Esteban missachtete sie ständig. Dabei gab es genug Arten klarzumachen, dass man nicht unter der Fuchtel einer (etwas) älteren Frau stand – auch ohne Wasser zu verschwenden. Er war ein so irrsinnig gut aussehender Mann, dass sie ihm sonst fast alles durchgehen ließ.

»Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt«, murmelte Esteban und steckte die Hände in die Plastikschüssel, die das ablaufende Wasser auffing. Kohlschnipsel trieben darin.

»Das bringt jetzt auch nichts mehr, oder?«, sagte Florence. »Sie mit dem Grauwasser zu waschen, wo du schon das saubere benutzt hast?«

»Ich tu nur, was man mir sagt.«

»Das ist ja was ganz Neues.«

»Was ist dir denn über die Leber gelaufen?« Esteban wischte seine jetzt fettigen Hände an dem noch fettigeren Geschirrtuch ab (noch eine Regel: Eine Rolle Küchenpapier muss sechs Wochen halten). »Stimmt was im Adelphi nicht?«

»Im Adelphi stimmt nie was«, sagte sie. »Drogen, Prügeleien, Diebstahl. Schreiende Babys mit Ekzemen. So sind Obdachlosenheime nun mal. Ernsthaft, ich kapiere nicht, warum es so schwer ist, die Leute dazu zu bekommen, die Toilettenspülung zu drücken. Was hier im Haus ein wahrer Luxus ist.«

»Ich wünschte, du fändest etwas anderes.«

»Ich auch. Aber sag’s niemandem. Das würde meinen Heiligenschein zerstören.« Florence schnitt weiter ihren Kohl klein. Auch für zwanzig Dollar noch preisgünstig, allerdings war sie nicht sicher, wie lange ihr Sohn Willing das Gemüse noch ertrug.

Die Leute waren immer erstaunt, dass sie jetzt schon seit vier langen Jahren, wie lobenswert!, einen so anstrengenden, undankbaren Job machte. Aber wer sie für einen Engel hielt, lag falsch. Vorher war sie von einer schlecht bezahlten Stelle (mitunter: Teilzeitstelle) in die andere geschlittert, und das hatte ihr das naive Gutmenschentum, mit dem sie am Barnard College ihren schwachsinnigen Doppelabschluss in Amerikanistik und Umweltpolitik gemacht hatte, gründlich oder doch fast ausgetrieben. Die Hälfte ihrer Jobs hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst, weil sie durch irgendeine Innovation plötzlich überflüssig wurden. So hatte Florence für eine Firma gearbeitet, die elektrische Unterwäsche zum Sparen von Heizkosten verkaufte, aber plötzlich wollten die Leute nur noch mit elektrifizierten Graphen beheizte Wäsche. Andere Stellen fielen durch Computerprogramme weg, die man in ihren Zwanzigern Bots genannt hatte, die für all die freigesetzten Arbeiter heute aber aus nachvollziehbaren Gründen nur noch Robs waren, Räuber, die ihnen die Existenz nahmen. Ihren vielversprechendsten Job hatte sie bei einem Start-up gehabt, das gut schmeckende Proteinriegel aus Grillenpulver herstellte. Als dann jedoch Hershey’s einen ähnlichen, allerdings berüchtigt fetthaltigen Riegel massenproduzierte, brach der Markt für Snacks auf Insektenbasis ein. Auf die Anzeige für den Posten in einem städtischen Obdachlosenheim in Fort Greene bewarb sie sich aus einer Mischung von Verzweiflung und Cleverness: Das Einzige, was in New York City nie ausgehen würde, waren Obdachlose.

»Mom?« Willing steckte den Kopf zur Tür herein und fragte ruhig: »Bin ich nicht mit Duschen dran?«

Ihr Dreizehnjähriger hatte erst vor fünf Tagen geduscht und wusste ganz genau, dass sie sich eigentlich auf einmal pro Woche geeinigt hatten (zwischendurch benutzten sie ein in die Haare zu kämmendes Trockenshampoo). Willing beschwerte sich im Übrigen auch, mit ihrem Ultrasparduschkopf werde das Duschen zu einem »Gang durch den Nebel«. Es stimmte, die Strahlen waren so fein, dass man kaum die Spülung aus dem Haar bekam. Aber die Antwort darauf bestand eben nicht darin, mehr Wasser zu verbrauchen, sondern auf die Spülung zu verzichten.

»Vielleicht noch nicht ganz … aber okay«, gab sie nach. »Vergiss nur nicht, beim Einseifen das Wasser auszudrehen.«

»Dann wird mir kalt«, sagte er tonlos. Er beschwerte sich nicht. Es war eine Feststellung.

»Zittern soll gut für den Stoffwechsel sein«, sagte Florence.

»Mann, dann muss ich einen absolut geilen Stoffwechsel haben«, sagte Willing trocken und drehte sich um. Dass er sich über ihre leicht angestaubte Ausdrucksweise lustig machte, war nicht fair. Sie hatte vor ewigen Zeiten schon gelernt, stattdessen böse zu sagen.

»Wenn du recht hast, und das mit dem Wasser wird nur noch schlimmer«, sagte Esteban und stellte die Teller fürs Essen auf den Tisch, »sollten wir es aufdrehen, solange es geht.«

»Manchmal träume ich von einer langen heißen Dusche«, gestand Florence.

