Die letzte Instanz (eBook)

Kriminalroman
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2018 | 1. Auflage
448 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-22216-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzte Instanz -  Elisabeth Herrmann
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Vor dem Landgericht Berlin wird Anwalt Joachim Vernau Zeuge einer merkwürdigen Szene: Die Rentnerin Margarethe Altenburg schießt auf einen Obdachlosen, bricht noch am Tatort zusammen und wird verhaftet. Ist sie verwirrt? Oder eine kaltblütige Mörderin? Joachim Vernau übernimmt die Verteidigung. Doch die scheinbar willkürliche Tat entpuppt sich als Auftakt zu einer rätselhaften Mordserie. Vernau reist in Margarethe Altenburgs Heimatstadt Görlitz. Der erst harmlos scheinende Auftrag wird für ihn zu einer aufwühlenden Begegnung mit der Vergangenheit der alten Frau - und er stößt auf eine längst vergessene Schuld, die nun ihren Tribut fordert.

Elisabeth Herrmann wurde 1959 in Marburg/Lahn geboren. Nach ihrem Studium als Fernsehjournalistin arbeitete sie beim RBB, bevor sie mit ihrem Roman »Das Kindermädchen« ihren Durchbruch erlebte. Fast alle ihre Bücher wurden oder werden derzeit verfilmt: Die Reihe um den Berliner Anwalt Joachim Vernau sehr erfolgreich vom ZDF mit Jan Josef Liefers. Elisabeth Herrmann erhielt den Radio-Bremen-Krimipreis, den Deutschen Krimipreis und den Glauser für den besten Jugendkrimi 2022. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin und im Spreewald.

Donnerstag, 12. Februar, 12.34 Uhr.

Erster Spatenstich für das Wohn- und Geschäftshaus Tauben- Ecke Glinkastraße, Berlin Mitte.

Der Phaeton rollte hinter der Kreuzung am rechten, frei gehaltenen Fahrbahnrand aus. Der Wind schleuderte Regentropfen an die Seitenscheiben und über den diamantschwarzen Lack. Sie perlten ab und sammelten sich zu kleinen Rinnsalen, die in nicht vorhersehbaren Linien kreuz und quer am Wagen hinunterliefen in den überfluteten Bordstein und in ein fast knöcheltiefes, straßenbreites Schlagloch.

Sieht immer noch aus wie nach dem Krieg hier, dachte er.

Der Mann im Fond des Wagens hatte die fünfzig bereits um einige Jahre überschritten, aber er hielt sich für eine bemerkenswert juvenile Erscheinung. Zumindest wurde ihm das oft genug signalisiert, um an Tagen wie diesen auch daran zu glauben. Die Haare trug er millimeterkurz, etwa so lang wie seinen Dreitagebart, den er mit Hingabe pflegte und der seinem prallen, fast faltenlosen Gesicht einen Hauch Verwegenheit verlieh, während er seine Kleidung in einer wohldosierten Mischung aus Eleganz und Understatement wählte. In den einschlägigen Bars und Nachtclubs der Stadt nahm er die interessierten Blicke der Frauen wie selbstverständlich zur Kenntnis, genauso selbstverständlich wie das Desinteresse seiner Gattin, die ihn noch ab und zu auf Veranstaltungen begleitete, wo ihr ein Mindestmaß an Zerstreuung geboten wurde oder doch wenigstens die Gelegenheit, einen adäquaten, sprich ebenso solventen Nachfolger für ihn zu finden. Da hier, in dieser Baugrube, bis auf ein paar mindestens ebenso fade wie schlecht bezahlte Beamte nur noch Angestellte, Arbeiter und ein paar Schaulustige zu erwarten waren, hatte Trixi es vorgezogen, in Hamburg zu bleiben und sich mit ihren ebenso frustrierten wie noch nicht geschiedenen Freundinnen zum Fünf-Uhr-Tee im Atlantic zu verabreden.

Er klappte den Kragen seines schwarzen Kaschmirmantels hoch und warf einen Blick durch die strömende Nässe auf den Bretterzaun gegenüber. Die Baustelle nahm das gesamte nordöstliche Areal Tauben- Ecke Glinkastraße ein. Es war die letzte Lücke in der goldenen Innenstadt, der Tusch auf das Finale des Hauptstadtbooms. In achtzehn Monaten würde sie geschlossen sein und Platz für 400 Büros, ein Dutzend Einzelhandelsgeschäfte und zwei Restaurants bieten. 1A Filetlage. Investitionssumme 23,4 Millionen. Zwei Dachterrassenwohnungen, eine hundertzwanzig, eine zweihundert Quadratmeter. Die Terrasse natürlich. Die zweihundert waren für ihn.

