Der Preis der Lüge (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
416 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-22074-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Preis der Lüge -  Harlan Coben
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Zwei Söhne wohlhabender amerikanischer Familien werden entführt. Eine Lösegeldforderung geht ein, dann herrscht Schweigen - und die Kinder bleiben verschwunden. London, zehn Jahre später: Privatdetektiv Myron Bolitar spürt einen verstörten Sechzehnjährigen auf: Patrick, eines der Entführungsopfer von damals. Von dem anderen Jungen fehlt jede Spur. Patricks Heimkehr wirft allerdings mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert: Wo hat er all die Jahre gesteckt? Was ist damals geschehen? Und was ist mit seinem Freund passiert? Je mehr Patrick sich in Widersprüchen verstrickt, umso dichter wird das Netz der Lügen, das sich um ihn und seine Familie zusammenzieht ...

Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Nachdem er zunächst Politikwissenschaft studiert hatte, arbeitete er später in der Tourismusbranche, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Thriller wurden bisher in 45 Sprachen übersetzt, erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und wurden zu großen Teilen verfilmt. Harlan Coben, der als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet wurde - dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award -, gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Familie in New Jersey.

1

Der Junge, der seit zehn Jahren vermisst wird, tritt ins Licht.

Ich neige nicht zu Hysterie und empfinde selten auch nur etwas, das man als Erstaunen bezeichnen könnte. In meinen über vierzig Lebensjahren habe ich schon viel gesehen. Ich bin fast getötet worden – und ich habe getötet. Ich habe Formen der Verkommenheit gesehen, die für die meisten Menschen problematisch, wenn nicht gar unbegreiflich wären, und manch einer würde wohl behaupten, dass diese Verkommenheit auch einigen meiner Handlungen zugrunde lag. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, meine Gefühle im Zaum zu halten, und, was noch wichtiger ist, meine Reaktionen in kritischen, brisanten Situationen zu kontrollieren. Ich mag schnell und gewaltsam zuschlagen, tue aber nichts ohne eine gewisse Bedachtsamkeit und Zielorientierung.

Diese Fähigkeiten, wenn man sie denn als solche wertet, haben mir und denjenigen, die mir wichtig sind, ein ums andere Mal das Leben gerettet.

Dennoch gestehe ich, dass mein Puls rast, als ich den Jungen – der inzwischen ein Teenager ist – hier erblicke. Mir dröhnen die Ohren. Unwillkürlich balle ich die Fäuste.

Zehn Jahre – und jetzt bin ich allenfalls fünfzig Meter von dem vermissten Jungen entfernt.

Patrick Moore – so heißt der Junge – lehnt an der mit Graffiti beschmierten Betonwand einer Unterführung. Seine Schultern sind gebeugt. Sein Blick schießt hin und her, bis er ihn schließlich auf den rissigen Straßenbelag vor sich richtet. Seine Haare sind kurzgeschoren – als ich klein war, nannten wir diese Frisur einen Mecki. Vor der Unterführung lungern noch zwei weitere männliche Teenager herum. Einer zieht immer wieder mit solcher Leidenschaft an seiner Zigarette, dass es wirkt, als hätte sie ihn beleidigt. Der andere trägt ein genietetes Hundehalsband und ein Netzhemd, präsentiert sich also im klassischen Outfit seines derzeitigen Gewerbes.

Die Fahrer in den darüber hinwegdonnernden Autos ahnen nicht, was unter ihnen los ist. Wir befinden uns in King’s Cross, das in den letzten zwanzig Jahren zu großen Teilen »aufgewertet« wurde, unter anderem durch die Ansiedlung von Museen und Bibliotheken, den Eurostar sowie ein Hinweisschild auf den Bahnsteig 9 ¾, auf dem Harry Potter in seinen Zug nach Hogwarts stieg. Viele der sogenannten »unerwünschten Elemente« haben diesen riskanten, ortsgebundenen Transaktionen zugunsten der relativen Sicherheit des Online-Business den Rücken gekehrt – die Nachfrage auf dem gefahrenträchtigen Straßenstrich ist stark zurückgegangen, noch so ein positiver Nebeneffekt des Internets –, wenn man sich jedoch in die tatsächlich wie idiomatisch finsteren Gassen des Viertels begibt, abseits der glänzenden, neuen Bürotürme, findet man immer noch Orte, an denen dieses lasterhafte Element in hochkonzentrierter Form weiterlebt.

