Die vergessene Burg (eBook)

Roman

(Autor)

Gisela Klemt (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
448 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-21830-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die vergessene Burg -  Susanne Goga
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Eine Reise an den Rhein führt zu einem dunklen Geheimnis
1868. Paula Cooper führt ein zurückgezogenes Leben, bis sie einen unerwarteten Brief erhält. Ihr schwer kranker Onkel Rudy bittet eindringlich um ihren Besuch - im fernen Bonn. Voller Neugier reist Paula von England an den Rhein. Fasziniert von der malerischen Landschaft entdeckt sie eine fremde Welt und lernt den Fotografen Benjamin Trevor kennen. Aber sie ahnt, dass ihr Onkel etwas verheimlicht, und auch die Widersprüche um das Schicksal ihres verstorbenen Vaters mehren sich. Welcher dunklen Wahrheit über ihre Familie muss sich Paula stellen?

Susanne Goga wurde 1967 in Mönchengladbach geboren und lebt dort bis heute. Die renommierte Literaturübersetzerin und Autorin reist gern - mit Vorliebe auch in die Vergangenheit. Das spiegelt sich in ihren überaus erfolgreichen historischen Romanen wider. Für die Kriminalreihe um Leo Wechsler taucht sie ein ins Berlin der 1920er-Jahre, für den Diana Verlag begibt sie sich immer wieder ins geschichtsträchtige 19. Jahrhundert. Die Künstlerinnen in Glasgow, die dort in jener Zeit ein kreatives Forum gründeten und in ganz Europa berühmt wurden, waren Inspiration für ihren neuesten Roman.

1

Das Haus an der Schleuse

Kings Langley, Hertfordshire

»Es würde uns sehr freuen, Sie dabeizuhaben, Miss Cooper.« Die Pfarrersfrau strich ihr dunkelbraunes Kleid glatt und schaute Paula warmherzig an. »Es erschien mir vermessen, Sie damit zu behelligen, wir alle wissen, wie es um ihre Cousine Miss Farley steht und wie sehr sie Sie beansprucht. Wenn der Reverend hört, dass Sie uns helfen, wird er entzückt sein.«

Paula konnte sich nicht vorstellen, dass Reverend Cranston über irgendetwas in Entzücken geriet – außer vielleicht über die genealogischen Nachforschungen, die er in alten Kirchenbüchern anstellte –, nickte aber bescheiden. »Es wäre mir ein Vergnügen, einen kleinen Beitrag zu Ihrem Abend leisten zu dürfen.« Sie trank von ihrem Tee und nahm ein Ingwerplätzchen, nachdem die Pfarrersfrau ihr nachdrücklich den Teller hingeschoben hatte. »Woran hatten Sie gedacht? Wie Sie wissen, sind meine Fähigkeiten am Klavier begrenzt. Und was meinen Gesang angeht …« Sie zuckte bedauernd mit den Schultern.

Mrs. Cranston stand lächelnd auf und holte ein Buch von einem Beistelltisch. »Um die musikalische Unterhaltung brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, Miss Cooper. Der junge Mr. Algernon Smith ist ein ausgezeichneter Bariton und wird einige Balladen vortragen. Die Schwestern Ingram spielen ein Duett mit Geige und Klavier, und der alte Charlie Ross wird uns schottische Weisen auf dem Dudelsack darbieten. Es gibt auch eine Aquarellausstellung mit Szenen aus der Umgebung.« Sie legte eine Pause ein und sah Paula feierlich an. »Ich habe Sie einmal in der Kirche vorlesen hören, Miss Cooper, und war ganz bezaubert. Sie haben eine klangvolle Lesestimme. Und damit komme ich zu meinem Anliegen – ich möchte Sie bitten, einige Gedichte vorzutragen. Die Auswahl überlasse ich Ihnen, es sei denn, Sie wünschen meinen Rat.«

»Aber Sie haben einen Wunsch?« Paula deutete auf das Buch, das die Pfarrersfrau auf den Tisch gelegt hatte.

Ein Hauch von Röte überzog Mrs. Cranstons Gesicht. »Sie haben mich ertappt. Ich habe an der Stelle ein Lesezeichen hineingelegt.«

Paula schlug den braunen Lederband auf und las neugierig das Deckblatt. Es war eine englische Übersetzung der gesammelten Gedichte eines gewissen Heinrich Heine, die vor sieben Jahren erschienen war. Sie blätterte zu der Stelle, an der ein schmaler Pappstreifen lag, der mit Vergissmeinnicht in Aquarellfarben verziert war.

