Ich beobachte dich (eBook)
480 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490486-3 (ISBN)
Chevy Stevens ist die einzige Kanadierin unter den internationalen Top-Thrillerautor:innen. Sie lebt in Nanaimo auf Vancouver Island mit seiner beeindruckenden Natur. Ihre eindrücklichen Thriller um Frauen, die ums Überleben kämpfen, stehen weltweit auf den Bestsellerlisten. Chevy Stevens ist auf einer Ranch aufgewachsen und liebt Wandern, Paddeln und Zelten mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihren Hunden.
Chevy Stevens ist die einzige Kanadierin unter den internationalen Top-Thrillerautor:innen. Sie lebt in Nanaimo auf Vancouver Island mit seiner beeindruckenden Natur. Ihre eindrücklichen Thriller um Frauen, die ums Überleben kämpfen, stehen weltweit auf den Bestsellerlisten. Chevy Stevens ist auf einer Ranch aufgewachsen und liebt Wandern, Paddeln und Zelten mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihren Hunden. Maria Poets übersetzt seit vielen Jahren Belletristik, darunter viele Spannungstitel, und zeichnet sich u.a. durch Dialogstärke und ihr Gespür für Ton und Tempo aus. Sie lebt als freie Übersetzerin und Lektorin in Norddeutschland.
Chevy Stevens weiß, wie man Spannung aufbaut. […] und das dramatische Finale ist gut ausgearbeitet.
Teil 1
1 Lindsey
November 2005
Ich hatte nicht viel Zeit. Er wartete draußen am Strand – und er zählte jede Minute. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, ließ die Rinnsale über meinen Nacken und auf mein Shirt laufen. Ich starrte in den Spiegel. Versuchte mich zu erinnern, wie ich die Lippen formen musste, um nicht so verängstigt auszusehen. Ich lockerte die Muskeln um meine Augen, rieb über die verschmierte Wimperntusche. Es spielte keine Rolle, wie oft ich ihm sagte, dass ich nicht mit diesem Mann geflirtet hatte, ich hätte es genauso gut auf den Ozean hinausschreien können.
Der Betonfußboden des Waschraums war bedeckt mit Sand und Papierstückchen, die an meinen Flipflops kleben blieben. Neben mir kämpfte ein kleines Mädchen mit dem Wasserhahn. Ich beugte mich vor und drehte ihn für sie auf, dann trat ich beiseite, um dem neugierigen Blick der Mutter auszuweichen, die gerade eine der Kabinen verließ.
Sie gingen Hand in Hand hinaus, das kleine Mädchen plapperte etwas über den Weihnachtsmann – würde er sie in dem Hotel finden? Bis Weihnachten war es noch einen Monat. Ich dachte an Sophie und verspürte einen scharfen Schmerz in meiner Brust. Jeden Tag fügte sie ihrer Liste etwas Neues hinzu. Meine Wunschliste bestand nur aus einem Punkt, einem einzigen.
Diese Ferien sollten ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk von Andrew sein, aber das war eine Ausrede. Er wusste, dass er beim letzten Mal zu weit gegangen war. Ich hatte alle möglichen Gründe angeführt, warum wir nicht nach Mexiko fahren konnten, doch er hatte sich über jeden einzelnen hinweggesetzt und ein Zimmer in dem Hotel gebucht, in dem wir unsere Flitterwochen verbracht hatten. Unsere Suite war dieses Mal sogar noch größer und hatte einen Panoramablick. Als könnten weißer Sand und funkelndes türkisfarbenes Wasser alles wiedergutmachen.
Ich war so umsichtig gewesen, den pinkfarbenen Einteiler anzuziehen, als wir an diesem Morgen zum Strand gingen, darüber trug ich noch mein Strandkleid, das mit dem hohen Kragen und dem Saum, der fast bis zu den Knien reichte. Dazu setzte ich meinen Strohhut und die große Sonnenbrille auf. Als wir das Zimmer verließen, lächelte er zustimmend und zog mich für einen Kuss an sich. Ich verspannte mich, konnte aber keinen Alkohol in seinem Atem riechen oder auf den Lippen schmecken. Ich wollte mich ihm entziehen, doch er musste zuerst den Kuss beenden.
