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Die Freiheit ist möglich -  Catalin Dorian Florescu

Die Freiheit ist möglich (eBook)

Über Verantwortung, Lebenssinn und Glück in unserer Zeit
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
96 Seiten
Residenz Verlag
978-3-7017-4579-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
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Wir leben in einer hysterischen Zeit, die zwar materiellen Wohlstand und unablässige Kommunikation gewährleistet, das Individuum aber mit seinen Gefühlen der Vereinzelung allein lässt. Doch nach dem Scheitern der großen politischen Utopien sehnen wir uns umso mehr nach Glück, Verbundenheit und Nähe, sind aber in einem fragmentierten, beschleunigten Alltag gefangen. Dagegen setzt der humanistische Psychologe und Schriftsteller Catalin Dorian Florescu das Bild eines ruhigen, kreativen, beziehungsfähigen Menschen. In der selbstbestimmten Konzentration auf das eigene Ich vermag das Individuum die Aufmerksamkeitskrise unserer Zeit zu überwinden und sinnvolle Beziehungen zum Anderen und zur Welt aufbauen.

Catalin Dorian Florescu, geboren 1967 in Timisoara, Rumänien. 1982 Flucht mit den Eltern in den Westen, lebt seitdem in Zürich. Studium der Psychologie und Psychopathologie an der Universität Zürich, 1995-2001 Arbeit als Psychologe in einem Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige, Weiterbildung in Gestalttherapie, seit 2001 freier Schriftsteller. Zahlreiche Stipendien und Preise, u. a. Anna Seghers-Preis 2003, Schweizer Buchpreis 2011, Joseph von Eichendorff-Literaturpreis 2012. Veröffentlichungen u. a.: 'Zaira' (2008), 'Jacob beschließt zu lieben' (2011), 'Der Mann, der das Glück bringt' (2016), 'Der Nabel der Welt' (Erzählungen, 2017).

Catalin Dorian Florescu, geboren 1967 in Timisoara, Rumänien. 1982 Flucht mit den Eltern in den Westen, lebt seitdem in Zürich. Studium der Psychologie und Psychopathologie an der Universität Zürich, 1995–2001 Arbeit als Psychologe in einem Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige, Weiterbildung in Gestalttherapie, seit 2001 freier Schriftsteller. Zahlreiche Stipendien und Preise, u. a. Anna Seghers-Preis 2003, Schweizer Buchpreis 2011, Joseph von Eichendorff-Literaturpreis 2012. Veröffentlichungen u. a.: "Zaira" (2008), "Jacob beschließt zu lieben" (2011), "Der Mann, der das Glück bringt" (2016), "Der Nabel der Welt" (Erzählungen, 2017).

Einleitung


Vor einigen Jahren erschien ein schmales Werk mit einem ähnlichen Imperativ wie der Titel dieser Reihe »Unruhe bewahren«. Es hieß: »Empört euch!« Es geisterte eine Zeit lang durch die Medien und wurde millionenfach verkauft. Was ist heute von diesem fast verzweifelten Aufruf zur Empörung geblieben? Welche nachhaltige Wirkung entfaltete er überhaupt?

Das System »sitzt« – um es so auszudrücken – so fest wie immer im Sattel, Geschäft bleibt wie immer Geschäft, die natürlichen Ressourcen werden wie immer geplündert, die Armen werden vertröstet, die breiten Massen schweigen und konsumieren um die Wette. Oder sie folgen dem Takt, der ihnen von Populisten vorgegeben wird, auch und gerade bei uns in Europa.

Der Mensch verausgabt sich im täglichen Bemühen, fit und attraktiv auf dem Arbeits- und Partnermarkt zu bleiben. Das Rad dreht sich immer schneller, alles ist in ständiger Bewegung, nichts darf ruhen, es herrschen Geschwindigkeit und Flüchtigkeit. Von den Glücksverheißungen, die uns als Trost angeboten werden, bleibt oft nicht viel mehr als ein vages Unbehagen übrig. Hört hier jemand noch den Ruf: »Empört euch!«?

Die Aufklärung – das westliche Projekt, vernünftige und (selbst)verantwortliche Individualität durch Bildung, Erziehung und Kultur zu ermöglichen – scheint ihre Grenzen erreicht zu haben. Oder war sie nie mehr als nur ein Versprechen? Sie weist große Verdienste auf bei der Befreiung des Menschen aus seiner »selbstverschuldeten Unmündigkeit«, wie Kant es formuliert hat. Aber sie ist auch ein Teil des Problems und nicht nur der Lösung, dort wo sie »totalitär« wird, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer meinten, weil sie das gesamte Leben in Abstraktheit, Theorie, Rationalisierung, Zahl verwandelt.