Sie legte das Lesezeichen auf den Tisch und las die Überschrift: »Das Lied von der Loreley«.

»Ist das ein Gedicht über Deutschland?«

Mrs. Cranston nickte. »Sie haben sicher schon einmal davon gehört, der Felsen am Rhein.« Als sie Paulas verständnislosen Blick bemerkte, fügte sie hinzu: »Es geht um eine alte Sage, nach der eine schöne Frau auf dem Felsen sitzt und ihre goldenen Haare kämmt, womit sie die Rheinschiffer ablenkt, deren Boote an den Klippen zerschellen. Keine sehr christliche Geschichte, aber das Gedicht ist so romantisch! Mr. Cranston sieht mich immer tadelnd an, wenn ich Heine lese, aber er wird mir diese kleine Sünde wohl verzeihen.«

»Ich hatte noch nie davon gehört, will es aber gern vortragen. Und ich suche noch ein weiteres aus, das dem Reverend vielleicht genehmer ist.«

Mrs. Cranston legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Keine Sorge, er ist ein milder Richter. Aber Heine war Jude und politisch, nun ja, ein Freidenker, um es vorsichtig auszudrücken. Dennoch, die Loreley wird hoffentlich keinen Anstoß erregen.«

»Ich freue mich darauf, das Gedicht zu lesen«, sagte Paula und meinte es aufrichtig.

Sie hatte England noch nie verlassen und wusste kaum etwas über Deutschland. Auch von diesem Herrn Heine hatte sie nie gehört.

Nachdem sie sich verabschiedet und mit dem Buch in der Hand das Haus verlassen hatte, blieb sie auf der Straße stehen und wandte das Gesicht zur Sonne, die an diesem Tag Ende März schon angenehm wärmte. Sie würde noch ein bisschen spazieren gehen, bevor sie heimkehrte. Der Gedanke, bei Cousine Harriet im dämmrigen Zimmer hinter geschlossenen Vorhängen zu sitzen, schnürte ihr die Kehle zu.

Paula machte sich auf den Weg zum Kirchhof. Ein Spaziergang bedeutete ein bisschen Freiheit, und die war kostbar. Der Rasen war nach den letzten Regenfällen saftig grün, er hob sich geradezu grell vom grauen Stein der Kirche ab. All Saints war ein altes Gotteshaus, dessen Grundmauern bis ins 13. Jahrhundert zurückreichten. Vor zwölf Jahren war Paula als Gesellschafterin nach Kings Langley gezogen, und der Pfarrer hatte es sich nicht nehmen lassen, sie persönlich durch die Kirche zu führen. Damals hatte er ihr auch die Stelle gezeigt, an der früher ein königlicher Palast der Plantagenets gestanden hatte. Paula warf einen Blick auf den eckigen, von Zinnen gekrönten Kirchturm, der sie stets an eine Burg erinnerte.

Ihr Rocksaum schleifte durchs Gras, doch sie achtete nicht darauf, sondern genoss die Sonne auf dem Rücken. Und die Tatsache, dass sie allein war.

Sie betrachtete die Grabsteine, von denen manche wie schiefe Zähne aus dem Rasen ragten und ihre Geheimnisse auf ewig für sich behalten würden, da die Buchstaben verwittert und die Namen in der Zeit verloren waren.

Auf dem weitläufigen Rasen blühten die ersten Narzissen, und Paula blieb stehen, um sie zu bewundern, wobei ihr flüchtig das Gedicht von Wordsworth in den Sinn kam.

Der Wolke gleich, zog ich einher,

die einsam zieht hoch übers Land,

als unverhofft vor mir ein Meer

von goldenen Narzissen stand.

Sie hatte es immer sehr gemocht. Doch da sie zugleich sehr gespannt war, was sie in den Versen erwartete, die Mrs. Cranston für sie ausgesucht hatte, setzte sie sich auf die Bank, die unter der ausladenden Eiche stand, und schlug das Buch auf.

Schon die erste Strophe nahm sie gefangen. Es war, als hätte jemand eine Stimmgabel angeschlagen, deren Klang nun in ihr weiterhallte. Und als sie zu den letzten Versen kam, war ihre Brust auf einmal eng.