Am Strand ließen wir uns für die nächsten Stunden unter einem der Strohsonnenschirme nieder. Sophie spielte im Sand. Andrew hielt meine Hand, sein Daumen malte träge Kreise auf meine Haut. Eine Frau ging vorbei, und ich bemerkte den bewundernden Blick, mit dem sie Andrew bedachte. Er sah gut aus in seinen weißen Shorts, den klar definierten Bauchmuskeln und der glatten Haut, die schon nach wenigen Tagen in der Sonne einen hellen Bronzeton bekommen hatte. Aber auf mich hatte das keine Wirkung mehr. Ich achtete sorgsam darauf, mich nicht umzuschauen, aber ich stellte mir vor, wie wir auf andere wirken mussten. Ein ganz normales glückliches Paar mit seinem Kind.
Ich tat, als würde ich dösen, doch aus dem Schutz meiner Sonnenbrille heraus beobachtete ich Sophie. Sie baute eine aufwendige Sandburg mit Türmchen und Burggraben. Mit einem Stock ritzte sie Muster in die Seite, in die sie vorsichtig Muscheln platzierte. Im Januar würde sie sieben werden, und sie hatte die Klein-Mädchen-Phase bereits hinter sich gelassen. Ihre Gliedmaßen wurden schlanker, ihr hellblondes Haar bekam den dunkleren Honigton ihres Vaters.
Sie hob ihren Eimer auf und kam zu uns zurück. »Mommy, ich habe Hunger.«
Wir winkten den Kellner heran, der Andrew schon den ganzen Morgen sein Bier brachte. »Una cerveza, por favor«, sagte Andrew jedes Mal, während ich an meiner Lime Margarita nippte und versuchte, den immer größer werdenden Klumpen in meinem Magen zu ignorieren. Wir gaben unsere Bestellung auf, Hühnchensalat für mich, Burger und Pommes für die beiden. Der Kellner war attraktiv, Haare und Augen waren schwarz, die Zähne blitzten beim Lächeln kurz auf, und sein Gesichtsausdruck wirkte keck. Ich vermied es, ihn anzuschauen, doch dann machte ich einen Fehler. Als ich ihm mein leeres Glas reichte, berührten seine Finger mich für einen kurzen Moment. Es war ein Versehen. Irgendein Geräusch hinter uns hatte ihn abgelenkt, aber ich wusste, dass das keine Rolle spielte. Unsere Hände hatten sich berührt.
Der Kellner stellte mir die frische Margarita hin und verschwand. Andrew trug eine Sonnenbrille, doch sein verkniffener Mund verriet seine Wut, und meine Gedanken rasten wild in der Gegend herum und suchten nach Halt. Ich musste ihn ablenken.
Ich zeigte auf den Strand und die Palmen. »Es ist einfach phantastisch hier.«
»Ja, es scheint dir ja sehr zu gefallen.«
»Es ist so entspannend.« Ich setzte ein freundliches Lächeln auf. Als wüsste ich nicht, auf was er hinauswollte. Als hätte wir das nicht schon so viele Male zuvor durchexerziert.
Sophie, die mit einem um die Hüften geschlungenen Handtuch auf dem Fußende meiner Strandliege hockte, beobachtete unsere Gesichter. Ihre grünen Augen verrieten ihre Sorge. Sie wickelte sich eine nasse Haarsträhne um den Finger. Schon als Kleinkind hatte sie ihr Haar aufgewickelt, wenn sie müde war oder Angst hatte.
»Hast du nicht Lust, noch ein paar Muscheln zu suchen, Spatz?«, sagte ich. »Sie sehen so wunderschön aus auf den Türmchen. Ich rufe dich, wenn unser Essen kommt.«
Sie stand auf, nahm sich ihren aufblasbaren Delphin und lief zurück zum Strand, nicht ohne noch ein paarmal über die Schulter zu mir zurückzublicken. Ich lächelte weiter.
»Du scheinst mich ja für völlig blöd zu halten«, sagte Andrew, als sie außer Hörweite war.
»Natürlich nicht.«
Er konzentrierte sich wieder auf sein Buch und blätterte jede Seite mit einer heftigen Bewegung um. Mein hastiger Atem schien kaum durch die enge Kehle zu passen. Ich nippte an meinem Drink, aber die Margarita war nicht länger erfrischend, und von der Säure zog sich mir der Magen zusammen. Ich rieb sanft über meine Brust, doch der Druck ließ nicht nach.
Unser Essen kam, und der Kellner fragte, ob er uns noch etwas bringen könne, doch Andrew redete nicht mit ihm, so dass ich gezwungen war, für uns beide zu antworten, während Andrew mich anstarrte. Ich konnte seinen Zorn über die Entfernung hinweg spüren, hörte die Tirade, die er bereits probte.
