Das Lied der toten Mädchen (eBook)

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2018 | 1. Auflage
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1592-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Lied der toten Mädchen -  Linus Geschke
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Das Letzte, was sie hörte, war ein Schlaflied   Herbst 1997: Auf dem Wilzenberg wird eine junge Frau tot aufgefunden, ermordet durch einen Stich ins Herz. Der Täter lässt nichts zurück außer einer Spieluhr, die »Hush little baby« spielt. Gegenwart: Jan Römer, Reporter für ungelöste Kriminalfälle, rollt mit seiner Kollegin Mütze das Verbrechen neu auf. Warum trug das Opfer trotz der Kälte nur ein dünnes rotes Kleid? Warum kann niemand etwas zu dem Gästehaus im Wald sagen, in dem die Frau damals arbeitete? Dann wird wieder eine Frau getötet. Auch neben ihrer Leiche wird eine Spieluhr gefunden. Und Jan Römer begreift, dass die Vergangenheit nicht tot ist ...  

Der 1970 geborene Linus Geschke arbeitet als freier Journalist für führende deutsche Magazine und Tageszeitungen, darunter Spiegel Online und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Für das Special-Interest-Magazin 'unterwasser' verfasst er Tauch- und Reisereportagen, für die der gebürtige Kölner bereits mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde.

Der 1970 geborene Linus Geschke arbeitet als freier Journalist für führende deutsche Magazine und Tageszeitungen, darunter Spiegel Online und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Für das Special-Interest-Magazin "unterwasser" verfasst er Tauch- und Reisereportagen, für die der gebürtige Kölner bereits mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde.

DER UHRMACHER

Der Uhrmacher war in einem kleinen Dorf im Kreis Dithmarschen aufgewachsen, ganz im Westen Schleswig-Holsteins. Zweieinhalbtausend Einwohner, ein Supermarkt und eine Seehundstation. Bis zur nächsten Autobahn brauchte man eine Dreiviertelstunde, dafür lag die Nordsee direkt vor der Haustür. Wunderschöne Kindertage waren das gewesen, mit einer Familie, in der sich alles nur um ihn gedreht hatte. Seine Mutter hatte ihr erstes Kind bereits in der Schwangerschaft verloren, und als er sich dann angekündigt hatte, war sie fast schon zu alt gewesen, um noch ein Kind zu bekommen.

Bei seiner Geburt Mitte der sechziger Jahre flackerten gerade überall die ersten Studentenunruhen auf, die für seine Eltern allerdings wie Nachrichten aus einer anderen Welt geklungen hatten. Hier in Friedrichskoog hatte niemand protestiert. Man lebte im Rhythmus der Gezeiten, und das Aufregendste, was passieren konnte, waren blökende Schafe, die von schwanzwedelnden Hunden über den Deich gejagt wurden.

An seine Kindheit und Jugend hatte er nur gute Erinnerungen, und wenn ihn mit dreizehn, vierzehn jemand gefragt hätte, wie er sich sein weiteres Leben vorstellen würde, wäre die Antwort einfach gewesen: Er würde seine Jugendliebe heiraten, Tierarzt werden und für immer in Friedrichskoog bleiben. Das war seine Welt gewesen, und sie hatte im Norden an der dänischen Grenze angefangen und im Süden in Brunsbüttel geendet. Direkt an der Elbmündung – weiter war er in seiner Kindheit nicht gekommen, wenn man von den zwei Wochen Sommerurlaub absah, die er mit seiner Familie jedes Jahr in Schweden verbracht hatte.

Aber der Uhrmacher war nicht immer ein Kind geblieben.

Anfang der achtziger Jahre wurde in Deutschland die Friedensbewegung stärker, der Protest gegen den NATO-­Doppelbeschluss. 1981 demonstrierten 500000 Menschen auf den Bonner Rheinwiesen, 400000 in Amsterdam, 200000 in Brüssel. Er hatte die Bilder der Demonstranten im Fernsehen gesehen. Der Zusammenhalt der Menschen hatte ihn fasziniert, der Kampf für die gemeinsame Sache. Als zeitgleich im rund vierzig Kilometer entfernten Brokdorf die Proteste gegen das dortige Atomkraftwerk ihren Höhepunkt erreichten, hatte er sich auf sein Mofa gesetzt, eine blaue Kreidler Florett, und war hingefahren.