Und dort habe ich den vermissten Jungen gefunden.

Ein Teil von mir – der impulsive Teil, den ich im Zaum halte – will über die Straße rennen und den Jungen schnappen. Er wäre jetzt sechzehn Jahre alt, sofern es wirklich Patrick ist und kein Doppelgänger oder ich mich irre. Alles scheint zu passen – zumindest aus dieser Entfernung. Vor zehn Jahren – wie jung er damals war, können Sie sich leicht selbst ausrechnen – hatte sich Patrick in dem extrem wohlhabenden Ort Alpine mit Rhys, dem Sohn meines Cousins, zu einem – auf dieser Bezeichnung wurde damals bestanden – »Playdate« getroffen.

Und genau dies erklärt mein Dilemma.

Wenn ich mir Patrick jetzt schnappe, einfach über die Straße renne und ihn mir greife, was wird dann aus Rhys? Einer der vermissten Jungen befindet sich in Sichtweite, ich bin aber hier, um beide zu retten. Also muss ich behutsam vorgehen. Darf nicht überhastet handeln. Ich muss Geduld haben. Ganz egal, was vor zehn Jahren geschehen ist, welche grausame Fügung der Menschheit (ich glaube nicht recht, dass das Schicksal grausam ist, da es sich bei den Übeltätern meist um Mitmenschen handelt) diesen Jungen aus der Opulenz seines Herrenhauses gerissen und in diese versiffte Unterführung geführt hat, ein Fehler von mir könnte bewirken, dass einer oder gar beide Jungs wieder verschwinden – und zwar für immer.

Ich muss auf Rhys warten. Ich werde auf ihn warten, mir beide Jungs schnappen und sie nach Hause bringen.

Vermutlich sind Ihnen inzwischen zwei Fragen durch den Kopf gegangen. Erstens: Wie kann ich mir sicher sein, dass ich mir beide Jungs schnappen kann, wenn ich sie zu Gesicht bekomme? Was wäre, werden Sie sich fragen, wenn die Jungs einer Gehirnwäsche unterzogen wurden und sich wehren. Was, wenn die Entführer, oder wer auch immer für ihre Unfreiheit verantwortlich ist, versuchen würden, mich entschlossen und brutal davon abzuhalten?

Meine Antwort lautet: Machen Sie sich darüber keine Gedanken.

Die zweite Frage beschäftigt mich allerdings tatsächlich: Was ist, wenn Rhys nicht auftaucht?

Ich bin nicht so sehr der Kommt-Zeit-kommt-Rat-Typ, also hecke ich einen Plan B aus, der unter anderem darin besteht, die Umgebung genauer zu erkunden und Patrick in sicherer Entfernung zu folgen. Während ich noch an einigen Details dieses Plans feile, geht etwas schief.

Das Geschäft nimmt Fahrt auf. Und im Leben wird in Kategorien gedacht. Das ist auch in der Gosse nicht anders. Es gibt hier verschiedene Unterführungen, und in der ersten richtet sich das Angebot an heterosexuelle Männer, die weibliche Begleitung suchen. Dort herrscht der größte Andrang. Wegen der herrschenden Grundwerte, nehme ich an. Man kann noch so viel über Gender, Präferenzen und Perversionen reden, die Mehrheit der sexuell Frustrierten sind immer noch heterosexuelle Männer, die nicht genug bekommen. Alte Schule eben. Frauen mit leeren Blicken nehmen ihre Plätze an den Betonpollern ein, Autos fahren im Schritttempo vorbei, Frauen steigen ein und verschwinden, andere Frauen nehmen ihren Platz ein. Es ist fast so, als beobachte man einen Getränkeautomaten an einer Tankstelle.

In der zweiten Unterführung wartet ein kleines Kontingent von Transvestiten oder Transgender-Frauen in den unterschiedlichsten Ausformungen und Ausprägungen, und dann, ganz hinten, da wo sich auch Patrick gerade befindet, stehen die jungen Stricher.

Ich sehe, wie ein Mann in einem melonenfarbenen Hemd auf Patrick zustolziert.