Sollten René Descartes’ berühmten Satz »Cogito ergo sum« – der als Inbegriff der Aufklärung gilt – nicht viel eher abwandeln in »Ich bin mit dir, also bin ich«? Als Zeichen dafür, dass menschliches Leben und Identität sich nicht nur im Kopf ereignen, und damit in der Abstraktion, sondern in der konkreten Bezogenheit?

Wenn wir das obige eurozentrische Bild durch eine summarische Bestandsaufnahme der gesamten Welt erweiterten, hätten wir noch mehr Grund, uns ohnmächtig zu fühlen. Das Konsumverhalten in den Schwellenländern nimmt kontinuierlich zu, was die begrenzten Ressourcen der Erde weiter verknappt.

Wohlstand ist auch ohne Demokratie und Freiheit möglich, das macht uns das chinesische Regime täglich vor. Der hoffnungsvolle »Arabische Frühling« vor wenigen Jahren wurde vielerorts von Krieg und erneuter Unterdrückung abgelöst. Die Türkei ist eine kaum noch verhüllte Diktatur, Russlands Demokratie reinste Augenauswischerei. Und Afrika verliert seine Söhne und Töchter im Mittelmeer.

Und doch: Gibt es nicht auch Grund zur Hoffnung? Immerhin gehen Tausende auf die Straße, um gegen die Aushöhlung der Demokratie in Polen und Ungarn zu protestieren, gegen die Regierung von Donald Trump oder gegen die weißen Rassisten, wie zuletzt in Virginia. Die Einsicht, dass nachhaltiges Wirtschaften und soziale Verantwortung notwendig sind, breitet sich nach und nach auch in unternehmerischen Kreisen aus.

Viele Bürger treten NGOs bei oder üben Freiwilligenarbeit aus, vom Wunsch getrieben, sich in der Welt nach Kräften einzubringen und sinnvoll mit ihr verbunden zu sein. Sie haben einen klaren Gerechtigkeitssinn, moralische Vorstellungen und empören sich wahrscheinlich sogar, und ihre Empörung drängt zur Tat. Bei ihnen hätte – und hat womöglich auch – Stéphane Hessel mit seinem Manifest »Empört euch!« offene Türen eingerannt.

Reicht das, um uns hoffnungsvoll zu stimmen, was einen veränderten Umgang des Menschen mit seinem Gegenüber und seiner Umwelt betrifft? Kleine Zugeständnisse des Systems im Rahmen des Möglichen konnte man immer schon erwirken, wenn sie auch oft hart erkämpft werden mussten und ihre dauerhafte Umsetzung nie gesichert war. Ein grundlegender Paradigmenwechsel, ein Neudenken dessen, was menschliches Leben lebenswert und reich macht? Da müssen wir skeptisch bleiben.

Ich benutze hier den Begriff »System« bewusst mit einer gewissen Unschärfe. Dabei habe ich vor allem zwei Aspekte vor Augen, die das »System« bestimmen und einander ergänzen, wie die zwei Seiten einer Medaille. Einerseits ist es jenes sichtbare Geflecht aus Normen, Gesetzen und Glaubenssätzen, die unser wirtschaftliches und soziales Leben ausmachen. Man könnte es das »herrschende« System nennen, in unserem Fall der moderne Kapitalismus. Aber dieses Geflecht hat auch eine unsichtbare Seite, so wie ein großer Teil der Wurzeln eines Baums unterirdisch ist. Es wird getragen von anonymen Menschen aus allen Klassen und Schichten – von uns allen letztendlich –, die seine Regeln und Maximen in ihre Identität aufgenommen haben und sie nicht hinterfragen. Sie verkörpern es bis zur Perfektion und stützen es.

Den Appell »Unruhe bewahren« könnte dasselbe Schicksal ereilen wie »Empört euch!« Gut gemeint, gut gebrüllt vielleicht, aber er verhallt ungehört. Man kann nämlich Empörung und Unruhe kaum verschreiben, so wie früher Ärzte Bergluft und Ruhe verschrieben, wenn sie nicht mehr weiterwussten. Auch ähnelt der Aufruf, Unruhe zu bewahren, jenem paradoxen Appell an den Depressiven, sich nicht depressiv zu fühlen.