Die Bundesanstalt für Immobilienwesen, vertreten durch die Bundesanstalt für Bauwesen und Raumordnung, in großen Lettern stand es auf dem meterhohen Schild, das den Attacken der stürmischen Böen solide standhielt, direkt darunter dann sein Name. Projektmanagement: Fides Immo Invest Jürgen Vedder. Ausführung: Fides Bauträger Invest Jürgen Vedder. Noch über der Fachaufsicht, dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Ritterschlag. Bundesbauten im Portfolio, das war, als hätte der Staatsminister einen persönlich in die Arme genommen. Er lehnte sich zurück und atmete tief ein.

Schließ die Augen. Denk dran. Wie es angefangen hat. Und wo. Jetzt öffne sie und sieh dir an, wie weit du gekommen bist.

Zwei Polizeimotorräder mit Blaulicht bogen langsam und gemächlich um die Ecke. Der Verkehr wurde weiter vorne umgeleitet, so dass sie die gesamte Breite der Straße für sich hatten. Ihnen folgte eine Limousine, die jetzt direkt vor der Zufahrt zum Gelände anhielt. Das Tor im Zaun stand weit offen, vier Angestellte einer privaten Wachfirma sicherten den Eingang und kontrollierten mit stoischer Gleichmut die Einladungen. Dahinter konnte man das weiße Festzelt erkennen, die Baugrube mit dem provisorischen Unterstand, und viele dunkel und praktisch gekleidete Menschen, die sich unter den Heizstrahlern drängten.

Der Beifahrer sprang aus der Limousine und öffnete einen riesigen schwarzen Schirm. Zwei weitere Sicherheitsleute tauchten wie aus dem Nichts auf. Sie trugen keine Uniformen, sondern körpernah geschnittene Anzüge und wasserabweisende gewachste Jacken, weit genug, um die Waffen zu verbergen, die sie mit sich führten. Sie flüsterten in ihre Kragenmikrofone und ignorierten den Regen, der ihnen in Strömen den Rücken hinunterlaufen musste.

Aus dem Wagen stieg der Senator für Stadtentwicklung. Er nahm seinem Assistenten mit einem freundlichen Nicken den Schirm ab und ging zwei vorsichtige Schritte um eine Pfütze herum.

Vedder konnte erkennen, wie der Senator den Kopf in den Nacken legte und nach oben in den dunklen Nachmittagshimmel blickte, dorthin, wo die Brandmauer des Nachbargebäudes über einer blinden Wand endete. Der Putz blätterte ab. An einigen Stellen waren Buchstaben zu erkennen.

Vedder kniff die Augen zusammen. Gant Srcwan. Galanta Strickwaren, ersetzte er automatisch. Er lächelte über diesen Reflex und darüber, dass ihm die geschwungenen Linien hier noch nie aufgefallen waren. Aber wie oft hatte er sich das Grundstück auch schon angeschaut? Ein, zwei Mal. Gekauft und entschieden wurde nicht hier, sondern in Büros und Rechnungsabteilungen und an diskreten kleinen Tischen erstklassiger Hotelrestaurants. Zwei Mal waren sie auch im Capital Club gewesen – unnötig für das abgeschlossene Geschäft, nötig aber für die zukünftigen. Die letzte Unterschrift hatte er an seinem Schreibtisch geleistet, und das zufriedene Gefühl, das sich jedes Mal einstellte, wenn eine neue Herausforderung darauf wartete, souverän bewältigt zu werden, dieses Gefühl breitete sich auch jetzt in seiner Mitte aus.

In zwei Monaten würde der Schriftzug verschwunden sein, verdeckt von Stahlbeton und Sandstein, von hochgezogenen Mauern und gläsernen Aufzügen, vorbei war es dann mit Galanta Strickwaren, niemand würde sich mehr an sie erinnern, ach was, niemand würde sich an die Erinnerung an sie erinnern, denn sie war schon lange Vergangenheit, genauso wie die Buchstaben über verwitterten Kellereingängen und auf Mauern, wo Kohlenhandlung stand, Obst und Gemüse oder Plaste aus Schkopau. Das Gedächtnis der Menschen war flexibel. Es passte sich der Gegenwart an. In ein, zwei Jahren würde jeder schwören, das Ministerium hätte schon immer hier gestanden. So schnell ging das. Merkwürdig, dass der Senator die Buchstaben so weit da oben überhaupt eines Blickes würdigte. Vielleicht war er ein Romantiker. Oder er kam aus dem Osten. Für Vedder lief mittlerweile beides auf das Gleiche hinaus.

