Tochter des dunklen Waldes (eBook)

Roman

(Autor)

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2017 | 1. Aufl. 2017
415 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-4003-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tochter des dunklen Waldes - Katharina Seck
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Der Morgenwald ist verboten. Er ist Nacht. Er ist gefährlich. Seit sie denken kann, weiß die junge Lilah um die finsteren Legenden über den Morgenwald. Doch außerhalb der Geschichten gab es nie eine echte Bedrohung - bis am Waldrand die Leiche einer unbekannten Frau gefunden wird. Zur gleichen Zeit verschwindet Dorean, der Mann, den Lilah heimlich liebt. Und alle Spuren weisen in den Morgenwald. Lilah folgt ihm - und entdeckt die Geheimnisse des Waldes, die so viel größer sind, als sie je hätte ahnen können ...

Prolog


Das Märchen vom träumenden Mädchen und dem Eichenherz

Es dämmerte über Grünweite, einem Dorf, das angesichts des riesigen Waldes, an den es grenzte, so seltsam winzig wirkte wie ein achtlos gesetzter Tintenklecks neben einer großen dunkelgrünen Fläche auf einer Landkarte. Die Dämmerung warf lange Schatten über das Dorf, ein Schleier des Verborgenen schwebte über ihm und hielt Neugierde und Fragen ab wie das Dach über dem Wirtshaus den prasselnden Regen, der den frühen Sommertag erschütterte.

Das Wirtshaus Schwarze Eiche war der Mittelpunkt des Dorfes, ein Ort, an dem die Menschen sich zum Essen, Trinken, Lachen und Leben trafen. Dort war man beinander und formte die Dorfgemeinschaft, zu der man über die Jahrzehnte zusammengewachsen war. Die traditionsreiche Schenke wurde von Ben, einem rotbärtigen, sanften Hünen, und seiner Frau Marta geführt, die für ihre Kochkünste nicht nur in Grünweite geschätzt und verehrt wurde. Zu ihnen gehörte ihre gerade zu einer jungen Frau heranwachsende Nichte Lilah, die sie nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen und aufgezogen hatten.

Die knarzende Tür aus uraltem Holz öffnete sich. Einige Dorfbewohner schritten über die Schwelle und brachten feuchte, kalte Luft in das Gasthaus, das mit herb duftendem Feuerholz geheizt wurde. Stimmengewirr erfüllte die Luft mit einer Lautstärke, welche die Menschen enger zusammenrücken ließ, damit sie einander verstehen konnten. Die Männer kamen von der Arbeit; die meisten von den Feldern, andere aus der Schmiede, aus Läden und aus den ungefährlichen Wäldern im Osten, hinter denen die Nachbardörfer lagen. Alle waren erschöpft von der harten, körperlichen Arbeit, hatten Hunger und vor allem Durst auf einen guten Schluck selbstgemachtes Bier. Oft kamen auch die Frauen dazu, deren Kinder alt genug waren, um allein daheimzubleiben.

Unter dem riesigen Wirtsraum gab es noch einen alten Keller, in dem die Vorräte für das kommende Jahr sowie alte, reparaturbedürftige Möbel aufbewahrt wurden, die der Hausherr für die Gästezimmer benutzen wollte, die er nach einem Brand im Dachgeschoss neu aufbaute.

Grünweite lag am Rande eines Waldes und war nicht sehr groß. Etwa hundert Menschen lebten hier. Bis zur nächsten größeren Stadt musste man vier oder fünf Tagesmärsche einberechnen. Der Anspruch der Einwohner war nicht hoch. Sie lebten von dem, was die Natur ihnen gab und was sie mit ihren Händen anbauen konnten. In den letzten Jahrzehnten hatte die Natur es so gut mit ihnen gemeint, dass sie von der Ernte und der überschaubaren Viehzucht leben konnten.

Obwohl das Dorf abgelegen war, gab es immer wieder Gäste, die auf der Durchreise waren und eine Weile bei ihnen rasteten, ehe sie weiterzogen. Meistens, ohne ihr Ziel zu verraten.