»Ach?« Er umfasste ihre Taille, während sie ein weiteres Stück Kohl aufschnitt. »Tief in dieser strengen, herrischen Chorsängerin steckt also eine Hedonistin, die an die Oberfläche drängt.«

»Mein Gott, als Teenager habe ich wahre Sturzfluten über mich rauschen lassen, und das so heiß, dass ich es gerade noch ertragen konnte. Einmal hab ich das Bad derartig vernebelt, dass wir es neu streichen mussten.«

»Das ist das Schärfste, was du mir je erzählt hast«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Oje, wie deprimierend.«

Er lachte. Bei seiner Arbeit musste er oft füllige ältere Körper in und aus Elektromobilen heben (Mobes nannte man die Dinger, wenn man auch nur entfernt hip war), das hielt ihn in Form. Sie spürte seine Brust- und Bauchmuskeln fest auf ihrem Rücken. Sicher, sie war müde und ehrliche vierundvierzig, aber ihn so zu spüren ließ sie wieder zu einem jungen Mädchen werden. Ihr Sex war gut. Vielleicht war es das Mexikanische, auf jeden Fall war er im Unterschied zu all den anderen Männern, die sie gekannt hatte, nicht vom fünften Lebensjahr an mit Pornos groß geworden. Ihm gefielen richtige Frauen.

Nicht, dass sich Florence da Besonderes zugutehielt. Ihre jüngere Schwester sah weit besser aus. Avery war dunkel und grazil, mit exakt der Dosis Zerbrechlichkeit, die Männer so anziehend fanden. Florence dagegen war sehnig und stark, da sie immer in Bewegung war, schmalhüftig und hibbelig, hatte ein langes Gesicht und eine dichte kastanienbraune Mähne, die ständig dem Kopftuch entwischte, das sie sich im Piratenstil um den Kopf knotete, um die widerspenstigen Locken zu bändigen. Manche sagten, sie hätte was von einem »Pferd«, was sie für abschätzig hielt, bis Esteban die Aussage mit Zuneigung füllte und die Lenden seines »nervösen Füllens« tätschelte. Vielleicht gab es ja Schlimmeres.

»Ich habe da eine ganz andere Philosophie, weißt du«, murmelte Esteban in ihren Nacken. »Es gibt bald keinen Fisch mehr? Dann stopf dich mit chilenischem Seebarsch voll, als gäbe es kein Morgen.«

»Die Gefahr, dass es kein Morgen mehr gibt, ist genau der Punkt.« Sie dämpfte das Oberlehrerhafte mit etwas Selbstironie, da sie wusste, dass ihm ihre strenge, aufrechte Fassade auf die Nerven ging. »Wenn jeder mit halbstündigem Duschen auf die Wasserknappheit reagiert, ›solange es noch geht‹, haben wir noch eher keins mehr. Und wenn dir das als Grund nicht reicht: Wasser ist teuer. Immens teuer, wie die Kids sagen.«

Er ließ ihre Taille los. »Du bist so eine Spaßbremse, mi querida. Wenn uns das Steini eines gelehrt hat, dann, dass die Welt von heute auf morgen zum Teufel gehen kann. Da dürfen wir uns in den kleinen Lücken zwischen den Katastrophen ruhig mal was gönnen.«

Da war was dran. Eigentlich hatte sie vorgehabt, das Pfund Schweinehack, das sie heute gekauft hatte und das ihr erstes richtiges Fleisch seit einem Monat war, über zwei Mahlzeiten zu strecken, aber nach Estebans Drängen, auch mal zu genießen, was sich bot, entschied sie sich hastig, die Portionen zu verdoppeln, und ihr wurde fast schwindelig angesichts der Verschwendung und Hemmungslosigkeit, doch dann fing sie sich: Gehören wir nicht angeblich zur Mittelklasse?

Im Barnard hatte es noch als gewagt gegolten, ihre am Ende mit Auszeichnung angenommene Abschlussarbeit zum Thema Das Klassensystem, 1945 bis heute zu schreiben, bildeten sich die Amerikaner doch immer noch etwas darauf ein, eine klassenlose Gesellschaft zu sein. Allerdings war das vor dem legendären wirtschaftlichen Niedergang, der »Steinzeit« oder dem »Steini«, der mit ihrem Abschluss zusammenfiel und nach dem Amerika plötzlich über nichts anderes mehr sprach als über Klassen.

Florence hatte sich eine schroffe, praktische Natur zu eigen gemacht und ließ kein Selbstmitleid aufkommen. Dank des Collegefonds ihres Großvaters lasteten die Kosten ihrer sinnlosen Ausbildung weniger auf ihr, als es bei vielen Freunden der Fall war, und sie mochte ihre Schwester ja um ihr Aussehen beneiden, deren Beruf wollte sie ganz sicher nicht. Insgeheim hielt sie Averys eher ausgefallene therapeutische Praxis »PhysHead« für parasitären Humbug. Zudem hatte sich Florence’ Kauf eines Hauses in East Flatbush als clever erwiesen, war das einstmals verlotterte Viertel doch ins bessere Segment aufgestiegen. Die Inder in Mumbai probten den Aufstand, weil sie sich kein Gemüse mehr leisten konnten, Florence hatte noch ausreichend Geld für Zwiebeln. Rein formal mochte sie eine alleinerziehende Mutter sein, aber die waren in diesem Land gegenüber den verheirateten in der Überzahl, und so hatte auch das nichts Abwertendes...

Erscheint lt. Verlag 12.1.2018
Übersetzer Werner Löcher-Lawrence
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2029 • amerikanische Politik • Apokalypse • Buch • Bücher • Dollar • Dystopie • Essensknappheit • Familiengeschichte • Krise • Michel Houellebecq.Roman • Mittelstand • Nahe Zukunft • Überleben • Währung • Wasserknappheit • Wirtschaftskrise • Zukunftsvision
ISBN-10 3-492-97770-7 / 3492977707
ISBN-13 978-3-492-97770-8 / 9783492977708
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