Ich glaube, die Wellen verschlingen

Am Ende Schiffer und Kahn;

Und das hat mit ihrem Singen

Die Loreley getan.

Natürlich war das alles erfunden, ein Märchen voller Gewalt und Verlockung, doch es zog sie unwiderstehlich an. Mehr noch als das dramatische Ende hatte die zweite Strophe sie ergriffen.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,

Und ruhig fließt der Rhein;

Der Gipfel des Berges funkelt

Im Abendsonnenschein.

In diesen wenigen Zeilen beschwor der Dichter eine Stimmung herauf und malte mit Worten ein Bild, das Paula vertraut erschien, obwohl sie nie an jenem Ort gewesen war. In ihrem Leben war eigentlich kein Platz für romantische Ergriffenheit, sie lebte und dachte rational – einer musste es ja tun. Und dennoch fiel ihr für das, was sie jetzt empfand, kein treffenderes Wort als »Sehnsucht« ein.

Als die Sonne unterging, wurde es empfindlich kühl. Paula zog das Tuch enger um die Schultern, stand von der Bank auf und ging langsam davon, wobei sie noch einen letzten Blick auf die Narzissen warf.

Es waren kaum Menschen unterwegs, nur ein einzelnes Fuhrwerk klapperte die Straße hinunter, sodass Paula ihren Gedanken nachhängen konnte.

Sie liebte Bücher, doch das, was sie bei Cousine Harriet fand, war nicht dazu angetan, die Fantasie anzuregen oder Herz und Verstand anzusprechen. Es gab eine beachtliche Sammlung medizinischer Ratgeber, die Harriet ausgiebig studierte. Auch las sie mit Vorliebe Traktate von Quacksalbern und Kräuterexperten, die gegen gutes Geld ganze Kuren anboten, die man sich ins Haus bestellen konnte. Paula konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Symptome, unter denen Harriet litt, nach derartiger Lektüre stets noch zahlreicher und ausgeprägter waren. Von Romanen und Gedichten hingegen hielt sie nichts.

Paula musste sich mit dem begnügen, was ihr das Leben als Gesellschafterin bot. Viel freie Zeit blieb ihr ohnehin nicht, da sie stets für Harriet da zu sein hatte und zudem leichte Arbeiten in Haus und Garten übernahm.

»In unserer Lage ist eine vorteilhafte Eheschließung unwahrscheinlich. Und so kannst du ein würdevolles Leben führen, ohne offiziell für Geld zu arbeiten«, hatte ihre Mutter erklärt, als sie Paula vor zwölf Jahren eröffnete, dass sie von London nach Hertfordshire ziehen und von nun an Harriet Farley Gesellschaft leisten werde. »Du brauchst dich nicht mit den unerzogenen Kindern fremder Leute abzumühen oder eine Beschäftigung zu übernehmen, die unschicklich für eine junge Dame wäre. Es tut mir weh, dich ziehen zu lassen, aber du bist zwanzig Jahre alt und kannst nicht länger mit meinen Mietern unter einem Dach wohnen.«

Also machte Paula das Beste aus ihrer Lage. Sie lieh sich Bücher bei den einheimischen Damen, die sie unbemerkt in ihr Zimmer brachte und las, wann immer sie die Muße dazu fand.

Jetzt drückte sie den Gedichtband an sich, entschlossen, noch an diesem Abend darin zu lesen. Sie würde einfach sagen, sie sei müde, und sich zeitig zurückziehen, eine Kerze anzünden und gespannt abwarten, ob Herr Heine sie in deren flackerndem Schein noch einmal so gefangen nehmen konnte. Die Sehnsucht, die sie überkommen hatte, klang in ihr nach, war wie ein Stich, der nicht mehr schmerzt, aber noch spürbar ist.

Vor ihr tauchten die Bäume auf, die den Kanal säumten, manche noch fast kahl, andere schon von einem zartgrünen Schleier überzogen. Die Trauerweiden erinnerten sie an kniende Frauen, deren Haare bis zum Wasser reichten, und Paula zwang sich...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 19. Jahrhundert • Bonn • DeLiA • eBooks • Emanzipation • England • Historische Romane • Historischer Roman • Liebe • Liebesromane • Reise • Rheinromantik • Spiegel-Bestseller-Autorin
ISBN-10 3-641-21830-6 / 3641218306
ISBN-13 978-3-641-21830-0 / 9783641218300
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