100 000 Demonstranten waren auf 10 000 Polizisten getroffen, die mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln versuchten, den Aufmarsch zu verhindern. Die beiden Gruppen waren ihm vorgekommen wie verfeindete Armeen, ständig verschob sich die Frontlinie, und irgendwann war er hineingeraten. Er trug keine Uniform und war im selben Alter wie die meisten Demonstranten gewesen, also hatten die Polizisten ihn der Gegenseite zugerechnet und zurückgedrängt. Dann war ein Stein über seinen Kopf hinweggeflogen, die Ordnungshüter reagierten mit Schlägen. Er wurde von Gummiknüppeln an Kopf und Schulter getroffen. Bis zu diesem Moment hatte er nur ein Beobachter sein wollen, die politischen Ziele der Linken waren ihm fremd gewesen. Doch in diesen Minuten wurde der Kampf gegen den Imperialismus, gegen die Unterdrücker zu seinem Kampf. Nicht weil er sich bewusst dafür entschieden hätte. Die Wahl hatten andere für ihn getroffen, und mit jedem Hieb, den er abbekam, verfestigte sie sich. Von jetzt an würde er kämpfen, notfalls auch mit Mitteln der Gewalt. War­um sollte man davor zurückschrecken, wenn es die Gegenseite auch nicht tat?

Wahrscheinlich hatte er schon an diesem Tag alles hinter sich gelassen, was ihm zuvor wichtig gewesen war. Sein Dorf, seine Jugendliebe und den Wunsch, Tierarzt zu werden. Als er mit einer blutenden Platzwunde an der Schläfe nach Hause kam, stand sein Entschluss bereits fest: So schnell wie möglich die Behaglichkeit Friedrichskoogs verlassen und mit allen gesellschaftlichen Normen abschließen.

Er war fertig mit ihnen.

Aber die Normen nicht mit ihm.

Jetzt saß der Uhrmacher in einem kleinen Café am Schmallenberger Schützenplatz und aß ein Stück Apfelkuchen. Draußen stoppte gerade ein Auto. Das Beifahrerfenster glitt herunter und ein Mädchen kam angelaufen. Sie beugte sich ins Fahrzeuginnere, und der Uhrmacher blickte auf ihren Hintern, den sie ihm quasi entgegenstreckte. Auf die festen Beine, die unter dem Rock herausschauten, und auf ihr blondes Haar, das im Wind wehte. Sie war noch jung, sechzehn oder siebzehn vielleicht. Fast glaubte er, sie lachen zu hören.

Natürlich lachte sie. Warum auch nicht? Ihr war noch nie etwas Schreckliches widerfahren und wahrscheinlich kannte sie den jungen Kerl, der am Steuer saß.

Vertraute ihm.

Er aß das letzte Stück Kuchen und schloss die Augen, während er an ein anderes Mädchen dachte, das vor langer Zeit einem Mann vertraut hatte. Dann öffnete er die Augen wieder und sah die Bedienung vor sich stehen, die ihn freundlich fragte, ob er noch etwas haben wollte. Er verneinte und verlangte nach der Rechnung. Die Kellnerin entfernte sich, und er dachte über den Ort nach, in dem er sich befand.

Er wusste, dass Schmallenberg rund 25000 Einwohner hatte. Eine Kleinstadt im Sauerland, die zum Regierungs­bezirk Arnsberg gehörte. Sie lag rund dreißig Kilometer südlich der Kreisstadt Meschede, am Rande des Rot­haar­ge­birges. Wenn man nach Siegen wollte, musste man rund fünfzig Kilometer weit fahren, nach Dortmund über hundert. Der gesamte Ort lebte von seiner Textil­industrie, dem Handwerk und der Holzwirtschaft. In den letzten Jahren war auch der Dienstleistungssektor immer größer geworden, hervorgerufen durch die Touristen, die in den kalten Monaten des Wintersports wegen kamen und sich an warmen Sommertagen an der herrlichen Landschaft erfreuten. Auch die historische Innenstadt mit ihren Brunnen, Skulpturen und Gassen war ein beliebter Anziehungspunkt für Ausflügler.

Der Teil des Ortes, in dem auch das Café lag, in dem er saß, wurde die Kernstadt genannt. Rund 7000 Menschen lebten hier, und wahrscheinlich kannte sich ein Großteil davon beim Namen. Es gab noch so etwas wie einen Gemeinschaftssinn, ein Interesse am Schicksal des anderen. Auch wenn die Einwohner nicht ständig aufeinander hockten, waren sie sich des anderen zumindest bewusst, anders als in den anonymen Wohnblocks der Großstädte. Fühlten sich in ihrem Heimatort sicher und geborgen.