Aus der Gruppe der Frierenden löste sich ein Mann und eilte hastig zum Eingang. Mit Befriedigung erkannte Vedder den Senatsbaudirektor. Ein eloquenter Mittvierziger, ein wenig dünkelhaft vielleicht in seinen Ansichten, denn er war ein einsamer Verfechter antiquierter Traufhöhen und homogen gestalteter Stadtkerne. Keine Visionen. Keine Kühnheit. Es hatte Vedder Mühe gekostet und Überzeugungskraft, ihm diese zwei Geschosse mehr abzuringen, die aus einem simplen Bauvorhaben ein Renditeobjekt machten. Dafür mussten halt Sandstein her und Kupfer, damit Patina und Ocker sich nicht bissen mit der behördlichen Vorstellung von Innenstadt. Wenigstens das Glas war im Großen und Ganzen geblieben.

Vedder konnte damit leben. Und der Senatsbaudirektor war zufrieden mit seinem Sieg. Er beobachtete, wie er den Senator mit freundlichem Handschlag begrüßte. Dann flüsterte er ihm ein paar Worte zu. Beide schauten sich suchend um. Man vermisste ihn. Zeit für den Auftritt.

Er öffnete die Tür und setzte das rechte Bein auf die Straße. Der Schlag traf ihn von hinten mit voller Wucht. Das hässliche Geräusch von schepperndem Blech erreichte sein Bewusstsein, als Nächstes schickten seine Nerven eine Fanfare wütenden Schmerz von seinem Knie hinauf in seinen Leib. Ein Schrei. Ein Aufprall. Sie fiel vor ihm auf den Asphalt, als wäre sie aus einer Regenwolke gerutscht. Ihr Einkaufswagen schlitterte weiter, schlitterte noch zwei Meter die Straße entlang, verteilte bunte Baumarktprospekte über die nasse Fahrbahn und blieb dann mit drehenden Vorderrädern mitten auf der leeren Fahrbahn liegen.

Er krümmte sich zusammen. Sie hatte dieses Ding direkt in ihn hineingerammt, als ob sie ihn mit Absicht hätte treffen wollen. Sein Fahrer öffnete die Tür und hastete auf die Frau zu. Vedder versuchte tief einzuatmen. Ihr war nichts geschehen. Langsam rappelte sie sich auf.

»Sind Sie noch ganz bei Trost?«

Vedder richtete sich auf und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er auf die Frau, die mit anklagend ausgestrecktem Arm auf den Einkaufswagen und die aufgeweichten Prospekte wies.

»Haben Sie Tomaten auf den Augen? Sie können doch nicht einfach die Tür aufmachen!«

Sein Knie schmerzte höllisch. Doch Vedder ließ sich nichts anmerken. Unauffällig bewegte er das rechte Bein. Nichts gebrochen, aber eine ordentliche Prellung. Zwei Uniformierte vom Eingang kamen zu Hilfe. Auch der Senator und der Baudirektor überquerten die Fahrbahn, nicht ohne vorher wie die ABC-Schützen nach links, nach rechts und wieder nach links zu schauen. Am liebsten hätte er dieser keifenden Schlampe eine geknallt. War das normal, dass man mit einem vollbeladenen Einkaufswagen mit dreißig Sachen um die Ecke bog?

»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte er. Seinem Mantel war nichts passiert. Der Hose auch nicht. »Ist alles in Ordnung? Sind Sie verletzt?«

»Ich … weiß nicht.«

Natürlich wusste sie es nicht. Flink flog ihr Blick über seinen Wagen. Bis auf einen Kratzer im Türleder war nichts passiert,...

Erscheint lt. Verlag 19.3.2018
Reihe/Serie Joachim Vernau
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Anwalt Vernau • Berlin • Das Dorf der Mörder • Deutscher Krimipreis • eBooks • Görlitz • Heimatkrimi • Jan Josef Liefers • Joachim Vernau • Krimi • Kriminalromane • Krimis
ISBN-10 3-641-22216-8 / 3641222168
ISBN-13 978-3-641-22216-1 / 9783641222161
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