Lilah war besonders neugierig auf die Reisenden, die von weit her kamen; neugierig, was es draußen in der Welt wohl noch so geben mochte, abseits des Dorfes und der Gaststätte, abseits der Nachbardörfer, die noch winziger waren als Grünweite. Sie fühlte sich schon lange eingesperrt zwischen Alltag und Gewohnheit, die keine Veränderung und erst recht nichts Aufregendes brachten. Außerdem war das Dorf von zwei Seiten vom undurchdringlichen Morgenwald umschlossen, der das Erkunden der Welt deutlich erschwerte. Denn das Betreten des Morgenwaldes, das lernte jeder Dorfbewohner von Kindesbeinen an, war streng verboten.

Das Wirtshaus füllte sich weiter, bis schließlich jeder Platz mit Männern und Frauen besetzt war. Die Männer kamen an den Tresen, um Bier und verdünnten Wein zu holen und an ihre Tische zu bringen. Die Stube war erfüllt mit dem deftigen Geruch von Fleisch und von Erzählungen über die Ereignisse des Tages, von Tratsch aus den Nachbardörfern und dem Lachen der jungen Männer über derbe Scherze.

Auch an diesem Abend holte der junge Knabe Simmon, Enkel des Bürgermeisters Gerard und ein begabter Musiker, nach dem Essen seine Fidel heraus und spielte ein schnelles Lied, dessen Rhythmus den Raum einnahm und die versammelten Menschen sich unbewusst im gleichen Takt wiegen ließ.

Die Menschen liebten diese Augenblicke, in denen die wachsende Heiterkeit, aufgestaut durch das Zusammensein und Bens gutes Bier, sie dazu brachten, die harte Arbeit und die Sorgen des Tages für eine Weile zu vergessen, in denen sie erhitzt und ausgelassen waren, in denen Lachen und heiße Freude die Lasten auf den Schultern vertrieb. Das musste ein gutes Wirtshaus erreichen: Die Menschen vergessen lassen, was hinter der Schwelle lag, sodass sie ihre Bürden zumindest für einige Stunden draußen stehen ließen.

Irgendwann ließen sich die Frauen von der Musik hinreißen und tanzten in der Mitte des Raumes. Die wadenlangen Röcke drehten sich bei der Bewegung, blähten sich auf, wenn die Tür geöffnet wurde, und draußen konnte man den Lichtschein in der Nacht leuchten sehen, der das Zentrum des Dorfes erhellte.

Unter dem Licht des Mondes thronte, in schlafender Schönheit und ganz in Schwarz gehüllt, der gewaltige Morgenwald wie ein angsteinflößender Wächter. Die Umrisse des dunklen Waldes erschienen einem bereits am Tage furchterregend, doch nichts konnte die Bedrohung beschreiben, die er bei Nacht ausstrahlte, wenn ihm die Sonne nichts von seiner Bedrohlichkeit nehmen konnte und er sich in seiner ganzen Finsternis erheben konnte.

Simmon spielte zwei, drei weitere Lieder, ehe er seine Fidel für eine Pause zur Seite legte. Seine Finger waren wund, und sein Instrument war alt und abgegriffen, und es zu spielen, wurde zunehmend schwerer.

»Wenn ich doch nur in den Wald gehen und mir ein gutes, feines Holzstück für eine neue Fidel besorgen könnte«, seufzte er und strich über den mitgenommen aussehenden Korpus des Streichinstruments.

Die ausgelassene Stimmung verschwand so schnell, als hätte ein eisiger Windhauch sie ausgelöscht, sie aufgesaugt und in etwas Hässliches verwandelt. Alle schwiegen betroffen, denn wenn die Bewohner von Grünweite von einem Wald sprachen, dann meinten sie nur den einen: den Morgenwald.

Es gab noch einen anderen Wald im Westen, der zu den nächsten Dörfern und schließlich zur Stadtstraße führte, aber zum Großteil waren die Menschen von Grünweite vom Morgenwald umringt, der sie Nacht für Nacht mit seiner Anwesenheit in einen unruhigen Schlaf wiegte und sie damit zu erdrücken schien.

»Dann geh zum nächsten Markt und kauf’ dir eine neue«, rief Hawer, ein ungemütlicher Genosse, der stets eine grimmige Miene zur Schau trug.