Natürlich gab es auch hier Betrunkene, die nach einem Kneipenbesuch durch die Straßen torkelten, und auf den Schützenfesten konnten auch mal Fäuste fliegen, wenn sich zwei Typen um ein Mädchen stritten. Ab und zu wurde sogar ein Fahrzeug aufgebrochen oder ein Haus von Einbrechern heimgesucht, aber das waren schon Ausnahmen, die ob ihrer Seltenheit dann tagelang Stadtgespräch waren. Nichts, was den Alltag bestimmte, der von der Geborgenheit einer Gemeinschaft bestimmt war, in der fast jeder jeden kannte. Wo samstags der Rasen gemäht und anschließend das Auto gewaschen wurde.

So kannte er Schmallenberg – und so schien es noch immer zu sein. Kaum etwas hatte sich in dem Ort verändert, obwohl er so lange weg gewesen war.

Draußen war das Mädchen mittlerweile in den Wagen gestiegen, und er konnte erkennen, dass sie tatsächlich lachte. Sie warf den Kopf zurück, dann schnallte sie sich an, bevor der Mann am Steuer endlich losfahren konnte.

Ein braves Mädchen. Wahrscheinlich waren ihre Eltern mächtig stolz auf sie.

Kurz darauf stand die Bedienung erneut an seinem Tisch und brachte die Rechnung, wobei sie ihn freundlich anlächelte. Nicht anbiedernd, einfach nur nett, wie die meisten Menschen hier.

Er beglich den Betrag und legte ein ordentliches, aber nicht auffällig hohes Trinkgeld obendrauf. Dann stand er auf und verabschiedete sich mit einem Winken. Trat hinaus auf den sauber gefegten Bürgersteig, wo ihm die langsam untergehende Herbstsonne ins Gesicht schien. Atmete die klare Luft ein, die von den umliegenden Wäldern mit einer Frische erfüllt wurde, die man wahrscheinlich nur dann bewusst wahrnahm, wenn man den Großteil seines Lebens in einer Großstadt verbracht hatte.

Schmallenberg war ein Ort, an dem er damals gerne für immer geblieben wäre. Wo jeder vom anderen wusste, wo er aufgewachsen war und was er aus seinem Leben gemacht hatte. Wo die Einwohner gemeinsam vergessen konnten, was hier vor Jahren geschehen war. Sie alle hatten das gemacht. Hatten weitergedrängt und waren zur Normalität zurückgekehrt, als wenn auf dem Wilzenberg nie etwas Schreckliches geschehen wäre.

Jeder hatte das getan.

Nur er nicht.

*

Drei Tage später war Jan noch immer nicht weitergekommen. Mütze und er hatten sämtliche Fakten und Hin­tergrundinformationen gesammelt, die man telefonisch oder am Rechner bekommen konnte, jetzt mussten sie raus, vor die Tür treten. Und es gab nur einen Punkt, an dem man beginnen konnte, wenn man sich einer solchen Geschichte nähern wollte.

Ganz am Anfang.

Sonjas Geschichte hatte in Schmallenberg begonnen, und keine vier Kilometer entfernt hatte sie auch geendet. Zwischen dem Anfang und dem Ende hatten nur neunzehn Jahre gelegen, und in diesen Jahren musste auch der Grund für ihre Ermordung zu finden sein. Nicht in jener Zeit, in der sie ein Baby oder Kleinkind gewesen war. Wahrscheinlich auch nicht in den Jahren, in denen sie noch zur Schule gegangen war. Irgendwann danach, vermutlich in den letzten zwölf Monaten ihres Lebens, musste der Auslöser für die Tat stecken, und wenn sie ihn finden wollten, mussten sie genau dort beginnen.

Für das kommende Wochenende hatte Mütze zwei Einzelzimmer in einem Schmallenberger Hotel reserviert. Sie hatten abgesprochen, freitagnachmittags in Köln loszufahren und bis Sonntag im Sauerland zu bleiben. Die Tage...

Erscheint lt. Verlag 12.1.2018
Reihe/Serie Jan-Römer-Krimi
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2018 • 90er Jahre • B.C.Schiller • Bestsellerliste Spiegel • Buch • Bücher • buch neu • Deutsche Krimis • Deutscher Krimi • Die Lichtung • drews christine • Eric Berg • Ermittlerduo • Inge Löhnig • Jan Tommen • Journalist • Köln • Köln Krimi • Krimi • Krimi & Thriller • Kriminalroman • Krimi Neuerscheinungen 2018 • Krimis und Thriller • Läckberg • Marc Raabe • Neu • Neu 2018 • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2018 • Neuheit • Reporter • Sauerland • spannend • Taschenbuch • The fourth monkey • und am morgen waren sie tot • ungelöster Kriminalfall • V-Mann • Zeitung
ISBN-10 3-8437-1592-0 / 3843715920
ISBN-13 978-3-8437-1592-8 / 9783843715928
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