Aber was ist hier überhaupt mit Unruhe gemeint? Kaum die Unruhe des Kokainsüchtigen, der sich mit der Droge lebendiger und leistungsfähiger fühlt. Kaum die Unruhe des Börsenmaklers, der in Echtzeit auf mehreren Bildschirmen die Entwicklung von Kursen verfolgt und Geld nicht durch das Herstellen eines realen Produkts verdient, sondern durch virtuelle Zahlenmagie. Kaum die Unruhe des postmodernen Konsumenten, der nicht im Augenblick lebt, sondern zwischen Augenblicken, immer auf der Suche nach dem besonderen Kick. Mit einem diffusen Lebensgefühl und einem ebenso diffusen moralischen Empfinden. Und ebenfalls kaum die Unruhe einer narzisstischen Ära, wie sie Donald Trump verkörpert: selbstbezogen, sprunghaft, mitteilungsbedürftig und Twitter-süchtig.

Die Unruhe, die ich mir vorstelle, braucht eine emotionale Gestalt, sonst bleibt sie nur die diffuse psychische Energie, die auch den Kokainsüchtigen, den Börsianer, den Konsumenten, den Narzissten antreibt. Sie führt uns kurz auf die Straße, damit wir dort ein wenig protestieren, und verpufft wieder. Sie lässt uns unzufrieden und zornig werden, ohne etwas zu verändern. Sie ermüdet uns. Welche emotionale Färbung könnte sie haben? Die der Wut angesichts der Missstände? Die der Empathie? Oder ist es die schöpferische Unruhe eines Menschen, der diese konzentriert und feinfühlig in Kunst verwandelt? Der Kunstwerke erschafft, in denen die Welt auf persönliche Weise Gestalt erhält?

Jede Menge Fragen. Wenn wir uns noch dazu vergegenwärtigen, dass der Konsumkapitalismus sich alles einverleiben und alles neutralisieren kann, auch die Kritik an ihm – wie muss der Buchmarkt über den Erfolg von »Empört euch!« gejubelt haben –, könnten wir unsere Hoffnungen begraben. Jede Kritik gleicht einem Schattenboxen. Von diesem Nullpunkt aus können wir aber auch wieder beginnen zu hoffen.

Angesichts einer sehr unruhigen Zeit könnte man eigentlich auch das Gegenteil fordern: Ruhe bewahren. Der ruhige, selbstbestimmte, beziehungsfähige Mensch ist der wahre Gegenpol zu unserem Zeitalter. Der Mensch, der sich auch seiner Fehlerhaftigkeit, seiner Begrenztheit, seines Unvermögens bewusst ist, doch jedes Mal, wenn er Gefahr läuft, sich zu verlieren, zurück zu sich selbst findet, zu seiner sicheren Basis.

Damit es nicht nur bei einem kurzen Aufflackern der Empörung oder einer moralisch diffusen Unruhe bleibt, sollten wir uns über unsere Zeit im Klaren sein: über das spätkapitalistische, postmoderne Zeitalter. Welche Bedingungen für das Gedeihen der Persönlichkeit stellt es zur Verfügung oder behindert es dieses nicht viel eher? Es hat seine eigene Beschaffenheit und Verführungskraft, seine eigenen Belohnungen und Bestrafungen, bietet Chancen für die Befreiung des Individuums und kennt ebenso viele Sackgassen.

Schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stellten namhafte Denker dem fortgeschrittenen Kapitalismus und seinem Zersetzungspotential ein besorgniserregendes Zeugnis aus. Damals befand man sich an der Schnittstelle zwischen dem sogenannten »schweren« Kapitalismus – der mit der Industrialisierung begonnen hatte, konkrete Waren produzierte und bei dem die Wertschöpfung an ebenso konkrete Herstellungsorte wie Fabriken und Fließbänder gebunden war – und dem »leichten« von heute, bei dem ein Laptop und ein Platz im Kaffeehaus genügen. Bei dem uns tagein, tagaus nicht mehr Fragen beschäftigen, die mit konkreter Realität zu tun...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2018
Verlagsort Salzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Glück • Kommunikation • Psychologie • Selbstbestimmung
ISBN-10 3-7017-4579-X / 370174579X
ISBN-13 978-3-7017-4579-1 / 9783701745791
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