Was, habe ich mich bei Patricks Ankunft gefragt, würde ich tun, wenn ein Freier seine Dienste in Anspruch nehmen will? Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass es am besten wäre, in diesem Fall sofort einzuschreiten. Es wäre die menschlichste Reaktion. Andererseits darf ich mein Ziel nicht aus den Augen verlieren, beide Jungs nach Hause zu bringen. Immerhin waren Patrick und Rhys zehn Jahre lang verschwunden. Sie haben weiß Gott was durchgemacht, und obwohl mir der Gedanke nicht gefällt, dass einer der beiden ein weiteres Mal missbraucht werden könnte, habe ich das Für und Wider bereits abgewogen und eine Entscheidung getroffen. Und es ist sinnlos, über diese Entscheidung noch weiter nachzugrübeln.

Aber Melonenhemd ist kein Freier.

Das sehe ich sofort. Freier stolzieren nicht so selbstbewusst umher. Sie gehen nicht hoch erhobenen Hauptes. Sie schmunzeln nicht. Sie tragen keine leuchtend melonenfarbenen Hemden. Die Freier, die so verzweifelt sind, dass sie hierherkommen, um ihre Triebe zu befriedigen, schämen sich entweder, oder sie fürchten, entdeckt zu werden – oder beides.

Melonenhemd hingegen stolziert in der forschen Haltung eines gefährlichen, selbstsicheren Mannes. So etwas spürt man, wenn man eine gewisse Erfahrung in solchen Dingen hat. Das Unterbewusstsein sendet einen primitiven, inneren Warnton, den man sich nicht ganz genau erklären kann. Der moderne Mensch, der häufig mehr Angst vor der Blamage hat als um seine Sicherheit, neigt dazu, diese Warnung zu ignorieren, und bringt sich so in Gefahr.

Melonenhemd sieht kurz nach hinten. Zwei weitere Männer erscheinen und flankieren ihn. Beide sind sehr groß, tragen tarnfarbene Cargohosen und Unterhemden über der glänzenden, muskulösen Brust. Die anderen Jungs in der Unterführung – der Raucher und der mit dem Nietenhalsband – fliehen, als sie Melonenhemd sehen, und lassen Patrick allein mit den drei Neuankömmlingen.

Oh, das ist nicht gut.

Patrick blickt immer noch zu Boden. Sein nahezu kahlgeschorener Kopf glänzt. Er sieht die herannahenden Männer erst, als Melonenhemd schon fast vor ihm steht. Ich gehe näher heran. Wahrscheinlich arbeitet Patrick schon länger auf der Straße. Ich überlege kurz, was das für ein Leben sein muss, aus der komfortablen Blase eines amerikanischen Vororts herausgerissen zu werden, um hier in dieser – was auch immer es sein mag – zu landen?

Im Laufe dieser Zeit könnte Patrick sich jedoch gewisse Fähigkeiten angeeignet haben. Vielleicht kann er sich aus der Sache herausreden. Vielleicht ist die Situation nicht so brenzlig, wie sie mir erscheint. Ich muss abwarten und die Situation weiter beobachten.

Melonenhemd stellt sich direkt vor Patrick. Er sagt etwas zu ihm. Ich kann es nicht verstehen. Dann holt er aus und rammt Patrick ohne Vorwarnung die Faust in den Solarplexus.

Patrick klappt zusammen, fällt zu Boden und bleibt nach Luft schnappend liegen.

Die beiden tarnfarbenen Muskelpakete treten näher heran. Ich renne.

»Gentlemen«, rufe ich.

Melonenhemd und beide Tarnhosen fahren herum. Zuerst sehen ihre Mienen aus wie die von Neandertalern, die zum ersten Mal eine fremde Stimme vernehmen. Dann verengen sich ihre Augen, als sie mich begutachten. Lächeln umspielt ihre Lippen. Körperlich bin ich keine imposante Erscheinung. Ich bin...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2018
Reihe/Serie Myron-Bolitar-Reihe
Übersetzer Gunnar Kwisinski
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Home
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Big Cyndi • eBooks • Entführung • esperanza • Familiendrama • Familienthriller • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • Mickey Bolitar • New York • New-York-Times-Bestseller • Spiegel-Bestseller-Autor • Sportagent • Thriller • Win
ISBN-10 3-641-22074-2 / 3641220742
ISBN-13 978-3-641-22074-7 / 9783641220747
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