»Das kann ich mir kaum leisten«, murmelte Simmon. »Ich müsste mir selbst eine bauen. Aus gutem Holz. Aus richtigem Holz. Ach, wenn ich doch nur …« Er verstummte, denn jeder konnte ihm den Gedanken, der in seinem Kopf reifen wollte, ablesen. Es war viel zu gefährlich, im Morgenwald nach Holz für ein Instrument zu suchen. Es war zu gefährlich, überhaupt daran zu denken.

»Erinnerst du dich nicht mehr, mein Enkel?«, fragte Gerard leise. »An all die Sagen um Menschen, die in den Morgenwald gegangen und nie mehr zurückgekehrt sind? An Stimmen und Wispern und Wehklagen?«

Natürlich kannte Simmon die Sagen. Alle kannten sie. Die Sagen um verlorene Kinder, um verschwundene Reisende, um Tote und Lebende, um seltsame Geräusche und schwebende Lichter wurden zu jedem Anlass erzählt, zu jeder Sommerwende, zu jedem Winteranbruch, zu jeder Hochzeit, kurz immer, wenn die Grünweiter zusammenkamen. Der Morgenwald und dessen Geheimnisse beherrschten das Dorf, seit sie denken konnten.

Die Ältesten an Gerards Tisch gaben besorgtes Murmeln von sich. Ihre Gesichter waren zu verschreckten Mienen verzogen und ihre Augen blickten verängstigt, als wären sie gerade um Jahre in die Vergangenheit gereist und sähen wieder Männer vor sich, die heute nur noch Geister und längst zu Staub zerfallen waren.

»Erzähl es uns noch einmal, Großvater«, bat Simmon in diese bedeutsame Stille.

»Was möchtest du hören, mein Kind?«, fragte Gerard, obwohl Simmon längst kein Kind mehr war.

»Die Geschichte, mit welcher alles begann. Mit welcher der Morgenwald selbst begann …«

»Du meinst, das Märchen vom träumenden Mädchen und dem Eichenherz?«

Simmon nickte, und den Anwesenden lief ein Schauer über den Rücken. Sie alle kannten das Märchen. Aber es zu kennen und es zu hören, waren zwei unterschiedliche Dinge. Alle Menschen, die jemals in der Nähe des uralten Morgenwaldes gelebt hatten, waren mit dem Märchen aufgewachsen, das einen bis ins Grab verfolgte.

Gerard holte tief Luft. Sein Gesicht war fahl. Er hatte das Märchen schon oft erzählt: Jedem Reisenden, der durch das Dorf gekommen war, denn er wollte sie vor dem gefährlichen Wald warnen. Und jedes Erzählen schien dem alten Mann mehr Kraft zu rauben, sowie jeden Zuhörer mehr und mehr das Fürchten zu lehren.

Gerard räusperte sich, trotzdem klang seine Stimme alt und gebrechlich, wie jene Bäume des kurzen Waldstücks, das sich im Westen in Richtung der nächsten Dörfer auftat und kaum genügend Feuerholz für das Dorf bot.

»Es war einmal«, begann er, »ein junges Mädchen, das in seinem Heimatdorf für seine Neugier bekannt war. Es wollte ausziehen und Länder und Städte entdecken, jeden Stein umdrehen und an jedem Fluss entlangwandern, den diese Welt zu bieten hatte. Die anderen lachten nur über das Mädchen, denn sie hielten seine Träume für kühn und fern. Der harte Alltag, so dachten sie, würde ihr die Träume schon austreiben und sie mit den anderen auf die Felder hinausschicken, wo sie Getreide ernten musste, um zu überleben und keinen Hunger zu leiden. Träumen, so dachten die einfachen Menschen, Träumen war nicht mehr...

Erscheint lt. Verlag 24.11.2017
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Original-Titel Das Land der sterbenden Blüten (AT)
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Ahorn • All Age Fantasy • Baum • Dorean • Dryade • Dunkeldryade • Eis und Feuer • Elb • Elfe • Epic Fantasy • Fantastischer Roman • Fantasy Bestseller • Fantasy Bücher • Fantasy Roman • Game of Thrones • Gefahr • Geheimnis • Grünweite • Herr der Ringe • High Fantasy • Hobbit • Liebe • Lilah • Low Fantasy • Magie • Morgenwald • Tolkien • Troll • Zauber • Zeitreisen
ISBN-10 3-7325-4003-0 / 3732540030
ISBN-13 978-3-7325-4003-7 / 9783732540037
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