Sophie war schon auf dem Weg zu uns zurück. Ich beugte mich zu Andrew. »Bitte lass es. Bitte mach kein Theater deswegen. Er hat meine Hand aus Versehen berührt.«
»Ich habe gesehen, wie du ihn angeschaut hast, Lindsey.«
»Nein, das hast du nicht.« An diesem Punkt hätte ich ihn beschwichtigen sollen, hätte ihm erzählen sollen, dass er der einzige Mann für mich sei, aber die Margarita hatte mich mutig werden lassen. Sie hatte mich unvernünftig gemacht.
»Das bildest du dir nur ein«, sagte ich.
Es war, als würde sein Gesicht auseinanderbrechen und sich vollkommen neu zusammensetzen. Als der wahre Andrew. Der Mann, den außer mir niemand sah.
Sophie rannte auf uns zu und setzte sich neben mich auf die Strandliege. Ihre Haut auf meiner fühlte sich kühl und nass an. Sie griff nach den Pommes. »Hast du meine ganzen Muscheln gesehen, Mommy?«
»Ja, Spatz.« Ich warf einen kurzen Blick auf ihre Burg. »Sie sind einfach perfekt.«
Andrew kippte Ketchup auf seinen Teller und schmierte mit einer Pommes darin herum. »Iss deinen Lunch, Schatz.«
»Ich muss mir nur kurz die Hände waschen.« Ich spürte, dass Andrew mich auf dem ganzen Weg zum Waschraum beobachtete. Ich hielt den Kopf gesenkt und sah niemanden an.
Ich warf mein Papierhandtuch in den Mülleimer und schob meine Sonnenbrille nach unten. Ich musste zurück an den Strand. Sophie würde noch einmal schwimmen wollen, und ich wollte nicht, dass Andrew sie ins Wasser ließ, nachdem sie gerade gegessen hatte. Ich dachte an die Biere, die er getrunken hatte. Wie viele waren es? Ich wusste es nicht einmal. Früher hatte ich immer mitgezählt.
Sie waren nicht auf den Strandliegen. Mein Salat stand noch auf dem Beistelltisch, die Salatblätter welkten in der Hitze. Mein Glas war leer. Andrews Burger und die Pommes waren verschwunden, Sophies halbaufgegessen. Ich sah mich um. Sie waren nicht bei der Sandburg. Waren sie vielleicht zurück auf unser Zimmer gegangen? Ich ging zu Sophies Sandburg. Ihr Handtuch lag auf der anderen Seite, ihre limettengrünen Plastiksandalen lagen achtlos abgestreift daneben.
Ihr Delphin war nicht da.
Ich machte ein paar Schritte auf das Wasser zu, eine Hand zum Schutz über die Augen gelegt. Die Wellen hoben und senkten sich, eine wogende blaue Masse. Schwimmer schaukelten auf und ab. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, mich auf die Gesichter zu konzentrieren. Wo war sie? Wo war Andrew? Ich drehte mich um und überflog die Menschen am Strand, den Pulk der Hotelgäste. Ganze Horden von Kindern rannten herum und jagten den Wellen nach. Ich wandte mich erneut um und starrte hinaus auf das Wasser, suchte nach Sophies kleinem Kopf und ihrem roten Badeanzug.
Dann sah ich ihren aufblasbaren Delphin, der sich mit den Wellen auf und ab bewegte – und niemand saß darauf. So schnell ich konnte, lief ich durchs Wasser, die Strömung zerrte an meinen Beinen, meine Füße versanken im weichen Sand. Sobald ich in tieferem Wasser war, schwamm ich mit kräftigen Zügen zu dem Plastiktier und hielt mich daran fest. Sie mussten irgendwo hier draußen sein. Sophie ließ diesen Delphin nie aus den Augen.
Ich konnte ihren pinkfarbenen Schnorchel nicht...
Erscheint lt. Verlag | 25.4.2018 |
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Reihe/Serie | Kanada-Thriller |
Kanada-Thriller | |
Übersetzer | Maria Poets |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Always watching • Charlotte Link • Claire Douglas • Der Junge aus dem Wald • Ex-Mann • Gefahr • Girl before • Girl on the train • Harlan Coben • Häusliche Gewalt • Hausmann • Ich finde dich • Joy Fielding • Judith Merchant • Kanada • karen dionne • Karin Slaughter • Krimi Neuerscheinung • Liebes Kind • louise penny • Mann • Mutter • Nervenkitzel • Psychothriller • Romy Hausmann • spannend • Still Missing • Suche mich nicht • Thriller • Tochter • Vancouver |
ISBN-10 | 3-10-490486-3 / 3104904863 |
ISBN-13 | 978-3-10-490486-3 / 9783104904863 |
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